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Heimweg / Way home

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Heimweg / Way home

13./14.01.2016 Frankfurt / Deutschland / N50°06’39.32“ E08°40’55.65“

Auf welchem Weg eigentlich? Heute ist nicht der Tag der tiefschürfenden Gedanken. Denen gönne ich ne Atempause. Heute ist Treibenlassen angesagt. Nicht Nachdenken nicht Grübeln, nicht nach hinten denken und nach vorn. Einfach nur in die Strömung stellen und gleiten.
Fünf Stunden Autofahrt durch den tropischen Regenwald. Aus der Welt-Entrücktheit Cooktowns wird allmählich reges Treiben, wird die städtische Moderne von Cairns. Wir mittendrin. Wissen wie das geht, sich hier zu bewegen. Flughafen. Zeit für Abschiede. Von unseren Freunden. Winkend bleiben sie. Wir gehen, wir laufen, wir funktionieren. Die zwei Wochen Landung im Busch waren für uns der beste Ort, um das Eine nicht mehr und das andere noch nicht an uns heran kommen zu lassen. Robi und Kati gaben uns das, was gut tat. Zeit zum Reden, Erzählen, Plaudern. Und Zeit zum still sein. Winken heißt für mich. Es war schön, ich denke an dich, bin bei dir, auf deinen nächsten Schritten. Winken macht, dass die Wünsche es leichter haben, von einem zum anderen zu fliegen. Winken ist, was uns beim Fortgehen hilft. Weil wir nur dann wiederkommen können. Nach Cairns am Nachmittag, Brisbane am Abend, Abu Dhabi am frühen Morgen. Frankfurt am Mittag. Vierundzwanzig Stunden fliegen. Vom einen entfernen, dem anderen nähernd. Ein Polygon ist entstanden. Unser LKW „Leo“ steht in Phnom Penh. Ein Punkt auf der Karte. Wir kommen gerade aus Cooktown. Ein Punkt. Fliegen nach Deutschland. Ein Punkt. Beim Blick auf die Welt vom Flieger aus, haftet mein Blick gedanklich an den Orten, an denen Menschen leben, zu denen wir nun mehr als eine flüchtige Beziehung haben. Freundschaften, die ebenfalls feste Punkte setzen, die sich wie ein Netz ineinander verweben. Uns alle miteinander. Rollen vorwärts, seitwärts, rückwärts drehend. Unser Blick hat sich geweitet. Die Perspektiven ständig neu. Nun geht es nach Hause. Heimwärts. Was ist das, wo ist das, wie ist das? Wir haben keine Ahnung. Fast wiederholt sich, wie es sich vor gut einem Jahr anfühlte.

Frankfurt / Deutschland N50°06’39.32“E08°40’55.65“

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Wir wussten nicht, wohin die Reise geht. Ganz ähnlich ist es heute. Wir wissen ebenso wenig, wohin der Weg uns führt. Doch eines haben wir begriffen. Wenn wir uns dem Fluss des Geschehens überlassen und ihm vertrauen, geschieht das Beste, was uns wiederfahren kann. Wir brauchen nicht wieder anfangen an allen Hebeln zu rütteln, an allen Rädern zu drehen. Ich bin gespannt auf die alten Muster und die neuen, wie die zusammenpassen, sich abstoßen oder kooperieren. Wird langsam Zeit mit dem heim Kommen.  Unsere Reise haben wir begonnen mit dem Hermann Hesse Satz und wir beenden sie mit dem gleichen "...und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben". Unser nächster Anfang wartet schon. Er steht frisch frisiert an der Haltestelle. Wir bitten ihn zu uns herein. Durchgefroren wie er ist. „Komm her, du Anfang, und vergiss deinen Zauber nicht.“

Die Retter kommen / The rescuers arrived

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Die Retter kommen / The rescuers arrived

12.01.2016 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

 

Da liegt er nun auf der Pritsche. Angeschnallt, um nicht herunter zu fallen. Gleich geht es rein in den blinkenden Rettungswagen voller Instrumente, Schübe und Klappen. Was für ein Erwachen. Oder träumt Sten noch? Im Bett bekommt er mitgeteilt, dass er an einer schweren Vergiftung leidet. Verursacht von einem Frosch, den er als dummer Tourist gestern Abend meinte essen zu müssen. Auf Deutsch instruiert Robi Sten über seine vermeintlichen Symptome. Sten ist hoffentlich wach genug sie sich einzuprägen und wiederzugeben, wenn er gefragt wird. Der fragt, ist ein junger Aborigines Retter. Er wird ausgebildet im System der Schulmedizin. Sten ist sein Patient. Zum Glück nur zu Lernzwecken. Zu wenige Fälle gibt es hier oben im Busch. Da ist Robi froh, zu Hause einen Freund zu wissen, der als Test-Patient mitspielen kann. Welche Fragen stellt man, um dem Problem näher zu kommen? Wie rollt man einen Patienten auf die Tragedecke, um ihn später, ohne fallen zu lassen, auf das Retter-Bett zu hieven. Dylan hat das Heilen im Blut. Sein Großvater und Vater waren Heiler in ihren Clans. Das Wissen und die Ehre wird ihm bald selbst zu teil. Dann ist Dylan der gemachte Medizin-Mann im Busch. Er kennt beide Systeme, ist mit beiden vertraut und in der Lage, die Welten des Heilens miteinander zu verbinden. Morgens wird Sten auf der Trage durch die Gegend gerüttelt. Abends sitzen wir quietsch vergnügt am Meer, um dem Kitsch des letzten Sonnenuntergangs noch ne Kelle voll Wehmut zu verpassen. Neun Monate lang sind wir mit unseren Flip Flops durch die Lande gezogen. Neun Monate lang Sonne und Wärme. Der Sommer meines Lebens? Oh meine Güte, wie triefend vor Melancholie. Trotzdem, ist eben so. Ein letzter Fußabdruck im Sand. Ein letztes gemeinsames Essen mit Robi und Kati am Meer. Ein letzter Blick auf die vergangenen zwölf Monate geworfen. Und gut. Licht aus. Kapitel zugeklappt. Oder wie?

 

 

Cooktown / Australien

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Einfach so / Only like that

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Einfach so / Only like that

11.01.2016 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

 

Zusammen sitzen. Lange reden. Die Bälle voller Worte dem anderen zuwerfen. Einen anderen auffangen. Gedanken sind darin verpackt. Die sich nur beginnen zu zeigen, wenn sie ungestört sind. Das geht nicht zwischen Tür und Angel. Nicht im Vorbeigehen und nebenher. Der Tag hat seine Chance erkannt. Er setzt sich zu uns und hört einfach zu. Wie schön.

 

Cooktown / Australien

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Männersache / The object of the men

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Männersache / The object of the men

10.01.2016 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

 

"Na du denkst wohl, dass dir die gebratenen Tauben nur so in den Mund fliegen?" Ein erzieherischer Spruch aus meiner Kindheit. Von Lehrern gesagt, hören ihn meine Ohren noch heute. So viele Tauben waren es nicht. Die mir seitdem gebraten zugeflogen sind. Bis nach Australien musste ich reisen bis ich Ähnliches erfuhr. Wir sind den Aborigines nah. Dank Robi. Der einige von ihnen seine Freunde nennen darf. Ihre Rätsel nicht entschlüsseln zu wollen, doch ihnen zuschauen dürfen, wenn sie ihre Hände  anlegen, das wäre toll. Ich weiß inzwischen wie unglaublich gut ihr Gehör ist, wie sensibel ihr Geruchssinn. „Hörst du, da ist gerade eine Taube auf einem kleinen Ast gelandet. Sie hat so nachgefedert mit ihren Flügeln“, ist eine der Aussagen, die es mir deutlich machen. In einem dichten Wald, voller Geräusche. Erhalten noch immer aus der Zeit des Lebens im Busch. Jagen ist Männersache. Frauen sind für die Hütten zuständig, für die Kinder und das Sammeln der Früchte. Wir teilen unsere Aufgaben heute genauso auf. Robi und Sten gehen mit Troy jagen. Kati und ich hüten das Haus und versorgen die kleine Emma. In der Dämmerung des anbrechenden Morgens machen sich die beiden auf den Weg. Um Troy zu treffen. Seine ahnen kommen von Cap York. Sie hatten das Glück, nicht entwurzelt zu werden. Unglaublich viele ereilte das Schicksal, dass ihnen das Land entrissen wurde, auf denen die Clans seit Jahrtausenden lebten und ohne Kenntnis und Rücksicht auf Stämme und Zugehörigkeit die Aborigines irgendwo anders in Dörfern zusammen gewürfelt wurden. Wild durcheinander. Das währte lange, hielt ewig an. Erst in den achtziger Jahren wurden die letzten, wirklich in der Wildnis lebenden Clans, aufgegriffen und aufgelöst. Warum machen wir, angeblich gebildeten Menschen, so etwas? Warum meinen wir, dass das was wir tun ist das einzig richtige ist? Im Clangebiete von Troys Familie „ernten“ die drei Männer eine Waldtaube. Sten schleicht hinterher und ist doch mehr mit Mücken vertreiben beschäftigt als besonnener Jagdgefährte zu sein. Da hilft sein „Witwe-Bolde-Kopfnetz“ nur wenig. 

