Im Innen und Außen / Internal and external
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15.03.2015 Iran / Mashhad / N36°17’39.2“ E059°34’36.8“
Seit einem Monat bewegen wir uns nun durch Iran. Wir haben so einiges an Erfahrungen gesammelt und fühlen uns nicht mehr ganz so unsicher was das Verhalten in allen möglichen Situationen angeht. Wie die Formen der Begrüßungen funktionieren, wer wann wem die Hand gibt und wann nicht, wie ich den Schal und meine Kleidung zu tragen habe, wann ich es etwas lockerer und wann ernster nehmen sollte. Und, und, und. Ok. So weit so gut. Also stellen wir uns heute der nächsten Herausforderung. Wir wollen den „Holy Shrine“ besuchen. Es ist DER Pilgerort in Iran. Auch wenn wir keine Moslems sind können wir dort nur hingehen, wenn wir ein Minimum an den Dingen einhalten die für die Moslems vollkommen selbstverständlich sind. Das betrifft jedoch fast ausschließlich die Frauen. Für die Männer ist alles wie immer. Für mich hingegen bedeutet es, mich komplett zu verhüllen. Keine Haarsträhne oder irgendetwas Persönliches von mir darf sichtbar sein. Im Haus von Dr. Ali, bei dem wir hier in Mashhad zu Gast sind und dessen Frau so lieb ist, mir mit einem Tschador (dem Ganzkörperumhang) auszuhelfen, übe ich das Verhüllen schon einmal. Von einem Moment auf den anderen erkenne ich mich nicht wieder. Ich bin mir selbst fremd, jetzt da ich mich im Spiegel sehe. Na das kann ja lustig werden, dann im „Holy Shrine“… Vorher zeigt uns Dr. Ali eines der historischen Krankenhäuser der Stadt. Beim Durchlaufen der Gänge haben wir die Bilder des Filmes „Der Medicus“ im Gedächtnis und die Gedanken der langen medizinischen Tradition Persiens umwabern uns mit Ehrfurcht. Auf der anderen Seite möchte ich gerade in keinem der Betten liegen müssen. Und so bin ich froh als ich wieder frisch und voller Energie vor der Klinik stehe, um mich unserem nächsten Abendteuer, dem „Holy Shrine“, zuzuwenden.
Ali Reza aus Meybod begleitet uns zum Eingang. Dann sind wir auf uns gestellt. Doch kaum gedacht, steht schon eine Frau aus Pakistan vor mir, sieht wohl meinen ratlosen Blick, und hilft mir, den Tschador mit einer Sicherheitsnadel unter meinem Kinn zu befestigen. So rutscht er nur bei jedem zehnten Schritt, statt bei jedem und ich habe eine Hand frei. Ich bin sehr dankbar für ihre mütterliche Unterstützung. Der Ordnungshüter mit seinem gelben Wedel, beobachtet den Vorgang sehr genau. Doch kann er vielleicht mein Bemühen wahrnehmen keinen Fehler zu begehen. Was er darüber denkt kann ich seinem Gesicht nicht entnehmen. So unbewegt steht er in drei Metern Entfernung von uns. Die Männer und Frauen mit grünen, gelben und bunten Wedeln sind überall und tippen einen damit an, wenn zum Beispiel lustige Haarsträhnen unter dem Tschador hervor lugen. Die unterschiedlichen Farben der Wedel kennzeichnen die Nähe zum eigentlichen Heiligtum und weisen aus, ob es ein freiwilliger Helfer oder ein Angestellter ist. Sten geht mit unserem Englisch sprechenden Guide durch die Schleuse auf der Männerseite. Ich muss zur Frauenseite. Und da ist es auch schon soweit. Auf die Frage ob ich Moslem bin antworte ich ordnungsgemäß mit „Nein“. Das wiederum ist für die Frau der Leibesvisitation die eindeutige Antwort, mich nicht durch die Schleuse gehen zu lassen. So bleibe ich einfach stehen in meinen formlosen Umhang und warte ab. Irgendwann scheint es Sten und dem Guide wohl doch zu lange zu dauern und sie verschaffen sich Zutritt. Nach den Erklärungen des Guides ist es kein Problem mehr und ich kann die Schleuse passieren. Nach dieser Aktion fühle ich mich spürbar unwohl. Ich möchte die Atmosphäre erleben, will die Architektur betrachten und bin gespannt auf die vielen Menschen, die alle hierher pilgern. Doch irgendetwas kämpft ganz gewaltig in mir und ich kann es nicht zur Ruhe bringen. Mir fällt es plötzlich total schwer offen für all das zu sein, was außerhalb von mir geschieht. Irgendwie scheine ich nur mit dem rutschenden Tschador beschäftigt zu sein, damit, immerzu beim Laufen auf den Stoff zu treten und umher zu stolpern. Bei all dem frage ich mich die ganze Zeit, was mich hier eigentlich so gewaltig aufwühlt, während ich in vollkommener Unkenntlichkeit durch die weiten Säle und die großen Plätze schlurfe. Mir gehen Begriffe wie Identität und Weiblichkeit und Freiheit und Unterschied Mann/Frau und Akzeptieren und Wahrnehmen und Religion durch den Kopf. Ein Gedanken- und Gefühls-Cocktail der etwas Explosives an sich hat. Sten fotografiert mich in all meinen zweifelnden Augenblicken und freut sich an der Andersartigkeit meiner Person. Nach fast drei Stunden haben wir das Gefühl einen Überblick über das unendlich große Gelände erlangt zu haben und sind von der Weite der Distanzen, dem Beobachten der Gläubigen und dem Bewundern der Architektur völlig leer und ausgefüllt zugleich. Wenn wir uns nun noch vorstellen, dass in wenigen Tagen Millionen an Menschen zum Neujahrsfest hierher pilgern werden wird uns die Gewaltigkeit um so deutlicher. Schon heute werden Massen an Teppichen von A nach B transportiert, um in einer Woche sämtliche Plätze für die Betenden damit auszulegen.
Ich bin nach dem Verlassen des Geländes um viel Erfahrungen und Eindrücke reicher und fühle mich irgendwie auch stolz, da gewesen zu sein. Den Abend mit Eshan, Sasan und ihren Freundinnen zu verbringen ist wunderbar. Wir entspannen uns, tanken Lebenslust und haben Gesprächsstoff ohne Ende.