9.Step – Mongolia
Description
Die Mongolei-unser Traum. Hier, wo der Asphalt aufhört und die totale Einsamkeit anfängt. Die Mongolei gehört zwas nicht mehr zur Seidenstrasse, trotzdem versuchen wir auch hier mit Einheimischen zu kochen. Mal sehn ob uns das gelingt.
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Noch einmal / Once more
30.08.2015 Zamin Uud / Mongolia / N43°42’39.2“ E111°54’58.1“
Noch einmal von der Stille geweckt. Noch einmal unseren Teppich ausgerollt für unser Frühstück im Freien. Noch einmal und noch einmal einen Espresso gebrüht. Noch einmal die Menschenleere geatmet. Noch einmal gekostet von der Einsamkeit ohne allein zu sein. Uns bleiben einhundert Kilometer. Bilder im Kopf. Die Kamera steckt wo sie ist. Die letzten Fotos ins Gedächtnis gebrannt. Unsere Bewegungen verlangsamt. Eilig haben wir es nicht. Warum auch? Lust auf Grenze? Nicht wirklich. Plötzlich Asphalt. Vorbei mit lustig. Ordnung und Lärm hält Einzug. Geschäftigkeit pur. „Zamin Uud“ Grenzort zu China. Hupen, Rufen, Enge, Hektik, Eile. Was ist hier los? Wo sind wir hin geraten? Haben wir die Grenze verpasst? Sollten wir unbemerkt von dem 3 Millionen-Land in das 1,3 Milliarden-Land gerollt sein? Nein. So schnell geht es dann doch nicht. Erst einmal unsere Gruppe treffen. Durch China ist es uns nicht erlaubt allein zu fahren. Wir brauchen einen Guide. Ohne Guide kein Visum. Das kostet. Aber richtig. Die Alternative. Man findet eine Agentur, die wiederum eine Gruppe findet, an Leuten, denen es ähnlich geht. Wir fanden die holländische Agentur „China Overland“. Die wiederum hat es geschafft, sieben Gleichgesinnte zu finden. So treffen wir in „Zamin Uud“ auf Jamie, Lilian und Guido aus Holland und Greta und Marcel aus Deutschland. Vier Motorräder, ein VW Bus und unser Leo. Das ist unser Konvoi. In dieser Besetzung, plus unseren Guide, soll es die nächsten Wochen durch China gehen. Zwei Tage dauert es, um über die Grenze zu kommen, heißt es. Na da fangen wir doch schon mal... „Zamin Uud“ ist nun ehe nicht wirklich der Ort, um lange verweilen zu wollen. VW Bus und Leo brauchen länger an der Grenze als Motorräder. Deren Anblick wirft meist nicht ganz so viele Falten in den Gesichtern der Grenzer. Die sind übersichtlicher. Also los, wir wollen mal sehen, was sie zu unseren Fahrzeugen sagen. „Bis Morgen“, verabschieden wir die anderen und machen uns auf ins Getümmel. Lange Schlangen an Geländewagen warten auf eine Fahrt nach Irgendwo. Rein? Raus? Wohin? Wir haben keine Ahnung und fahren vorbei. Zwanzig Dollar Taxe am ersten Posten. Wofür kann uns der gute Mann nicht sagen. Doch ohne Zahlung geht’s nicht weiter. Okay. Nächster Stopp, Pässe hier, Pässe da. Passagiere diesen Eingang, Fahrer einen anderen.
Wieder Geld. Diesmal Yuan. Ich habe Keine, will ja erst nach China reisen. Wie soll ich da jetzt schon deren Währung haben? Die Frau am Schalter ist ratlos. Lässt mich stehen, um mich später einfach durchzuwinken. Fein. Roter Stempel auf die Blauen drauf. Das bedeutet wohl, ich bin ausgereist. Schade eigentlich. Na ja, Blick nach vorn. Bei den Fahrzeugen geht es schneller als gedacht. Na klar, es ist bald Feierabend... Ein letzter Blick zurück. Wir verlassen die Mongolei und rollen vor das Tor der Chinesen. Dort, nur eine minimale Kopfbewegung. Die jedoch unmissverständlich sagt: „Ihr kommt hier nicht rein“. Heißt das erneut eine Nacht in der Grenze verbringen? Heißt es nicht! Wir müssen zurück. Stehen innerhalb der Grenze ist hier verboten. Tatsächlich bedeutet es für uns, wieder in die Mongolei einzureisen. Lustiges Karussell. Mongolei, da sind wir wieder. Mit dem Einreisestempel haben wir automatisch erneut die Erlaubnis vier Wochen im Land zu bleiben. Verlockend. Gut gemeint Mongolei, doch wir müssen leider ablehnen... VW Bus und Leo, Jamie, Sten und ich finden einen Platz bei den anderen Truckern auf der mongolischen Seite. Die Lichter der Stadt im Rücken lassen wir uns unser allabendliches Feuer nicht nehmen. Wir machen es uns vergnüglich im Schein der Flammen. Noch einmal unseren Teppich ausgerollt, noch einmal die Whiskeygläser hervor geholt, noch einmal in der Mongolei einschlafen. Noch einmal.
Frau Sommer / Miss Summer
29.08.2015 Erdene / Mongolia / N44°22’11.9“ E111°03’28.6“
Wie von einer Hand wird die Mongolei umschlossen. China ist wie eine Schale in der die Mongolei ruht. Den Hut bekommt das Land von Russland aufgesetzt und noch nen Seitenwagen angehängt. Das ist dann Kasachstan. Die Mongolei ist groß. Generell sind hier im Osten die Länder alle an Fläche gesegnet. Mächtige Zahlen an Quadratkilometern begleiten uns seit Monaten. Städte liegen meist weit voneinander entfernt. Dazwischen Land, viel Landschaft, selten Landwirtschaft. Ich stehe vor unserer Landkarte und ziehe mit meinen Augen unsere zurück gelegte Strecke noch einmal nach. Jeder Zentimeter pures Leben. Ich stehe davor und habe doch das Gefühl als habe ich die Mongolei im Rücken. Als setze ich sie auf wie einen Rucksack. Als nähme ich sie mit. Nicht als Bürde oder Last. Mehr als Halt und innere Freude. Mein eigenes kleines Erinnern. Was es ist, kann ich nicht sagen. Warum geht mir das Herz auf, wenn ich auf einem Hügel stehe und in ein vermeintliches Nichts schaue? Dieser Raum vor mir ist angefüllt mit allem. Ich bin erfüllt, versuche mich selbst zu verstehen. Es will nicht gelingen und soll wohl so sein. Das Glück braucht keine Erklärung, keine Begründung. Und Nachfragen ob des Warums braucht es zu allerletzt. Festhalten möchte ich heute jeden Meter, tief in mich aufsaugen jede Sekunde. Und doch wird mir genau darin seine Vergänglichkeit bewusst. „Halte nicht fest, lass los, lass frei, nimm es mit und lasse es doch zurück“, ist, was ich mich selbst sagen höre. Irgendetwas ist anders heute. Liegt es an uns? Sind wir auf „Abschied“ eingestimmt? Melancholie liegt in der Luft. Wie sie dastehen, die drei Frauen vor dem kleinen Laden im letzten Örtchen, hier ganz im Süden der Gobi. Gerade eben haben wir ihnen noch einen Saftkarton abgekauft. Nun stehen sie da. Mit ihren Strümpfen in Gummisandalen, vom Regen getränkt. Der nasse Sand spritzt an ihre Beine. Doch ihre Arme winken uns zu. Zum Abschied. Der große Himmel ist noch stiller als sonst. Am Morgen sticht die Sonne auf uns herab und verschlingt den Regen der letzten Nacht. Zu schwer scheinen die Tropfen zu sein. Als habe sich der Himmel daran überhoben. Also alles auf Anfang. Der Regen kommt wieder nach unten. Er bringt Wind mit und Kühle. Vorboten des Herbstes. Nein, die Mongolei ist keine Zuckertüte. Da steckt ganz gewaltig was an Heftigkeit dahinter.
Wir ahnen es jeden Tag ein klein wenig mehr. Noch ringen Sommer und Herbst miteinander. Noch behält Frau Sommer an jedem Tag die Oberhand. Doch der Ausgang des Kampfes ist schon vor dem aufeinander Treffen der Kontrahenten klar. Herr Herbst zeigt sich noch gnädig. Doch bald wird ihm die Hutschnur reißen, dann ist genug mit Freundlichkeit und Vortritt lassen. Dann wird er ans Ruder treten. Ich kann ihn auch verstehen, dass er es eilig hat. Denn seine Tage sind gezählt. Vater Winter ist es, der ihm schon nach wenigen Wochen den Rang ablaufen wird und lässig winkend in seiner Massigkeit vom Siegerpodest herabblicken wird. „War ja klar“, wird er denken und sich monatelang aalen in seinem Siegestaumel. Er kann sich Zeit lassen. Davon hat es genug. Doch irgendwann wird Vater Winter zu übermütig in seinem Machtanspruch. Dann kommen junge neue Kräfte hervor, die nach Erneuerung, nach Veränderung lechzen. Ihr Sehnen ist groß, verleiht ihnen Kraft. Vom Winter belächelt gewinnen sie Zentimeter für Zentimeter in einem Anfangs ungleich wirkenden Gerangel. Verwöhnt vom Sieg, müde von den ersten Niederlagen, zieht er sich mehr und mehr zurück, unser Vater Winter. Er legt sich schlafen, ruht sich aus, sammelt neue Kräfte und lässt die Jungen gewähren. Die laufen sich schnell ihre Hörner ab und überreichen Frau Sommer ein leuchtend frisches, quicklebendiges Land. Auf dass sie sich darin wohl fühlen kann. Als Dank schenkt sie Schönheit und Milde. Doch Obacht ist gefragt. Die Herren testen sie gern einmal. „Hat sie genügend Power oder können wir ihr mit nem Hagelschauer in die Quere kommen?“ Sie nimmt es gelassen. Sollen sie doch Hageln. Sie lässt mit ein paar Strahlen schnell ungeschehen aussehen. Über Wochen hinweg. Es ist Ende August. Nun wirkt sie erschöpft, ist es leid, die Spielchen auszumerzen. Täglich schwindet ihr Wille ein klein wenig mehr. Also lässt sie heute den Regen Regen sein, die kühlen Temperaturen ebenso. Kleiner Schwächeanfall. Wir verzeihen ihr gern. So lange wir da sind, scheint sie sich noch nicht geschlagen geben zu wollen. Wir schätzen ihr Bemühen und freuen uns auf die Sonne von morgen.
