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Der Stör / The sturgeon

18.04.2015 Kasachstan / Aktau / N43°46’12.6“ E051°05’26.2“

Es ist nun erst einmal still geworden um Janathan. Kein Bild, keine Nachricht ob es mit dem Transport der Getriebeteile voran geht. Wir werten es als ein gutes Zeichen und schwingen uns auf in das Wochenende. Die Wochen haben für uns schon seit einiger Zeit ihren starren Rhythmus verloren. Es spielt hier einfach nicht die große Rolle, welcher Wochentag gerade ist. Denke ich an zu hause, weiß ich, wie verbunden ich dort mit den Wochentagen bin. Jeder Tag hat da sein ganz eigenes Gefühl. Jeder Mittwoch ist wie ein kleines Bergfest, jeder Freitag Abend eine große Freude. Mir ist klar, warum wir in diesem Takt schwingen, zwischen Woche und Wochenende. Und doch kommt es mir, von hier aus betrachtet, so starr und eng vor, als bedürfe diese Schrittfolge einer Befreiung, mehr Flexibilität und Spontanität. Tagträume? Vielleicht. Doch so sehr ich noch vor Wochen der Ansicht war, dass uns der Rhythmus unserer Alltagsaufgaben Halt und Struktur gibt, empfinde ich es nun als Entspannung, aus diesem Wagen der vorgegebenen Bahnen einmal auszusteigen und zu erleben, was mit mir geschieht, wenn allein der Tag mit seinem Licht und der Dunkelheit, mit Kälte am Morgen und Wärme am Nachmittag, mit Sonne und Regen die Taktzahl gibt.

So ist also heute Sonnabend, laut unseres Abreißkalenders und IPhones, und wir sagen im Spaß zu uns „Endlich Wochenende!“.

Nachdem unser Motorrad gestern gut geklungen hat, auf unserer Fahrt zum Meer, machen wir uns heute damit auf nach Aktau. Den Seitenwind beim Fahren im Leo zu spüren und den gleichen hier auf dem Motorrad, ist eine komplett andere Nummer. Wir halten uns gut, doch der Wind bläst gewaltig. Es macht Spaß, so durch die Gegend zu rollen. Wir sind an allem näher und direkter dran und doch ist auch ein Teil in mir froh, als ich nach den zwanzig Kilometern absteige und langsam wieder Gefühl in meine vom Wind ausgekühlten Knie bekomme. Bibinur, die Frau Janathans, erwartet uns mit ihren drei Kindern auf einem Parkplatz. Gemeinsam fahren wir zur Tiefgarage der Wohnanlage in der sie leben, um das Motorrad sicher abzustellen. Echt abenteuerlich, so eine Abfahrt in eine komplett dunkle und verschachtelte Tiefgarage. Die Durchfahrten sind so schmal, dass selbst das geradeaus Fahren eines vor und zurück Rangierens bedarf. Vielleicht ging es bei der Stärke der Mauern mehr um die Statik für das Gebäude, welches obenauf steht und weniger darum, dass hier unten Autos fahren können? Ich bin in jedem Falle froh, als ich wieder Tageslicht sehe.

Wir fahren gemeinsam zu den Stören. Vor Tagen haben wir gehört, dass es in einem Hotel ein großes Becken gibt, in dem Störe schwimmen. Wir haben diese Urzeit-Knochenfische noch nie gesehen und sind sehr gespannt. Sechs Stockwerke geht es mit dem Aufzug nach unten, bevor wir einen Raum betreten, dessen Boden ein komplettes Wasserbecken ist. Wir stehen auf dem Glasboden und unter uns tummeln sich die Fische. Bis zu zwei Meter lang können sie werden und steinalt. Es gibt Exemplare, die 120 Jahre auf ihrer Rückenflosse tragen. Die „Russischen Störe“ die im Kaspischen Meer leben sind vom Aussterben bedroht und stehen deshalb auf der „Roten Liste“ der gefährdeten Arten. Um so gebannter stehe ich da und merke, dass ich gerade etwas sehr Besonderes sehe. Die Szenerie bekommt etwas entrückt Befremdliches durch den edel eingedeckten Tisch, der getragen wird vom Glas des Basins. Also sitzen und dinieren in Mitten der Fische aus der Jura-Zeit. Das Bild hat etwas von einer Zarengeschichte. Von den Stören geht es weiter zu den Pferden. Reiten ist in Kasachstan ein Kinderspiel und gehört dazu, fast wie Laufen lernen. Bibinur galoppiert über die Koppel. Vor meinen Augen verschwimmt das Bild und ich sehe Bibinur durch die weite kasachische Steppe reiten. Ihre Kinder stehen am Zaum und staunen, was Mama da macht. Ob die nächste Generation das Reiten auch im Blut hat? Es wird sich zeigen. Zurück geht es durch den Wind in unser Heim, dem Leo. Uns ist wohlig zu Mute. Und so haben wir spontan die Idee, an diesem schönen Sonnabend mit Familienanschluss, unseren Backofen zu testen und darin unsere erste Pizza zu backen. Der leckere Geruch kreist um den Leo und steigt wohl auch Juri in die Nase. Er kommt aus der Ukraine und uns heute Abend besuchen. Drei Monate lang arbeitet er jeweils hier, dann geht es für einen Monat nach Hause, zu seiner Frau und Kind. Es ist ein gemütlicher Abend und ich staune, wie gut unsere Verständigung klappt, in dem Gewirr aus Russisch, Englisch, Zeichensprache und vollem Körpereinsatz.
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