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Am Ufer / On the shore

29.05.2015 Issyk-Kul Lake Bökönbaev / Kirgistan / N42°09’16.4“ E077°05’17.7“

 

Was haben wir doch allzeit für vorgefertigte Bilder im Kopf. Denken wir daran, ein T-Shirt mit dem Symbol des Landes zu erwerben, und es heißt: „Ja, das finden wir in der Innenstadt.“, sehen wir augenblicklich einen frisch eingerichtete Laden in Rot / Gelb gehalten vor uns, in dem wir eine Kollektion all der Dinge finden, die mit dem markanten Zeichen versehen sind. Mützen, T-Shirts, Kapuzenshirts, Unterhosen, Stifte…. Wir haben die Qual der Wahl. Die Flagge Kirgistans ist Rot und trägt in ihrer Mitte die Sonne als Zeichen. Es ist nicht nur die Sonne. Nein, in deren Zentrum kreuzen sich Linien, die wiederum das Belüftungs- und Licht-Loch in der Decke einer Jurte symbolisieren. Die Kirgisen, ein Volk der Jurten Bewohner. Auch heute finden wir aller Orten die hellen runden Jurten. Sie gehören zum Leben hier ganz selbstverständlich dazu. Ob als Stätte zum Feiern, als Behausung für Straßenbauarbeiter oder eben als Ort zum Leben. Zurück zu unserem Laden. Wir begeben uns mit Victor auf die Suche und werden fündig. Nicht die ganz große Auswahl. Nicht ganz der selbstbewusste Laden. In einer Ecke, am Ende des Kaufhauses sitzt eine Frau und plottet Logos und Bilder auf mitgebrachte T-Shirts. Auch nicht schlecht. Doch müssen wir lachen, als wir beide merken, wie anders unsere Vorstellungen waren.

Heute nun „Autovermietung“. Igor, der Enkel Victors war uns bei der telefonischen Bestellung eines Autos für fünf Tage behilflich. Er fragte ob er mitkommen solle. Der Ort sei nicht ganz so leicht zu finden. Wir freuen uns über sein Angebot, glauben aber allein zurecht zu kommen. Dem Taxifahrer drücken wir Igors Skizze in die Hand und los geht es. Straßen zu finden ist hier jedes Mal eine Herausforderung, aufgrund der häufigen Namenwechsel, die in Bishkek vorgenommen werden. So können sich alle nur an dem Straßenmuster orientieren, nicht jedoch an den Namen selbst. Gekurve durch die Stadt, Leute fragen, Anhalten, neu überlegen, Telefonate wie beim Quiz. Irgendwann biegen wir in einen kleinen holprig staubigen Weg ein, rechst fließt ein Bächlein, links stehen Gartenhütten. Vor einer der Hütten hält unser Taxifahrer und meint wir seien am Ziel. Wie, Autovermietung? Hier? Wir klingeln am Gartentor, ein Mann mit Shorts und freiem Oberkörper kommt schlurfend zum Eingang und öffnet uns die Tür. Wir fragen nach „Russisch Trojka“. Er nickt. Ganz offensichtlich sind wir angekommen, ohne den Hauch einer Ahnung davon zu haben. Wieder solch ein Trugbild unserer Vorstellung. Klar sahen wir keine Autovermietung im schillernden Edeldesign vor uns, doch eine abgelegene Gartensiedlung mit schiefen Hütten war es in unseren Köpfen auch nicht. Wirklich grandios, was unsere Gedanken veranstalten. Wir stellen uns die Frage, wie hilfreich Erfahrungen tatsächlich sind. Sie haben natürlich ihre Berechtigung, doch führen sie mitunter auch ziemlich in die Irre. Ein Padjero steht wartend auf einer Wiese. Wir laden unser Gepäck aus dem Taxi um, unterschreiben den Vertrag in einer Ecke des Gartens und los geht’s. Auf zum Issyk-Kul Lake. Der einhundertachtzig Kilometer lange und sechzig Kilometer bereite See mit einer Tiefe von 702 Metern liegt in einer Höhe von eintausend sechshundert Metern. Er ist elfeinhalb Mal so groß wie der Bodensee und der vierttiefste See der Erde überhaupt. Nach dem Titicaca See auch der zweitgrößte Hochgebirgssee der Erde. Er liegt einhundertfünfzig Kilometer weit östlich von Bishkek in einer Senke des Tien Shan Gebirges. Entstanden ist der See durch das Zusammenschieben zweier Bergketten, in deren Mitte das Schmelzwasser in einer Spalte zusammen floss.

Die Anfahrt ist herrlich. Von Kilometer zu Kilometer wird die Luft klarer. Ein leicht kühler Wind weht uns entgegen. Wir spüren, dass wir im kirgisischen Hochgebirge sind, von dem in Bishkek selbst wenig zu spüren war. Ja, wir sahen in der Ferne verschneite Gipfel. Doch sie wirkten eher wie eine vorgeschobene Kulisse, als greifbare Realität. Mädchen am Straßenrand mit roten Schärpen. Es ist Freitag und es ist ihr letzter Schultag. Die Schärpe kündet davon. Sie rennen nach Hause, sie gehen gemächlich in Grüppchen, sie stehen, um zu erzählen. Das Schuljahr ist geschafft. Nun liegen mit Juni, Juli und August drei Monate Ferien erwartungsvoll vor ihnen. Viele fliegen zu Verwandten quer durch die ehemaligen GUS Länder. Verwandtschaft haben die meisten seit der Auflösung der GUS überall auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR. Jeden hat es dahin verschlagen wo er damals gerade lebte. Dort blieben die meisten und nutzen die Sommermonate, um den Rest ihrer Familien zu treffen. Uns zieht es in ruhigere Gegenden. Wir machen einen Wettbewerb daraus, wer den Issyk-Kul als ersten erblickt und freuen uns, als er plötzlich auftaucht. Ein riesiger blauer Fleck, von schneebedeckten Bergkuppen umgeben. Der See gefällt mir. Er liegt in einem breiten Tal. An seinen Ufern weiden Pferde, Schafe, Kühe. Kleine Bächlein fließen dahin. Der See erfreut mich. Die Berge wirken hingegen bedrohlich auf mich. Ich weiß, dass die Gebirgskulisse schön ist, ich kann sie sehen. Doch ich SPÜRE ihre Schönheit nicht. Ich wende meinen Blick dem Wasser zu und höre dessen Plätschern am Ufer. Die Berge hinter mir sind mir Aufgabe und Herausforderung.

 

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