Schlussdreisprung / Three jumps
29.12.2015 Cairns / Australien / N11°37’14.5“ E104°55’31.1“
Im Taxi geht es durch Phnom Penh. Was für ein verändertes Gefühl. Wie Zuschauer in einem Massenspektakel werden wir durch die Gegend gefahren. Eine schöne Idee. Die sich da der Regisseur unserer Reise wieder einmal ausgedacht hat. Wir sitzen nicht als Zuschauer an einem festen Platz im Raum, sondern werden von Aktion zu Schauplatz gefahren, und sind somit ein Teil der Inszenierung. Und doch fühlen wir uns ein wenig, als schauten wir durch eine undurchdringbare Membran. Eben Zu-Schauer statt Mit-Akteur. Es hat etwas Entspanntes, nicht auf jedes Moped Acht geben zu müssen. Nicht jeden mobilen Verkaufsstand im Auge zu behalten, wenn er heran gerollt kommt. Wir sehen Szenen, die wir sonst aus dem Blick verlieren. In unserer Konzentration auf das lebhafte Treiben um Leo herum. Und doch fehlt uns die Direktheit, mit herunter gelassenen Scheiben und dem Hupen, Winken und Zulachen ganz nah an den Menschen zu sein. Es strengt an, hoch konzentriert den Leo durch das Gewimmel zu lotsen. Doch es ist uns lieb gewordener Alltag. GEWESEN. Wie wir bedauernd feststellen. Sei es drum. Irgendwann hat alles ein Ende. Um anderem Raum zu geben. Wir wollen nicht schon wieder mit dem Festhalten beginnen. Haben wir uns doch ein Jahr lang im Loslassen geübt. War ne hammer-harte, wunder-volle, be-zaubernde, un-vergessliche Zeit. Den Stellenwert können wir jetzt nicht erkennen. Maximal erahnen. Es war etwas Großes. Es war für uns etwas Einmaliges. Es hat uns verändert und stärker zu dem gemacht, die wir sind. Uns prägnantere Konturen gegeben. Ich verbeuge mich tief vor meinem eigenen Leben. Und doch gelingt mir das Beugen nicht in der Tiefe, wie es mir lieb wäre es zu tun. Ich meine, ab jetzt keines Geschenkes mehr würdig zu sein. Denn das Allergrößte wurde mir mit unserer Reise übergeben. Ich habe es erst verschlossen bei mir getragen. Fürchtete mich vor dem Öffnen. Versuchte mich zaghaft daran, das Schleifenband zu lösen. Lies mir Zeit damit. Das Papier war voller bunter Pfeile und Punkte und Kringel. Wo sie mich hinführen mochten? Ich wollte es anfangs kaum wissen. Legte meine Hände nicht an. Doch der Schnee weichte das Papier auf, der Regen lies den Karton zu Brei werden und auseinanderfallen. Ganz schön störrisch gab ich mich. Und gestand mir nur nach und nach ein, Gefallen zu finden, am Nachsehen. Was verbirgt sich im Karton? Beim Fragen bemerkte ich nicht, dass sich das Geschenk schon lange selbst ausgepackt hatte. Ich es bei mir trug, ohne es zu spüren. Es war ein Sonderbares. Keines zum Anfassen, Anziehen oder Aufessen. Es war um mich herum und in mir drin, sichtbar und unsichtbar zur gleichen Zeit. Leben, mein Dank ist grenzenlos. Das sage ich Undankbare, die es zu Beginn kaum annehmen wollte.
Es wird ausgeladen. Die Fahrt im Taxi ist vorbei. Das Theaterspektakel wechselt die Kulisse.
Drehbühne. Zweiter Teil. Flughafenszene. Leute rennen hin und her. Lautsprecheransagen tönen Unverständlichkeiten. Kein Mensch scheint sie zu verstehen. Zumindest verändert niemand auch nur das Geringste an seiner Mimik, dem Tempo des Gehens, dem Aufnehmen oder Abladen an Gepäck. Kühl ist es. Die Welt der Flughäfen ist die der vollkommen übertrieben kalt eingestellten Klimaanlagen. Alle frösteln. Doch das Zittern ist offensichtlich Teil der Inszenierung. Frieren hat vielleicht was mit abgekühlten Gemütern zu tun. Ich weiß es nicht.
Wir wollen fliegen. Wohin? Zu unseren Freunden nach Australien. Schon weit vor einem Jahr stand Ihre Einladung, das Ende unserer Reise auf der „Übergangsbrücke“ Australien verleben zu können. Ich wusste nicht, was dann sein würde. Doch mir war damals schon klar, dass es nicht so einfach einen Hebel geben würde, der umzulegen sei. Und fertig ist die alte Geschichte. Zurück sind Elke und Sten, die da mal losgefahren sein würden. Wie beim Zauberer aus der Kiste. In eine Art spezielle Zwischenwelt machen wir uns also auf. Nicht mehr beim Leo und noch nicht zu Hause. Freunde, die vor einigen Jahren aus Deutschland nach Australien auswanderten und dort im äußersten Norden in Cooktown in ihrer kleinen Familie leben. Als Ärztin und Rancher im Dschungel haben sie Wurzeln geschlagen und nahe Kontakte zu den Aborigines. Ein guter Platz für uns, um die Beine aus der Hängematte baumeln zu lassen und unsere Seelen gleich mit.
