Auf Trab / Trot
22.08.2015 Dalanzadgad / Mongolia / N43°33’11.7“ E104°01’36.8“
Die Mongolen sind einmalige Spitze. Noch nie sind mir Menschen begegnet, deren Bewegungen auf einem Pferd derart symbiotisch anzusehen sind. Wie eine vollkommene Einheit wirkt es, wenn ein Mann auf seinem Pferd durch die Gegend reitet. Es ist eine Art Fliegen, ein Schweben mitunter. Keine Schwere, kein hartes Aufkommen. Der Rücken streckt sich, der Blick geht nach vorn, das Pferd weiß was zu tun ist, der Reiter scheint in seinem Element. Geritten wird überall hin. Zu den Nachbarjurten, die in einigen Kilometern Entfernung zueinander stehen. Zum kleinen Laden in der Gegend und vor allem wird regelmäßig aufgesessen um das Vieh zusammenzuhalten oder von einem Stück dünn bewachsenen Bodens zum nächsten zu treiben. Da wird nicht gelaufen oder gerannt. Da wird geritten.
Nun hält der Fortschritt Einzug. Was bedeutet, dass die Leute kleine Motorräder oder Autos fahren. Mit den Motorrädern machen sie es wie mit den Pferden. Sie sind wendig und geschickt darauf. Doch beim Autofahren ist alles zu spät. Die Mongolen fahren Auto wie sie reiten. Spontan, schnell, sprunghaft, über Stock und Stein. Dichten Verkehr und nachfolgende Fahrzeuge scheint es für sie einfach nicht zu geben. Ich werde den Eindruck nicht los, dass das Reit-Gen tief im Volk verwurzelt ist, wenn zwei Meter vor uns ein am Straßenrand haltendes Auto plötzlich losfährt. Geschaut wird da nicht, gewartet gleich gar nicht. Ein Pferd hat ja auch keinen Rückspiegel. Man „reitet“ eben einfach los. Gibt dem Auto die Sporen und gut. Sollen die anderen doch sehen wie sie klar kommen. Das Land ist ja weit. Dass es auch hier mitunter jetzt Straßen gibt, auf denen sich alle entlang bewegen, scheint nicht bis ins Bewusstsein vorzudringen. Auf die gleiche Weise fährt man über Stock und Stein. Technische Grenzen scheinen aufgehoben. Das Auto muss sich behänd über die Steine bewegen wie es ein Pferd kann. Steigungen und Abhänge spielen keine Rolle. Zügel locker lassen oder anziehen und ab geht es. Die Mongolen sind DIE Reiter. Ich ziehe meinen Hut vor ihnen! Auf der Straße halten sie uns auf Trab.
Von Ulaan Baatar bis nach Dalanzagad gibt es seit neuem eine durchgehende Asphaltstraße. Sechshundert Kilometer, die früher bedeuteten tagelang unterwegs zu sein, ließen die Region ganz im Süden der Gobi Wüste bisher mit Sicherheit ihre Tagträume leben. Wer wollte schon so weit fahren, so viel Beschwerlichkeit auf sich nehmen, nur um ein anderes Stück Land zu sehen? Das hat sich geändert mit der Straße. In zwei Tagen ist man von Ulaan Baatar aus da. Einmal in einer Jurte unterwegs geschlafen und fertig. Die Asphaltstraße hier ist wie ein Autobahnanschluss in Deutschland. Mit der Autobahn verändert sich das gesamte Wirtschaftsgefüge einer Region. Mit einer Straße ist es hier genau so. Wir sind überrascht, welcher Trubel uns willkommen heißt, als wir die Stadt Dalanzadgad im Süden erreichen. Ger-Camps (Ger=Jurte auf Mongolisch) überall, die einladend auf ihre Schlafgäste warten, die gerade noch mit Geländewagen durch den Nationalpark gefahren werden. Eine wunderschöne hügelige Gegend bäumt sich vor uns auf. Gut eintausend Kilometer ist das Gebiet des „Gobi-Gurvan Daikhan“ Nationalpark lang und vielleicht zweihundert Kilometer breit. Davor eine Ebene die wie ein Meer aussieht. So groß, so eben, so still. Der Kontrast ist der Hammer, die Dimensionen unfassbar. Wenn ich von „vielen“ Menschen spreche die hier unterwegs sind, dann ist das im Verhältnis zu dem zu sehen was im restlichen Land los ist. Gerade hunderte Kilometer lang durch vollkommen leeres Land gefahren, kommen uns die vielleicht einhundert Besucher des Nationalparks hier „viel“ vor.
Eine Reifenwerkstatt finden wir in Dalanzadgad auch, was gut ist. Seit Langem begleitet uns ein Riss im Hinterreifen. Doch das Gummi ist dick, mehrlagig und stabil. Dumm nur, dass sich von Innen ein Stück Metall ans Tageslicht gearbeitet hat. Das war offensichtlich von Anfang an das Problem des Reifens. In der Werkstatt ist man uns behilflich. Hoffen wir mal, dass der Reifen es uns dankt. So ist das. Jeder Tag hat seine Themen. Routinen gibt es für uns nicht. Wir werden auf Trab gehalten. Immerzu.