Grenz-Filmfestival / Border-Film Festival
17.07.2015 Tashanta / Russland-Mongolei / N49°36’29.6“ E089°28’03.5“
Zusammenpacken. Beeilung. Die Grenze, die in den letzten fünf Tagen geschlossen hatte, ist dabei schon wieder auf ihre verdiente Mittagspause zuzusteuern. Einhundert Kilometer haben wir bis dahin zurück zu legen. Noch einmal den Bergen winken, noch einmal Horst und Uwe umarmen. Noch einmal zurück schauen, um dann vorwärts zu fahren. An der Grenze lange Schlangen, großes Gedränge, aufgeheizte Stimmung. Nicht nur von der Wärme des Tages. Die Russen und Mongolen spielen miteinander. Die Regeln sind einfach. Beide lassen die Landsleute des anderen Landes nicht durch. Um sich für die lange Zeit der Grenzschließung zu rächen. Komisches Spiel, wie ich finde. Auf Kosten der Leute die einfach über die Grenze möchten, um das jeweils andere Land zu besuchen. Langsam, sehr langsam rutscht für uns die Schlange nach vorn. Horst und Uwe haben es da deutlich leichter. Sie fahren mit ihren Motorrädern nach vorn und sind mit dem nächsten Schwung einfach drin, in der Grenzabfertigung. Nun, wir lieben ja die Verlangsamung, wie uns unsere ganze Reise lehrt, stehen dreizehn Uhr, übrigens kurz nach dem Ende der Mittagspause, an der Grenze und kommen nach zwei Stunden Wartezeit SCHON in das Innere der russischen Heiligkeit. Die Abfertigung geht einigermaßen zügig. Natürlich wollen die Grenzer wieder andere Papiere sehen als wir haben. Doch daran sind wir inzwischen gewöhnt und schauen einfach still gerade aus, bis sie die Geduld verlieren und uns weiter winken. Einen Zettel, den wir an der kirgisischen Grenze in die Hand gedrückt bekamen, und den an der kasachisch-russischen Grenze niemand interessierte, bekommt an der russischen Grenze wieder Wichtigkeit, da wir den kasachisch-russischen Verbund nun verlassen wollen. Wir fühlen uns schon richtig toll, dass wir haben wonach sie suchen. Doch diesmal trifft es unser Motorrad. Das hat seit mehreren Grenzen niemanden mehr interessiert. Fährt es doch zur Sicherheit einfach mit und dient uns nicht wirklich als Fortbewegungsmittel. Doch jetzt wollen sie Einfuhrpapiere, von welchem Land auch immer, sehen. Die haben wir nicht. Dafür einen Fahrzeugschein, der belegt, dass wir die Besitzer des guten Stücks sind und das schon seit Deutschland. Oh, großes Problem. Oh, Warten vor etlichen Türen mit Leuten dahinter, die auch nicht wissen, was sie mit uns anfangen sollen. Kurz vor siebzehn Uhr die erlösenden Worte: „Go, go, go!“. Das lassen wir uns nicht vier Mal sagen und begeben uns auf die Fahrt durchs russisch-mongolische Niemandsland. Zwanzig Kilometer fahren wir, bis wir, bei inzwischen strömendem Regen, an einem rot gestrichenen Metalltor ankommen. Keine Menschenseele ist zu sehen. Warum auch, es regnet ja wie verrückt. Irgendwann öffnet sich eine beschlagene Autotür und ein russischer Grenzer kommt angerannt. Er öffnet uns das Tor zu einer einhundert Prozent anderen Welt. Schlagartig fahren wir auf aufgeweichter Piste. Der Asphalt ist in Russland zurück geblieben. Grashügel weisen uns den Weg zu den mongolischen Grenzhäuschen. Wir beeilen uns, da schon auf der russischen Seite Feierabendstimmung herrschte und es immer weniger Leute wurden, die noch arbeiteten. Wir waren das letzte Fahrzeug, welches heute dort abgefertigt wurde. Die vor dem Tor müssen bis morgen früh warten, wenn die Grenze um neun Uhr wieder öffnet…
