12.06.2015 Ungurtas bei Almaty / Kasachstan / N43°14’37.5“ E076°56’13.5“
Die Familien ziehen weiter. Vater, Mutter, viele Kinder. Nomadenleben. Irgendwie ein Akt der ewigen Hoffnung. Dass hinter dem nächsten Hügel die Wiesen saftiger sind, der Wind schwächer weht. Ein Wasserlauf wäre auch ganz schön. Also zusammen packen um zu sehen, welche Überraschung sich auftut. Auch die Art des Essens muss zu dieser Form des ewigen Umherziehens passen. Anbau von langsam wachsendem Gemüse passt da einfach nicht. Das Essen ist immer mit von der Partie. Beweglich, mitwandernd sind die Herden der Nomaden an Schafen, Ziegen, Rindern und Pferden. Sie geben Milch, aus der Sahne, Käse, Butter und Sauermilch hergestellt wird. Und ab und an, ja da muss eines der Tiere geopfert werden. Milch, Mehl, Fleisch, das sind die Hauptbestandteile der Nomadenküche. Kumys, die gegorene Stutenmilch, auch Milchwein genannt, ist das Obst und Gemüse der Nomaden. Es enthält eine Menge an Mineralien und Vitaminen und darf bei keinem Essen fehlen. Seine Schale nicht bis auf den letzten Tropfen auszutrinken gilt als Sünde.
Ich stehe vor dem Birkenholz Trog und schlage mit einem großen Holzquirl Luft unter die Stutenmilch. Der Gärprozess im Schnellverfahren. Meinen Oberarmen tut das auch mal gut. Die Muskeln melden sich gleich freudig. Veredelt ist die Stutenmilch mit Rosinen und Zucker. Das nimmt ihr etwas die Strenge im Abgang…
Wir sind eingeladen bei den Nomaden. Sie wollen uns zeigen, wie ihre Art des Kochens vor sich geht. Wir sind gespannt und ein wenig aufgeregt. DENN, es soll sogar ein Schaf geschlachtet werden. Oh, da melden sich bei mir eine Menge Kindheitserinnerungen. Wenn ich früher mit meinem Vater einen Hahn schlachten ging und das Tier festhalten musste, bis es nicht mehr um sich schlug… Oder ihm zusah, während er einem Hasen das Fell über die Ohren zog. „Du musst wissen was Du isst“, war immer sein Satz. Das hilft mir heute, dem allem zuzusehen, was hier vor sich geht.
Wir stehen auf einer großen Wiese und mit uns ein mittelbraunes Schaf. Es ist ein „Sek“, ein Schaf, älter als ein Jahr. Es grast gemütlich vor sich hin. Und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Denn ich weiß etwas, was das Schaf nicht weiß. Es steht seine letzten Minuten hier auf dieser sommerwarmen Wiese. Mir wird schlecht bei dem Gedanken. Auch wenn mir klar ist, dass das Schlachten hier, wie überall anders auch, zum Alltag gehört. Die Männer beten. Das Schaf schaut zu. Ein Mann legt Hand an. Schnell geht es und vollkommen geräuschlos. Nur das Blubbern des Blutes kann ich hören, als es in eine kleine Erdgrube fliest. Die Nerven des Schafes zucken noch ein paar Mal. Dann ist auch diese Bewegung zu Ende. Ich bin hin und her gerissen in meinen Gefühlen. Kann mich nur trösten mit dem Gedanken, dass die Seele des Schafes weiter gezogen ist und lenke mich ab mit dem genauen Beobachten dessen was vor sich geht. Der Metzger weiß was er tut. Geschickt stellt er es an, den Körper des Schafs zwischen zwei Masten zu hängen, um sofort mit dem Häuten zu beginnen, solange der Körper warm ist und sich die Haut gut lösen lässt. Ich höre und sehe wieder meinen Vater vor mir, wie er im Keller steht und das Gleiche tut. Die Handgriffe sind identisch, die Geräusche vergleichbar. Nur die Größen unterscheiden sich voneinander. Ein Hase hat nun einmal andere Dimensionen als ein Hammel.