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Der Segen / The Blessing

21.04.2015 Kasachstan / Aktau / N43°46’12.6“ E051°05’26.2“

Wir atmen durch und galoppieren los. Die Gebundenheit unserer Beine in den letzten Tagen hat sich gelöst. Die „Stricke“ liegen lose am Boden. Wir setzen wieder einen Schritt vor den nächsten. In den vergangenen Tagen haben wir es genossen ein Teil des Alltagslebens hier zu sein. Wir konnten unsere Nasen in ganz andere Ecken stecken und sehen es als ein Geschenk an, auf diese Weise viel tiefer und auf andere Art einzutauchen. Wir wurden hin und her gespült und haben uns treiben lassen.Dieses Lebensgefühl nehme ich als Proviant mit auf unseren weiteren Weg. Den Druck raus nehmen, wahrnehmen was der Augenblick mir zeigt, nicht zu viel wollen, mehr geschehen lassen. Das ist der Pfad, den ich gewählt habe an der letzten Weggabelung der Möglichkeiten. Ich merke, dass es mir damit gut geht und Kräfte spart. Hier. Unterwegs.Auf geht es nach Aktau. Und das wieder im eigenen Leo. So ein gutes Gefühl! Wir drei sind wieder gemeinsam auf Achse. Aktau lacht uns heute zu. Die Sonne scheint und alle Erledigungen gelingen gleich beim ersten Anlauf. Die Geldautomaten sprechen mit uns, Western Union arbeitet heute, an der Tankstelle gibt es Diesel, die Propangasflasche lässt sich vollkommen unkompliziert auffüllen, die Marktfrauen sind freundlich und lachen sogar. Liegt es am Sonnenschein? Liegt es an uns? Ist auch egal. Schön ist, wie es ist.Wir haben zwei Propangasflaschen mit jeweils 11 Kilogramm an Bord. Das sind pro Kilogramm zwei Liter Gas. Mit dem Gas heizen wir im Leo und kochen. Da es in den letzten Monaten oft kalt war, hatten wir die Heizung fast täglich an und haben uns immer mal gefragt, was wohl der Füllstand unserer Gasflasche sagt. Doch der hat tapfer mitgespielt. Hier in Kasachstan fahren sehr viele Autos mit Propangas. Es gibt ganz eigene Tankstellen dafür. Unsere Gelegenheit zu testen, wie es mit dem Nachfüllen unserer Flasche gelingt. Sten holt sie heraus und wir stellen fest, dass sie quasi leer ist. Unser Bauchgefühl hat funktioniert. Genau der richtige Moment um nachzutanken. Der Mann an der Gastankstelle holt ganz selbstverständlich seinen Adapter aus der Tasche, steckt ihn auf. Er passt auf Anhieb und wir können unser gesamtes Adapterset einfach wieder weg packen. Ehe wir uns versehen ist die Flasche voll. Das Ganze kostet uns knappe drei Euro. Was für eine gute Sache! Vier Monate hat die Flasche ausgereicht und uns Wärme gegeben, ohne dass wir knauserig waren und gespart hätten. Und das alles für drei Euro. Irgendwie toll.Im Basar kennen wir uns bestens aus. Waren wir doch mit Bibinur und Janathan hier. Heute nun schlendern wir ganz für uns durch die Reihen, um unsere Vorräte aufzufüllen, die seit Deutschland doch merklich geschrumpft sind. Und das, obwohl wir überall die einheimische Kost bevorzugen. Ich finde es erstaunlich, welche Mengen wir Menschen offensichtlich über die Zeit vertilgen. Alles erledigt! Auf zur großen Testfahrt. Achtzig Kilometer Strecke legen wir zurück und denken am Ende dass alles gut läuft. Ich merke selbst, wie verhalten ich noch bin. Doch das gute Gefühl braucht jetzt erst einmal wieder eine Menge stabil gefahrener Kilometer. Das ist nun mal so. Da können wir auch nicht über unsere Schatten springen. Denn Sten schaut mit dem gleichen Blick zu mir herüber. Manchmal passen die Dinge einfach zusammen. Kaum stehen wir auf dem Hof, kommt Marijam aus dem benachbarten Dorf zu uns, um eine „Adraspan Alastau“ – Zeremonie im, um und unter dem Leo durchzuführen. Einmal pro Monat kommt Marijam zur Werkstatt und reinigt alle Räume, Werkstätten und Fahrzeuge mit dem Qualm der schwelenden Hölzer in ihrer Pfanne. Ganz konzentriert ist ihr Gesicht, als sie zu uns in den Leo steigt. Sie spricht Gebete vor sich hin und schwenkt die Pfanne ausladend, so dass der Raum vom Geruch des Holzes erfüllt ist. Unter dem Leo macht sie sich lange zu schaffen, keinen Reifen lässt sie aus. Als sie geht, fühlen wir uns gut. Janathan sagt, sie hilft, den Gedankenfluss zu wechseln. Frische Energie hält Einzug und lässt Neues entstehen. Genau das ist es. Es zieht mich in seinen Bann. Dieser scheinbare Gegensatz von rationalem Tun der Männer hier in der Werkstatt und das Stützen auf die Kraft dieser Frau, die für alle Hoffnung und Zuversicht verkörpert. Demut und Ehrfurcht vor dem Leben. Inne halten und Respekt zollend, damit das Sein gelingen kann. Ich bin angetan von Janathans Philosophie, der Marijam bittet zu kommen, wenn etwas Kompliziertes ansteht oder wie in unserem Fall die Weiterfahrt des guten Segens bedarf. Die Herzen schlagen mehr und mehr zusammen, wenn wir Gemeinsames erleben. So geht es uns auch hier auf dem Werkstatthof. Mit jedem haben wir unsere kleine Geschichte erlebt. Zum Dank dafür ist es uns ein großes Bedürfnis Janathan und Bibinur heute Abend zum Essen einzuladen. Fisch roh, Fisch geräuchert, Fisch gebraten. Dazwischen ein paar kleine Happen Lamm. Umspülen lassen wir all die Köstlichkeiten von leckerstem Chianti Classico Wein. Heute genau vor einem Jahr waren wir dort und haben uns durch die Weingüter der Toskana gekostet. Welch schönes aufeinander Treffen der Ereignisse, dem Wein heute hier in Kasachstan wieder zu begegnen. Mit Janathan und Bibinur ist es ein Abend wie unter lang bekannten Freunden. Wir fließen von Thema zu Thema und Bibinur ist erstaunt über die Ähnlichkeit der Gedankengänge. Obwohl unsere Welten scheinbar durch eine so große Weite voneinander getrennt sind. Wir stoßen lachend und innerlich berührt miteinander an, auf den herrlichen Zufall, der uns zusammen geführt hat. Es sollte so sein. Danke, Leben!

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