Kein Übergepäck. Keine Schwierigkeiten beim Einchecken. Keine maßgeblichen Verspätungen. Einfach dasitzen, lesen, Leute beobachten, Geschichten über deren Leben ausdenken. Wir sind nun eingetaktet in die Maschinerie des Menschen Transports von A nach B. Wieder so ne passive Sache, zu der wir wenig beisteuern können, als zu warten und die Hinweise der Anzeigen zu befolgen, die uns sagen, wo es wann lang geht. So einfach ist das also in dem organisierten Leben. Folge einfach den Leuchtschriften und aufgespannten Wege-Bändern, auch wenn die in verzwickten Zick-Zack Linien quer durch den Raum verlaufen. Wird schon Sinn machen. Gehen ja alle da lang.
Schon lustig, unsere gut durchdachten Abläufe… Und eigenwillig anzusehen, wenn man ihnen mal ein paar Monate nicht begegnet ist.
Die erste Maschine steigt in den Himmel. Nach Ho Chi Minh City soll sie uns bringen. Bei glutrotem Sonnenuntergang gestartet. Bei Einbruch der Dunkelheit im Landeanflug. Ho Chi Minh City hat sich verkleidet als riesengroßer Weihnachtsbaum. Nicht übermäßig stark mit Lämpchen behangen. Doch funkeln tut es, von oben gesehen, an allen Ecken. Die hellen Lichterketten, verschlungen um den „Baum“ gewickelt, sich windend und kreuzend, bestehen aus massenhaften Moped-Glühwürmchen. Was wird das für eine Tumult sein da unten? Früher klingelten Fahrräder durch Vietnam. Heute knattern Mopeds, eng aneinander gekuschelt, durch die Gegend. Unten angekommen fast mit Bruchlandung. Na ja, bei so ner kleinen Propeller Maschine vielleicht normal. Kenne mich da nicht aus.
Neues Land. Nächster Flughafen. Alle reden hier vietnamesisch. Sehen auch ganz anders aus, als die Leute in Laos und Kambodscha. Verrückt, wie wir ein Gefühl für die Gesichter der Länder entwickeln. Früher waren es meist „Asiaten“ für mich. Nun bemerke ich Unterschiede, Einzigartiges, Spezifisches. Ein paar Stunden Vietnam. Unter der Glaskuppel der Abflughalle. Und weiter geht es. Richtung Melbourne. Zehn Stunden Flug. Einsteigen, anschnallen, Essen essen, in ne Decke einkuscheln, schlafen, erwachen und landen. So unglaublich schnell kann es gehen zwischen den Welten zu tanzen. Kühler ist es auf dem neuen Kontinent. Neu Einchecken für den Inlandflug. Die Vorgänge, alle automatisiert. Keine Dame mehr am Schalter, die das Gepäck mit prüfendem Blick auf der Wage besieht. Keine routinierten Griffe, beim Anbringen der Gepäck Banderolen. Kein freundliches Herüberreichen der Bordkarten. Wie an der „Ikea“ Kasse tippen wir selbst auf irgendwelchen Displays herum. Sind glücklich, nach einigen Fehlversuchen unsere Flugnummer gefunden zu haben. Nun die Gepäckanhänger ausdrucken und faltig an die Rucksäcke kleben. Ob den knitterigen Barcode je ein Scanner lesen kann? Wir werden sehen. Die Bordkarten schlüpfen aus dem Schlitz. Unsere Namen finden wir darauf. Wir fühlen uns stolz und erfolgreich. Doch nur für einen kurzen Augenblick. Denn das Gepäck durch der Lichtschranke hindurch zu führen scheitert ein ums andere Mal. Eine Dame kommt, um Hilfe zu leisten. Also doch wieder eine der netten Frauen, die früher so freundlich lächelten. Nach einem Neustart des gesamten Systems überlistet sie den Computer und schafft es doch tatsächlich, unser Gepäck auf die Reise nach Cairns zu schicken. Willkommen in der modernen Welt.
Cairns, unser dritter Stopp auf dem Weg nach Cooktown. Ein Hotel für die Nacht. Ein Restaurant für unsere knurrenden Mägen. Die Regenzeit hat uns wieder. Wir scheinen ihr hinterher zu reisen. Wenigstens eine Sache, die uns vertraut geblieben ist. Hier in der zivilisierten, aufgeräumten Welt. Wir werden wohl nen Kurs zur wieder Eingliederung belegen müssen. Und absolvieren gleich die erste Prüfung. „Umgang mit unfreundlichen Kellnern“ heißt die. Macht nichts. Wir lassen uns den Spaß nicht nehmen, üben fleißig und lassen uns das Bier trotzdem schmecken.
In drei großen Sprüngen nach Australien gehüpft. Ohne beim Absprung überzutreten. Schlussdreisprung mit sicherer Landung. Auf beiden Beinen. Mitten im Leben.
Mehr Bilder Hier/ More pictures here