Cooktown / Australien

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Ein Erdloch wird ausgehoben, darin ein sattes Feuer entfacht. Die Rinde eines Papierrindenbaumes, von Troy geschält, um den gerupften und ausgenommenen Vogel darauf zu betten, einzuwickeln und das Paket mit Bananenblatt Streifen zuzuschnüren. Nicht ohne zuvor einen kleinen Schlitz in die Kehle des Vogels zu setzen. Aus zwei Gründen. Die im Kropf gelagerten Beeren herauszuholen und zu schauen, ob sie giftig sind. Und auf diese Weise gleichzeitig heraus zu finden, welche Bäume die Tauben momentan beim Fressen bevorzugen. Das erleichtert die Jagd in den kommenden Wochen. Das Feuer wird zur Glut. Knallrot und heiß. Darauf das so geschickt verschnürte Päckchen. Sand darauf und ein Deckel aus Rinden. Fertig ist der Dschungelofen. Kein Qualm-Fähnchen traut sich mehr heraus. Doch Duft steigt auf nach einer Stunde. Zeit zum Vernaschen der Regenwaldköstlichkeit. Ich sehe die Drei vor meinen Augen, wie sie aus Blattbechern trinken. Bei fünfunddreißig Grad am Feuer sitzen, um die Mücken zu vertreiben. Im krokodilgesättigten Wasser ihre Hände waschen. Ein Fächer aus den Blättern einer Palme. Von Troys Sohn geflochten. Gegen Krokodile ist er wenig hilfreich, doch für die Moskitojagd geeignet. Leben im Busch. Einmal dabei sein. Viel ging damals verloren durch die Brutalität der weißen Besiedler. Abgeschossen, wie Äpfel vom Baum, wurden tausende der Ureinwohner. Im Süden Australiens, beinahe vollständig zum Erliegen gekommen, ist das Weitertragen der Jahrtausende alten Tradition. Im Norden noch lebendig. Teilweise, in Fetzen. Die Erinnerungen wach haltend. Wenn nicht der Alkohol schneller war. Sten kommt, um viele Mückenstiche und echte Buscheindrücke reicher, zurück.  Sein Gesicht strahlt. Die Mundwinkel scheinen an seinen Ohren angetuckert. Jagd ist Männersache. Wären wir Frauen heute auf ihre Beute angewiesen gewesen, wären wir leer ausgegangen. Ist halt so ne Sache mit der Arbeitsteilung. Na ja, wir haben uns gekümmert und ein paar Kartoffeln und Tomaten am dem Markt gefunden. Klappt also doch, mit dem Jagen und Sammeln. Und das über die Jahrtausende hinweg.

Kaffeekränzchen im Dschungel / Five o’clock tea in the jungle

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Foto 4

Kaffeekränzchen im Dschungel / Five o’clock tea in the jungle

09.01.2015 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

 

Zum Kaffeetrinken eingeladen. Das klingt nach liebevoll gedecktem Tisch, wie „gleich um die Ecke in der Nachbarschaft“. Meint es wahrscheinlich auch. Nur dass die Ecke sich zieht und die Nachbarn eine Stunde weit entfernt wohnen. Um dorthin zu gelangen, durchqueren wir eins ums andere Mal den dicht bewachsenen Regenwald. Da liegt schon mal ein Geländewagen überschlagen im Wurzel-Weg-Wasser-Graben. Da lässt sich zwischenzeitlich Einsamkeit schon mal spüren und das Hirn fragt sich „ob hier noch irgendetwas kommt?“. Es kommt. Eine steile Waldabfahrt. Bei Schnee und Glatteis wäre hier alles zu spät. Doch alles ist eben gleichmäßig verteilt. Hier gibt es Mücken bis zum Abwinken. Dafür keine frostige Kälte. Hat eben alles was für sich. Bevor wir uns mit unserem 4x4 Gefährt zwischen der nächsten Baumgruppe verhaken, kommen wir zum Stehen. Kläffende, mit den Zähnen knirschende, Hunde begrüßen uns. Eine freundliche Frau steht im Hintergrund. Barfuß, im luftigen Sommerkleidchen. Wiederum hinter hier das Haus. Wie eine Bienenwabe sieht es aus. Genial eingepasst in den Dschungel. Hätten so vielleicht Hänsel und Gretel gewohnt, wenn sie in Australien gewesen wären? Oder wäre es mehr der Stil von Pippi Langstrumpf gewesen? Kleine Treppe hier, schiefer, freischwingender Balkon da. Von Termiten ausgehöhlte, tragende Balken dort. Ein eigenes kleines Wasserkraftwerk auch. Vom Gefälle des Bächleins angetrieben. Jede Ecke eine Entdeckung. Die Dschungeldusche besitzt eine eigene Warmwasserbereitung. Ein schwarzes Rohr, in dem Feuer knistern kann. Quasi ein Durchlauferhitzer im Dschungelstil. Daneben eine Badewanne. Was für ein Schmaus, für Seele und Körper, wird es sein, hier draußen, umringt vom grünen Gewöll des Dschungels in der Badewanne zu sitzen und vom Leben zu naschen? 

Cooktown / Australien

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Lebenskonzepte gibt es hier haufenweise. Reihenhaus mit Klingelblock und Einbauküche ist hier nicht angesagt. Hier oben lebt, wer es speziell mag. Frei, unkonventionell, eigensinnig. Australien ist für Europäer extrem weit weg. Cooktown wiederum ist selbst für Leute aus Sidney am Ende der Welt. Doch das ist noch lange nicht das Ende. Hinter dem Einen, kommen noch etliche Weitere. Es geht immer noch einsamer, abgefahrener, spartanischer, individueller. Hier gibt es keine Baurichtlinien und Dachschrägen-Verordnung. Hier macht jeder wie er denkt. Ob die Statik hält, was man sich von ihr verspricht, weiß man spätestens nach dem nächsten Sturm. Der Weg zur Arbeit fällt hier draußen schwer. Wüsste auch nicht, wie das geht, wenn ich in Mitten der Wildnis lebte und es dann heißt, „in drei Stunden ist Schwestern-Dienst im Krankenhaus“. Schwierige Vorstellung. Sagen sich die Leute hier auch. Sie gehen lieber angeln. Oder schürfen nach Gold. Gehaust wird dann in Blechverschlägen der krassesten Sorte. In Deutschland, da bin ich sicher, würde kein Mensch bei den Bedingungen am Arbeitsplatz, auch nur einen Finger krumm machen. Hier ist das irgendwie dann doch freiwillig, sich in der Nacht in ein verwanztes Bett, gleich neben der Goldmine zu legen. Da wird kein Aufhebens drum gemacht. Kakerlaken krabbeln nachts über die Körper, um vom Schweiß der Arbeiter zu trinken. Der am Fluss lebende Krabbenfischer mit seiner Frau rechnet jederzeit mit den Krokodilen. In seinem Zelt kommt spätestens dann Unruhe auf, wenn sich einer der schweren, schleifenden Körper über die im Sand ausgelegten Plastik-Folien zieht. Alles schon da gewesen. Echtes Buschleben. Hammermäßig und knallhart. Wirklich nichts für schwache Gemüter. Ich schau es mir an. Doch meins wäre es tatsächlich nicht. Mein Respekt vor den Leuten: Riesengroß. Ja, wer hier lebt hat es sich ausgesucht. Das passiert nicht zufällig. Das ist reiflich überlegt. Der will Einsamkeit, Freiraum, Naturleben pur. Den täglichen Kitzel auch. Eine Oase in unserer durchstrukturierten Welt. Lebensentwürfe habe ich in den vergangenen zwölf Monaten echt ne Menge gesehen. Bin nun mehr als gespannt, wie es sich in meinem Leben anfühlt, wenn ich in wenigen Tagen unsere eigenen vier Wände wieder betrete. Welcher Lebensentwurf begegnet mir dort?

Die goldenen Jahre / The golden years

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Die goldenen Jahre / The golden years

08.01.2015 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

Fünfundachtzig Jahre Australien. Ein Leben lang. Ray lebt im Wald. Zwei Stunden Rüttelpistenfahrt von Cooktown entfernt. Mehr als vierzig Wasserläufe liegen auf dem Weg. Gerade erst war einer der Flüsse für Tage unpassierbar. Ray blieb nichts anderes übrig, als unterwegs bei Freunden zu warten, bis nach Tagen das Wasser so weit abgeflossen war, dass sein Geländewagen nur noch mit der Motorhaube im Wasser verschwand. Statt mit der ganzen Karosse. Sein Haus, ein Container. Gemütlich irgendwie und Männer-spartanisch auch. Ein Bett. Vor der Tür. Damit der Wind eine Chance bekommt, im Schlaf ein wenig für „Abkühlung“ zu sorgen. Abkühlung bedeutet hier nicht wirklich kühl. So mit Federbett zudecken und so. Vielmehr hilft ein Windhauch, die gut dreißig Grad warme Luft der Nacht ein klein wenig in Bewegung zu versetzen. Ein Herd, ein Sofa, ein paar wackelige Stühle. Fotos. Von seiner Frau allein. Von ihm mit seiner Frau. Längst vergilbt. Seit vielen Jahren ist sie nicht mehr in dieser Welt. Er muss mit sich allein zu recht kommen. Ob er will oder nicht. ...Die goldenen Jahre...
Paul hilft ihm dabei. Sein Kumpel. Er wohnt in einem Bretterverschlag nebenan. Etwas jünger, ein wenig rüstiger noch. Die beiden teilen sich den zu bewältigenden Alltag. Einen Kaffee gibt es am Morgen gemeinsam. Danach pusselt jeder vor sich hin. Der Eine klappert in der Werkstatt herum, der andere zupft an den Passionsfrucht Pflanzen. Ganz ruhig läuft das ab. Reden. Muss nicht sein. Gesagt ist alles längst. Mittags rührt jeder sein eigenes Süppchen. Dann ein Schläfchen. Das sechzehn Uhr Bier trinkt sich besser wieder gemeinsam. Ihr Ritual. Waldtauben beobachten am Nachmittag. Das sind ihre Freunde. Die Tauben warten auf die Körner. Paul und Ray warten auf die Tauben. Zwischen den Bäumen rund herum taucht ab und an ein wilder Kuhschädel auf. Mit einer Mutter hinten dran.

