Unter der Ulme / Under the elm
26.08.2015 Saikhandulaan / Mongolia / N44°48’28.0“ E109°37’54.4“
Ein kleiner Ruck und ich befinde mich ein paar Zentimeter tiefer. Was war denn das? Kurzer Blick. Alles klar. Das Ruckeln und Rütteln, und Schuckeln und Schaukeln auf der Piste war den sechs Nieten unserer Treppe irgendwann zu viel. Sie dachten wohl doch eher an Asphaltstraßen, als sie sich bereit erklärten, das Halten der Treppe zu übernehmen. Nun, kleiner Streik der Nietenfraktion. Sie waren sich einig und haben sich alle zur gleichen Zeit gelöst. Für uns heißt das morgen einen Ruhetag einzulegen, um Reparaturarbeiten Raum zu geben. Der Schaufelstil hat sich aus seiner Halterung gelöst, die Kistenscharniere sind locker, ein Griff im Fahrerhaus hängt lose, an dem wir uns ausheben wenn die Bodenwellen gar zu rückenunfreundlich sind. Eine Schiebetürverriegelung hat sich verabschiedet. Kleben, Schrauben, Nieten, Bohren. Das alles klingt definitiv nach einem Zwischenstopp. Wir finden unseren Platz dafür am Rande eines Megatals. An einer sehr besonderen Stelle. Unter einer Ulme. Für Europa nicht unbedingt der Knaller. Hier absolut herausragend. Bäume! Wie? Wo? Die Mongolei ist ein Hochland. Vierzig Prozent seiner Fläche liegen auf einer Höhe von 1.000 bis 1.500 Metern, weitere vierzig Prozent zwischen 1.500 und 3.000 Metern. Fünf Prozent des Landes liegen über 3.000 Metern Höhe und nur fünfzehn Prozent 500 bis 1.000 Meter über dem Meeresspiegel. An der Höhe allein kann es trotzdem nicht liegen, dass die Mongolei derart baumlos ist. Auf 2.500 Meter bemisst sich hier die Baumgrenze. Es ist die Trockenheit, die das weite Land so unglaublich karg an Bäumen erscheinen lässt. Gleichbleibende Feuchtigkeit, gerade in den ersten Wachstumsjahren, ist die Bedingung für eine gute Entwicklung der Bäume. Doch genau daran mangelt es zumeist. Im Norden herrscht in weiten Teilen das sibirische Klima der Taiga. Dort finden sich Lärchen, gefolgt von Kiefern, Birken und Fichten. Nun darf man sich das Bild wirklich nicht sibirisch bewaldet vorstellen. Es gibt Waldgebiete, doch diese sind regional sehr begrenzt. Den Großteil der Flächen, nach Süden zu, machen Steppen aus. Von „Wermutsteppe“, Wiesensteppe“ und „Zwiebelsteppe“ sprechen die Mongolen. Wir fühlen uns schon selbst gut gewürzt und beinahe abgehangen, so wundervoll duftet es um uns herum. Nein, es liegt nicht an der Wahl unseres Deodorant. Es sind tatsächlich die Steppenkräuter. Sie schwängern die Luft, betören uns und geben dem Fleisch der Ziegen, Schafe und Rinder ihr unverwechselbares Aroma. Das Futter ist der Grund, warum die Mongolen das Fleisch vor dem Essen nicht mit Gewürzen versehen. Es ist einfach schon geschehen. Die Tiere machen das selbst. Wie eine Mischung aus kleinen festen Zwiebelschlotten und Hartholzschnittlauch sehen sie aus, die Zwiebelkräuter des Tals, durch das wir fahren, bevor wir in der Ferne einen einzelnen Baum stehen sehen. Auf den halte ich zu. Erleichtert, ein großes Schwemmland erfolgreich hinter uns gelassen zu haben. Ein wirklich eigenwilliges Gefühlsgemenge ist das, auf einer schmalen Piste, wie auf einem Steg, zu fahren und rund herum aufgeworfener feuchter Boden dazu einlädt, sich festzufahren. Als wir anhalten merke ich, wie mich das Lenken durch diese Lehmpfanne angestrengt hat. Konzentration auf jedem Zentimeter ist gefragt. Unachtsamkeit wird sofort „honoriert“. Da sitzen wir nun also unter unserer Ulme, am Ausgang eines kleinen Wasserablaufes aus den hügeligen Seitenhängen, die es geschafft hat, Wind und Wetter zu wiederstehen. So gedreht und gewunden wie sie dasteht, war es kein leichtes Dasein für sie. In ihrem Schatten genießen wir die sechsundzwanzig Grad des sechsundzwanzigsten August Zweitausendfünfzehn. Bei +3,9 Grad Celsius liegt die Jahresdurchschnittstemperatur hier im äußersten Süden der Gobi. Im Norden schafft sie es gerade einmal auf -6,6 Grad Celsius unter den Gefrierpunkt. Jahresmittel!!!! Ohne Worte für mich. Noch zwei Zahlen, die mich beeindrucken. Zweiundvierzig Grad Schwankung an ein und dem selben Tag zwischen Tag und Nacht sind im Herbst und Frühling nicht ungewöhnlich und beachtliche achtzig Grad Temperatur Unterschied kennen Gebiete hier zwischen ihrer wärmsten Zeit im Sommer und der Kältesten im Winter. Da scheinen wir ja echt ein Los mit Zusatzbonus gezogen zu haben. So gleichbleibend wie wir das Wetter in den vergangen sechs Wochen erlebt haben, scheint es weiß Gott nicht immer zu sein. Ich glaube inzwischen, dass wir so lange in Kasachstan bleiben sollten, um genau die passenden Wochen in der Mongolei anzutreffen. Ein Prost auf die gewundene Ulme, ein Prost auf uns und überhaupt.
Dir ein „Prost“ in Deinen Sonntag, lieber Uli!
Dir ein „Prost“ in Deinen Sonntag! Lieber Uli!
Prost!!!
Uli