Energie / Energy
28.08.2015 Khamaryn Khiid / Mongolia / N44°12’41.0“ E110°14’50.5“
Regen in der Wüste? Klar, jetzt ist die regenreiche Zeit. Doch irgendwie passt das für mich nicht zusammen. Schon den ganzen Tag über heißen unsere Wege eher „Wasserlöcher“ als Sandpisten. „Volle Packung Mongolei“, schießt es mir dabei einzig durch den Kopf. Was für ein Land. Mit allen Wassern gewaschen! Doch Regen allein macht noch keinen Mongolei-Sommer. Da gehört eine ordentliche Portion Gewitter dazu. So richtig mit Blitzen und Donner von allen Seiten gleichzeitig. Tolles Spektakel. Wegen mir hätte es ja gar nicht ganz so gewaltig sein müssen. Mir hätte die kleine Packung durchaus gereicht! Als es mir zu hell, zu laut, zu nass, zu stürmisch wird, bleibt mir nur eins. Ohropax in beide Ohren und ab mit mir in das Reich der Träume. Morgen ist ja vielleicht auch noch ein Tag. Heute der war von bunten Gebetsfahnen geschmückt, die einen unglaublich schönen Klang von sich geben, beim Flattern in den Lüften. Hören kann ich es und sehen, wie die Gebete sich in alle Winde verstreuen. Wir sind im Kloster „Khamaryn Khiil“. Vielleicht zweihundert Kilometer vor der chinesischen Grenze. Mitten in den Sandfeldern der Gobi tauchen sie vor uns auf. Die Tempel des 1820 von „Danzanravjaa“ errichteten Klosters. Er war in seinen Zeiten ein hochverehrter Mönch der Rotmützen und ließ neben diesem noch acht weitere Klöster in der Gobi errichten. Als fünfte Wiedergeburt des „zornigen Heiligen der Gobi“ wurde er erkannt und galt als einer der Ersten Förderer der Gleichberechtigung der Geschlechter. Da auch Mädchen Zugang zu seinen Klosterschulen hatten. Fünfhundert Lamas praktizierten in den achtzig Tempeln einst ihre Lehren und Riten. Um das Jahr neunzehnhundertdreißig wurde das Kloster zerstört und wird gerade mühsam in Teilen wieder aufgebaut. Der Kraft seiner Wirkung nimmt es wenig, dass wir nicht sehen können, was einst hier stand. Wir sind eingenommen von der spürbaren Energie des Ortes. „Energiezentrum“ nennen die Mongolen daher auch die Pilgerstätte mit ihren einhundertacht weißen, im Kontrast zum Sand stehenden, Stupas. Auf mich hat der Dialog der Landschaft mit dem buddhistischen Zentrum, eine starke Ausstrahlung. Mein Blick wechselt zwischen der Weite und ruht im nächsten Augenblick wieder auf Augen und Händen und Gesten der Heiligen. Es stärkt mich hier zu sein. Ich sauge auf was ich empfinde. Davor noch fix einen Blick beim Jurten-Ausstatter vorbei geworfen, an der Wasserpumpe mit den Einheimischen angestellt, um unseren Kanister aufzufüllen, ein paar Biere gekauft und schon ist so ein Tag rund und komplett. Begonnen hat er mit dem Abschied von unserer Ulme am Morgen. Nun bleibt uns wenig anderes als den stürmischen Launen des Himmels nachzugeben. Energie hat der Tag. Ganz ohne Zweifel.
Brotzeit / Time for bread
27.08.2015 Saikhandulaan / Mongolia / N44°48’28.0“ E109°37’54.4“
Teig ansetzen, gehen lassen, kneten, gehen lassen. Ein Feuer brauchen wir mit genau abgezählten Stücken an glühender Holzkohle. Das ist unser Temperaturregler. Den gusseisernen Topf mit etwas Wasser füllen und zum Erwärmen ab damit in die Glut. Zeigt unser Innenthermometer einhundertachtzig Grad an, kann der Brotteig mit hinein. Ein kleines Sieb sorgt dafür, dass Brot und Wasser sich nicht berühren. Der Wasserdampf es dem Teig aber so richtig kuschelig macht. Glutstücke unter den Topf, Glutstücke auf den Deckel und dreißig Minuten einfach dem leichten Zischen der Feuchtigkeit zuhören und dem Knacken des Feuers. Dann Topf kurz öffnen, Brot wenden und wieder fünfzehn Minuten warten. „Das sieht schon gut aus“, sind Stens Worte. „Das wird ein tolles Brot!“, fügt er an. Noch zehn Minuten mit wenig Hitze nachbacken und Tara, das Brot ist da! Was für ein Frühstücks Schmaus! Lecker duftet unser Brot, köstlich riecht der aufgebrühte Espresso. So macht ein Morgen Spaß. So schmeckt der Tag! Langsam kommt der ins Rollen. Hier eine Schraube nachziehen, dort einem Klappern ein Ende bereiten. Heute haben unsere Kisten ihren Auftritt. Alle dürfen sie heute mal raus ans Licht und zeigen was in ihnen steckt. Und das ist mehr als Gehaltvoll. Für jeden Niet hat Sten die passende Größe dabei. Es flext und wirft Funken. Stundenlang. Am Ende können wir wieder ohne Wackler unseren Gang über die Treppe proben. Gerade pünktlich zum Empfang des Gewitters. Doch es ist dann doch schüchtern und kreist mehr um uns herum, als dass es sich über uns entladen möchte. Ein paar kräftige Böen, vereinzelte dicke Regentropfen und ansonsten mehr Kulisse als Auftritt. Doch die hat es in sich. Bunt wie am Faschingsdienstag kommt der Himmel daher. Zeigt Kontraste als sei er gerade frisch vom Farblehrgang entsandt. Wir stehen und sitzen und staunen. Kurz nur für uns. Dann in Begleitung. Zwei Hirten wollen schauen, wer da unter ihrer Ulme rastet und sitzen eins, zwei, drei in unserer Mitte. Ein Dritter kommt schnell noch dazu. Wo sie nur her kommen? Weit und breit ist nichts zu sehen. So ist das eben mit Nachbarn in der Mongolei. Weit weg und plötzlich ganz nah. Und immer pünktlich zum Essen.
Das Öl spritzt in der Pfanne, die Eier tanzen darin. Salat ist nicht jedermanns Sache, gebratene Eier schon. Mit „Beierdla“, dem mongolischen „Danke“ reichen sie mir ihre leer geputzten Schalen zurück. Sie sind still und schauen uns an. Ein wenig wie aus einer anderen Welt. Ganz zurückhaltend und vorsichtig. Und doch neugierig, wie ich es nur von den Mongolen kenne. Alles wollen sie sehen. Jedes Teil nur einmal anfassen. Zum Lob heben sie kurz den Daumen nach oben. Was geht, wenn die Sprache nicht hilft? Irgendwie finden wir Wege des Austauschs. Und manchmal ist einfach minutenlang Ruhe. Das scheint auch keinen zu stören. Es gibt Unterschiede zwischen den Menschen, die in Ulaan Baatar leben. Sie könnten auch in Europa sein. Anders sind die, die in den dörflichen Sums zu Hause sind. Sie hegen die Tradition. Pflegen ihr Miteinander, sind gesprächig und offen. Und die hier draußen? Den Nomaden, die es gewohnt sind, nur für sich zu sein, wohnt eine Stille inne, wie ich sie zuvor nie erlebt habe. Sie Schauen, Beobachten, Probieren. Was in ihnen vorgeht kann ich nicht immer von ihren Gesichtern ablesen. Nicht alles spielt sich für mich sichtbar in ihrer Mimik ab. Vieles geht scheinbar einfach nach Innen. Doch als wir zum Abschied dem Jungen eine hell leuchtende Stirnlampe auf den Kopf setzen und den beiden Männern jeweils ein kleines scharfes Messer schenken, da ist auch auf ihren Gesichtern das pure Strahlen der Freude zu sehen. Wie verspielte kleine Jungs ziehen sie zu Dritt auf ihrem Motorrad durch den tiefen Sand kurvend davon. Tschüss, bis zur nächsten Brotzeit.
Unter der Ulme / Under the elm
26.08.2015 Saikhandulaan / Mongolia / N44°48’28.0“ E109°37’54.4“
Ein kleiner Ruck und ich befinde mich ein paar Zentimeter tiefer. Was war denn das? Kurzer Blick. Alles klar. Das Ruckeln und Rütteln, und Schuckeln und Schaukeln auf der Piste war den sechs Nieten unserer Treppe irgendwann zu viel. Sie dachten wohl doch eher an Asphaltstraßen, als sie sich bereit erklärten, das Halten der Treppe zu übernehmen. Nun, kleiner Streik der Nietenfraktion. Sie waren sich einig und haben sich alle zur gleichen Zeit gelöst. Für uns heißt das morgen einen Ruhetag einzulegen, um Reparaturarbeiten Raum zu geben. Der Schaufelstil hat sich aus seiner Halterung gelöst, die Kistenscharniere sind locker, ein Griff im Fahrerhaus hängt lose, an dem wir uns ausheben wenn die Bodenwellen gar zu rückenunfreundlich sind. Eine Schiebetürverriegelung hat sich verabschiedet. Kleben, Schrauben, Nieten, Bohren. Das alles klingt definitiv nach einem Zwischenstopp. Wir finden unseren Platz dafür am Rande eines Megatals. An einer sehr besonderen Stelle. Unter einer Ulme. Für Europa nicht unbedingt der Knaller. Hier absolut herausragend. Bäume! Wie? Wo? Die Mongolei ist ein Hochland. Vierzig Prozent seiner Fläche liegen auf einer Höhe von 1.000 bis 1.500 Metern, weitere vierzig Prozent zwischen 1.500 und 3.000 Metern. Fünf Prozent des Landes liegen über 3.000 Metern Höhe und nur fünfzehn Prozent 500 bis 1.000 Meter über dem Meeresspiegel. An der Höhe allein kann es trotzdem nicht liegen, dass die Mongolei derart baumlos ist. Auf 2.500 Meter bemisst sich hier die Baumgrenze. Es ist die Trockenheit, die das weite Land so unglaublich karg an Bäumen erscheinen lässt. Gleichbleibende Feuchtigkeit, gerade in den ersten Wachstumsjahren, ist die Bedingung für eine gute Entwicklung der Bäume. Doch genau daran mangelt es zumeist. Im Norden herrscht in weiten Teilen das sibirische Klima der Taiga. Dort finden sich Lärchen, gefolgt von Kiefern, Birken und Fichten. Nun darf man sich das Bild wirklich nicht sibirisch bewaldet vorstellen. Es gibt Waldgebiete, doch diese sind regional sehr begrenzt. Den Großteil der Flächen, nach Süden zu, machen Steppen aus. Von „Wermutsteppe“, Wiesensteppe“ und „Zwiebelsteppe“ sprechen die Mongolen. Wir fühlen uns schon selbst gut gewürzt und beinahe abgehangen, so wundervoll duftet es um uns herum.
Nein, es liegt nicht an der Wahl unseres Deodorant. Es sind tatsächlich die Steppenkräuter. Sie schwängern die Luft, betören uns und geben dem Fleisch der Ziegen, Schafe und Rinder ihr unverwechselbares Aroma. Das Futter ist der Grund, warum die Mongolen das Fleisch vor dem Essen nicht mit Gewürzen versehen. Es ist einfach schon geschehen. Die Tiere machen das selbst. Wie eine Mischung aus kleinen festen Zwiebelschlotten und Hartholzschnittlauch sehen sie aus, die Zwiebelkräuter des Tals, durch das wir fahren, bevor wir in der Ferne einen einzelnen Baum stehen sehen. Auf den halte ich zu. Erleichtert, ein großes Schwemmland erfolgreich hinter uns gelassen zu haben. Ein wirklich eigenwilliges Gefühlsgemenge ist das, auf einer schmalen Piste, wie auf einem Steg, zu fahren und rund herum aufgeworfener feuchter Boden dazu einlädt, sich festzufahren. Als wir anhalten merke ich, wie mich das Lenken durch diese Lehmpfanne angestrengt hat. Konzentration auf jedem Zentimeter ist gefragt. Unachtsamkeit wird sofort „honoriert“. Da sitzen wir nun also unter unserer Ulme, am Ausgang eines kleinen Wasserablaufes aus den hügeligen Seitenhängen, die es geschafft hat, Wind und Wetter zu wiederstehen. So gedreht und gewunden wie sie dasteht, war es kein leichtes Dasein für sie. In ihrem Schatten genießen wir die sechsundzwanzig Grad des sechsundzwanzigsten August Zweitausendfünfzehn. Bei +3,9 Grad Celsius liegt die Jahresdurchschnittstemperatur hier im äußersten Süden der Gobi. Im Norden schafft sie es gerade einmal auf -6,6 Grad Celsius unter den Gefrierpunkt. Jahresmittel!!!! Ohne Worte für mich. Noch zwei Zahlen, die mich beeindrucken. Zweiundvierzig Grad Schwankung an ein und dem selben Tag zwischen Tag und Nacht sind im Herbst und Frühling nicht ungewöhnlich und beachtliche achtzig Grad Temperatur Unterschied kennen Gebiete hier zwischen ihrer wärmsten Zeit im Sommer und der Kältesten im Winter. Da scheinen wir ja echt ein Los mit Zusatzbonus gezogen zu haben. So gleichbleibend wie wir das Wetter in den vergangen sechs Wochen erlebt haben, scheint es weiß Gott nicht immer zu sein. Ich glaube inzwischen, dass wir so lange in Kasachstan bleiben sollten, um genau die passenden Wochen in der Mongolei anzutreffen. Ein Prost auf die gewundene Ulme, ein Prost auf uns und überhaupt.
