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Hurtig Jurtig / Jurte swiftly

12.06.2015 Almaty / Kasachstan / N43°14’37.5“ E076°56’13.5“

 

Also schnell ging hier erst mal gar nichts. Und wie eine Jurte fast täglich auf- und wieder abgebaut werden soll, um von einem Tag auf den anderen weiter zu ziehen, ist mir nach unserem Aufbau auch ein kleines Rätsel. Schwitzend stehen, sitzen, liegen fünf Männer und drei Frauen einen Tag lang erst auf der brachen Wiese. Nach mehreren durchwärmenden Tees in der prallen Sonne geht es ganz, ganz langsam los. Die Gitter der Seitenwände kommen zum Vorschein und rote gebogene Stangen.

Vor neunzig Jahren, in der Zeit ab 1929, mussten die Kasachen unter der sowjetischen Führung ihr Leben als Nomaden aufgeben. Es ging darum, das freie Leben der umherziehenden Nomaden ein für allemal zu beenden. Sesshaft sollten sie werden und damit kontrollierbar. Es war ein schmerzhafter Prozess, erzählen die Menschen, nun ebenfalls schon aus Erzählungen ihrer eigenen Vorfahren. Die Nomaden töteten damals lieber ihre Tiere, als sie den Parteileuten in die Hände fallen zu lassen. Viele Nomaden starben in dieser Zeit den Hungertod, oder wurden in Arbeitslager gesteckt. Die Bevölkerung der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik schrumpfte in diesen Jahren um zwei Millionen.

1991 kam die Unabhängigkeit. Neben vielen schwierigen und auch schlechten Ereignissen in dieser Zeit, musste sich das Land doch erst einmal komplett neu in sich selbst zurecht finden, hatte diese Zeit des Suchens nach der eigenen Identität den Effekt, dass die tief in den Menschen steckende Kultur des Nomaden Lebens wieder auflebte und als das eigentliche Wesen des Volkes erkannt wurde. „Die gesamte Kultur der Kasachen ist in der Jurte vereint.“ Ist eine weit verbreitete Ansicht und tiefe Überzeugung.

Yuliya hat uns mit hierher genommen, in die Nähe des Dorfes Ungurtus. Hier lebt ein Teil der Verwandtschaft ihres Mannes Marat. Sie selbst war auch noch nie hier draußen. Siebzig Kilometer außerhalb von Almaty. Eine Entfernung die Welten bedeuten kann. In Almaty ist das Leben das der modernen Urbanität. Hier draußen kommt es uns vor, als seien wir durch einen Zeittunnel geschlüpft und finden uns wieder in der Zeit vor einhundert Jahren. Eine neue alte Zeit. Denn das Herz der Menschen schlägt hier mit der Umgebung, zieht auf den Wolken und entlädt sich mit den Sommergewittern. Wir werden selbst vollkommen ruhig und auch ein wenig träge. Den Rhythmus der Männer machen wir uns heute zu Eigen. Ein wenig Bewegung, dann wieder Ausruhen im Schatten. Das runde Gittergerüst steht. Sechs Segmente wurden aneinander gefügt. Die Anzahl bestimmt die Größe der Jurte. Im Sommerhalbjahr sprießen die hellen Jurten wie Champignons aus dem Boden der gelben und grünen Wiesen. Halbnomaden nennen sich die Kasachen heute, die den Winter in Häusern verbringen.

Es geht weiter. Das Dach der Jurte, Shangrak genannt, wird mit Stöcken in die Luft gehalten. Rundherum geht es nun darum, gebogene Dachstangen sowohl am Dachkranz als auch an der Jurtenwand zu befestigen. Mal ist die Stange zu kurz und fällt wieder aus ihrer wackeligen Halterung, mal kommt eine Windböe und bringt die fliegende Konstruktion komplett zum Einsturz. Zimperlich darf hier keiner sein. Die drei Meter langen Stangen landen immer wieder auf den Köpfen der Männer die versuchen, das Dach zu halten. Doch so lange sie komplett außerhalb der Mitte stehen, wird es einfach nicht funktionieren. Wir halten uns mit unserer altklugen deutschen Art zurück und bestaunen einfach was da vor sich geht. Klar fassen wir gern mit an. Doch Sten merkt schnell, dass er auf einmal ganz allein dasteht und Stangen befestigt. Alle anderen sind wieder beim Tee.

Nach den Stangen, untereinander mit einem festen Strick verzurrt, kommt der Stoff an die Reihe. Rundherum und auf das Dach wird der Leinenstoff gespannt. Anfangs sieht es immer so aus als würde es niemals passen können. Doch am Ende steht unsere wunderschöne Jurte, mit quietschender Tür, vor uns. Die Tür MUSS quietschen. Das sagt schon ihr Name „die Quietschende“. Sie hat die Aufgabe darauf aufmerksam zu machen, dass jemand herein kommt. Denn ne Klingel gibt es nicht und irgendwie anders macht man auch nicht auf sich aufmerksam. Die Nomaden kommen einfach herein und sind da. Das ist Brauch in der Steppe. Rechter Fuß zuerst. Doch das weiß ja jeder.

Innen sind die Wände mit bunten Tüchern und Teppichen verkleidet, als wir das erste Mal eintreten. Auch auf den Böden alles bunt. Nun nur schnell Schuhe ausziehen und am runden Tisch Platz nehmen. Der Chef, oder in unserem Fall die Chefin, sitzt erhöht direkt gegenüber der Tür. Im Uhrzeigersinn werden alle anderen platziert. Sich selbst irgendwo hinzusetzen geht gar nicht! In der bunten, lichtdurchfluteten Schutzhülle fühlen wir uns pudelwohl. Tee trinken mit Milch, Tee ohne Milch, dafür mit gemahlenen Weizenkörnern. Der Samowar brodelt vor sich hin und ist im Dauereinsatz.

Der Jurten Aufbau ist klassisch Frauensache. Ein bis zwei Stunden brauchen sie dazu. Die Männer kümmern sich um die Herden. Heute haben sie beim Aufbau mitgeholfen. Vielleicht hat es ja deshalb fast einen ganzen Tag gebraucht, bis die Jurte stand?

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