Cooktown / Australien

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Dazu Kälber und der Bulle. Große wilde Herden leben in den Wäldern Australiens. Das ist die umherlaufende Notversorgung für Paul und Ray. Für vier Monate können sie hier draußen abgeschnitten leben. In der Regenzeit wichtig zu wissen. So lange reichen ihre Vorräte in den Gefriertruhen. Von Dieselgeneratoren auf Trapp gehalten. ...Die goldenen Jahre.... Ray hat heute Geburtstag. Fünfundachtzig Mal hat er schon seine Kerzen ausgeblasen. Er, der früher lange auf ner Farm gearbeitet hat. Fischer war. Krokodiljäger auch. Heute ist das verboten. Krokodile stehen unter Artenschutz. Schön für die Krokodile. Nicht immer schön für die Menschen, die im Meer und in Flüssen pausenlos mit Krokodilen zu rechnen haben. Das ist nicht nur eine Zeile in der bunten Tourismusbroschüre. Das ist Alltagsgeschehen. Wasser ist hier zum Anschauen da. Zum DARAUF, statt DARIN schwimmen geeignet. Wie fühlt sich ein Geburtstag mit fünfundachtzig Jahren an? Gibt es da noch Überraschungen, Freuden, das Herz Berührendes? Oder ist es ein Tag wie jeder andere, in diesen „goldenen Jahren“? Meint Ray es ernst mit seinem Schild, was da an seiner Tür hängt und brabbelnd umhererzählt: „The golden years have come at last. The golden years can kiss my ass.“

Leben leben / Live the life

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Leben leben / Live the life

07.01.2015 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

 

Das Gattertor öffnet sich knarzend. Wir rollen hinein in ein Anwesen, mitten im Irgendwo-Land, „Frog whole“ genannt. Hier ein paar Mangobäume, dort Papayas und Passionsfrüchte. Dazwischen ein Sonnenunterstand für die Geländewagen, dort ein großer Regenwassertank. Vorbei an Wurzelstumpen alter Bäume, die Platz gemacht haben, um hier zu leben. So geht das hier. Man erwirbt ein Stück Wald. Darauf dichter Bewuchs von Eukalyptusbäumen, und Dschungelgewächsen. Läuft das Gelände ab. Erkundet dabei die „höchste“ Stelle. Um wenige Zentimeter kann es sich dabei handeln. Und schon wird vom „Berg“ gesprochen. Auf und um den Berg herum wird nun gerodet. Bis Licht den Boden berührt und eine Lichtung entsteht. Container rollen heran, Zelte spannen ihre Häute auf, Blech biegt sich, um als Dach zu dienen. Fertig ist ein Wohnplatz. Der Wind fegt hindurch, die Hitze macht es sich auf den Dächern bequem. Man lebt draußen vom frühen Morgen bis tief in die Nacht. 32 Grad im Dezember im Durchschnitt. 27 Grad im Juni. Das Ganze durchweg, am Tag und in der Nacht. Da braucht es keine Heizung und keine dicken Wände. Da ist Leben im Sommerhaus angesagt, vom ersten Januar an, bis zum einunddreißigsten Dezember. Wir sind zu Gast bei John und Carol. Sie, als Elfjährige mit ihren Eltern aus England hierher gezogen. Er geboren in Australien. Heute haben beide ihre Arbeitsleben längst hinter sich. Die Kinder wohnen, in einem Bild gerahmt, ein wenig mit hier. Das Leben in der Stadt. Nur so lange man musste. Seit zehn Jahren nun hier draußen. Da, wo Sommer ist, vierundzwanzig Stunden lang an dreihundertfünfundsechzig Tagen im Jahr. John liebt es, zu Angeln und Jagen. Carol baut Holzschalen aus den dicken Warzen der alten Bäume. Ein Leben in Freiheit, in Mitten der Natur. 

Cooktown / Australien

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Das ist nicht immer schön. Carol, verbrachte viele Jahre ihres Lebens auf einem Schiff. Und ist den Winden seit diesen Tage leid. Kommt ein Zyklon, kommt auch die Angst. Die wird nicht kleiner, wenn das Auge des Sturms mitten über das eigene Grundstück fegt. Dann ist Überleben alles. Hab und Gut hat abgedankt und keinen Wert. Man scheint hier nicht zu „Besitzen“. Mehr Sinn macht es, hier zu „Leben“. Einen Tag lang leben wir einfach mit. Die selbsternannten Großeltern von Emma genießen es, die fröhliche Plappertasche plantschend in der Wasserwanne um sich zu wissen. Wir Großen schaukeln in der Hängematte, werden auf dem Quad durch Gelände gekarrt, und lassen auf allerliebste Weise unser Kochprojekt aufleben. Selbstgefangene Fische, die Kräuter aus dem Garten. Ich fühle mich, als sei ich in eine australische Koch-Show geraten. Das Ambiente, inmitten des sommerlichen Waldes, ganz wunderbar. Kameras entdecke ich keine. So können wir genießen, was nur für uns bestimmt ist. Lebenskonzept das Wievielte? Ich weiß es nicht und spüre doch, wie sich in einem Jahr die Ideen in meinem Kopf vervielfacht haben, wie Leben leben kann.    

 

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Foto

Zeichensprache / Language of sign

06.01.2015 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

 

Mitte in den Tiefen des Dschungels stehen wir. Fünf Menschen allein. Umgeben einzig von Bäumen des Regenwaldes. Wie wir hier her gelangt sind? Schwer zu sagen. Wasserläufe durchwatet, „Klammerfürchte“, mit denen sich Wäsche aufhängen lässt, gesehen. Gräser-Enden gegessen. Buschgras brannte und gab Rauchzeichen. Wie es früher die Aborigines taten, um sich einem anderen Clan gegenüber schon von weitem anzukündigen. Selbst nach tagelangem Regen entzündet es sich schnell und gewaltig, wie ein Feuerwerkskörper. Ach ja, Regen. Heute stehen wir im Trocknen, wo vor wenigen Tagen noch das Wasser strömte. Der friedlich plätschernde kleine Fluss war angeschwollen, wie eine dicke fette Qualle. Hoch über meinem Kopf sehe ich in den Baumkronen die verfangenen Äste traurig verquer hängen. Vor Tagen noch schwammen sie munter im Wasser herum. Nun klemmen sie da oben und fragen sich, wie sie es schaffen, ihre Zweige wieder auf den Boden zu setzen. Hm, das kann dauern. Geduld. Geduld. Und Ausdauer. Die sind hier beide gefragt. Die Wege sind weit, die Wälder tief. Das Wasser mitunter hoch. Da ist es normal, für ein paar Tage bei Freunden im Busch zu bleiben, weil der Fluss gerade den Weg zum eigenen Haus abgeschnitten hat. Mut braucht es, dann der Erste zu sein, der versucht, ihn zu überwinden. Alltag in den Tropen Australiens. Ein Leben, fast wie zu Zeiten der Entdecker des Kontinents. Allein ist man hier nie. Mitunter vielleicht einsam. Doch die Tausenden von Mücken, die gierig unser Blut saugen, sind überall zur Stelle. Ein ganzes Jahr waren wir von ihnen verschont. Nun zeigen sie uns, dass sie nur gnädig mit uns waren. Doch genug ist genug. Und nun ist Schluss mit Lustig. Jetzt ist ihre Zeit. Wir hatten die Unsrige. Scheinen sie zu meinen. Die Blätter des „Eisenbaumes“ legen wir ins Feuer und lassen es ordentlich dampfen, um uns selbst im Rauch zu reinigen.

Cooktown / Australien

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Ganz nach den Bräuchen der Aborigines. Sie hüllen sich in Rauch, um alles Gewesene dem Wind zu übergeben und die Götter friedlich zu stimmen. Wir tun es ihnen gleich und steigen alle Fünf durch den Qualm. Wer weiß schon, welche Götter wie erzürnen, würden wir es unterlassen. Wollen wir doch einen heiligen Ort aufsuchen. Das braucht spezielle Vorkehrungen. Kurze Zeit später stehen wir vor einem gewaltigen Steinmassiv, mitten im Wald. Allein, wie die Steine aufgestapelt und verwunden liegen, ist nah an einem Wunder. Mehr noch, was ich später sehe. Für die Augen von uns Weißen nicht bestimmt. Stehen wir voller Demut vor den Zeichnungen der Aborigines. Kein Wegweiser führt hierher, kein Reiseführer weist darauf hin. Wir sind an einem geheimen, heiligen Ort der Ureinwohner. Die Zeichnungen aus gemahlenem gelbem, weißem und rotem Stein lassen unsere Worte versiegen. Still stehen wir davor und träumen uns in die Mitte einer Aborigine Gruppe. Was hier abging oder auch heute noch geschieht, wenn sie sich in ihrem Clan hier treffen? Dass wir hier sind, ist etwas sehr Spezielles. Wir verdanken es Robi und er verdankt es einem Aborigine Freund. Der erzählte ein wenig von diesem Ort und Robi fand ihn später, auf seinen Erkundungstrips. Nicht ohne sich zuvor dessen Erlaubnis einzuholen. Generell erzählen die Aborigines wenig über ihre Kultur. Es ist ihr ureigenes Wissen, welches uns Weiße einfach nichts angeht. Ob wir uns nun dafür interessieren oder nicht. Das ist egal. Geheimnis bleibt Geheimnis. Und irgendwie finde ich es gut wie es ist. Es zeigt mir, dass die Aborigines stolz sind, auch wenn es über sie heißt, sie haben wenig Selbstvertrauen. Worte wie „Würde“ und „Respekt“, aber auch „Traditionen seit Jahrtausenden“, gehen mir durch den Kopf. Hier in Australien leben sie nebeneinander. Manchmal miteinander. Die Menschen, die Kulturen, mit ihren so unterschiedlichen Erfahrungswelten. Wie die Holländerin und Robis Aborigine-Kollege. Wir besuchen sie nach unserem Lauf durch den Busch. Bevor die beiden ihre bunte Familie gründeten, haben die sich da alles über ihre Ahnengeschichten erzählt? Wie ein wissbegieriges Schulmädchen fühle ich mich. Würde gern pausenlos fragen. Und weiß doch, dass es hier lange braucht, bis sich Vertrauen aufbaut, welches die Zungen lockert. Ich nehme mich zurück und schaue einfach. Obwohl mir selbst das schon zu direkt erscheint. Eigenwillig, was es mit mir macht, wenn ich die Zurückhaltung des anderen spüre. Mir wird bewusst, wie direkt, fast entblößend unsere Art des aufeinander Zugehens mitunter ist. Und finde es Wunder-bar, vom Geheimnis der gezeichneten Sprache und den Kulten der Aborigines wenig zu wissen. Eine Magie geht von ihnen aus. Wenn nicht alles einfach zu entschlüsseln ist. Nicht jedes Detail bei Google nachzulesen geht. Wenn das Leben und die Menschen sich ihre Geheimnisse bewahren.  