Gobi von allen Seiten / Gobi of all sides
25.08.2015 Mandakh / Mongolia / N44°30’36.4“ E108°19’57.2“
Vom Aimag „Ömnö-Gobi“ führt uns unser Weg heute nach „Dorno-Gobi“. Damit haben wir nun alle Gobi Aimags erreicht. Im „Gobi-Altai“ waren wir und auch in „Dund-Gobi“. Vier Aimags die sich über das Gebiet der Gobi Wüste erstrecken. Da müssen wir als Wüstenliebhaber natürlich gewesen sein! Einundzwanzig dieser Aimag-Provinzen gibt es. Es ist die Verwaltungsgliederung in der Mongolei. Ähnlich den Bundesländern in Deutschland. Jeder Aimag hat ein „Aimag-Zentrum“, oder eben in der deutschen Denke eine Landeshauptstadt. Eine Unterteilung der zweiten Kategorie ist die in „Sum“. Ich würde sie als Landkreise bezeichnen. Zwischen zwei und dreißig „Sum“ befinden sich in jedem dieser „Aimags“. Insgesamt gibt es in der Mongolei 331 „Sum“. Alle diese Unterteilungen und Zuordnungen haben mit den Einteilungen und Reorganisationen zu tun, die sich aus historischen Machtspielchen mit China und dem Russisch-Japanischen Krieg 1941 ergaben. So fiel erst 1954 ein langer Streifen der Gobi an China zurück. Daraufhin hat man die Einteilung der verbliebenen „Aimags“ verfeinert, um Klarheit, Stabilität und Sicherheit zu schaffen. Auf unserem Weg, durch die halmbewachsenen Sandfelder der Gobi, queren wir viele ausgetrocknete Flussläufe. Wenn es hier mal richtig regnet, na dann gute Nacht! Es ist ein Schwemmgebiet, welches wir durchfahren. Das Wasser kommt von den Hängen, die rund um dieses unglaublich große Tal liegen. Es ist mehrere hundert Kilometer breit und lang. Da wird uns unser minikleines „Sandkorn Dasein“ wieder einmal so richtig bewusst. Um uns herum brauen sich heute dicke Regenwolken zusammen. Mal blitzt es, mal ziehen die Wolken Wasser nach oben, dann wieder fauchen Sandhosen über das Land. Die Gewalten sind lebendig. Wir scheinen irgendwie in einer überdachten Loge zu sitzen und können zusehen. Denn es regnet sich nur sehr partiell ab, so dass wir trockenen Fußes durch unseren Tag kommen. Was wohl die Tiere dazu sagen? Reicht das Wasser um sie zu tränken? Immer wieder kommen wir an gegrabenen Brunnen vorbei, in deren Rinne etwas abgestandenes Wasser verweilt. Als wir anhalten, um uns die Vorrichtung einmal genauer anzusehen kommt, wie aus dem Nichts, ein Mongole auf seinem Motorrad angeknattert. Er will uns warnen und sagen, dass wir das Wasser nicht nehmen sollen.
Es sei nicht gut. Das war zum Glück auch nicht unser Vorhaben doch wir sind echt gerührt von so viel Anteilnahme. Gazellen gibt es in der Gegend, Widder und auch Wildesel sollen hier leben. Sie haben ein helles Fell und sehen Pferden etwas ähnlich. Zu Gesicht bekommen wir ganz aus der Ferne die weißen Hinterteile der Gazellen, wenn sie in einem Affenzahn durch die Gegend flitzen. Von einem Widder bleibt uns ein Schädel, der im Sand liegt. Ein stattlich stolzes Tier muss er gewesen sein. Davon kündet selbst das eine massige Horn, was er uns noch zeigen kann. Als ich den Schädel anhebe, bin ich vollkommen platt. Mit diesem Gewicht hatte ich nicht gerechnet! Und dieses Gewicht verdoppelt sich mit zwei Hörnern auch noch?! Natur, was bist du nur für eine Zauberkraft. Wie stark muss die Nackenmuskulatur eines Widders sein, um diese Massen immerzu tragen zu können? Dabei dann auch noch leichtfüßig durchs Gelände zu springen ist eine Meisterleistung. Ob der Widder ein großes Gegengewicht an seinem Hintern hängen hatte damit er nicht nach vorn umkippt? Das können wir ihn zwar fragen, doch mit seiner Antwort sieht es relativ dünn aus. Oder wir sind nicht leise genug, um sie zu verstehen. So hängen wir unseren Gedanken nach, an unserem Feuer sitzend, inmitten der Gobi. Der Wind ist mit der Sonne gegangen. Sie haben den Mond und die Stille zurück gelassen. Beide breiten sich aus, in uns, über uns. Gobi.
Überlebenstraining / Survival training
24.08.2015 Manlaj / Mongolia / N44°05’00.3“ E106°47’15.9“ Na der hätte hier aber mal so richtig zu tun. Der Zahnarzt. Bröckelnde Zähne so weit wir schauen können. Als Anschauungsobjekte bestens geeignet, für die ersten Studiensemester. Wir stehen auf einem riesigen Feld voller Tierschädel, Kiefer und Knochen. Ob hier einmal ein Dorf stand und an dieser Stelle die Reste abgelegt wurden? Oder ob es eine Herde war, die einem dieser schweren Winter erlag? Die Herden haben von Oktober bis Mai harte Bedingungen zu ertragen. Temperaturen um die minus 45 Grad sind vollkommen normal. Als Unterschlupf haben die Mongolen an manchen Stellen einen Windschutz aus Steinen gebaut. Dort können sich die Tiere mitunter zurückziehen. Überleben müssen sie von den wenigen Halmen welche sie durch die Schneedecke hindurch finden können. Das ist schon im Sommer nicht viel. Saftige Weiden Fehlanzeige. Die Luft soll klar sein im Winter, die Sonne soll scheinen, sagt man. Der Wind bläst hart. Doch die niederschlagsreiche Zeit ist der Sommer. Das heißt, es kommt nur wenig Schnee in den Wintermonaten. Doch ungefähr alle sieben Jahre ist es anders. Dann überfällt Schnee das Land. Eine Katastrophe für die Tiere. Sie haben in einem solchen Winter keine Chance mehr an Futter heran zu kommen und verenden zu großen Teilen. Die Besitzer, deren Leben hier draußen sowieso immer am seidenen Faden hängt, stehen dann vor dem Nichts. Immer wieder hören wir von diesen Schicksalen. Ein Bauer hegte und pflegte über Jahre seine Herden aus Ziegen, Schafen, Kamelen, Kühen und Pferden bestehend. Ein gewisses Maß an Wohlstand hielt Einzug, bis einer dieser „Schneewinter“ kam und alles zu Grunde richtete. Den mit leeren Händen dastehenden Menschen bleibt nichts übrig als in die Stadt zu gehen. Doch dort kann ihnen auch nicht geholfen werden. Soziale Auffangnetze gibt es nicht. Wenn die Familien sich untereinander nicht helfen können ist alles zu spät. Zaza erzählte uns von einem Bauernpaar, welches krank wurde in der Stadt, weil ihr Leben keinen Sinn mehr ergab. Erst als die Familie es irgendwie schaffte, dem Paar einige Tiere zu besorgen, zogen sie mit ihrer Jurte wieder aufs Land und konnten genesen. Wenn wir durch die Ebenen fahren, auf denen eigentlich nichts zu finden ist, sehen wir ab und an eine Jurte stehen.
Sicherlich haben die Menschen dann irgendwo in der Gegend ihre Herde laufen. Doch wovon sie wirklich leben, ist mir oft ein Rätsel. Die Menschen melken ihre Tiere für Milch und Käse und schlachten ab und an eines davon. Das Fleisch wird getrocknet, um so über den Winter zu kommen. Das ist alles. Ein unglaublich beschwerliches und hartes Leben. Noch ist Sommer. Noch sieht das Land lieblich und einladend aus. Doch schon jetzt spüren wir manchmal den Wind der kalte Luft über das Land trägt. Lange wird es nicht mehr dauern, bis die Zeit der Kälte kommt. Geheizt wird dann mit dem getrockneten Dung der Tiere. Die Mongolen sind bereits wieder am Zusammenpacken ihrer Jurten. Es geht in diesen Tagen allmählich in die windgeschützteren Lagen, in denen sie den Herbst verbringen. Bei vier Umzügen pro Jahr ist uns inzwischen klar, warum die Mongolen nicht so viel unnötiges Zeug bei sich haben. In den Jurten sieht es immer sehr übersichtlich aus. Von allem nur das Nötigste. Muss ja alles irgendwie auf den Transporter oder die Pferde passen. Überfluss ist hier nicht. Trainiert wird hier ganz anderes. Das Überleben.
Verbogener Tag / Twisted day
23.08.2015 Tsogttsetsii / Mongolia / N43°39’56.2“ E105°47’28.7“ Abgeknickt, krumm, schief, verbeult, scheppernd. Es gibt solche Tage. Sie sind ganz selten. Ihre Spezies zeigt sich vielleicht alle vier Monate einmal. Doch wenn sie da sind, dann richtig. Tagelang schon kündigt sich ein solcher Tag an. Es liegt was in der Luft. Energie, die sich entladen will. Direkt spürbar. Es knistert, es knackt und dann knallt es. Laut und mit allem Tamtam. Danach Stille. Wie nach einem Sturm. Müdigkeit. Kein Ton mehr. Nur der Blick ins Feuer. Stundenlang. Kann man solche Tage verstehen? Zu vermeiden sind sie wohl nicht. Wenn man bedenkt, dass wir über Monate hinweg in jeder Sekunde zusammen sind. Da ist es vielleicht sehr besonders wie gut es geht, wie sehr wir uns aufeinander eingeschwungen haben, wie fließend wir als Team durch die Tage ziehen, welchen Spaß wir miteinander haben. Lassen wir das reinigende Gewitter gewähren. Auf dass danach die Luft erneut klar sein kann. Wir sind weit draußen. Da wo man eigentlich nicht mehr hinfährt. Quer durch. Irgendwo. Pistenhopping. Viele Wege. Mal gar keine. Wir orientieren uns gen Osten. In fünfhundert Kilometern soll es da eine nächste kleine Stadt geben, die uns den Weg Richtung chinesischer Grenze weist. Bis dahin die große Leere. Aufgefüllt plötzlich durch ein Gebiet in dem Bodenschätze gehoben werden. Wir vermuten Kohle. Wissen tun wir es nicht. Riesengroß und bunt die Abraumhalden. Was da alles an Erdgeschichte drin steckt? Absperrungen lassen uns das Gebiet weiträumig umfahren. Ganz anders dieses Gefühl der Verschlossenheit in einem Land in dem sonst alles offen und sichtbar und frei vor uns liegt. Was macht den Unterschied zwischen einer Asphaltstraße, die durch eine große Wüste führt und einer sandigen Piste? Ist es unsere Gewohnheit, dass wir auf einer Asphaltstraße glauben, sie brächte uns an ein Ziel? Weil da Menschen Hand angelegt haben? Eine Piste, aus Gewohnheiten entstanden. Aus dem was sinnvoll erschien. Schöner finde ich die Pisten. Sie haben mehr mit dem Land zu tun, durch das wir uns bewegen. Wir sind angehalten am Horizont danach zu suchen wo es weiter gehen könnte, auf einem Pfad, einer Spur, der bloßen Peilung folgend. Das Land um uns nehmen wir bewusst wahr. Nichts rauscht vorbei. Alles ganz direkt. An diesem verbogenen Tag.
