Abenteuer Grenze / Adventure border
28.04.2015 Usbekistan / Grenze Usbekistan / N44°40’09.0“ E056°22’52.0“
Sieben Uhr aufstehen, einen Kaffee im Stehen, Motor warm laufen lassen. Start. Vierhundertfünfzig Kilometer bis zur Grenze nach Usbekistan liegen vor uns. Und wie wir inzwischen wissen, ist das keine Fahrt auf gutem Asphalt. Wir rechnen inzwischen mit allem, was den Zustand dessen angeht, was sich hier „Straße“ nennt. Die ersten einhundertfünfzig Kilometer sind eine Wohltat. Der Belag ist neu, wie kommen gut voran. Ohne irgendeine Art von Vorankündigung hört mit einem Mal die Straße auf. Wir stehen vor einem großen Haufen Sand. Das war es dann auch schon. Rechts nur Steppe, links nur Steppe. Wir sehen Staubwolken am Horizont. Für uns das sichere Zeichen, dass da irgendwo die Piste lang gehen muss. Und ja, wir finden sie. Vierzig Kilometer quälen sich nun neben uns schwer beladene Sattelzüge einen Weg entlang, der von massenhaftem Staub, über große Löcher, bis hin zu ziemlichen Steigungen alles zu bieten hat. Ab und an sehe ich ein Schild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 40km/h. Ich muss laut lachen. Die haben hier wirklich einen eigenwilligen Humor. Denn an schneller als 20km/h ist hier beim Fahren nicht zu denken. Zur Erholung wechselt sich die Straße in Folge immer mal zwischen neuem Belag und übelster Piste ab und wir erreichen nach sechs Stunden und dreihundertfünfzig gefahrenen Kilometern den letzten Ort vor der Grenze. Wir tanken noch einmal komplett voll. Da es in Usbekistan absolut keinen Diesel zu haben gibt. Wahnsinn. Wie machen das nur all die Lasttransporter, die von sonst woher nach Usbekistan kommen und auch wieder gehen? Keine Ahnung. Wir rechnen uns aus, wie viele Kilometer wir mit unserem getankten Diesel kommen und werden ab jetzt streng Buch führen, damit er reicht, bis wir das Land verlassen.
Knapp einhundert Kilometer trennen uns noch von Usbekistan. Kasachstan macht es uns nicht leicht zu gehen, so schlecht ist die „Straße“. Im Schneckentempo arbeiten wir uns voran und sprechen darüber, dass es den Ländern hier offensichtlich im Moment mehr darum geht, die Verkehrsstruktur im eigenen Land ein klein wenig nach vorn zu bringen. Die Verbindungen zwischen den Ländern scheinen da nicht dazu zu gehören und auf der Warteliste an hinterster Stelle zu stehen. Wir haben Mitleid mit all den Trucker Fahrern die das hier als ihren Alltag erleben.
Und dann ist sie da. Nicht wirklich sichtbar. Sondern im Nebel des Staubes erst einmal nur zu erahnen. Die Grenze zwischen Kasachstan und Usbekistan. Wir fahren an Zeltlagern wartender Usbeken vorbei. Die scheinen sich für länger hier eingerichtet zu haben. Na gut. Wir versuchen unser Glück und fahren an das Grenztor heran. Mal sehen, was passiert. Und tatsächlich. Nach einer Weile öffnet sich das Tor für uns, um danach auch sofort wieder geschlossen zu werden. Ein wenig kennen wir die Prozedur nun schon, von der Einreise nach Kasachstan. Nummernschild scannen, Passkontrolle an Punkt ein. Leo abstellen. In die Abfertigungshalle gehen. Und sehen, was geschieht. Dort will man Papiere von uns sehen, die wir beim besten Willen nicht haben. Wir können nur das vorzeigen, was wir bei der Einreise erhalten haben. Nicht mehr und nicht weniger. Uns wird mit Geldstrafe gedroht und die Finger werden gekreuzt, um uns ein Gefängnis anzudeuten. Was sollen wir tun? Wir bleiben ruhig stehen und warten ab. Irgendwann hat der Mann genug, lässt von uns ab und ein anderer übernimmt. Man kümmert sich offensichtlich erst einmal um andere Schritte, die zur Ausreise nötig sind. Ein System erkennen wir nicht. Einer Logik entzieht es sich uns. Doch das ist uns eigentlich auch egal. Wenn es nur irgendwie vorwärts geht. Und das geschieht auch. Nach zwei Stunden werden wir mit „Good luck“ und „Good journey“ verabschiedet und können fahren. Fein. Erste Etappe geschafft. Wir sind aus Kasachstan ausgereist und haben sogar noch ein paar Stunden Pufferzeit mit unserem Visum.
