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Schauderschön / Shudder-beautiful

31.10.2015 Koh Ker / Kambodscha / N13°42’57.6“ E104°32’43.6“

Kambodschas Geschichte ist eine lange. Zurück reicht sie bis viertausendzweihundert vor Christus. Erste Siedlungen gab es damals auf dem Gebiet des heutigen Kambodschas. Die weithin, bis in das heute, strahlende Periode der Blüte war die der „Khmer-Zeit“. Vom neunten bis zum fünfzehnten Jahrhundert reichte sie. Seither hatte die Region mit Kolonialzeiten, mehreren Bürgerkriegen, Abhängigkeiten mal von Thailand, mal von Vietnam, der brutalen Zeit der „roten Khmer“ in den achtziger Jahren und vielen weiteren Unruhen im und um das Land herum zu kämpfen.
Ich spüre davon heute nichts. Wenn wir durch die vom Dschungel zugewachsenen Gebiete hier ganz im Norden Kambodschas fahren. Die Menschen in den kleinen, zwischen dem dichten Grün auftauchenden Dörfchen, sind fröhlich, winken uns zu und wirken heiter. Sie gehen ihren ganz normalen Tagesbeschäftigungen nach. Bauen hochstelzige Hütten, waschen Wäsche, ernten Reis und sitzen vor allem sehr oft an den schattigen Plätzen ihrer Häuser oder schwingen gemächlich in Hängematten. Das Leben strahlt voller Selbstverständlichkeit. Es ist wie ein eigenes kleines System. Alles wirkt miteinander verzahnt und funktioniert wie es ist. Einfluss von außen scheint unangebracht. Es ist ein spartanisches Leben, doch macht es auf mich durchaus einen befriedeten Eindruck. Immer wieder kreiselt mir der Begriff „Armut“ durch den Kopf. Als eines der ärmsten Länder der Welt wird Kambodscha eingestuft. Doch erneut merke ich, dass es offensichtlich mehrere Betrachtungsweisen zu diesem einen Begriff gibt. Arm ist, wer unter einem bestimmten Einkommen pro Jahr liegt. Doch arm, das leuchtet mir hier allerorten entgegen, heißt nicht automatisch unglücklich. Ich hatte dieses Wort bisher immer sehr einseitig gesehen und würde ihm hier gern „einfach“, „eingespielt“ und „entspannt“ hinzufügen. Immer wieder scheint der „Armutsbegriff“ einer zu sein, der aus unserer westlichen Perspektive gespeist ist. Ohne den Menschen hier nicht ein Mehr an Lebensvereinfachung zu wünschen, bewundere ich doch ihre harmonisch wirkende Form des Zusammenlebens. Das Ursprüngliche hat eine Magie, die mich anzieht.
Die Zeit der „Khmer“ hat in Kambodscha überall seine steinernen Spuren hinterlassen. Wir sind in „Koh Ker“. Der Hauptstadt des einstigen Khmer-Reiches in den Jahren von neunhundertachtundzwanzig bis neunhundertvierundvierzig nach Christus. Später zog die Hauptstadt mit Sack und Pack nach Angkor. Doch die gab es in den frühen Jahren noch nicht. Also errichteten die Menschen hier, vorwiegend aus Sandstein und kleinen Ziegeln, unglaubliche Bauwerke. Holz soll damals auch mit im Spiel gewesen sein. Doch davon sind alle Spuren verwischt. Fünfundfünfzig Meter breit und vierzig Meter hoch ist die Pyramide, die mich an die Bauwerke der Maya erinnert. Zeitlich einordnen kann ich beides zueinander nicht. Doch mir nimmt es den Atem, wenn ich darüber nachdenke, in welch früher Zeit die Menschen fähig waren, derartige, bis heute erhaltene Bauwerke zu errichten. Ich gehe durch das weitläufige Dschungel-Stein Gewirr der architektonischen Baukunst. Das Licht fällt verzaubernd vom Himmel herunter. Die dunklen Steine pointiert beleuchtet. Farbliche Abstufungen von Hellblau bis Dunkelgau schimmern im Gegenlicht und machen jedes Detail zum Highlight. Ein Beleuchter bei Dreharbeiten hätte es nicht besser hinbekommen, um das Mystische dieses Ortes herauszustreichen. Wurzeln, die sich um Steine schlingen. Bäume, sich in ihrer Schönheit mit den verzierten Säulen messend. Ich bin verzückt, gemischt mit einem Hauch von Furcht. Ich laufe allein hier hindurch. Sten hat sich in einen Stein verguckt, Tommy in ein Säulentor. Da ist es nur zu gut, dass ich die Mienenwarnschilder erst später lese. Womöglich hätten sie mich des Genusses beraubt.
Einundachtzig Bauwerke soll das ganze Gebiet umfassen. Ungefähr zwanzig davon kann man heute sehen. Der Rest liegt in stark verminten Gebieten. Was für eine Tragik. Wie nah sind sich mitunter das Wunderschöne und das Abgrundhässliche.
Ich entscheide mich dafür, der baulichen Geschichte meine Ohren und Augen zu widmen. Und lasse mich Schritt für Schritt vorwärts treiben in diesem verwunschenen schauder-schönen einsamen Paradies der Steine.
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