Auf Trab / Trot
22.08.2015 Dalanzadgad / Mongolia / N43°33’11.7“ E104°01’36.8“ Die Mongolen sind einmalige Spitze. Noch nie sind mir Menschen begegnet, deren Bewegungen auf einem Pferd derart symbiotisch anzusehen sind. Wie eine vollkommene Einheit wirkt es, wenn ein Mann auf seinem Pferd durch die Gegend reitet. Es ist eine Art Fliegen, ein Schweben mitunter. Keine Schwere, kein hartes Aufkommen. Der Rücken streckt sich, der Blick geht nach vorn, das Pferd weiß was zu tun ist, der Reiter scheint in seinem Element. Geritten wird überall hin. Zu den Nachbarjurten, die in einigen Kilometern Entfernung zueinander stehen. Zum kleinen Laden in der Gegend und vor allem wird regelmäßig aufgesessen um das Vieh zusammenzuhalten oder von einem Stück dünn bewachsenen Bodens zum nächsten zu treiben. Da wird nicht gelaufen oder gerannt. Da wird geritten. Nun hält der Fortschritt Einzug. Was bedeutet, dass die Leute kleine Motorräder oder Autos fahren. Mit den Motorrädern machen sie es wie mit den Pferden. Sie sind wendig und geschickt darauf. Doch beim Autofahren ist alles zu spät. Die Mongolen fahren Auto wie sie reiten. Spontan, schnell, sprunghaft, über Stock und Stein. Dichten Verkehr und nachfolgende Fahrzeuge scheint es für sie einfach nicht zu geben. Ich werde den Eindruck nicht los, dass das Reit-Gen tief im Volk verwurzelt ist, wenn zwei Meter vor uns ein am Straßenrand haltendes Auto plötzlich losfährt. Geschaut wird da nicht, gewartet gleich gar nicht. Ein Pferd hat ja auch keinen Rückspiegel. Man „reitet“ eben einfach los. Gibt dem Auto die Sporen und gut. Sollen die anderen doch sehen wie sie klar kommen. Das Land ist ja weit. Dass es auch hier mitunter jetzt Straßen gibt, auf denen sich alle entlang bewegen, scheint nicht bis ins Bewusstsein vorzudringen. Auf die gleiche Weise fährt man über Stock und Stein. Technische Grenzen scheinen aufgehoben. Das Auto muss sich behänd über die Steine bewegen wie es ein Pferd kann. Steigungen und Abhänge spielen keine Rolle. Zügel locker lassen oder anziehen und ab geht es. Die Mongolen sind DIE Reiter. Ich ziehe meinen Hut vor ihnen! Auf der Straße halten sie uns auf Trab. Von Ulaan Baatar bis nach Dalanzagad gibt es seit neuem eine durchgehende Asphaltstraße. Sechshundert Kilometer, die früher bedeuteten tagelang unterwegs zu sein, ließen die Region ganz im Süden der Gobi Wüste bisher mit Sicherheit ihre Tagträume leben.
Wer wollte schon so weit fahren, so viel Beschwerlichkeit auf sich nehmen, nur um ein anderes Stück Land zu sehen? Das hat sich geändert mit der Straße. In zwei Tagen ist man von Ulaan Baatar aus da. Einmal in einer Jurte unterwegs geschlafen und fertig. Die Asphaltstraße hier ist wie ein Autobahnanschluss in Deutschland. Mit der Autobahn verändert sich das gesamte Wirtschaftsgefüge einer Region. Mit einer Straße ist es hier genau so. Wir sind überrascht, welcher Trubel uns willkommen heißt, als wir die Stadt Dalanzadgad im Süden erreichen. Ger-Camps (Ger=Jurte auf Mongolisch) überall, die einladend auf ihre Schlafgäste warten, die gerade noch mit Geländewagen durch den Nationalpark gefahren werden. Eine wunderschöne hügelige Gegend bäumt sich vor uns auf. Gut eintausend Kilometer ist das Gebiet des „Gobi-Gurvan Daikhan“ Nationalpark lang und vielleicht zweihundert Kilometer breit. Davor eine Ebene die wie ein Meer aussieht. So groß, so eben, so still. Der Kontrast ist der Hammer, die Dimensionen unfassbar. Wenn ich von „vielen“ Menschen spreche die hier unterwegs sind, dann ist das im Verhältnis zu dem zu sehen was im restlichen Land los ist. Gerade hunderte Kilometer lang durch vollkommen leeres Land gefahren, kommen uns die vielleicht einhundert Besucher des Nationalparks hier „viel“ vor. Eine Reifenwerkstatt finden wir in Dalanzadgad auch, was gut ist. Seit Langem begleitet uns ein Riss im Hinterreifen. Doch das Gummi ist dick, mehrlagig und stabil. Dumm nur, dass sich von Innen ein Stück Metall ans Tageslicht gearbeitet hat. Das war offensichtlich von Anfang an das Problem des Reifens. In der Werkstatt ist man uns behilflich. Hoffen wir mal, dass der Reifen es uns dankt. So ist das. Jeder Tag hat seine Themen. Routinen gibt es für uns nicht. Wir werden auf Trab gehalten. Immerzu.
Anfernen und Entnähern /Remove and approximate
21.08.2015 Luus / Mongolia / N45°31’52.9“ E105°48’24.8“ Mit jedem Kilometer den wir fahren, mit jedem Schritt den wir gehen, entfernen wir uns. Von unserem zu Hause, von Deutschland, von unseren bereisten Ländern, von Ulaan Bataar. Die Distanz wird größer. Die mächtige Zahl der zurückgelegten Kilometer nimmt zu. Größer als sechsundzwanzigtausend ist sie inzwischen. Im gleichen Maß wie wir uns von einem Ort entfernen nähern wir uns einem nächsten an. Da wir ihn noch nicht kennen, spüren wir die Annäherung weniger als das Entfernen von dem uns Bekannten. Ein ganz logisches physikalisches Gesetz, möchte man meinen. Das ist die eine Seite. Es gibt für mich eine Zweite. Mit den Menschen scheint es mir auf eine magische Art anders zu sein. Je mehr Land zwischen uns liegt, je weiter wir zu gehen haben, um uns wieder zu sehen, umso näher kommen wir uns. Es war eine meiner Ängste vor unserer Abfahrt, die Beziehung zu den mir lieben Menschen unterwegs zu verlieren. Doch auf eine wundersame Weise habe ich das Gefühl, dass Nähe zunehmen kann wenn der Abstand größer wird. Das Band zwischen uns wird stärker, die Verbindungen drohen nicht zu reißen sondern scheinen an Stabilität zu gewinnen. Zu den Menschen zu Hause kommen die neu entdeckten von unterwegs dazu. So wird der Strang der Beziehungen immer tragender, je weiter wir gehen. Ein Geschenk, von dem ich nie geglaubt hätte, dass es möglich sein kann. Doch die Wunder nehmen zu, mit jedem Tag, mit jedem Erleben. Ich bin gerade damit fertig geworden das Abendessen auf unsere Teller zu verteilen. Eine Schale voll bleibt erst einmal noch übrig zum Nachnehmen. Von Ferne und kurz darauf aus der Nähe hören wir, während unserer ersten gefüllten Gabeln die wir in die Münder schieben, wie sich ein Motorrad in unsere Richtung bewegt. Und schon steht er da. Der Mongole mit Hut, Sonnenbrille, gelebten Stiefeln und langem, in der Taille gebundenem Mantel. Sein prüfender Blick hellt sich sofort auf, als wir ihm einen schon bereit stehenden Hocker und die dritte Schale zum Essen anbieten. Schmatzend, was hier ein Zeichen für Wohlgefallen ist, isst er munter vor sich hin. Eine Unterhaltung mit Worten ist nicht möglich. So nehmen wir Stimmlage, Gesten und unsere Körper zu Hilfe. Im nächsten Ort wohnt er und seine Herde steht ein paar hundert Meter entfernt von uns.
Er findet unseren Weg beeindruckend und mag den Leo. Jedes Detail schaut er sich mit großer Ruhe an. Eine Schale mit Abendessen, eine Cola und drei Zigaretten, die wir für Besucher immer parat haben, später, setzt er sich wieder auf sein Motorrad und knattert durch die inzwischen aufgekommene Dunkelheit davon. Es ist wirklich erstaunlich. Fast an jedem Abend kommt pünktlich zum essen ein Mongole vorbei. Mit unserem Leo nehmen wir da den gleichen Platz ein wie jede Jurte. Man kommt, setzt sich dazu und geht, sobald man satt ist. Eine lustige Nomadentradition. Steine lagen heute auf unserem Weg. Große, rote waren es, in Scheiben zerteilt. Vielleicht von der Kälte im Winter. In einem Gebiet, ungefähr zwanzig Kilometer lang, ragen die aufgetürmten Steinsäulen aus dem sonst flachen Boden heraus. Burgen, Schlösser, Tiere und Gesichter können wir darin erkennen. Wir zwinkern ihnen zu bevor wir uns auch von ihnen entfernen.
Ab in den Süden / Turn to the south
20.08.2015 Bayanbaraat / Mongolia / N47°07’02.5“ E106°32’21.9“
Bisher ging es auf unserer Fahrt immer mehr oder weniger gen Osten. Heute nun stehen wir gefühlt an einer Weggabelung. Kurzes Innehalten, Blick rechts, Blick links, blinken und abbiegen. Nach Süden. Wir wollten in den Osten, entlang der Seidenstraße. Wir wollten in die Mongolei. Das wird uns heute mehr als bewusst. Mit Ulaan Bataar haben wir so etwas wie unser Ziel erreicht. Alles was danach kommt war erst einmal nur der Weg, um einen Hafen zu finden, von dem aus es möglich sein könnte, unseren Leo zu verschiffen. Doch das klingt noch nicht wirklich nach einer brauchbaren Reiseidee, finde ich. Das neue Bild müssen wir erst einmal in uns erschaffen. Es bedeutet für uns, uns weiter einzulassen. Erneut ist es das „Stehen am Beckenrand“. Wieder heißt es abzuspringen, auch wenn uns noch etwas fröstelig zu Mute ist, beim Blick in das „ kalte Wasser“. Doch wir haben bisher immer erfahren, wenn wir einmal schwimmen ist alles gut. Noch sind wir in der Mongolei. Und scheinen schon jetzt Sehnsucht nach dem Land zu haben, auf dessen Boden wir momentan unsere Schritte setzen. Wie geht das denn? Abschied nehmen steht an. Von Davide und Francesca, von Arina und Kyle. Mit ihnen verbrachten wir eine Nacht in der Grenze. Mit ihnen trafen wir uns spontan unterwegs immer wieder. Für sie geht ihr Filmprojekt weiter. In Dörfern und entlegenen Siedlungen, für Kinder und Erwachsene bauen sie ihren Projektor und die große Leinwand auf, um Filme zu zeigen. Für Leute, die sonst so gut wie nie die Chance dazu bekommen. Dazu eine Hüpfburg und ab geht das Vergnügen. Auf diese Weise bewegen sie sich durch die Welt. Im vergangenen Jahr war Afrika ihr Kontinent. Jetzt ist es Asien. Zaza steht mit ihrem Poster „Extratour“ an der Straße. Sie wartet auf uns, um „Tschüss“ zu sagen. Die Emotionen kann man in unseren glänzenden Augen sehen. Nun, sei es drum. So ist das nun mal, wenn man eine schöne Zeit miteinander verbracht hat. Zaza überrascht uns mit einem Bild. Darauf unsere Namen, geschrieben in altmongolischen Zeichen. Auch ihre Art es uns zu geben folgt ganz der Tradition.
