Was ist Zufall? / What is by accident?
26.09.2015 Yuxi / China / N24°30’52.3“ E102°33’12.5“
Es knallt. Dann Musik. Erneut ein Knall. Grund genug, unsere Köpfe aus dem Leo zu strecken. Samstag. Früher Morgen. Es sind Frauen und ihr Meister. Sie halten rote Fächer in ihren Händen, schweben tanzend synchron über den Platz. Jede kennt die Schritte, jede weiß wann der Knall zu hören sein muss. Dann nämlich, wenn sie alle gleichzeitig ihre straff gespannten Fächer öffnen. Die Gesichter der Frauen sprechen von Konzentration, auch von innerer Einkehr. Manche scheinen uns kaum zu bemerken. Gleich neben der Fächer-Gruppe die mit den Blumen. Weicher sind ihre Bewegungen, fließender. Doch genau so im Gleichklang zu ihrer Musik. Schon das erfordert Aufmerksamkeit. Das Hören der eigenen Töne, und das mentale Wegblenden der Nachbarmusik. Doch darin scheinen die Chinesen ja Meister zu sein. Im Ausblenden.
Heute ist Markttag wie an jedem Tag. Das frische Gemüse möchte seine Käufer finden. Ein schönes Ritual, an jedem Morgen einzukaufen, was heute knackfrisch im Wog landen soll. Leuchtend Grün und Dunkelrot, Zitronengelb und Blutorange. Der richtige Moment, mir einen Mango Juice bereiten zu lassen. Sten entscheidet sich für Kokosmilch. Irgendwie fühlen wir uns beide im Kopf noch nicht so ganz klar. Ist es die Höhe, ist es die Wärme, ist es das Einströmen der immerwährenden Eindrücke? Das Treiben rauscht an uns vorbei. Doch bestimmt helfen die leckeren Getränke. Müssen sie ja. Schließlich haben wir heute noch dreihundert Leo-Kilometer vor uns. Klingt jetzt nicht so viel, ist es aber, hier in dem Bergland.
Also „Tschüss Dali“ und „Hallo Straße“. Unterwegs begegnen uns Autos, deren Namen und Logos wir nicht kennen, deren Formen mir Bekanntem ähneln, doch ausschließlich in China für den eigenen Markt produziert werden. Annähernd einhundert solcher Eigenmarken soll es in China geben, wie uns Andi erzählt. Eine große Zahl. Doch wenn ich bedenke, dass hier einfach mal ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt, dann finde ich sie nicht mehr so üppig und verwunderlich. Bei über 1,3 Milliarden Menschen. „Braucht man denn da überhaupt noch einen weiteren Markt draußen, außerhalb der eigenen Grenzen?“, frage ich mich.
Genug gedacht für heute. Wir halten an, weil es uns irgendwie passend erscheint und wir das Gefühl haben uns etwas ausruhen zu wollen. Beim Aussteigen höre ich kein Knallen wie am Morgen, doch ein lautes Zischen. Es kommt nicht, wie so oft, von irgendeiner Fabrik, die es hier zu Hauf gibt, sondern direkt vom Leo. „Los schnell, raus“ rufe ich, nicht wissend, was da zischt. Es ist ein Hinterreifen, der einen Dreiangel im Gummi hat, aus dem die Luft ausströmt. Blöde Sache. Doch ich bin froh, dass der Reifen uns nicht um die Ohren geflogen ist, während wir gefahren sind. Sondern sich jetzt beim Stehen bemerkbar macht. Danke Schicksal!
Hatten wir gerade eben von Ausruhen gesprochen? Wird wohl eher aktive Erholung heute Abend. Sten montiert das Motorrad ab, das Holz auch, bis wir an unseren Ersatzreifen kommen. Erprobung im Ernstfall. Bisher haben wir immer nur theoretisch durchgespielt, wie wir den zweihundert Kilogramm schweren Reifen nach unten befördern können. Probiert hat das noch niemand. Minutenlang haben wir keine Idee, wie es gelingen kann, den Reifen hinter der Motorrad-Halterung hervor zu fädeln. Doch weil es einfach gehen muss, gelingt es uns irgendwann. Bleibt uns nun nur noch die kleine Übung, den kaputten Reifen von der Felge zu bekommen. Stehen wir doch ungünstiger Weise direkt an einem Bordstein. Doch vorhin musste alles so schnell gehen, um die Wagenheber unterzusetzen, bevor der Leo vollkommen abgesackt wäre. Da blieb keine Zeit zum Weiterfahren. Wie aus heiterem Himmel, stehen mit einem Mal zwei Trucker Fahrer hinter uns und bieten ihre Hilfe an. Und das nachts um zwölf Uhr. Was ist das? Kann das noch Zufall sein? Ich habe wirklich keine Ahnung, wie ich Sten beim Abziehen des Reifens hätte helfen können. Doch nun zu Dritt schaffen sie es. Immer wieder darf ich diese Erfahrung machen, dass in einer schwierigen Situation unerwartet und plötzlich Unterstützung auftaucht. Was für ein großer arrangierter Plan?! Was für eine Fügung des Schicksals. Oder ist es doch alles Zufall?
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