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Unterwäsche im Untergrund

16.02.2015 Iran / Teheran / N35°45’13.3“ E051°25’28.0“

Wir haben Besuch! Gleich am Morgen kommt der Chef der Deutschen Außenhandelskammer auf einen Kaffee zu uns in den Leo. Sein Büro liegt zufällig direkt um die Ecke. Lustig, wie sich hier die Welt zusammen schiebt. Wie wir erfahren ist im Iran das Netzwerken alles. Und so sind wir dankbar für jeden Tipp über das Land und jeden Kontakt im Land. Dann ist heute „Altstadttag“. Metrostation finden. Tickets kaufen. Die richtige Route heraus fischen. Haltestellen bis zum Ziel zählen und los geht es. Ich kann  sagen, egal was wir tun, sofort ist irgendjemand zur Stelle der uns helfen will. Dieses unkomplizierte Entgegenkommen haut mich manchmal fast um. Auf dem Weg gönnen wir uns einen „Hot dog“. Ein wirkliches Riesenweißbrot mit einer kleinen Wurst darin.

Nach einer U-Bahn Fahrt im gemischten Wagon (es gibt auch Wagons nur für Frauen) tauchen wir wieder ans Tageslicht und trauen dabei unseren Augen und Ohren kaum. Plötzlich stehen wir in einem wirklichen ‚Wimmelbild’. Menschenmassen schieben sich voran, in den Hacken immer gern die Metallkante des nächsten Lastenkarrens oder Mofas. Jemand raunt uns zu, auf unsere Sachen Acht zu geben. Es ist eine Dichtheit an Menschen, an Lärm aller Arten, an Situationen, die ausreichen, der Stoff für mehrere Geschichten zu sein. Wir treiben durch den überdachten Basar, der Größte der Welt, mit seinen 30.000 Läden und genießen, hier wirklich nur unter Einheimischen zu sein. Hier wird Handel getrieben fürs ganze Land. Viele Zwischenhändler kaufen hier in großen Stückzahlen ein, um die Ware dann auf anderen Basaren im Land weiter zu verkaufen. Wir starten unbewusst mit der Unterwäscheabteilung. Zwei Dinge faszinieren mich dabei. Zum einen die teilweise wirklich überaus bemerkenswerten Konfektionsgrößen und zum anderen bleibt mein Blick an dem eigenwilligen Kontrast hängen wenn ich sehe wie komplett schwarz verhüllte Frauen bei Männern lustig bunter Unterwäsche auswählen. Es gibt nämlich auch absolut modisch raffinierte Modelle zu kaufen. Irgendwann summen uns die Ohren. Es ist wie in einem Bienenstock. Alles macht Geräusche, alles ist in Bewegung. Jeder schaut wie er selbst voran kommt. Egal, ob mit schweren Einkaufstaschen oder einem extrem beladenen Lastenkarren. Uns wird erzählt, dass der Trubel in diesen Tagen besonders groß ist, da dass Neujahr im März im Iran ansteht. Das bedeutet, Wochen vorher wird die Wohnung neu ausgestattet, man legt sich neue Kleidung zu und die Zutaten zum Essen sind zusammen zu tragen. Neujahr ist hier nicht wie bei uns an einem bestimmten Tag um Mitternacht. Hier richtet es sich nach dem Stand der Sonne und ist somit in jedem Jahr zu einer anderen Tageszeit am 20. oder 21. März. Sowohl Sekunde, Minute und Stunde werden genau ausgerechnet.

 

Unser Telefon klingelt und ein Freund von Ramin (der wiederum ist der Freund eines Bekannten in der Türkei…) möchte sich mit uns treffen. Er ist Webdesigner und so haben wir neben Land und Leuten gleich viele weitere gemeinsame Themen. Er hat in Indien studiert und arbeitet nun selbstständig. Wir erzählen ihm gerade, dass wir den Zufall lieben und so auch unsere Reise gestalten, in dem wir spontane Dinge zulassen, da klingelt erneut unser Telefon und unser Gast vom Morgen ruft uns an. Er bietet uns an, mit ihm und seiner Familie in einer Stunde in ein Konzert mit traditioneller, iranischer Volksmusik zu gehen. Wir finden die Idee toll und machen uns auf den Weg. Der ist in Teheran immer lang. Und so ist der Begriff „Pünktlichkeit“ hier ein sehr gedehnter, da der ewige Stau alle Zeitvorstellungen über den Haufen wirft. Unser Gastgeber beruhigt uns, in dem er erzählt, dass in Teheran alles später beginnt als geplant, da die Gäste oder Teilnehmer einfach nicht da sind. Und da ist es egal, ob es sich um ein Arbeitsmeeting oder einen Konzertabend handelt. Es sind Musiker vom persischen Golf mit ihren Dudelsäcken, Trommeln, Rasseln und Gesang. Mich beeindruckt die ausgelassene Stimmung, die im Konzertsaal herrscht. Alle klatschen und schunkeln und sind völlig aus dem Häuschen. Mir leuchtet die Bedeutung der Ausgelassenheit ein, als ich erfahre, dass bis vor 15 Jahren Musik und überhaupt jede Form von Emotionalität in der Öffentlichkeit verboten waren. Es fühlt sich wie ein Befreiungsschlag an. Nach dem Konzert werden wir als Ausländer gebeten, noch ein kleines Interview über unsere Eindrücke zum Konzert für die regionale Presse zu geben. Dann geht’s mit unserer kleinen Gruppe gleich weiter ins nächste persische Restaurant und ich genieße Orangenschalenreis mit Hühnchen. Dazu gibt’s ne neue Ladung Musik auf die Ohren.

Was für ein Tag, laut und hektisch und ruhig und bunt und entspannt und musikalisch und süß.

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