Das „blaue Tuch des ewigen Himmels“ legt sie über ihre Unterarme. Darauf ruht das Geschenk. Sten hält seine Arme in der gleichen Weise nach vorn gestreckt und empfängt so beides. Richtig bewegend, der Augenblick. Wie auf einer Bühne. Auch wenn die in unserem Fall die Kurve einer stark befahrenen Straße ist. Eine unserer Porzellan Medaillen, hängen wir feierlich um Zazas Hals. Die Medaillons sind für besondere Menschen, denen wir unterwegs begegnen und zu denen wir eine sehr spezielle Verbindung empfinden. Um uns selbst zu überlisten, starten wir irgendwann den Motor und rollen langsam winkend davon. Wir wünschen Zaza mit ihrer Agentur für deutsche individuell Reisende viel Glück! Schon in drei Tagen macht sie sich wieder mit einer kleinen Gruppe auf den Weg durch ihr Land. Ein paar Kilometer sind es für uns durch die voll gestopften Straßen Ulaan Bataars. Dann wird es stiller. Gleich nach der Stadt übernehmen die seichten kahlen Hügel und die Jurten das Regime. Was für ein Labsal für unsere Augen. Wir werden ruhiger, entspannen uns und ziehen unseres Weges. Ab in den Süden.
Weiter / Forward
19.08.2015 Ulaan Bataar / Mongolia / N47°54’33.0“ E106°54’59.8“
Wenn man unterwegs ist macht man mitunter ganz eigenwillige Dinge. Man sucht zum Beispiel irgendwo in einer Eineinhalbmillionen Stadt ein kleines Guesthouse um einfach einmal wieder zu duschen. Idee haben, fragen, suchen, finden, nachfragen, Duschraum abschließen und genießen. Für derartige Aktivitäten können dann auch schon einmal drei Stunden ins Land gehen. Eine Spur frischen Duftes hinter uns her ziehend, treffen wir Zaza im „Blue Sky“. dem höchsten Tower der Stadt, um einen Blick von oben zu erhaschen. Das Restaurant hat geschlossen. Doch aus den Toiletten heraus schaut es sich mindestens genau so gut. Noch fix ein leichtes Süppchen in einem der Hinterhofrestaurants geschlürft und auf geht es zur chinesischen Botschaft. Wir rechnen mit allem, nachdem wir am vergangenen Freitag von einem Hauch kühler Ablehnung umweht wurden. Lange Schlange auch heute. Doch die erste Überraschung: die Eisentür öffnet sich zehn Minuten VOR der eigentlichen Zeit. Die Schlange windet sich durch das Treppenhaus, den Gang, die Schalterhalle, bis hin zu dem einen kleinen Fenster, an dem „Pick up“ steht. Eine junge Chinesin bemüht sich um Eile und tatsächlich rückt die Schlange Zentimeter für Zentimeter voran, bis Sten mit seinem rosa Zettelchen in der Hand, der nachweist dass wir unsere Gebühr von 60 Dollar bezahlt haben, an der Reihe ist. Und schon folgt die zweite Überraschung der ersten auf den Fuß. Blick in den Stapel auf dem Schreibtisch, Handgriff ins untere Schubfach und schon hält sie unsere Pässe in den Händen. Dritte Überraschung: wir haben beide ein eigeklebtes Visum für China in unseren Pässen. Und das sogar mit drei monatiger Gültigkeit. Es scheint so als sollte unsere Reise weiter gehen. Das begehen wir mit einem bunten traditionellen mongolischen Tanz- und Gesangsabend und Wein mit Italien-Food gemeinsam mit unseren russisch / amerikanisch / italienischen Freunden denen wir beim „Ersten mongolischen Border-Movie-Festival“ an der Grenze vor einem Monat begegneten und die wir hier in Ulaan Bataar wieder trafen.
„Ruhe bitte“ / „Silence please“
18.08.2015 Ulaan Bataar / Mongolia / N47°54’33.0“ E106°54’59.8“ Am frühen Morgen den Leo noch ein wenig aufmöbeln. Seitdem er neue Einlagen in seinen Federschuhen hat, bäumt er sich vorn leicht auf. Was wiederum dazu führt, dass Fahrerhaus und Wohnraum sich öfter küssen als uns lieb sein kann. Damit die Kabine keinen Schaden nimmt und das mächtige Wummern bei jeder Achsverschränkung aufhört, entschließen wir uns, einen kleinen Schnitt am Edelstahl-Astabweiser vorzunehmen. Kein großer Eingriff doch die Wirkung ist erheblich. Minimalinvasiv behandelt geht es weiter. Alle drei sind wir ein wenig nervös. Denn unser Ziel ist der mongolische Fernsehsender „Star TV“. Heute soll gedreht werden... Jeder Tag ist für uns wie ein Brummkreisel. Doch Dreharbeiten erhöhen die Dynamik noch einmal um Einiges. Eine fünfundvierzig Minuten lange Sendung soll es werden. Na dann mal los. Mit Zaza unserem Engel, Zolo der mongolischen Redakteurin, Grace der neuseeländisch / englischen Moderatorin und drei Kameramännern samt ihrem Equipment geht es raus aufs Land. Fluss im Hintergrund, großes freies Land davor, Leo eindrucksvoll platziert. Wir beide im lockeren Talk mit Grace. Es ist ihre erste Sendung beim Sender. Frisch aus Honkong ist sie vor zwei Wochen in der Mongolei gelandet. Wir geben alles, damit es für sie ein guter Start wird. Der lockeren Unterhaltung steht nach fast zwei Stunden Sitzen auf einem kleinen Klapphockerchen nur eins im Wege. Die Kälte die heute Einzug hält. Wir frieren alle Drei, können aber wegen des Zusammenschnitts der Sendung nicht einfach mittendrin den Winterpelz herausholen. Mitte August kündigt sich der mongolische Herbst hämisch lachend an. Wir haben Glück. Bei uns sind es windige fünfzehn Grad. Im Norden, wo wir vor einem Monat bei dreißig Grad gestartet sind, schneit es heute... Hach, da sind wir mehr als froh, dass China im Süden liegt. Wir biegen dann noch mal in den Sommer ab. Land, Leute, Kochen, Schönstes, Überraschendstes, Schwierigstes... das und noch mehr will Grace von uns wissen und hat alles in Fragen gegossen. Als wir steif gefroren knackend aufstehen, wissen wir wenig von dem was wir geantwortet haben, doch sind gut gelaunt und irgendwie innerlich befreit. Alle noch mal rein in den Leo. Filmen von vorn, hinten, innen, außen, oben, unten. Scheinwerfer an. Aktion bei der Wasserdurchfahrt. Die Moderatorin hat Spaß bei dem Geschaukel. Was der Sender nun zusammen schneidet wissen wir nicht. Doch der Tag war spannend für uns. Mit Zaza und Eljas sitzen wir abends im Irish Pub zusammen. Glühend rote Gesichter vom Hefeweizen, unserer Müdigkeit und der Wärme die der Kälte folgte. „Ruhe bitte“, erst am Drehort, nun im Leo. Gute Nacht.
Gleichgewicht / Balance
17.08.2015 Ulaan Bataar / Mongolia / N47°54’33.0“ E106°54’59.8“
Schaue ich auf das große Ganze, betrachte ich jede noch so kleine Szene, nehme ich uns im heute, in Beziehung zu dem was war und vor uns liegt wahr, alles, wirklich alles scheint immerzu darum bemüht ein Gleichgewicht herzustellen. Auf laut folgt leise, auf Sorge folgt Heiterkeit, auf Tag folgt Nacht, auf Hektik Entspannung. Und immer so fort. Die Welt scheint sich auf diese Weise selbst gesund zu halten. Ich sitze hier, ganz weit im Osten der Welt und mache mir darüber meine Gedanken. Es ist ruhig, in mir und um mich herum. Ist es die Ruhe auf die der Sturm folgt? Ist es die Ruhe nach dem Sturm? Darf das sein oder muss ich mich unwohl fühlen, weil es so ist, wie ich es gerade wahr nehme? Ich bin mir bewusst, welche besondere Zeit in unserem Leben wir momentan erfahren. Wir können uns dem in Gänze widmen, was um uns ist, haben wenige Alltagssorgen, nicht die enge Taktung und die eintausend Dinge, die zu erledigen sind. Das alles haben wir zurück gelassen. Mitunter unterwegs abgelegt. Wann diese Welle erneut auf uns schwappt, wissen wir nicht. Der Westen hat die Uhren, der Osten die Zeit. Vielleicht hat der Westen auch die Hektik und der Osten die Entspanntheit? Irgendetwas ist anders. Die meisten Menschen haben hier definitiv wenig, was sie ihren Besitz nennen. Und doch wirken sie auf mich nicht genervt, ausgelaugt, verzweifelt und zerstreut. Eine innere Ausgeglichenheit scheint von ihnen auszugehen. Machen wir uns im Westen über zu viele Dinge Gedanken? Ist es vielleicht mitunter wenig hilfreich, in der Bedürfnispyramide so weit nach oben geklettert zu sein? Geht es nicht trotz allem, was uns umtreibt immer wieder um die ganz einfachen Dinge? Nahrung, Nähe, Schutz und Schlaf. Ist nicht alles andere drum herum pure Ablenkung? Ich weiß, ich lebe gerade in dem Luxus mir darüber Gedanken zu machen. Vielleicht ist auch das eine Sache des Gleichgewichts. Ich stelle mir diese Fragen hier, für mein Leben zu Hause. Normalerweise bin ich immerzu beschäftigt. Hier jetzt erfahre ich vom Stillsitzen und Geschehen Lassen. Keine Ahnung, ob es einfach eine Episode in meinem Leben ist oder tiefere Auswirkungen haben wird. Doch der Strudel des „keine Zeit Habens“, des „nicht fertig Werdens“ kann nicht die einzige Antwort sein, die wir uns geben. Wir werden dadurch nicht wichtiger. Wir schaffen damit nicht mehr. Soviel kann ich heute schon sehen. Wenn auch durch meine Brille, die ich aufgesetzt habe, fernab meines Alltags. Fernab des Strudels, der uns mitzieht, von dem wir uns erfassen lassen. Ich bin auf mich selbst gespannt in dem was aus diesem Gedankenknäuel einmal werden wird. Was folgt darauf? Ich habe keine Ahnung. Und nehme genau das als meine Balance wahr. Meist habe ich eine Idee davon, was wofür gut ist und warum. Keine Antwort zu haben ist eine neue Erfahrung, eine andere Qualität für mich. Gleichgewicht in meinem Leben. Im Kleinen an jedem neuen Tag. Im Großen schaue ich später wieder darauf.
