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Im Aralsee / Into the Aral Sea

29.04.2015 Usbekistan / Muynak / N43°48’58.5“ E059°01’50.8“

Der erste Morgen in einem neuen Land trägt etwas Bezauberndes in sich. Alles ist noch frisch und neu für uns. Jede Entdeckung ist die des ersten Mals. Sehend tasten wir uns vorwärts, um zu erfahren, wie Usbekistan auf uns wirkt. Was es uns von sich zeigt und preisgibt.

Noch immer sind wir auf dem „Ustjurt Plateau“, welches sich von Turkmenistan, über Kasachstan, bis an den Rand des Aralsees in Usbekistan zieht. Seit Wochen ist es der Boden, auf den wir unsere Füße setzen. Die Dimensionen und Ausmaße sind immens, auch wenn es auf der anderen Seite fast etwas niedlich Kleines hat, stelle ich das Ustjurt Plateau mit der Größe ganz Kasachstans oder gar Russlands ins Verhältnis. Wie groß unsere Erde ist. Wie gewaltig und stark auf der einen und wie empfindlich und verletzlich auf der anderen Seite. Wir fahren heute geradeaus. Nicht fünfzig Kilometer. Nein, dreihundertfünfzig Kilometer führt unsere Piste schnurgerade durch den hintersten Westen Usbekistans. Außer einer Bahnlinie und Sand, so weit wir blicken können, gibt es hier nichts. Und doch finden wir es schön und können uns nicht satt sehen an dieser auf uns so beruhigend wirkenden Landschaft. Meine Gedanken fliegen und schlagen Purzelbäume, wenn es nicht gerade wieder die Piste ist, die so extreme Krater hat, dass ich keinen Gedanken zu fassen bekomme.

Am späten Nachmittag macht die Strecke zum ersten Mal eine Kurve und wir biegen ab Richtung Norden. Muynak ist unser Ziel. Das ehemalige Uferland des Aralsees. Die Dörfer die wir nun queren sind klein und vereinzelt. Wir fühlen uns um Jahrzehnte, wenn nicht mehr, in der Zeit zurückversetzt, als wir den Mann auf seinem Eselkarren, die Frau mit ihrer Milchkanne oder die Männergruppe in Hockstellung am Boden sitzen sehen. Jede dieser Szenen wirkt friedlich, wie sie sich da im tief liegenden Sonnenlicht vor uns abspielt.

Wir werden von einem Mann in Uniform gestoppt. Ich will schon die Pässe zücken, doch er ist der Polizist im Dorf und möchte einfach von uns die sechzig Kilometer bis Muynak mit nach Hause genommen werden.

Der Polizist hat hier kein Dienstfahrzeug. Er steht, den Arm heraus haltend, an der Straße, wie es alle anderen auch tun, um mitgenommen zu werden. Wir laden ihn zu uns ein und weiter geht’s.

Er erzählt ein wenig vom Aralsee. Dass es dreißig Jahre her sei, als der See ging. Muynak, bis 1970 eine Stadt am See, die vom Fischfang lebte und noch heute den Fisch als ihr Wappentier trägt. Ab dem Jahr 1990 nahm die Versandung dramatische Ausmaße an und vom Jahr 2000 bis 2015 ist es für mich nicht mehr fassbar, wie stark der Schwund des Aralsees ist. Fast nicht mehr als solcher wahrnehmbar, gibt es vereinzelte Wasserstellen, welche die Reste des einstigen Sees sind. Im Norden führte der Syrdarya sein Wasser in den See, im Süden war es der Amudarya. Beide Flüsse versanden nun weit vor der Mündung und schaffen es nicht mehr, ihr Wasser in den See fließen zu lassen. Die Gründe? Zu viel Wasser wurde den Flüssen in der Vergangenheit entzogen und zur landwirtschaftlichen Nutzung in einem Maße abgezweigt, die das Ökologische System komplett zerstört haben. So stehen wir in Muynak nun am ehemaligen Ufer des Sees. Unter unseren Füßen ist der weiche Sand vom einstigen Strand. Muscheln liegen am Boden und alles sieht danach aus als läge hinter der nächsten Sandkuppe das Wasser. Doch steige ich da hinauf, weitet sich vor mir die Sicht und gibt den Blick frei auf ein Land, dass stumm vor mir liegt und dem die schützende Wasserhaut zu fehlen scheint. Schiffsfracks stehen zusammen gerückt im Sand und erzählen von ihren Heldentaten, die sie vollbrachten, als sie noch auf den Wellen schaukelten. Sie hatten ihren Spaß in diesem vergangenen Leben als stolzes Schiff auf dem Aralsee. Nun sind es gebrochene Seelen, die sich hier aufgebaut zu haben scheinen, um mit ihrer Anwesenheit die Menschen dazu aufzurütteln, vielleicht doch noch etwas zu tun, um die Geschichte des Sees umkehrbar zu machen. Ja, gewaltig und stark ist sie, unser Natur und manchmal hart, ihre Kräfte. Sie kommen mir hier draußen oft übermächtig vor. Doch ist das System der Landschaft eben zugleich empfindlich und verletzlich, wenn wir Menschen zu selbstherrlich auf sie einwirken.
So vergraben wir am Abend unsere Füße im Sand des einstigen See-Grundes und hören dem Rauschen der längst verflossenen Wellen zu.

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Kommentare

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    ich bin begeistert von ihrem Reisebericht.ich verstehe meine tochter erika, dass sie Usbekistan liebt, auch wenn sie nicht nur gute Erfahrungen gemacht hat.ich habe viele Fotos von ihr, die ihren gleichen.


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