Fallende Wasser / Falling waters
20.10.2015 Houayvay / Laos / N15°23’22.1“ E106°22’26.1“
Eintausend fünfhundert Meter Höhe. Das ist in der Mongolei das Normallevel des Landes und in China nicht minder. Dort ging es oft weiter nach oben noch. Mit Laos sind wir dem Meeresspiegel wieder näher gerückt, haben uns vom bergigen Norden nun in flachere Gebiete Laos begeben. Fast begegnen wir dem Meeresspiegel auf Augenhöhe. Ein schönes Gefühl, wie ich meine. Und doch. Fahren wir nun in mehrfacher Hinsicht „runter“? „Runter“ in den Süden? „Runter“ was die Höhen betrifft? „Runter“ auch, was den zeitlichen Verlauf unserer Reise angeht? Monatelang sind wir „bergauf“ gefahren. Es war die Zeit uns selbst auf unserer Reise einzurichten, ein Selbstverständnis zu entwickeln, dass das Unterwegssein jetzt unser Leben ist. Dass es um etwas anderes als einen kurzen Urlaub zum Kraft tanken geht. Steinig ging es Berg an. Die Motoren in uns liefen heiß. Das Laufen auf dem vermeintlich „dünnen Seil“ machte uns zu schaffen. Irgendwann hatten wir es dann drauf, das Gehen auf dem dünnen Seil, welches sich gar nicht mehr so schmal anfühlte. Wir konnten darauf rennen, hüpfen, uns sogar im Kreis drehen und Saltos schlagen. Die Zeit auf dem Plateau war gekommen. Wir waren eingerichtet, angekommen, verstanden uns plötzlich als Reisende. Die Frage nach dem WARUM hatte sich längst verflüchtigt. Wir waren eingetaucht, mittendrin, genossen die Selbstverständlichkeit des bewegten, beweglichen Lebens. Das alles ist noch immer so. Doch mit dem „Absteigen“ von dem Plateau der sechs mittleren Monate, schleicht sich nun ganz allmählich eine neue Farbschattierung ein. Wir bremsen uns, mit unseren mentalen Laufstöcken, auf dass wir nicht zu schnell werden, im Gang nach unten. Der Blick in die Weite da oben ist zu umwerfend, als dass ich ihn gern aufgebe. Und SCHNELL schon gleich gar nicht. Und doch richten sich unsere inneren Antennen in diesen Wochen Stück für Stück auf unseren nächsten Reiseabschnitt. Dem, des „nach Hause“ Bewegens. Wir sprechen leise darüber, weil wir es mitunter selbst noch nicht hören möchten. Und doch sitzen die Worte dazu mit uns abends am Feuer. Vorfreude auf unsere Familie und Freunde mischt sich mit Ungewissheit in so vielerlei Hinsicht. Doch das Gehen auf unbekanntem Gelände ist uns nun mehr als eigen. Also einfach weiter, um zu sehen was kommt.
So denke ich heute auf unserem Weg zum „Bolaven-Plateau“. Es ist eine Fläche von vielleicht einhundert mal einhundert Kilometern, die sich von einhundertfünfzig Metern auf eintausend fünfhundert Meter Höhe über dem Meer erhebt und für mich die passende Metapher des Auf und Oben und Ab unserer Reise ist. Kaffee wird hier vor allem angebaut. Kaffee, auf den man in der DDR in den achtziger Jahren spekulierte. Die Franzosen machten die Region zur „Kaffeetasse“ des Landes. In den Kriegszeiten der sechziger- und siebziger Jahre litt die Region unter schweren Bombenangriffen und wurde vollkommen zerstört. Leute aus der DDR kamen nach Kriegsende hier her, um den Kaffeeanbau erneut voran zu treiben. Es war eine Investition in die Zukunft. Man erhoffte sich damals langfristig gute Konditionen in den Jahren der Ernte. Doch die Wende kam der Kaffeeidee in die Quere. Aus dem Profitieren wurde für die DDR nichts mehr. Doch Laos hat es geholfen. Bis heute. Die Region steigert Jahr für Jahr ihre Erntezahlen. Allein von 2008 bis 2014 konnte die Produktion von 15.000 Tonnen auf 30.000 Tonnen Kaffee gesteigert werden. Das entspricht einem Exportwert von neunundsiebzig Millionen Dollar. Neben Japan, Polen und den USA wird auch Deutschland mit den „Arabica“-Bohnen beliefert.
Also haben wir doch etwas davon, dass vor Jahren unsere Landsleute beim Wiederaufbau halfen.
Mit den Bergen kommt der Wald, kommt das Wasser, welches dem Mekong entgegen rauscht. Die Wasserfälle sind legendär für die Gegend. Der eine und andere kreuzt heute unseren Weg. Es heißt, dass der Tourismus die Fälle für sich entdeckt hat. Doch heute scheint das Entdecken Sendepause zu haben. Außer einem Berliner auf seiner Jahresreise begegnen wir niemandem. So bleibt mir ein Haufen Zeit, dem Wasser in seinem Fallen zuzusehen. Wie es sich hineinstürzt in das tiefe, glucksende Unbekannte. Wie es gerade daraus neue Energie zu schöpfen scheint und mit Sauerstoff aufgeblustert seinen stürmischen Weg fortsetzt. Ist das die Magie der Wasserfälle? Ist es das, warum es heißt: „Da ist ein Wasserfall. Dort müssen wir hin.“ Die Erkenntnis, dass Fallen aus unberechenbaren Höhen kein Absturz ist, sondern eher eine erfrischende Wiedergeburt, ein neuer Anfang?!
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