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Paradiesisch / Heavenly

05.01.2015 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

Stehe ich hier. Laufe ich oder sitze. Eines bleibt aus jeder Perspektive gleich. Mein Eindruck, ich sei im Paradies. Was denkt sich da in meinem Kopf zusammen? Der Himmel hat sich ein Blau übergestreift, welches eine fast metallische Strahlkraft besitzt. Das Sonnenlicht ist von einer Klarheit und Intensität, die in ihrer Stärke etwas Scharfes, in jedem Falle etwas Gewaltiges mit sich führt. Die Wiesen, das Meer, die Bäume und Berge aalen sich in diesem Licht und zeigen sich von ihren vorzüglichsten Seiten. Obwohl, na klar, die Schlagschatten nicht immer schmeicheln. Doch eitel ist hier Nichts und Niemand. Die Bäume mögen es, ihre schorfigen Narben zu zeigen, ihr jahrelanges Winden zelebrieren die gedrehten Stämme mit Stolz und purer Würde. Diese unverstellte Ehrlichkeit ist es vielleicht, die mich als Paradies wahrnehmen lässt, was mich umgibt. „In höchstem Maße erfreulich, Wohlbehagen hervorrufend, herrlich, himmlisch, wunderbar.“ Lese ich über das, was man in höheren Sphären als „Paradies“ bezeichnet. Pa/ra/die/sisch. Als, für uns Menschen unzugänglich wird es auch beschrieben. Wohl, um uns der Illusion der Vollkommenheit nicht zu berauben. Und wir? Wir sind einfach hinein gelaufen. Ohne zu wissen, dass es nicht zu betreten sei. Nun stehen wir hier. Und wie geht es weiter? Ist es unser Job die Illusion aufrecht zu erhalten, dass es einen Ort gäbe, der von Vollkommenheit nur so strotzt? Oder dürfen wir davon berichten, dass es wenig Wohltuenderes für meine Augen gibt, als hier in den Himmel zu sehen. Mein Blick dabei unverstellt geradeaus führt. Maximal gebrochen von einem lichtdurchfluteten Bananenstaudenblatt. Dass meine Haut sich wohlfühlt, so viele Vitamine dem Licht zu entnehmen, wie sie nur gerade lustig ist? Doch ich dabei unentwegt von Mücken gestochen werde, die sich nun hier, in der Regenzeit, munter in allen Größen und Formen vermehren. Bevor die kleine Emma im Sandkasten spielen kann, ein Skorpion von den Sandförmchen verjagt werden muss. Oder eine stattliche Spinne aus dem Kinderwagen gebeten werden möchte, um das Kindchen Platz nehmen zu lassen. Das Stehen am Ufer nicht übertrieben werden sollte, um die Krokodile nicht gar zu optimistisch zu stimmen. Was ihr Hoffen angeht, in mir fette Beute zu sehen. Mein Körper juckt in diesen Tagen von den Insektenstichen fast unentwegt. Ich übe mich in innerer Ruhe. Lasse das Jucken jucken und halte meine Hände still. Und bin froh, dass das Paradies etwas vollkommen Irdisches an sich hat. Ying und Yan auch hier. Die Zwei Seiten, die das Ganze erst rund und ausgewogen machen. Mein Gedanke des Tages. Das Perfekte braucht seine schattige Seite. Wie wohltuend normal. Das Paradies.      

Cooktown / Australien

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Von Beginn an / From beginning

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Von Beginn an / From beginning

04.01.2015 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

 

„Ab Origine“, „Von Beginn an da“, meint in seiner Übersetzung „Ureinwohner“. Ursprünglich war es eine Bezeichnung für die frühen Bewohner der Landschaft Latium, heute Lazio, rund um die Hauptstadt Rom, in Italien. Im Jahr 1803 verwendete man den Begriff erstmalig speziell zur Benennung der australischen Ureinwohner. Um 1788, der Zeit vor der Besiedelung des australischen Kontinents, sprachen unterschiedliche Quellen von 400 bis 700 Stämmen an Ureinwohnern, die Australien bevölkerten. Vor 40.000 bis 60.000 Jahren besiedelten sie, von Norden kommend, den Kontinent. Ihre Zahl maß zur Zeit der ersten britischen Besiedelung 1.000.000 bis 300.000. Wenige Jahre später, um 1920 war auf Grund von eingeschleppten Krankheiten und kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Besiedlern, ihre Zahl auf 60.000 gesunken. Heute leben rund 460.000 Aborigines in Australien, allerdings drei Viertel von ihnen in Städten, mit einer, an die westliche Welt, angepassten Lebensweise. Im nördlichen Australien, vor allem im „Northern Territory“ und dem nördlichen Zipfel Queenslands, auf der Halbinsel Cap York, leben die Nachfahren der Ureinwohner mehr oder weniger in der Natur, nach den Traditionen ihrer Ahnen als Jäger, Sammler und Fischer. Australien kommt mir, wenn ich auf die Karte schaue, vor, wie ein Kontinent mit zweifachem Boden. Einer Parallelwelt oder einem Doppelleben. Den sieben Bundesstaaten der Neuzeit stehen hunderte von Clans gegenüber, die die Karte weitaus bunter erscheinen lassen. Allein auf Cap York leben zweiunddreißig verschiedene Clans oder Stammesfamilien. Sie alle haben ihre individuelle Kultur, meist auch eigene Sprache. Mit den Aborigines in Kontakt zu kommen ist nicht leicht. Je traditioneller sie noch leben, umso zurückhaltender geben sie sich. Mit einem Lächeln, um miteinander in Kontakt zu kommen, wie es mir in den letzten Monaten oft gelang, ist es hier nicht getan.

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Kati kennt das ausgiebig von ihrer Arbeit als Ärztin. Sie ist hier im hohen Norden vor allem eingesetzt, um die Ureinwohner medizinisch zu versorgen. Monatelange Kontakte sind oft notwendig, um minimale Pfade des Öffnens betreten zu können. Drei Monate, erzählt sie uns, dauert es manchmal, bis ihr ein Aborigine in die Augen schaut. Obwohl sie sich in der Zwischenzeit immer wieder begegnen. Robi arbeitet in seinem Job als Ranger häufig mit ihnen zusammen. Tagelang sind sie dann mitunter als Teams in der Wildnis unterwegs. Auf diese Weise kommen sie sich näher, so dass sich über das Leben draußen wechselseitiges Vertrauen aufbaut. Manchmal, und sehr zaghaft, erzählen sie ihm Details ihres Wissens der alten Traditionen. Es geht dann um Jagdmethoden, Essgewohnheiten, Lebensweisen und Kulte. Ein unglaublich weites und spannendes Feld. Wissen, welches sie, vom Prinzip her, lieber für sich behalten, da es uns Weiße in ihren Augen nichts angeht. Vor Jahren, als wir im Süden Australiens unterwegs waren, hatte ich den Eindruck, dass die ursprünglichen Kulturen so gut wie gänzlich abhanden gekommen wären. Sah ich Aborigines, waren sie entweder komplett im westlichen Leben assimiliert, und saßen zum Einen als Beamte am Postschalter, oder ich sah sie in Gruppen zusammen hockend und Mengen an Alkohol trinken. Beispiele ihrer kunsthandwerklichen Tradition konnte ich nur im Museum betrachten. Nichts davon war im Alltagsleben für mich sichtbar. Hier im Norden habe ich das Gefühl, dass von der Ursprünglichkeit mehr erhalten geblieben ist. Ob ich ihnen eventuell auch ein wenig näher kommen kann, werden die nächsten Tage zeigen. Doch allein die Möglichkeit finde ich spannend und schenkt mir das wohlige Gefühl, weiter auf Reisen zu sein. Vom gefundene Anker James Cooks im Jahr 1971 erfahren wir im Museum. Und dass 18.000 Chinesen zur Zeit des Goldes in der Gegend lebten. Die Europäer seien mal hier und mal da auf Suche gegangen. Die Chinesen hingegen bildeten Gruppen und durchforsteten die Gebiete erfolgreich auf das Genaueste. Sehen kann man von ihnen, außer im Museum, auf dem Friedhof, und einem Denkmal im Städtchen, nichts mehr. Die Leben kommen, die Leben gehen. Wir erzählen uns Geschichten über Vergangenes und Brandaktuelles. Mehr als passend finde ich es, bei unseren Freunden, und mit ihrer Hilfe, an einem historisch so bewegten Ort, verweilen zu dürfen und von den Ursprüngen des Kontinents Duftspuren aufnehmen zu können. Von Beginn an.... Eine Satzkonstruktion, die für so Vieles stehen kann. Fangen wir einfach an, mit dem Beginnen.          