Türkis und Jade / Turquoise and Jade
16.08.2015 „Gorkhi Terelj“ National Park / Mongolia / N48°00’41.2“ E107°39’40.1“
Oh, ich spüre jeden Muskel in meinen Armen. Bis in den Rücken zieht sich das schwere Gefühl. Und in den Fingern ist es sowieso. Stundenlang sitze ich über Sandpapier gebeugt und schleife einen roten Jade Stein, bis er mir seine samtweiche, matt glänzende, glatte Oberfläche blinkend zeigt. Wie beiläufig legt mir Bold am Morgen einen Stein vor die Füße mit dem kurzen Kommentar: „Das ist Jade“. Für mich klingen diese drei Worte wie eine ganze Geschichte, wie ein Märchen, wie ein Zauber. Einfach so liegt hier Jade Stein in der Gegend herum? Offensichtlich. Bold legt wenig später ein Stück „Türkis“ dazu „...von der weicheren Sorte“, wie er sagt. Die härteren Steine sind tiefer in der Erde verborgen. Bold ist Geologe und kennst sich aus in seinem Land der Steine und verborgenen Schätze. Als selbstständiger Geologe wird er inzwischen oft gerufen, wenn es darum geht, besondere Vorkommen ans Tageslicht zu fördern. Meist sind es Einheimische, die aus Überlieferungen von Bodenschätzen wissen, denen die Leute in früheren Zeiten jedoch nicht auf den Grund gingen. Heute will man Geld verdienen. Da kann die eine oder andere Tradition schon mal ins Hintertreffen geraten. Doch hier im Nationalpark darf alles liegen wie und wo es will. Ich habe ein Schild gesehen. Es hat mich gefreut. Ein durchgestrichener Spaten war darauf abgebildet. Es stimmt also wirklich. Der Boden ist der Legende nach heilig. Er darf nicht verletzt werden. Weder durch Schuhspitzen, deren vordere Enden deswegen nach oben zeigen, noch durch spielende Kinder oder den Spaten eines Schatzsuchers. Zaza erzählt dass es für sie ganz selbstverständlich war, ausgeschimpft zu werden, wenn sie als kleines Mädchen in der Erde graben wollte. Der Boden darf nicht aufgebrochen werden. Und gut. So sind die Bodenschätze über lange Zeit geschützt gewesen, so schloss sich Ackerbau aus, der zu einer gemüsefreien Ernährung führte. Die Mongolei überrascht mich an jedem Tag neu. Immer, immer wieder macht mich die ursprüngliche Selbstverständlichkeit sprachlos. Es ist, als stehen wir in einer riesengroßen Schatzkiste, die glücklicherweise eben noch nicht geplündert wurde, sondern sich in ihrer Fülle ergießt. Ich glaube, dass sich das Land selber schützt. Durch seine harten Winter einerseits, durch die Jahrhunderte lang gepflegten Traditionen andererseits. Ich darf vor „Tuul“ und „Terelj“ sitzen, den beiden Flüssen, die mit ihren Massen an Schmelzwasser unbekümmert durch ihre unberührten Betten hüpfen. Über 10.000 Jahre lang tun sie das in gleicher Weise.
Und ich schleife an meinem Jade Stein, bin versunken in meinen gleichmäßigen Bewegungen und glücklich mit meinem einfachen Tun. Zaza mag unser Kochprojekt und möchte ihr Rezept hinzufügen. Zaza ist jung. Zaza lebt in der Stadt. Zaza liebt es mit Gemüse zu kochen. „Zuvan“ heißt ihr Gericht, welches wir heute Abend in unser großes Rezeptbuch schreiben. Das getrocknete Schaffleisch und die Sahne kommen von den Nomaden, die nicht weit von unserem Lager in ihren Jurten leben. Weißkraut, Kartoffeln, Möhren, Zwiebeln ergeben eine bunte Gemüsepfanne, die durch das angebratene getrocknete Fleisch ihr Aroma empfängt. Gewürzt wird das Fleisch nicht. Das haben die Tiere mit dem Fressen der Wiesenkräuter schon längst selbst erledigt. Obenauf legt Zaza Nudeln aus frischem Teig. Dampfgegart nehmen sie den leichten Geschmack des Gemüses an. Geschüttelt und vorsichtig miteinander vermengt schmeckt Zazas „Zuvan“ vorzüglich. Mein Magen scheint milde zu lächeln, denn er nimmt wahr, dass er heute Gemüse verdauen darf. Der Tag brachte uns einen kurzen, aber gewaltigen Regensturm am Nachmittag. Nichts Ungewöhnliches hier. Gleichmäßig mildes Wetter kann es ja überall geben. Hier nicht. Hier ist zu jeder Zeit mit allem zu rechnen. Ein weggerissenes Zelt mit gebrochenen Stangen ist da nur eine kleine Nebenszene. Umso mehr genießen wir den windstillen Abend, an dem ein frisches Roggenbrot in Stens Händen entsteht. Im Feuer bäckt es langsam vor sich hin und verteilt wie zum Spaß ab und an einen Windhauch seines leckeren Duftes in der Nachtluft.
Wochenend und Sonnenschein / Weekend and sunshine
15.08.2015 „Gorkhi Terelj“ National Park / Mongolia / N48°00’41.2“ E107°39’40.1“
Wochenende. Was macht man da? Man fährt aufs Land. Riesig freuen wir uns über Zazas Einladung mit ihr und ihrem Freund Bold gemeinsam außerhalb Ulaan Bataars zu Angeln. Die Stadt streng uns an. Wir wollen raus, raus, raus. Der dicken Luft entfliehend setzen wir dem Gedränge in den Straßen gern das entspannte geholper auf den Pisten entgegen. Zaza „kennen“ wir seit Monaten. Getroffen haben wir sie vor wenigen Tagen in Ulaan Bataar. Munter, frisch und mit einem herrlichen Deutsch umgibt sie sich und uns. Gefunden über Empfehlungen in einem Mongolei-Buch kommt es uns vor als wüssten wir seit langem umeinander. Zaza arbeitet für „Extratour“. Einer Agentur, die individuelles Reisen im Land organisiert. Für uns ist Zaza eine liebenswerte und mehr als hilfreiche Begleiterin. Ihr Onkel war es, der dem Leo neue Plattfedern verpasste. Über sie haben wir von den Naadam-Festen gehört, sie brachte in Erfahrung, wann die russisch-mongolische Grenze, nach Tagen des Feierns, wieder öffnen würden. Zaza erkundigte sich für uns nach Ärzten, als wir noch lange nicht in der Stadt waren. Sie ist wie ein guter Engel für uns und überhaupt. Ein kleines gemeinsames Frühstück, einkaufen fürs Wochenende und ab geht die Post. Die Idee, raus ins Land zu fahren haben offensichtlich nicht nur wir. Ein Verkehr wie in den staugeschwängerten Ostertagen in Deutschland, begleitet uns. Verstopfung an den Zahlstellen, auf dem Weg zum „Gorkhi Terelj“ Nationalpark. Doch die Mongolen wissen sich elegant zu helfen. Das Pistenfahren gewöhnt, „umschiffen“ sie die Schranken einfach, die sie auffordern anzuhalten und Eintritt zu zahlen. „So was Neumodisches!“, werden sie sich sagen. „Warum soll ich Geld für etwas bezahlen, was ich hier in rauen Mengen um mich habe?“ Irgendwie stimmt es ja auch. Die Mongolei ist auf jedem Meter schön. Nun, wir zahlen unsere 300 MGT für Zaza und Bold. Für uns gibt’s nen „Specialprice“. 3.000 MGT pro Person, sollen es sein. Okay, 1,50 € sind ja nun wirklich zu verschmerzen. Wir zahlen gern und landen nach mehreren Wasserdurchfahrten und dem dankbaren bergen eines im Fluss stecken gebliebenen Transporters, bei dem ich mir nicht sicher bin wer sich mehr freut, die Frau mit ihren kleinen Kindern im Transporter oder Sten, der die Aktion sichtbar genießt, an einem Ufer, das hörbar nach uns ruft. Wir lassen uns nicht lange bitten. Durchgeschüttelt sind wir mehr als mürbe zur Rast. Was folgt ist ein „Tag am Fluss“, mit allem was dazu gehört. Vergebliches Angeln, erfolgreiches Grillen, gemeinsames Sitzen am Feuer. Da bleibt mir nur „89“ zu sagen. Das mongolische Synonym für „Nice“.
Mischtag / Mixed day
14.08.2015 Ulaan Bataar / Mongolia / N47°53’01.5“ E107°08’03.6“
Ein Kaleidoskop vor den Augen, laufe ich heute durch meinen Tag. Das erste Bild. Farbig zwar, doch mehr gedeckt gehalten. Werkstattatmosphäre. Der Leo übt noch immer seinen Stelzenlauf. Ein Akrobat der ganz speziellen Sorte. Wenig elegant, dafür umso bedachter in den Bewegungen. Die neuen Plattfedern lassen ihn springen. Später am Tag. Das zweite Bild des Tages wirkt kühl und zugleich aufgeheizt. Es spielt sich ab vor der chinesischen Botschaft. Montags, Mittwochs und Freitags hat sie geöffnet. Jeweils von neun Uhr dreißig bis zwölf Uhr. Ein kleines hutzeliges Zeitfenster wenn ich bedenke, wie viele Menschen vor der Botschaft stehen. Wie zu einer Revolte scheinen die Massen sich versammelt zu haben. Junge Mongolen, die anstehen um zum Studium nach China reisen zu können. Ein beklemmendes, enges Gefühl beschleicht mich, wenn sich die Eisentür einen Moment lang spaltbreit öffnet, der Beamte sein mürrisches Gesicht kurz dem gleißenden Tageslicht aussetzt und genau eine Person es bei äußerst schneller Reaktion schafft, hindurch zu schlüpfen. Gleich darauf das gewaltige Zuschlagen der Tür. Die Menschenwolke wabert und empört sich. Doch das ist vollkommen egal. Wir sind quasi auf chinesischem Territorium, da gelten eigene Regeln. „Man muss ja nicht nach China reisen“, scheint die Botschaft der Mitarbeiter zu sein. Als wir es endlich schaffen, in das Innere des Botschaftsgebäudes vorzudringen, finden wir uns an einem Schalter wieder, auf dessen gegenüberliegender Seite eine korrekt ernst blickende Dame sitzt die unverständliche Worte in ein Mikrofon nuschelt, deren Sinn wir durch die technische Verzerrung einfach nicht vernehmen können. Ungehaltenheit auf der Seite der Dame, Unverständnis auf der unsrigen. Wir bitten um zügige Bearbeitung, da große Zettel am Eingang dafür Werbung machen. Sozusagen als DEN besonderen Service. Doch die verzerrt klingende Damen-Antwort lautet: „Keine Expressbearbeitung für Deutsche!“. Alles klar. Ob wir unsere Visa für China am nächsten Mittwoch erhalten werden wissen wir nicht. Vielleicht fehlte auch noch irgendeine Angabe auf unseren Anträgen? Dann werden wir das in fünf Tagen unwirsch mitgeteilt bekommen. Ach, da drehe ich gern weiter an meinem Kaleidoskop. Das nächste Bild ist leuchtend hell. Rot und Gelb, gespickt mit etwas Gold.