Wir schaffen den Sprung durch die Pfützen und kommen im Trockenen der mongolischen Grenzabfertigung an. Gedränge, Geschupse. Körperkontakt scheinen die Mongolen zu mögen, ist unser erster spontaner Eindruck. Wir reichen unsere Pässe über einen Tisch hinweg und bekommen die grünen Einreise Stempel auf eine leere Seite in unseren Pass gedrückt. Vier Wochen berechtigt er uns nun in der Mongolei zu sein. Die Fahrzeugpapiere reichen wir einer groß-brüstigen voluminösen Dame durch ein kleines Schiebefenster. Sie beginnt sofort mit dem Tippen in ihren Computer. Auch wenn ihr Gesicht verrät, dass irgendetwas nicht so ist wie sie will. Wir hoffen, dass der Computer jetzt nicht abstürzt und alle Vordruckmasken auffindbar sind, um uns abzufertigen. Bis sie plötzlich, Mitten im Tun, ihren Computer abschaltet und uns die Papiere zurück gibt, mit dem einfachen Wort: „Saftra.“ Wie, saftra, morgen? Sie macht jetzt Feierabend und ist morgen ab neun Uhr wieder da, erklärt uns ein Mädchen in der Warteschlange. Mit Vielem haben wir heute gerechnet, doch nicht damit, dass wir kurz vor dem Ende unserer Grenzabfertigung einfach stehen gelassen werden. Wir sind beide vollkommen sprachlos, als wir vor dem Gebäude stehen und den Regen auf das Metalldach trommeln hören. Grenzromantik. Und was ist mit Uwe und Horst, die hinter der Grenze auf uns warten? Gerade gedacht, kommen sie uns im nächsten Moment entgegen gelaufen. Nachdem sie mitbekamen, dass keiner mehr an der Schranke stand, sind sie einfach durchgegangen, um Ausschau nach uns zu halten. Inzwischen ist Partystimmung ausgebrochen. Drei russische Dieseltruck-Fahrer, ein italienischer Kinder-Bespaßungs-Truck mit Filmvorführapparat und großer aufblasbarer Rutsche und ein Kleinbus mit russisch-amerikanischer Besatzung, die auf der Mongolian–Rallye von London nach Ulan Bataar unterwegs sind, stehen mit uns in der Grenze. Musik läuft, Zelte werden aufgebaut. Das Lachen schallt unter dem hallenden Dach. Wir stehen im Trocknen und alles ist gut. Ein Regenbogen der besonders schönen Art hebt sich vor einem tief blau-schwarzen Himmel ab. Was für ein Schauspiel. Uwe und Horst finden die Atmosphäre so schön, dass sie bleiben, obwohl sie die Grenze bereits hinter sich haben. Nudeln in roter Soße koche ich, dazu zur Abrundung Wodka-Cola. Ein Traum an Köstlichkeit nach diesem langen Tag. Der Regen lässt nach. Außer den Vögeln, die unter dem Dach wohnen, sind nur noch vereinzelte schwere Tropfen zu hören. Alles wird ruhiger, entspannter. Da keimt die Idee auf, doch auf großer Leinwand einen Film gemeinsam zu sehen. Wenn wir schon mal einen Truck mit dem ganzen Equipment da haben. Und so wird es ins Leben gerufen, das „First Mongolian Border Film Festival“. Zwanzig Leute sitzen in eisiger Kälte, auf 2.500 Metern Höhe, auf dem Boden und schauen „Mad Max“. Eine Szenerie die an der Unglaublichkeit kratzt. Ein Moment der mich dazu bringt, mich selbst zu kneifen. Was für ein Tag, was für ein Trip. Mit Vielem hätte ich heute gerechnet. Doch das was eingetreten ist, übersteigt alles, was ich mir hätte vorstellen können. Party in der Grenze. Ich fasse es nicht und falle irgendwann in einen Schlaf, der tiefer kaum geht. In einer Grenze, die ungewöhnlicher nicht sein kann.