Haufen voller Federn / Heap full of feathers
26.11.2015 Pattaya / Thailand / N12°59’22.1“ E100°55’16.5“
Als hätten wir einen Sprung zwischen den Jahrhunderten absolviert. So kommt es mir vor. Wir fahren an modernen Tankstellen vorbei. Großen Einkaufszentren. Die Straßen vierspurig und neu. Entlang unseres Weges reihen sich Häuser an Gebäude an Fabriken an Läden. Alles ist sauber, aufgeräumt, geordnet. Die zivilisierte Welt. Sonst für mich ganz normal. Doch meine Augen sahen in den letzten Monaten so viel anderes, dass sie sich erst wieder gewöhnen müssen an dieses Bild der Gegenwart. „Not macht erfinderisch.“ Dieser Satz schien in Laos und Kambodscha über allem und jedem zu stehen. Ein Sammelbecken der Kuriositäten. In der weiter entwickelten Welt scheinen diese Abstrusitäten der eigenen Ideen auf der Strecke zu bleiben. Warum ist das so? Es gibt für alles eine professionelle Lösung. Schade eigentlich. So freue ich mich, als ich wieder einmal eine fünfköpfige Familie auf ihrem Moped an uns vorbei rollen sehe. Ein Bild, was ich lieben gelernt habe. Zwei Monate lang waren wir in Laos und Kambodscha eingetaucht in ein Stück Vergangenheit im heute. Nun kommt es mir vor, als schauten wir durch eine Art Zukunftsglas. Der Sprung ist riesig. In mir scheint über die Monate hinweg ziemlich viel durcheinander gerüttelt worden zu sein. Es fühlt sich an, als säße ich in einem aufgeschüttelten Wasserglas. Die Schwebeteilchen müssen sich erst wieder absetzen. Dann kann ich hoffentlich klarer sehen. Ich fühle mich aufgewühlt. Doch nicht unruhig. Es ist gut wie es ist. Irgendwie spannend.
Mit Tar sind wir verabredet. Wieder so ein eigenwilliger Kreis, der sich schließt. Vor genau einem Jahr standen wir im Weimarer Hotel „Elephant“, hielten ein Glas Sekt in der Hand und erzählten von unserem Vorhaben der Reise. Wir sprachen mit Kong aus Thailand. So ergab schnell ein Wort das andere. Dass es doch möglich wäre, hier dann seinen Bruder zu treffen. Damals für mich in unendlicher Entfernung. Bei all den Ländern, die bis dahin auf unserer Route liegen sollten. Genau so wenig kann ich es heute fassen, dass unser Vorhaben uns tatsächlich bis hier her gebracht hat und wir nun mit Tar, Kongs Bruder, telefonieren.
Er wohnt in Pattaya. Einer Stadt am Ostufer von Thailand. Eine von Touristen angefüllte Stadt. Viele Deutsche sollen hier überwintern. Vornehmlich älteren Kalibers. Bevorzugt Männer. Das prägt das Bild der Straßen. Für kurze Zeit scheint es als steckten wir mitten drin im Klischee. Das möchte ich Thailand nicht antun. Es wäre ein sehr einseitiger Blick. Also treffen wir Tar und machen uns gemeinsam auf den Weg, raus aus der Stadt.
Wieder einmal ist eine unserer Plattfedern gebrochen. Doch die Suche nach einer Werkstatt gestaltet sich schwierig. Tar gib sein Bestes. Er telefoniert umher, recherchiert im Internet. Gemeinsam fahren wir die Ausfallstraßen der Stadt ab, auf der Suche nach einer Werkstatt, die für unseren Leo passend wäre. Zwei der ehemaligen LKW Werkstätten haben vor einigen Wochen geschlossen. Andere sind nach Bangkok umgezogen. Leo muss sich ruhig verhalten. Springen ist heute nicht sein Ding. Die Suche nach der passenden Feder geht weiter.
Gemeinsam mit Tar sitzen wir am Ufer des Meers. Die hell erleuchtete Stadt in unseren Rücken. Delikates thailändisches Essen vor uns auf den Tellern. Beschienen von einer Glühlampe. Wir schwitzen, ob der Wärme und Schärfe. Tar lassen die Gewürze kalt. Er ist es gewohnt, von Kindheit an. Kong ist in Deutschland. Wir sind hier, gemeinsam mit seinem Bruder Tar. Eine wirklich runde Welt!
Und ich? Ich laufe durch meinen inneren Haufen an aufgewirbelten Federn. Der Wind trägt sie überall hin. Sie versperren mir die weite Sicht. Von oben bis unten bin ich eingekleidet in dieses weiße Federkleid. Ich genieße das Durcheinander. Ohne zu ahnen, was ich eines Tages dahinter erkennen werde.
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