In der Familie / In the family
22.07.2015 Dund Us / Mongolei / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“
Wie geht das nur immer? Kaum sind wir in einer Gegend angekommen, finden wir uns schon inmitten eines großen Familienfestes, sind Gäste und Teil einer Feier.Gestern hielten wir auf der Piste an um ein paar Fotos zu machen. Als kurze Zeit später ein Auto an uns vorbei fuhr, winkte ich den Insassen zu. Einfach so. Sie hielten an und kamen zu uns. Mongolen die englisch sprechen. Das ist selten. So freuten wir uns über die Begegnung mit Eljas und seinem Bruder Tilek und gingen auseinander, mit einer Verabredung für heute Mittag in ihrem Dorf.„Wie wollen wir dieses Dorf finden?“, fragte ich mich innerlich. Klar, wir kennen den Ortsnamen. Doch wissen wir inzwischen auch, dass es sich immer um große Gebiete handelt, die mit ein und demselben Namen versehen werden. Nun, wir versuchen es einfach. Die Richtung ist klar. Und dreißig Kilometer weit soll es sein. Na dann mal los.Die Hauptpiste entlang. Das macht Sinn. Doch wo biegen wir ab? Ein Steinhaufen soll uns als Orientierung dienen. Doch Steinhaufen liegen hier ständig. Das hilft nicht wirklich weiter. Plötzlich entdecken wir eine Stromleitung und sind uns sicher, dass sie zu einer Ortschaft führt. „Follow the line“ ist unser Motto. Und tatsächlich lugen nach einigen Kilometern über Stock und Stein ein paar vorwitzige bunte Dächer in Pink und Hellblau hinter dem Hügel hervor. Wahnsinn. Wir scheinen richtig zu sein. An der letzten Flussdurchfahrt sitzen ein paar Männer, die sich wie Kinder freuen, uns von ihrem Bier kosten zu lassen. Sie kennen Eljas und zeigen wild in alle Richtungen. Alles klar! Dann wissen wir ja wo er wohnt… Wir wollen doch lieber in einem Hof noch einmal nach dem Weg fragen und entdecken Eljas plötzlich unter denen, die dort im Schatten der Jurte sitzen. Hey, wir sind da! Und WO wir sind!
Eljas hat gerade sein Studium in den USA abgeschlossen. Zu diesem Anlass ist die ganze Familie angereist. Selbst aus Kasachstan sind Brüder gekommen. Eljas, Tilek und ihre Familien sind Kasachen, die in der Mongolei leben. Das ist seit ewigen Zeiten so, als es noch keine Grenzen gab und die Nomaden einfach durch die Lande zogen. Der westliche Teil der Mongolei grenzt an Kasachstan. Also ist es wenig verwunderlich, dass in dieser Gegend viele Kasachen leben. Sie sprechen Kasachisch untereinander und fühlen sich in Vielem der mongolischen Kultur fremd. Gäbe es einen Grenzübergang zwischen Kasachstan und der Mongolei, wäre deren Austausch sicher noch viel reger. Da es den nicht gibt, sind alle Kasachen gezwungen, denselben Weg über Russland wie wir zu nehmen, wenn sie ihre Verwandten besuchen wollen.In einer Jurte versammelt sich langsam die ganze Familie. Alte Gesichter, junge Gesichter, bunte Kleider, interessierte Blicke. Alle wollen dann mal einen davon in den Leo werfen. Richtig Schlange müssen sie stehen, um irgendwann an der Reihe zu sein. Traubenzuckerbonbons für die Kinder, Teeschalen für Eljas Eltern. Und schon sitzen wir inmitten der großen Familie und trinken nach jedem Tost, es werden viele Toste ausgesprochen, einen Wodka auf Ex. Wenn keiner hinsieht, nippe ich nur an meinem Glas. Doch oft genug wird es von meinen Tischnachbarn bemerkt und ich werde auf die Tradition hingewiesen, die es vorsieht, das Glas jedes Mal zu leeren. Sten spricht auch einen Tost aus. Ein Dank auf unsere Einladung und dass wir uns freuen, live erleben zu dürfen, wie sie in ihrer Familie feiern. Dass wir dafür 23.000 Kilometer weit gefahren sind, erklärt er weiter. Am Ende wünscht Sten allen Gesundheit und ein langes Leben. Alle hören gebannt Eljas Übersetzung zu und klatschen am Ende freudig lachend Beifall.Der nächste Programmpunkt ist einer der kleinen Jungen der Familie. Er ist gerade dabei das Laufen zu lernen. Damit das sein Leben lang gut funktioniert, wir ihm eine geflochtene Kette aus, mit Fett gefülltem, Darm um die Beine gelegt. Nachdem er es schreiend über sich ergehen ließ geht der Teller mit der Darmkette von Hand zu Hand und jeder der Gäste isst ein kleines Stück davon.Als die großen Platten mit „Beschbarmak“ hereingetragen werden, fühlen wir uns angekommen. Das „Fünf Finger Essen“ begleitet uns nun seit März durch alle Lande. Ähnlich und doch jedes Mal verschieden zugleich.Eljas und Tilek sind von unserem Kochprojekt begeistert und versichern, morgen für uns kochen zu wollen. Die Stadt Khovd, zu deren „Aimag“, ich würde es als Landkreis übersetzen, auch die Ortschaft Dund Us gehört, liegt historisch an der nördlichen Route der Seidenstraße. Na wenn das mal nicht passend ist!
Nach dem vielen Wodka, der stickigen Luft in der Jurte und den 35 Grad, die draußen herrschen, sind wir am Nachmittag ganz schön geschafft.
Trotzdem geht es nach einer kleinen Verschnaufpause weiter. Wir wollen ein Schaf finden und kaufen, um es morgen gemeinsam zuzubereiten.
Zu Fünft springen wir in den Geländewagen und die Suche nach einem Schäfer mit seiner Herde beginnt. An etlichen Jurten kommen wir vorbei und machen Halt. Das ist so üblich. Man fährt nicht einfach weiter. Zeit für einen gesalzenen Tee ist immer. Neuigkeiten werden ausgetauscht, Geschichten werden erzählt. Nur ein verkaufsbereiter Schäfer ist schwer zu finden. Alle Hände zeigen immer weiter in die Berge. Dort soll einer sein, meinen die Leute. Wir finden den Schäfer. Er findet ein Schaf, welches er uns verkauft. An den Beinen zusammen gebunden, landet es im Kofferraum des Geländewagens. Nun zu Sechst geht’s in einem unglaublichen Tempo über Stock und Stein zurück nach Dund Us, um kurz vor Mitternacht gemeinsam zu Abend zu essen. Wir kochen die Spagetti mit Soße, die anderen bereiten das Fleisch zu. Füreinander gekocht, zusammen gegessen. Wir sind in Dund Us, irgendwo zwischen Bergen und Flusstälern und fühlen uns willkommen zwischen all den interessierten, aufgeweckten und fröhlichen Menschen. Wir, inmitten einer Familie. Getragen auf deren Händen durch inzwischen so viele Länder.
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