Mount Cook / Mount Cook

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Mount Cook / Mount Cook

03.01.2015 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

Mir wummern die Beine. Ich spüre jede Sehne in meinem Körper. Meine Güte. Wir sind heute gelaufen. Doch nicht unendlich weit und hoch. 431 Meter misst der Mount Cook vom Meer-Level aus. Jetzt nicht DIE unglaubliche Erhöhung, möchte man meinen. Doch ne harte Nuss, die geknackt werden will, wenn man bei 92 % Luftfeuchte und 34 Grad meint, heute körperlich aktiv werden zu wollen. Nass sind wir, von oben bis unten, von innen und außen. Vom Schwitzen und dem sturzartigen Regen. Melonenrot leuchten unsere Köpfe durch das Grün des Regenwaldes. Ein prima Kontrast, jetzt zu Beginn der Regenzeit. In der, wie in unserem Frühling, die Bäume neu ausschlagen. Die Blüten üben sich noch in vornehmer Zurückhaltung. Robi ist Ranger. Einer, der nach nem Zyklon die Bäume von den Wegen sägt. Die Pflanzen- und Tierwelt schützt, die ursprünglich den Norden Australiens bewohnte. Er kennt sich aus. Er liebt es draußen zu sein. Ist im Gelände unterwegs. Das ist sein Lebenselixier. Wir schlürfen ein paar volle Schlucke davon, indem wir mit ihm durch die Büsche streifen. Robi bleibt stehen, erklärt, erzählt. Wir stehen daneben, wie ungehorsame Schüler. Zappeln als schuhplattlernde Clowns die ganze Zeit umher, weil uns die Mücken piesacken, und schenken ihm trotzdem weiter unsere offenen Ohren. Manchmal verstehen wir schlechter, weil der Regen so laut klatscht. Doch unterstellen ist zwecklos. Was nass ist, wird auch wieder trocken. Es sind ja keine 5 Grad, wie wir uns das in Deutschland bei Regen vorstellen. Wir sehen den „Oster-Baum“, der im September gelbe Blüten trägt, als sei es eine Forsythie. Behangen mit grünen, ovalen Früchten. Kann also nur der Ostereierbaum sein, der eigentlich „Kapokbaum“ heißt. Was sonst. Öffnen sich die Früchte später, kommt ein baumwollähnliches, Wasser abweisendes, Gewöll zum Vorschein. Geeignet, um damit seine Kissen zu stopfen. Da den Fasern die ewige Feuchtigkeit nichts ausmacht. Die Pflanze weiß eben, warum sie in den Tropen wächst.

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Die Aborigines konnten in ihren Frühzeiten spinnen. Ob sie auch diese Naturfasern verwendet haben? Bestimmt. Oder sind sie bei Haaren, als Flechtmaterial geblieben? Auf alle Fälle stellten sie selbst Gürtel aus gesponnenen und gewebten Materialen her, wie Robi erzählt. Eine Pause legen wir in „Robi’s Rest“ ein. Ein Wanderhütte, welche er mit seiner eigenen Hände Arbeit mühsam aufgebaut hat. Hier oben liefert kein Lastwagen das Baumaterial. Das wirft auch kein Helikopter im dichten Regenwald ab. Er musste jeden Sack Zement, jeden T-Träger und jedes Stück Holz mit einer kettengetriebenen Eisenkarre zwei Kilometer weit bergauf ins steinige Gelände befördern. Ein Knochenjob im Paradies.  Nach Stunden des Laufens am lichten Gipfel angekommen, holen wir unsere Belohnung vom Überraschungsschalter ab. Eine Aussicht, die uns Glauben macht, James Cook entstiege gerade seines Schiffes, der „Endeavour“. Doch lernen wir, dass der Fluss bei den Aborigines nicht „Endeavour River“ heißt, wie er 1770 von James Cook benannt wurde, sondern „Wahalumbaal birri“. Und er nicht durch Erosion oder Überflutung entstand, sondern eine Python Schlange am Werk war. Sie schlängelte sich vom Norden her kommend durch das Tal in Richtung Great Barrier Reef und formte mit ihrem Körper das Bett des Flusses. Der aus genau diesem Grund eine so verschlungene und gewundene Form erhielt. Frisch geduscht genießen wir Fünf den sommerschwülen Abend. Unsere Hände angeln nach Mango Stückchen. Die Beine sind zur Entspannung hoch gelegt. Wir fühlen uns, als hätten wir den großen gleichnamigen Bruder „Mount Cook“ in Neuseeland bestiegen. Der mit 3.724 Metern Höhe ja nur unerheblich höher gewesen wäre. Der höchste Berg Neuseelands ist ohnehin am Schrumpfen. Auf Grund eines massiven Felsabsturzes im Jahr 1991, dem 14 Millionen Kubikmeter Bergmassiv zum Opfer fielen. Seitdem nennt der Berg 30 Meter weniger an Höhe sein Eigen.

Schlammspuren / Traces of mud

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Schlammspuren / Traces of mud

02.01.2015 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

Fast unbemerkt hat er sich zu uns geschlichen. Der zweite Tag des neuen Jahres. Dem Ersten haben wir, unbewusst, keinen besonderen Stellenwert eingeräumt. Wer sagt denn auch, wann etwas ein Ende findet und wann genau etwas Neues beginnt? Kann das nicht an jedem Tag sein? Zu jeder beliebigen Stunde? Und sind es nicht die eher unbeobachteten Momente, die sich zu Besonderem entpuppen? Ich weiß es noch genau. Vor einem Jahr lief ich, mit Herzklopfen, über den Strand Griechenlands, als betrete ich Neuland. In weißen Schuhen auf einem weißen Karton. Alles lag jungfräulich vor mir. Das neue Jahr, die große Reise, die Abenteuer, die auf uns warteten. Nichts von alledem konnten wir damals schon sehen. Wir hatten Respekt davor, und blieben in unseren blitzblanken Hauspuschen vor der Fläche stehen, als würden wir sie zerstören, beträten wir sie. „Die Angst vorm weißen Blatt“. Maler sollen sie kennen, Schriftsteller und Reisende offensichtlich auch. Die Reinheit wirkt unantastbar. Als stünde ein „Betreten verboten“ Schild davor. Heute weiß ich, dass ich selbst es war, die mir das Schild vor die Nase hielt. Ich war es, die den Respekt vor dem Neubeginn hatte. Ich selbst wollte, dass das Blatt weiß bliebe. Damals am Strand in Griechenland. Mit meinen sorgsam gesetzten Schritten. Denen ich nicht zutraute, dass es die ab jetzt täglich geben sollte. Läufe, Spaziergänge, Wanderungen. Einfach so. Egal ob Montag, Mittwoch oder Sonntag. Ganz anders in diesem Jahr. Ich brauchte diese mentale Mauer nicht und die übergroße Vorsicht auch nicht. Etwas ist ganz entschieden gewandelt. Wir fühlen uns mittendrin in unseren Leben. Führen weiter, was wir begannen und beginnen zur gleichen Zeit Neues. Die Selbstverständlichkeit ist dabei ein herrliches Gefühl für mich. Kein Stoppen vor irgendwelchen Flächen, die sich „neues Jahr“ nennen. Eher zieht es mich, in meinen australischen Arbeitsschuhen, mit sattem Profil voller Regenzeit-Schlamm, ordentlich auf dem Weiß herumzutreten, zu rutschen und dabei Schliere zu ziehen.

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Auf dass ich selbst den Respekt davor verliere. Heute die Schlammschicht des australischen Sandbodens, morgen vielleicht das Salzwasser des Ozeans. Was weiß ich. Das Blatt ist zum Leben da. Genau wie das Jahr. Ich ziehe nicht diesen einen Tag heraus, als gebühre ihm ganz Spezielles. Ich finde, das sollten wir jedem einzelnen Tag zustehen. Denn jeder Morgen ist neu. Und jeder Tag hat die Chance ein ganz Besonderer in unserem Leben zu werden. Auch wenn wir es in dem betreffenden Augenblick meist nicht wahrnehmen, dass genau jetzt eine Zeitenwende einsetzt, eine neue Qualität Einzug bei uns hält. So bin ich nicht extrem traurig, dass unsere Reise endet. So bin ich nicht überglücklich, dass ein neues Jahr beginnt. Das, was die Reise mit uns machte wird sich erst zeigen, wenn wir schon lange mitten im dem, heute noch neuen, Jahr stecken. Wir setzen wild Abdrücke auf das weiße Papier. So wie einst die ersten Siedler Eisenbahnlinien quer durch Australien bauten. Sie hinterließen ihre Abdrücke in dem australischen Sand. Wie auch die Chinesen, die lange Handel und Garküchen im Norden Australiens betrieben. Geblieben sind ihre Gräber, mit Namen und Daten ihrer Leben. Nehmen wir Menschen uns einfach nicht ganz so wichtig. Wir kommen, sind da und gehen auch wieder. Setzen Spuren, wohin auch immer, feiern, wenn uns gerade so ist. Manchmal eben auch den Beginn eines neuen Jahres.     