Usbekistan. Leo abstellen. In das Häuschen gehen. Deklarationspapiere ausfüllen. Kopien von sämtlichen Papieren anfertigen lassen und warten. Warten an jedem Schalter, an jedem Kontrollpunkt und überhaupt. Warten. Doch das Wetter ist gut und wir haben unseren Spaß mit den Trucker Fahrern. Aus Russland kommen sie, aus Litauen, Weißrussland. Zwei Fahrer kommen sogar aus Kaliningrad. Dem ehemaligen Königsberg. Dorther stammt auch mein Vater. Er wurde mit seiner Familie im Krieg vertrieben und ist auf sehr traurige und dramatische Weise irgendwann in Deutschland gelandet. Heute ein Glück für uns alle, dass das Schicksal meinen Vater nach Deutschland verschlagen hat. Ich sehe mir die Männer an und denke über die Zufälle des Lebens nach. Wie anders Leben verlaufen, wenn an wenigen Weggabelungen unterschiedliche Richtungen eingeschlagen werden.
Irgendwann sind wir mit den Personenkontrollen durch und es geht nur noch um den Leo. Das „nur noch“ wird zum Eigentlichen und das zieht sich. Wir stehen da und keiner will etwas von uns. Als dann einer kommt, fragt er uns nach Dingen, die wir ihm einfach nicht beantworten können. Wir sind jetzt offensichtlich in der Trucker Abteilung und da gibt es vollkommen eigene Gesetze. Nach einer Weile hilflosem hin- und her Fragen nimmt er einen teil unserer Papiere mit und verschwindet aus unserem Sichtfeld. Was nun sein soll? Wir wissen es nicht. Es dämmert. Aus der Dämmerung wird allmähliche Dunkelheit, die in die Schwärze der Nacht in der Wüste übergeht. Wir lenken uns gemeinsam mit allen anderen ab, die hier so rum stehen. Dann Aktionismus. Wir sollen dahin und dorthin und dann wieder dahin gehen… Gut, machen wir. Getan wird an den Stellen zwar nichts. Sondern wir werden einfach weiter geschickt, bis wir wieder beim ersten Mann angekommen sind. Der meint, dass nun alles gut sei und wir fahren könnten. OK. Keiner wollte mehr in den Leo sehen, keine weitere Untersuchung. Nichts wie los, bevor wieder irgendjemanden irgendetwas einfällt. Am Grenztor werden wir nach einem Coupon gefragt, den wir nicht haben und zurück geschickt. Zu früh gefreut. Sten macht sich noch einmal auf die Suche und kommt tatsächlich mit diesem Coupon zurück. Woher und wofür. Wir fragen nicht. Geben ihn ab. Das Tor öffnet sich und entlässt uns in die Nacht. Dunkelheit, übelste Piste, Müdigkeit und Hunger. Wirklich muntere Gesellen, die sich da gerade zusammen gefunden haben… Eine Stunde fahren wir noch, bis wir endlich einen Abzweig von der Piste finden, um uns etwas Abseits einen Platz für die Nacht zu suchen. Noch eine Kleinigkeit esse und dann einfach schlafen. Mehr steht heute nicht mehr auf dem Programm. Gute Nacht Usbekistan.