Vor uns die größte stehende Buddha Statue, die es weltweit geben soll. Sechsundzwanzig Meter hoch ist sie. In einem Tempel des Gandan Klosters steht der Buddha. Zu Sowjetzeiten war sie als Symbol des religiösen Endes eingeschmolzen worden. Dank vieler Spendengelder konnte sie 1991 wieder neu entstehen und lässt heute ihre Besonnenheit auf uns strahlen. Ich stehe davor und werde ruhig. An der linken Seite beginnen wir durch den Tempel zu laufen. Dabei die Gebetsmühlen drehend. Im Bauch einer jeden liegt ein Papier mit einem aufgeschriebenen Gebet. Drehe ich die Mühle, ist es, als spräche ich das Gebet. Wir bringen die Mühlen in Schwung, so dass sich ihre Energie bis nach Deutschland entfalten kann. Dorthin, wo unsere Paula heute ihren Geburtstag feiert. Im Tempel die vollkommene Harmonie. Stimmig die Geschichten erzählenden Verzierungen im Holz, das gedämpfte Licht setzt vorsichtig Akzente. Es riecht nach Harmonie und Wohlwollen. Meinen ersten Schritt nach draußen mache ich auf wackeligen Beinen. Nicht nur wegen der Sonne die blendet. Auch der Spielplatz aus Plastikelementen und die Glasfassaden der Hochhäuser, gleich hinter den Tempeldächern, irritieren für einen Augenblick meinen Empfindungsfluss. Eine Vierteldrehung weiter am Kaleidoskop finden wir uns im Licht der untergehenden Sonne wider. Gemeinsam mit Eljas. Er ist Mongole, stammt aus Khovd-DundUs, hat gerade sein Studium in Boston beendet und arbeitet seit zwei Wochen hier in Ulaan Bataar für eine amerikanische Investmentfirma. Gemeinsam sitzen wir im „Irish Pub“, trinken deutsches Weizenbier zu mongolischem Beef und fliegen gedanklich gemeinsam ein Mal um die ganze Welt. Das Kaleidoskop geschüttelt, gedreht und ins Licht gehalten. Ein bunter Tag, gefühlvoll abgemischt mit farbigen Tupfern. Nun löschen wir das Licht. Schwarz. Gute Nacht.
Auf rohen Eiern / On eggshells
13.08.2015 Ulaan Bataar / Mongolia / N47°53’01.5“ E107°08’03.6“
Was ist denn das? Regen und „Kälte“? Wo gibt’s denn so etwas? Klar, Götz verlässt uns heute. Doch dass dies der Anlass für den Himmel ist, so viel Traurigkeit zu zeigen, hätte ich nicht gedacht. Er scheint empfindsamer zu sein als ich ahnte. Winkend stehen wir am frühen Morgen vor der Absperrung. Unsere Augen noch geschwollen von der Nacht, können wir Götz geradeso zusehen, wie er von Dannen zieht. Winkend bleiben wir am Gate zurück. Die schönen Tage in uns, die wir miteinander verlebten. Er nun dort, wir hier. Weiter. Ämtergang steht an. Vier Wochen kann man in der Mongolei, einzig mit einem Einreisestempel, reisen. Bleibt man länger, dann geht es nach dem Monat nur mit verlängertem Visum. Das brauchen wir, um bis Ende August im Land bleiben zu dürfen. Gleich in der Nähe des Flughafens finden wir die Immigration Behörde. Praktisch für uns. Sind wir doch einmal da. Ämter haben ihr Eigenleben. In der Mongolei sind sie von Pausen und exakten Schließzeiten geprägt. Doch wir haben Glück und schlüpfen in eine Lücke zwischen Frühstück und Mittagessen. In dieser schaffen wir es, nach mehrfachem Ziehen einer Nummer, erfolgreich an einem der Schalter Gehör zu finden. Gezählt wird ab dem dreißigsten Tag des Aufenthaltes. Jeder weitere Tag kostet Geld pro Person. Alles addiert landen wir am Ende bei 60 Dollar Gebühr für zwei Personen und 16 Tage Aufenthaltsverlängerung. Das Beste ist, nach drei Stunden stehen wir mit unseren Pässen wieder vor der Tür und alles ist erledigt. So schnell wie heute haben wir den Prozess des Meldens und Verlängerns in den vergangenen Monaten noch gar nicht erlebt. Dabei noch einen Rad fahrenden Spanier kennen gelernt und ein Deutsch-Mongolisches Paar, welches gerade dabei ist, in der Mongolei Fuß zu fassen. Von ihrem neuen Holzhaus haben sie erzählt und davon, wie besonders es für die Nachbarn in ihrem entlegenen Örtchen ist, dass da jetzt „Fremde“ kommen. Wir huschen durch den Nieselregen hindurch und wissen noch nicht so recht, was wir von dem Tag halten sollen. Kalt und grau scheint das fade Tageslicht auf uns. Es ist so ein „Zwischentag“. Wir sind nun wieder zu Zweit. Das verändert den Rhythmus. Wir haben den Faden erst wieder zu finden und aufzunehmen, der uns beide hält.Erst einmal mit unseren italienischen Freunden von der Grenze einen Kaffee trinken. Man begegnet sich hier eben doch immer wieder.
Sie haben einen Platz an der Ziellinie der „Mongolian Charity Rally“ gefunden und uns dorthin eingeladen. Doch die feuchte Kälte lässt uns nicht lange still sitzen. Wir wollen uns bewegen und laufen ins Zentrum der Stadt. Leben um uns, Trubel. Überall auf der Welt könnten wir gerade sein. Die Menschen, an denen wir vorbei laufen, könnten uns ebenso in New York oder Paris begegnen. Wie sich die Stile angeglichen haben erstaunt mich. Wir lassen uns treiben und finden Platz in einem netten kleinen Café. Milchkaffee mit ganz normaler Kuhmilch. Keine angegorene Stutenmilch aus einer kleinen herumgereichten Schale. Nein, Tassen im internationalen Design bekommen wir über den Tresen geschoben. Kleine Verschnaufpause, bevor unser „Leo“ wieder einmal an der Reihe ist. Einige Tage lang ging es nun seit Barnaul in Russland einmal nicht zu allererst um ihn. Sondern um Tilek und seine Familie, die Pisten und Stens Gesundheitszustand. Einen Monat lang hat er es ausgehalten und wohl überlegt, was jetzt mal an der Reihe sein könnte. Gebrochene Federblätter sind ihm eingefallen. Zwei Stück davon hat er uns beschert. Ach unser lieber Leo... Und ehe wir uns versehen können, stehen wir auf einem kleinen Werkstatthof, der Leo wird aufgebockt, die Federblätter ausgebaut. Wie auf rohen Eiern fühlt es sich am Abend für uns an, als wir in unseren Leo klettern, um darin zu schlafen. Alles wackelt, alles schwankt. Hoffen wir mal dass die Wagenheber uns in der Nacht tragen und ihnen nicht mittendrin einfällt, dass sie keine Lust mehr dazu haben.
Allmächtiger Chinggis Khaan / Almighty Chinggis Khaan
12.08.2015 Ulaan Bataar / Mongolia / N47°53’01.5“ E107°08’03.6“
Chingis Khaan Kekse, Chinggis Khaan Gürtel, Chinggis Khaan Straßen, Plätze, Ringe, T-Shirts, Streichholzschachteln, Denkmäler. Und eben auch den Chinggis Khan Flughafen gibt es. Ein Internationaler ist er. Nicht so groß. Eher übersichtlich und bescheiden. Doch ausreichend, um unser Nachtlager direkt vor seiner roten Leuchtreklame aufzuschlagen. Etwas außerhalb der Stadt liegt er. Damit Götz morgen früh gleich vom Leo aus in seinen Flieger klettern kann, wählen wir heute den Scheinwerferlicht durchfluteten Platz in Front der startenden Maschinen. Ob gut bewacht? Weiß nicht. Doch bezahlt haben wir für so viel Licht. Chinggis Khaan ist allgegenwärtig. Seine „Heldentaten“ wirken auf mich wie das Rückgrat der Mongolen. Er scheint ihre Identität zu sein. Obwohl mein Eindruck der Menschen hier ein vollkommen anderer ist. Ja, mutig sind sie und hart zu sich selbst. Doch auch sehr feinsinnig und vorsichtig. Eher zurückhaltend, als Eroberer. Wenn ich erinnere, mit welcher Behutsamkeit ein Mann mit uns aß und dabei ganz langsam und mit Bedacht sein Pflaumenmusbrot bestrich, dann kann ich mir dahinter das Heer des Chinggis Khaans einfach nicht vorstellen. Doch als Idol und Vater zum Anlehnen dient er allemal. Wie er breitbeinig und fast wie zu Brei zerlaufen am Eingang des Parlaments Gebäudes sitzt und über allem wacht, was auf dem riesigen Platz vor sich geht. Wir sind noch dabei uns in Ulaan Bataar zu sortieren. Geschlafen haben wir außerhalb. In den Bergen oberhalb der Stadt. Das tat gut. Das war schön. Dem dichten Gedränge, der schlechten Luft entronnen, fanden wir einen Platz zwischen „Owoos“, den lamaistischen Steinhaufen und fühlten uns durch sie gut beschützt. Doch ein großer Bluttest, Ultraschallaufnahmen und weitere anstehende Untersuchungen an Sten ließen uns keine Ruhe und wir kehrten morgens zeitig in die Enge der Stadt zurück. Die negativen, also für uns positiven, Ergebnisse aller Tests lassen uns entspannter werden und erstmals einen offenen Blick auf Ulaan Bataar werfen. Der hat Zeit, der Blick. So lange wie wir im Stau stehen, um uns von der Klinik aus dem Stadtzentrum zu nähern... Immer wieder freudig lachenden Augenpaaren begegnen wir dabei.
Die, zumeist Männer und Kinder, freuen sich, unseren Leo in dem ganzen Gewirr zu entdecken. Ich stehe mental die ganze Zeit auf dem Bremspedal, obwohl ich gar nicht fahre. Doch es geht hier so extrem eng zu, so dass ich meine Reflexe nicht in den Griff bekomme. „Wir feiern die Feste wie sie fallen“ sagen wir uns am Abend und wählen für unser Abschiedsessen ein Koreanisches Restaurant aus. Edel sieht es aus, als wir es betreten. Einladend duftet es nach Gemüse und Gewürzen. „Gemüse“, das Wort bekommt in der Mongolei eine ganz neue Färbung und Bedeutung in meinem Kopf. Ja, alles was man entbehrt, steigt auf dem Treppchen der Begehrlichkeit gleich mal mehrere Stufen nach oben. Die vielen kleinen bunten Teller tanzen vor unseren Augen herum und füllen sich jedes Mal wie von selbst, wenn wir die eingelegten Pilze, Algen, Bohnen, mitunter undefinierbaren, doch nicht weniger schmackhaften Häppchen verspeist haben. „Langsamer Nahrungsaufbau“ für Sten, Schlemmen für Götz und mich heißt es heute Abend, bevor wir uns in den Schoß Chinggis Khaans rollen lassen und unter seiner Obhut wohl behütet unsere Häupter betten.
Heute Blutbild / Today blood count
11.08.2015 Ulaan Bataar / Mongolia / N47°53’01.5“ E107°08’03.6“
Ulaan Bataar. Welcher Name. Welches Wort in unseren Ohren. Es klang so fern als wir die Reise planten. Es war weit während wir uns der Stadt näherten. Heute nun erreichen wir sie auf Eintausenddreihundertfünfzig Metern Höhe. Auf einer Fläche von viertausendsiebenhundertvierzig Quadratkilometern, und damit doppelt so groß wie das Saarland, rekelt sie sich dahin. Asphalt ist unter unseren Rädern, der Verkehr wird dichter. Anders als auf den Pisten, auf denen sich jeder seinen eigenen Weg sucht, fährt nun alles geordnet auf einem Streifen hin und auf dem anderen her. Spaß macht es nicht, in der schnippischen Fahrweise mitzuhalten. Doch es bleibt uns wenig anderes übrig. Haufendörfer verdichten sich, die Jurten aus denen heraus „Kumis“, die vergorene Milch, verkauft wird, säumen den Straßenrand. Und plötzlich tauchen sie vor uns auf, die Hochhäuser der Hauptstadt. Einen größeren Kontrast kann es für mich kaum geben. Jurten, die im Abstand von Kilometern zueinander stehen, treffen nun auf die Enge der Großstadt. Die Marken dieser Welt prangen an den Lichtmasten, blinkern im Licht und geben ihr Bestes. Ich weiß für einen kurzen Moment lang nicht wo wir gelandet sind. Ist das eine chinesische Stadt? Sind wir vielleicht schon zu weit gefahren? Nach der Mongolei sieht es hier, laut meinen Vorstellungen, einfach nicht aus. Wie geht das? Im Land das Leben wie aus einer anderen Zeit und hier nun das des 21. Jahrhunderts? Zwanzig Kilometer vom Ortseingang bis zu unserem Ziel sind es. Zwanzig Kilometer hochkonzentrierten Fahrens, dicht an dicht mit allen anderen. Auffahrunfälle auch hier mehr als genug. Als wären die Autos aus Gummi. So scheint mir der Fahrstil vieler. Und dann sehen wir in großen Lettern geschrieben: „SOS Medica Mongolia UB International Clinic“. Von außen macht sie einen vielversprechenden Eindruck. Wir sind ein erstes Mal erleichtert. In unseren Vorstellungen sahen wir uns Schlimmerem gegenüber. Der Empfang, eine freundlich helle Halle. Die Wahl wird uns gestellt zwischen einer mongolischen Ärztin oder einer Südafrikanischen. Bei gleichem Ausbildungsstand macht rein das Image einen anderen Preis. Zwischen neunzig und zweihundertdreißig Dollar haben wir für die Behandlung zu wählen.