 

Kochen in Cooktown / Cooking in Cooktown

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Kochen in Cooktown / Cooking in Cooktown

01.01.2015 Cooktown / Australien / S15°28’10.4“ E145°15’23.1“

Wir sind in Cooktown. Hoch oben im östlichen Norden Australiens. Auf der Kap-York-Halbinsel. Mit seinen 1.600 Bewohnern im Ort und etwa 4.000 im Umland, ist Cooktown die nördlichste Stadt der australischen Ostküste. Nach Cairns, der 134.000 Menschen zählenden Stadt, ist man vier Stunden mit dem Auto durch den Dschungel, auf einer inzwischen guten Straße, unterwegs. Bis vor nicht allzu langer Zeit, lies sich der Ort nur per Allrad getriebenem Geländewagen, per kleinem Flieger, oder einem Schiff erreichen. 1770 landete James Cook mit seinem Schiff, der „Endeavour“ hier oben. Es war am Great Barrier Reef leck geschlagen und musste repariert werden. Die Bedingungen zum Anlanden waren an der Mündung, des später nach dem Schiff benannten Flusses, „Endeavour River“ optimal. Zwei Monate verbrachten James Cook und seine Besatzung in der Gegend, um sein Schiff, für die Weiterreise, wieder flott zu machen. Ungefähr Einhundertzehn Jahre später entdeckten findige Leute in der Gegend Gold. Es sollte sich als das größte Goldvorkommen des Bundesstaates Queensland herausstellen. Und zog folglich massenhaft Goldsucher, darunter viele Chinesen, an. Dreißigtausend Mann lebten in diesen Tagen in Zelten. Aus denen sich bald eine Stadt entwickelte. „Cook’s Town“ nannten die Leute den Platz, der später den Stadtnamen „Cooktown“ erhielt. Heute spüre ich von diesem einstigen Trubel nichts mehr hier. Ein Denkmal, für den das Land betretenden James Cook, und ein Museum sind alles, was mir bisher, die Vergangenheit betreffend, ins Auge fiel.Doch das stört mich nicht. Es ist geradezu traumhaft, mich selbst in diesem Zipfel des riesengroßen Landes, ja Kontinents zu wissen. Wie ein Schlupfwinkel kommt er mir vor. Wenige Leute begegnen einem hier. Und wenn, dann kennen sie einander. Es hat etwas von einer Kommune. Man ist hier oben in der Krankenstation angestellt, wie Kati, oder Rancher, wie Robi. Eine Familie führt die Post.

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Eine andere kümmert sich um den kleinen Flugplatz. Bin ich hier, kommt es mir vor, als lebten wir noch immer in den Zeiten der Neusiedler. Möchte hier jemand sesshaft werden, muss er sehen, wozu er gebraucht werden könnte. Fischen, geht allemal. Wir zwei sind heute allein Hüter des Häschens, mitten im Dschungel. Zum Frühstück kommt eine Kängurumutter mit ihrem Jungen vorbei. Sie leben gleich hinter dem Haus im Wald. Haustiere quasi. Ein wilder Truthahn raschelt stundenlang im trocknen Laub. Käfer, von der Größe einer Streichholzschachtel, kommen vorbeigebrummt. Wir sitzen zwischen Bananenpflanzen, Papayas und den stärksten Überresten an Dschungelbäumen, die der Zyklon vor zwei Jahren nicht umhauen konnte. Kein Blatt war mehr an den Bäumen, kleinere Äste gab es nicht mehr. Noch heute kann ich sehen, wie sich aus dicken Stämmen allmählich neue dünne Äste hervor wagen. Robi und Kati überstanden den Zyklon in einem gemauerten Haus. Mit den Köpfen unter Matratzen. Ein Vorsichtsmaßnahme, die helfen sollte, weiter Atemraum zu haben, falls das Haus über ihnen einstürzen sollte. Sie kamen mit einem riesengroßen Schrecken davon, als sie nach Stunden des D-Zug lauten Fauchens ans Tageslicht zurückkehrten. Die Straßen, meterhoch voll Laub und umgerissener Bäume. Der Ort, ein Platz der Geister. So nah liegen das Paradies und der Abgrund beieinander. Sie sind ein und dasselbe. Zweimal ein Augenaufschlag. Der wie auf einer Kindermaltafel mit jedem darüber wischen, das vorhergehende Bild auslöscht und Platz für ein Neues schafft. Mal hell, ein andermal  düster. Leben, wo das Paradies wohnt, hat trotzdem seinen Alltag. Robi ist dabei, Kati und die kleine Tochter Emma aus Cairns abzuholen. Ein Tagesjob. Vierstunden hin und auch wieder zurück. Blöd, wenn einem dann auf halbem Wege einfällt, dass man Butter vergessen hat, einzukaufen. Nein, ganz so dramatisch ist es nicht. Cooktown hat seinen eigenen Supermarkt. Doch für die meisten Besorgungen ist tatsächlich Cairns der nächste Anlaufpunkt. Wir beschließen zu kochen. Und zwar das, wonach meine Geschmacksknospen seit Wochen ihre Fühler ausstrecken. Selbst gemachte Thüringer Klöße. Schmorkraut, nach dem ostpreußischen Rezept meines Vaters. Dazu einen Truthahn, von Robi erjagt. Für mich eine Prämiere. Als Kind sehe ich mich an der Schleuder meiner Oma stehen, wie sie dabei ist, die geriebenen Kartoffeln auszuschleudern, um Wasser und Stärke aufzufangen. Ich selbst habe bisher immer den Weg in den Supermarkt gewählt, und die Fertigmasse in meinen Korb gelegt. Neun Zeitzonen weit ist der Markt gerade. Die super Gelegenheit, die ersten Klöße meines Lebens selbst zu kreieren. Schmorkraut, damit kenne ich mich aus. Meine Leibspeise, wenn die Winterzeit naht. Und auch große Vögel habe ich des Öfteren als Genusswunder auf den Tisch gebracht. Also einen Tag lang schälen, schaben, marinieren, füllen, würzen, schneiden, anbraten, ausdrücken, umrühren, kochen, braten, wenden, befeuchten, andicken, abschmecken, ziehen lassen. Und dann: Tatatata, das Gelage ist angerichtet, die Drei kommen müde von ihrer langen Tour. Optimales Timing. Zu Fünft inmitten des Dschungelkonzerts der Dunkelheit. Was für eine Geräuschkulisse, für unser gemeinsames Mahl. Das Erste im neuen Jahr. 

Ich schreibe einfach mal auf, wie wir unser Essen zubereitet haben.

 

Der Truthahn

 

Zutaten:

1 Wildtruthahn (gern auch eine Flugente), 500ml Geflügelfond, 4-5 kg, 4 Äpfel, eine Hand voll Rosinen, Salz, Pfeffer, Majoran, Orangenmarmelade, Öl, Mehl oder Soßenbinder

 

Das ausgenommene Geflügel kalt abwaschen und abtrocken. Bevor es von innen und außen reichlich mit Salz und Majoran eingerieben wird.

2 Äpfel entkernen und vierteln, und mit den Rosinen in den Körper stecken.

Eine Bratenpfanne einölen und erhitzen. Da hinein das Geflügel, die kompletten 3 Äpfel, die restlichen Rosinen und ein klein wenig kochendes Wasser in die Pfanne geben, mit dem Deckel verschließen, und in die auf 250 Grad erhitzte Backröhre schieben.

Für 1 Stunde anbraten lassen. Anschließend die Temperatur auf 150 Grad reduzieren und für 4 Stunden langsam weiter braten. Dabei jede Stunde einmal die Pfanne öffnen, anfangs kochendes Wasser, später den aufgefangenen Bratensud über das Fleisch geben. Vor der letzten Stunde eine Orangenmarmelade-Wasser Mischung anrühren und löffelweise über das Geflügel geben. Sollte das Fleisch noch nicht kross genug erscheinen, den Deckel abnehmen und offen weiter braten.

Das Fleisch aus der Pfanne nehmen und auf eine Bratenplatte legen. Die Äpfel und Rosinen drum herum legen.

Den Bratfond durch ein Sieb in einen Topf geben und auf den Herd stellen. Geflügelfond dazu geben und aufkochen. Mit Mehl ein wenig andicken und mit Salz und Zucker abschmecken.

In eine Soßenschale geben und mit dem Fleisch auf den Tisch damit.    

 

 

Das Schmorkraut

Zutaten:

1 mittelgroßer Kopf Weißkraut, 3-4 Äpfel, 200 Gramm Bauchspeck, 4 Esslöffel Zucker, 1 Brühwürfel, Salz

 

Das Weißkraut in feine Streifen schneiden, und in kochendem Salzwasser fünf Minuten anköcheln lassen.

Die Äpfel entkernen und vierteln.

Den Bauchspeck in Streifen schneiden, ausbraten und zur Seite stellen.

Einen großen Topf auf den Herd stellen, erhitzen und den Zucker hinein geben. So lange auf der Hitze rühren, bis der Zucker karamellisiert und braun ist.

Anschließend sofort mit etwas Wasser ablöschen, damit der Zucker nicht verbrennt.

Das angebrühte Weißkraut mit einem Schöpflöffel in den Topf geben. Es sollte genügend Flüssigkeit mitkommen, so dass das Kraut nicht anbrennt, sondern schmoren kann.

Die Apfelviertel, Brühwürfel und den Bauchspeck zugeben.

Alles zum Kochen bringen und anschließend für drei Stunden auf kleiner Flamme, mit Deckel, vor sich hin köcheln lassen. Dabei immer wieder umrühren.

Am Ende eventuell mit etwas Salz und /oder Zucker nachwürzen, in eine Schüssel geben und servieren.

 

Die Klöße

Zutaten:

2kg Kartoffeln, Salz, Kartoffelstärke, getoastetes Weißbrot

Die Kartoffeln schälen.

 

2/3 fein schaben, in ein Tuch geben und eng verzwirbeln, um das Wasser und die Stärke herauszupressen. Das Stärkewasser auffangen. Warten, bis sich die Stärke abgesetzt hat. Wasser abgießen, Stärke trocknen lassen. Um sie später zu nutzen.

1/3 der Kartoffeln in Salzwasser garen und zu einem Wasser-Kartoffelbrei verarbeiten.

Anschließend beide Teile an Kartoffeln zusammen bringen, salzen, die gewonnene Stärke unterheben und gut vermengen. Bei Bedarf separate Stärke zugeben, falls der Brei zu flüssig erscheint.

Die getoastete Scheibe des Weißbrots in kleine Würfel schneiden.

Topf mit Salzwasser zum Kochen bringen.

Mit nassen Händen angenehm große Klöße formen. In die Mitte zwei getoastete Würfel einbetten.

Die Klöße in das heiße Salzwasser geben. Kurz aufkochen und anschließend 15 Minuten auf kleiner Flamme ziehen lassen.

Anschließend herausnehmen und frisch servieren.

Paradies zu kaufen / Paradise for sale

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Paradies zu kaufen / Paradise for sale

31.12.2015 Cooktown / Australien / N15°28’10.3“ E145°15’23.1“

Reden was das Zeug hält. Ohne Punkt und Komma. Stunden lang. Ein erster Kaffee zu Sonnenaufgang. Dazu ne Geschichte als Sahnetupfer. Das späte Frühstück. Breit ausgerollt, wie ein gut gegangener Hefeteig. Immer wieder walzen wir über das klebrige Etwas und holen bei jedem Anlauf gut zehn Zentimeter an Erinnerung heraus. Ein Wasser hier, eine Mini-Episode dort. Die Sonne steigt hoch und höher. Auf Zehnspitzen steht sie und ringt um unsere Aufmerksamkeit. Doch. Sorry. Wir bemerken sie kaum. Weben sie als lichtes Beiwerk in unser Zuhören ein. Seit Monaten ist sie, wie selbstverständlich, bei uns. Doch Pustekuchen. In spätestens zwei Wochen hüpft ein anderer Wetterfrosch um uns herum. Der mit schweren Schuhen am Sprunggelenk und fetter Stepp-Jacke, über den Rücken geworfen. Der quakt was von mitteleuropäischem Januarwetter. Da ist Schluss mit lieblichem Froschkonzert zur lauen Mondscheinnacht. Dann ist Husten die Melodie zu Mitternacht. Doch, alles Schnee von morgen... Heute ist, was wir daraus machen. Wie der Nachmittag sich so plötzlich heran geschlichen haben kann, ist mir ein Rätsel. Gut. Setzt er sich eben und hört einfach zu. Wie viele Worte haben wir in uns? Wie geht es, dass wir manchmal sprudeln als habe jemand den Hahn zum Mittelpunkt der Erde geöffnet? Und dann wieder stumm sind, als wäre da niemals etwas gewesen. Ich liebe die Resonanz des tatsächlichen Miteinanders. Wir drei werfen uns die Bälle zu. Bei denen ein Gedanke den nächsten ins Rennen schickt. Als überreichten wir uns einen Staffelstab mit Flügeln. Ist Erzählen Verarbeiten? Ist Zuhören Verstehen? Wie stark modelliert unser unbewusstes Interpretieren das Erlebte? Alles ganz egal. Was Freude macht, dem gebe ich Recht. Zur Abwechslung, Beine vertreten auf Nachbars Grundstück. Zwei Hügel weiter. Hier im Dschungel Cooktowns eine lautstarke Angelegenheit. Nicht nur die vier munter barfuß durchs Haus rennenden Nachbarskinder zeigen Stimme.

Cooktown / Australien

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Da mischen sich nie gehörte Vogellaute mit ein. So tief und kehlig, als sei der Vogel zur Stimme mindestens einen Meter hoch. Und hat dann doch nur Amselgröße. Ein Grundstück ist hier, was bei uns einen ganzen Wald benennt. So wild und unberührt. Ein Kinderparadies. Nicht nur für Kinder. Immer wieder stoße ich mit meiner Nase auf Lebenskonzepte, die sich von denen in Deutschland auf das Äußerste unterscheiden. Ich fasse mal hier an, berühre dort. Setze mich daneben oder auch einfach darauf. Vielleicht färbt was ab. Wie eine bestäubte Blüte, die ich an mir trage, um sie zu Hause neu zu verpflanzen. Einkaufen für den Abend. Auch Profanes muss sein. Eine Keule Robis selbst gejagten Kängurus will ich in Rotweinsoße zum Schwimmen bringen. Ein paar Zutaten in den Korb gelegt, und fertig ist das Silvester-Shopping. „Silvester“, was heißt das eigentlich? Weiß ich nicht. Will ich nachsehen. „Silvester“ bedeutet „Waldmensch“. Doch das kann nicht die Erklärung sein, warum wir den Abend des Alten und beginnenden Morgen des Neuen Jahres so nennen. Papst Silvester I. war der Namensgeber für unser Feiern. Er verstarb am 31. Dezember des Jahres 335. Die gregorianische Kalenderreform verlegte 1582 den letzten Tag des alten Jahres vom 24. auf den 31. Dezember. Und nutzte den Namenstag „Silvester“ zur Benennung unserer Wechselzeremonie.In diesem altehrwürdigen Sinne verspeisen wir zu Dritt unseren auf das Köstlichste gelungenen Kängurubraten, entzünden die eine und andere Wunderkerze. Freuen uns über das Lachen in unseren eigenen Gesichtern. Erinnern uns gleichfalls an unser frierenden Körper von vor einem Jahr. Zähne klappernd wünschten wir uns von Handschuh zu Pudelmütze nuschelnd, an einem windig, eisigen Strand in Griechenland, ein gutes neues Jahr. Gelacht habe ich damals nicht. Zu ungewiss war mir, was kommen würde. Genau so wenig weiß ich heute, was vor mir liegt. Doch unterwegs habe ich verstanden, was „sich einlassen“ heißt. So ist die Angst ausgeflogen und macht der prallen Zuversicht reichlich Platz.Ich will das Paradies nicht kaufen. Doch zu wissen wo es wohnt, ist toll. Oder wohnt es längst in mir zur Untermiete und ich brauche nur ab und an mal am Vorhang zu wackeln?
2016. Ich freue mich auf dich.

Ist das Relativität? / Is this Relativity?

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Ist das Relativität? / Is this Relativity?

30.12.2015 Cooktown / Australien / N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

Vor zwei Tagen losgeflogen. Und schon da. Was sind zwei Tage in einem ganzen Jahr? Was sind achtundvierzig Stunden, wenn wir doch dabei die Kontinente wechselten? Wir Menschen sind an Tempo gewöhnt. Gerade beim Fliegen. Zivilisiertes Leben scheint immer auch schnelles Leben zu sein. Dabei kann es uns derzeit nicht langsam genug gehen. Wir genießen die Verschnaufpausen. Die Lücken, die wir mit Erzählen ausfüllen. Ein Tag in Cairns. Zum Schlendern durch die Pfützen. Regenzeit in Queensland. Das hat etwas von einem verschlafenen Sonntagnachmittag mitten in der Woche. Von Betriebsamkeit, keine Spur. Da ein Mann, der im Café sitzt, und liest. Dort eine Familie beim Picknick am Meer. Schwere Allrad-Pick-ups bevölkern gemütlich die breiten Straßen. Motorboote verlassen den Hafen. Andere kommen von einem kurzen Trip zurück. Unsere kleine Maschine hebt ab. Zwölf Leute sitzen darin. Mehr passen auch nicht rein. Es geht an der Küste entlang gen Norden nach Cooktown. Wie auf großer Expedition fühlen wir uns. Im Postflieger an den Nordpol. Ganz so weit ist es dann nicht und ganz so kalt auch nicht. Doch ein Endzipfel der Welt scheint es trotzdem zu sein. Mit genauen Instruktionen im Kopf, zur Wahl unserer Sitze, für eine gute Sicht auf Riff, die Wälder und Flüsse, bestiegen wir unseren Papierflieger. Leider heute alles egal. Rechts genau so viele Wolken wie links. Wir versinken in einem weißen Bett scheinbaren Nichts und kriechen erst wieder darunter hervor, als unser „Hinterland“ Maschine zur Landung ansetzt. Auch schön. Ohne viele Wackler vom Schwebebalken gesprungen. Das ist jetzt acht Stunden her. Stunden, in denen wir nichts anderes taten als zuhören und reden. Die Nacht brach herein, der Regen hüllt uns in eine glitzernde Decke in Mitten des Dschungels. Die Vögel der Dunkelheit gaben ihre Kommentare zu unseren Geschichten ab. Genau wie die Frösche und zirpenden Gekkos. Zwei Jahre waren wir nicht hier. Zeit, die uns vorkommt, als sei es gestern gewesen. Hätte sich da nicht der Traum einer langen Reise dazwischen gemogelt. Merkwürdig, dieses Phänomen der gedehnten und geschrumpften Zeit in ein und demselben Moment. Was ist das und wie kann das gehen? Lieber Herr Einstein, hast Du darauf ne Antwort parat?
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Cooktown / Australien

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Schlussdreisprung / Three jumps

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Schlussdreisprung / Three jumps

29.12.2015 Cairns / Australien / N11°37’14.5“ E104°55’31.1“

Im Taxi geht es durch Phnom Penh. Was für ein verändertes Gefühl. Wie Zuschauer in einem Massenspektakel werden wir durch die Gegend gefahren. Eine schöne Idee. Die sich da der Regisseur unserer Reise wieder einmal ausgedacht hat. Wir sitzen nicht als Zuschauer an einem festen Platz im Raum, sondern werden von Aktion zu Schauplatz gefahren, und sind somit ein Teil der Inszenierung. Und doch fühlen wir uns ein wenig, als schauten wir durch eine undurchdringbare Membran. Eben Zu-Schauer statt Mit-Akteur. Es hat etwas Entspanntes, nicht auf jedes Moped Acht geben zu müssen. Nicht jeden mobilen Verkaufsstand im Auge zu behalten, wenn er heran gerollt kommt. Wir sehen Szenen, die wir sonst aus dem Blick verlieren. In unserer Konzentration auf das lebhafte Treiben um Leo herum. Und doch fehlt uns die Direktheit, mit herunter gelassenen Scheiben und dem Hupen, Winken und Zulachen ganz nah an den Menschen zu sein. Es strengt an, hoch konzentriert den Leo durch das Gewimmel zu lotsen. Doch es ist uns lieb gewordener Alltag. GEWESEN. Wie wir bedauernd feststellen. Sei es drum. Irgendwann hat alles ein Ende. Um anderem Raum zu geben. Wir wollen nicht schon wieder mit dem Festhalten beginnen. Haben wir uns doch ein Jahr lang im Loslassen geübt. War ne hammer-harte, wunder-volle, be-zaubernde, un-vergessliche Zeit. Den Stellenwert können wir jetzt nicht erkennen. Maximal erahnen. Es war etwas Großes. Es war für uns etwas Einmaliges. Es hat uns verändert und stärker zu dem gemacht, die wir sind. Uns prägnantere Konturen gegeben. Ich verbeuge mich tief vor meinem eigenen Leben. Und doch gelingt mir das Beugen nicht in der Tiefe, wie es mir lieb wäre es zu tun. Ich meine, ab jetzt keines Geschenkes mehr würdig zu sein. Denn das Allergrößte wurde mir mit unserer Reise übergeben. Ich habe es erst verschlossen bei mir getragen. Fürchtete mich vor dem Öffnen. Versuchte mich zaghaft daran, das Schleifenband zu lösen. Lies mir Zeit damit. Das Papier war voller bunter Pfeile und Punkte und Kringel. Wo sie mich hinführen mochten? Ich wollte es anfangs kaum wissen. Legte meine Hände nicht an. 

Cairns/ Australien

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Doch der Schnee weichte das Papier auf, der Regen lies den Karton zu Brei werden und auseinanderfallen. Ganz schön störrisch gab ich mich. Und gestand mir nur nach und nach ein, Gefallen zu finden, am Nachsehen. Was verbirgt sich im Karton? Beim Fragen bemerkte ich nicht, dass sich das Geschenk schon lange selbst ausgepackt hatte. Ich es bei mir trug, ohne es zu spüren. Es war ein Sonderbares. Keines zum Anfassen, Anziehen oder Aufessen. Es war um mich herum und in mir drin, sichtbar und unsichtbar zur gleichen Zeit. Leben, mein Dank ist grenzenlos. Das sage ich Undankbare, die es zu Beginn kaum annehmen wollte. Es wird ausgeladen. Die Fahrt im Taxi ist vorbei. Das Theaterspektakel wechselt die Kulisse. Drehbühne. Zweiter Teil. Flughafenszene. Leute rennen hin und her. Lautsprecheransagen tönen Unverständlichkeiten. Kein Mensch scheint sie zu verstehen. Zumindest verändert niemand auch nur das Geringste an seiner Mimik, dem Tempo des Gehens, dem Aufnehmen oder Abladen an Gepäck. Kühl ist es. Die Welt der Flughäfen ist die der vollkommen übertrieben kalt eingestellten Klimaanlagen. Alle frösteln. Doch das Zittern ist offensichtlich Teil der Inszenierung. Frieren hat vielleicht was mit abgekühlten Gemütern zu tun. Ich weiß es nicht. Wir wollen fliegen. Wohin? Zu unseren Freunden nach Australien. Schon weit vor einem Jahr stand Ihre Einladung, das Ende unserer Reise auf der „Übergangsbrücke“ Australien verleben zu können. Ich wusste nicht, was dann sein würde. Doch mir war damals schon klar, dass es nicht so einfach einen Hebel geben würde, der umzulegen sei. Und fertig ist die alte Geschichte. Zurück sind Elke und Sten, die da mal losgefahren sein würden. Wie beim Zauberer aus der Kiste. In eine Art spezielle Zwischenwelt machen wir uns also auf. Nicht mehr beim Leo und noch nicht zu Hause. Freunde, die vor einigen Jahren aus Deutschland nach Australien auswanderten und dort im äußersten Norden in Cooktown in ihrer kleinen Familie leben. Als Ärztin und Rancher im Dschungel haben sie Wurzeln geschlagen und nahe Kontakte zu den Aborigines. Ein guter Platz für uns, um die Beine aus der Hängematte baumeln zu lassen und unsere Seelen gleich mit. Kein Übergepäck. Keine Schwierigkeiten beim Einchecken. Keine maßgeblichen Verspätungen. Einfach dasitzen, lesen, Leute beobachten, Geschichten über deren Leben ausdenken. Wir sind nun eingetaktet in die Maschinerie des Menschen Transports von A nach B. Wieder so ne passive Sache, zu der wir wenig beisteuern können, als zu warten und die Hinweise der Anzeigen zu befolgen, die uns sagen, wo es wann lang geht. So einfach ist das also in dem organisierten Leben. Folge einfach den Leuchtschriften und aufgespannten Wege-Bändern, auch wenn die in verzwickten Zick-Zack Linien quer durch den Raum verlaufen. Wird schon Sinn machen. Gehen ja alle da lang. Schon lustig, unsere gut durchdachten Abläufe... Und eigenwillig anzusehen, wenn man ihnen mal ein paar Monate nicht begegnet ist. Die erste Maschine steigt in den Himmel. Nach Ho Chi Minh City soll sie uns bringen. Bei glutrotem Sonnenuntergang gestartet. Bei Einbruch der Dunkelheit im Landeanflug. Ho Chi Minh City hat sich verkleidet als riesengroßer Weihnachtsbaum. Nicht übermäßig stark mit Lämpchen behangen. Doch funkeln tut es, von oben gesehen, an allen Ecken. Die hellen Lichterketten, verschlungen um den „Baum“ gewickelt, sich windend und kreuzend, bestehen aus massenhaften Moped-Glühwürmchen. Was wird das für eine Tumult sein da unten? Früher klingelten Fahrräder durch Vietnam. Heute knattern Mopeds, eng aneinander gekuschelt, durch die Gegend. Unten angekommen fast mit Bruchlandung. Na ja, bei so ner kleinen Propeller Maschine vielleicht normal. Kenne mich da nicht aus. Neues Land. Nächster Flughafen. Alle reden hier vietnamesisch. Sehen auch ganz anders aus, als die Leute in Laos und Kambodscha. Verrückt, wie wir ein Gefühl für die Gesichter der Länder entwickeln. Früher waren es meist "Asiaten" für mich. Nun bemerke ich Unterschiede, Einzigartiges, Spezifisches. Ein paar Stunden Vietnam. Unter der Glaskuppel der Abflughalle. Und weiter geht es. Richtung Melbourne. Zehn Stunden Flug. Einsteigen, anschnallen, Essen essen, in ne Decke einkuscheln, schlafen, erwachen und landen. So unglaublich schnell kann es gehen zwischen den Welten zu tanzen. Kühler ist es auf dem neuen Kontinent. Neu Einchecken für den Inlandflug. Die Vorgänge, alle automatisiert. Keine Dame mehr am Schalter, die das Gepäck mit prüfendem Blick auf der Wage besieht. Keine routinierten Griffe, beim Anbringen der Gepäck Banderolen. Kein freundliches Herüberreichen der Bordkarten. Wie an der "Ikea" Kasse tippen wir selbst auf irgendwelchen Displays herum. Sind glücklich, nach einigen Fehlversuchen unsere Flugnummer gefunden zu haben. Nun die Gepäckanhänger ausdrucken und faltig an die Rucksäcke kleben. Ob den knitterigen Barcode je ein Scanner lesen kann? Wir werden sehen. Die Bordkarten schlüpfen aus dem Schlitz. Unsere Namen finden wir darauf. Wir fühlen uns stolz und erfolgreich. Doch nur für einen kurzen Augenblick. Denn das Gepäck durch der Lichtschranke hindurch zu führen scheitert ein ums andere Mal. Eine Dame kommt, um Hilfe zu leisten. Also doch wieder eine der netten Frauen, die früher so freundlich lächelten. Nach einem Neustart des gesamten Systems überlistet sie den Computer und schafft es doch tatsächlich, unser Gepäck auf die Reise nach Cairns zu schicken. Willkommen in der modernen Welt.
Cairns, unser dritter Stopp auf dem Weg nach Cooktown. Ein Hotel für die Nacht. Ein Restaurant für unsere knurrenden Mägen. Die Regenzeit hat uns wieder. Wir scheinen ihr hinterher zu reisen. Wenigstens eine Sache, die uns vertraut geblieben ist. Hier in der zivilisierten, aufgeräumten Welt. Wir werden wohl nen Kurs zur wieder Eingliederung belegen müssen. Und absolvieren gleich die erste Prüfung. "Umgang mit unfreundlichen Kellnern" heißt die. Macht nichts. Wir lassen uns den Spaß nicht nehmen, üben fleißig und lassen uns das Bier trotzdem schmecken. In drei großen Sprüngen nach Australien gehüpft. Ohne beim Absprung überzutreten. Schlussdreisprung mit sicherer Landung. Auf beiden Beinen. Mitten im Leben.

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