Die mongolischen Ärzte an der Schautafel sehen alle sehr sympathisch aus. So fällt unsere Wahl auf sie. Die Klinik wirkt transparent und einladend. Durch die geöffnete Tür sehen wir die südafrikanische Chefin des Hauses sitzen. Shirley ist ihr Name. Als sie uns sieht, kommt sie gleich auf uns zu. Von dem landesweiten Helikopter Hilfsdienst erzählt sie uns und dass sie seit fünf Jahren hier lebt. Selbst einen Blick in unseren Leo möchte sie werfen. Das alles weckt in uns Vertrauen und macht uns ruhiger. Der anschließende Tastbefund unserer Ärztin „Dolgorsuren“ und das Blutbild geben vorerst Entwarnung. Alle Werte sind okay und wir unendlich erleichtert! Das Antibiotikum war die beste Wahl. Vielleicht hat es seine Wirkung entfaltet und die Entzündung gestoppt? Niels und Grit, wir danken euch für eure Hilfe, Unterstützung und praktischen Tipps! Die Verantwortung tragen wir selbst, das ist uns klar. Doch es tut unglaublich gut, Freunde im Rücken zu spüren! Die Klinik verlassen wir beschwingt. Ein kleines Fest des Freuens steht für uns an und Sten probiert vorsichtig ein erstes Süppchen.
Vom Yak zum Kloster / From yak to the cloister
10.08.2015 Karakorum / Mongolia / N47°19’28.2“ E104°08’03.5“
Die Seidenstraße versorgte einst die Hauptstadt des Mongolenreiches. Mit Peking hatte sich die Stadt zu messen, die einen Bewässerungskanal und Ackerbau kannte. Von 1220 bis 1586. Dreihundert Jahre mongolische Geschichte. Weltgeschichte. „Karakorum“ ist die erste Hauptstadt der Mongolen und die Geburtsstätte des mongolischen Nationalstaates mit einem dauerhaft organisierten Staatswesen. Mit dem Buddhismus kam auch die Staatsreligion nach Karakorum. Die Sesshaftigkeit und das Ausüben von Handwerk und Kunst, was eine Stadt braucht und den Nomaden vollkommen fremd ist, holten sich die Mongolen durch Chinesen ins Land. Ohne sich deren Fertigkeiten anzueignen ließen sie für sich arbeiten. Nicht nur das Holz- und Silberhandwerk war das der Chinesen, auch der Bau des Bewässerungssystems trägt ihre Handschrift. Als Peking 1368 zur neuen Hauptstadt der Chinesen ernannt wurde, stürzten sie die der Mongolen. Erst 1415 beschlossen diese ihre Hauptstadt erneut aufzubauen. Bis sie im 16. Jahrhundert komplett verfiel und 1586 als Steinbruch für das erste buddhistische Kloster der Mongolei diente. „Erdene Dsuu“ ist der Name des Klosters, welches auf einem quadratischen Areal mit 62 Tempeln im Chinesisch-Mongolischen Stil ausgestattet wurde. Leider sind in den kommunistisch geführten Tagen die meisten Tempel zerstört wurden. Durch die Überreste der großzügigen Anlage laufen wir nun. Es ist ein eigenwilliger Tag. Die Luft ist drückend, das Licht fad. Geschuldet der gewittrigen Stimmung die über uns schwebt. Wie taub laufen wir durch die Gebäude, schauen den Göttern in ihre freundlichen Gesichter. Andere flößen mir Angst ein. Gern wäre ich jetzt mit Sten und Götz allein hier. Um ein Gefühl für den Ort zu entwickeln, an dem einst hunderte von Mönchen lebten. Ich tue mich schwer damit, in der Museums Atmosphäre anzukommen. Und merke, dass wir inzwischen einfach viele Monate lang unterwegs waren, ohne museale Eindrücke zu gewinnen. Alles was wir sahen war in seinem Ursprung belassen. Und wir darin die wandelnden Zeitzeugen. Der Erhalt der Überreste der Klosteranlagen ist mit Sicherheit ein gutes Engagement. Doch die Mengen an Reisebussen und Händler, die ihre Souvenirs anpreisen, passen schwerlich in das Bild. Ich weiß ich bin verwöhnt von der Ursprünglichkeit dessen, was uns in den vergangenen Wochen und Monaten begegnet ist. „Nun hab dich nicht so.“ sage ich zu mir selbst. „Schau es dir an und störe dich nicht so sehr an den vielen Besuchern.
Du bist ja selbst einer davon.“ Ich weiß, dass es für den sich langsam entwickelnden Tourismus in der Mongolei gut ist, dass Menschen aus aller Welt beginnen Interesse an diesem Land zu entwickeln. Und doch ziehe ich die Einsamkeit und Abgeschiedenheit dem allen vor, die wir in den letzten Wochen erleben durften. Nichts war gestellt. Keine Vorführung für Besucher. Alles was wir sahen war das echte Leben der Mongolen. So, wie sie es seit Jahrhunderten leben. Ich bin froh das Land für mich auf diese einsame, fast heimliche, Weise kennen gelernt zu haben. Wer weiß wie lange es dauert bis die Touristenbusse das ganze Land erobern? Asphalt, bleib am besten wo du bist. Rund um Ulaan Bataar und dringe nicht weiter ins Land hinein. Das hält die Massen fern. Was für kindische Gedanken ich habe. Als könne ich den Fortschritt aufhalten, den sich mit Sicherheit auch die Mongolen wünschen. Und doch genieße ich umso mehr, wenn an jedem Morgen ein Hirte auf seinem Pferd oder knatternden Motorrad bei uns, auf irgendeiner Wiese fernab stehend, vorbei schaut, Halt macht, einen Tee oder das ganze Frühstück genüsslich mit uns gemeinsam einnimmt, um dann seiner Wege zu ziehen. Das ist niemand von der Tourismuszentrale entsandtes. Das sind Männer die hier leben und sich freuen, auf unserem Frühstückstisch neue Geschmacksrichtungen zu entdecken. Freudig lächelnd heben sie dann die Hand zum Lob dessen, was sie gerade probieren. Knäckebrot mit Pflaumenmus oder Birnenauflauf. Weiter geht’s. Von weitem sahen wir Yaks an den Hängen der Russisch-Mongolischen Grenze. Als wir vor drei Wochen dort über Nacht standen. Seit dem nur Schafe, Ziegen, Kühe und Pferde. Doch heute durchfahren wir ein weites Tal, welches die Heimat einer großen Yak Herde zu sein scheint. „Tibetische Grunzochsen“ werden sie auch genannt. Der Begriff „Yak“ stammt aus dem Tibetischen und bezeichnet eigentlich nur die männlichen Tiere. Als eine Rindergattung sind sie bestens an das raue Klima Sibiriens, der Mongolei, Tibets und des Himalayas angepasst. Bis zu guten drei Metern Länge können die Tiere erreichen. Und fünfhundert Kilogramm schwer werden sie. Drei Haararten übereinander trägt ein Yak, vom festen Deckhaar über eine gröbere Wolle bis hin zum feinen Unterhaar. Mit diesen Schichten ausgestattet lieben sie es in einer durchschnittlichen Temperatur von fünf Grad Celsius zu leben. Nun, heute ist es zum Glück wärmer. Denn ich habe noch keine Lust meinen Winterpelz wieder hervor zu holen. Der kann gern noch warten. Ich scheine echt nicht zur Gattung der „Yaks“ zu gehören. So sehr wie ich den Sommer liebe!
Entscheidende Entscheidung / Important decision
09.08.2015 Arvaikheer / Mongolia / N46°13’00.4“ E102°42’43.2“
Kamele begleiten uns heute und Pferde. Mal mehr, mal weniger lebendig. Würdevoll stehen die Kamele vor uns und klimpern mit ihren ach so langen Wimpern. Ich mag die Tiere. Viel Selbstbestimmtheit geht von ihnen aus. Wenn sie wollen, tun sie das Eine, wenn nicht, lassen sie das andere. Langsam in ihren Bewegungen. Schritt für Schritt, ohne Hast und Eile. Ganz anders die Pferde. Sie scheinen immerzu in Bewegung zu sein. In großen Herden galoppieren sie bebend übers Land. Der Inbegriff von Freiheit, wie mir scheint, wenn ich sie mit ihren wehenden Mähnen dahin fliegen sehe. Mitunter bleiben sie vor uns auf der Piste stehen, stecken ihre Köpfe zusammen und schützen sich auf diese Weise vor den Mücken und Fliegen, die es auf sie abgesehen haben. Wie kleine Verschwörungsbesprechungen sieht es aus, wenn sie im Kreis zusammen stehen, ganz dicht, Kopf an Kopf. Nur unser eindringliches Hupen kann sie dann bequemen, einmal kurz ihre Hälse zu strecken um nachzusehen. „Na gut, reden wir drei Meter neben dem Weg weiter“, scheinen sie uns entgegenzurufen, während sie die Bahn räumen. Herrlich, ihr Ungestüm. Nachmittags dann ein Tempel, einzig den Pferden gewidmet. Die blauen Himmelsbänder umwehen den gesamten Platz. Kunstvoll gefertigte Pferdeplastiken stehen im Mittelpunkt der Szenerie. Es sind die Portraits der siegreichsten Pferde. Das Reiten, der Sieg beim Turnier, ist für die Mongolen von großer Bedeutung. Sie scheinen mit ihren Pferden verwachsen zu sein. Eine untrennbare Einheit, Reiter und Pferd. Hier her kommen sie vor einem wichtigen Rennen, um sich Kraft zu erbitten und Beistand. Und nach dem Lauf, um ihren Dank kund zu tun. „Reiten liegt ihnen einfach im Blut“ denke ich, als abends ein Mann auf seinem Pferd in der ihn verschlingenden Dunkelheit auf unser Lager zugeritten kommt. Schemenhaft kann ich ihn sehen, die Staubwolke die er hinter sich her zieht wirkt imposant. Seine Frau und Tochter sitzen schon bei uns. Es sind die Bewohner der Jurte, gleich hinter dem Hügel. Ihre Herde zusammentreibend machten sie wie zufällig bei uns Halt und sitzen nun mit einem gefüllten Teller auf den Beinen an unserem Feuer. Kein langes Fragen, keine gezierte Zurückhaltung. Es ist Zeit zum Essen, es riecht gut, also setzt man sich ungefragt dazu und lässt es sich schmecken. Eine ganz unkomplizierte Weise und angenehm, weil es jeder bei jedem auf die gleiche Art tut.
Der Mann springt von seinem Pferd, setzt sich in seinen derben Hosen und jahrelang getragenen Stiefeln zu uns auf den Boden und lässt sich gleich darauf seinen Kartoffel-Zwiebel-Fleischtopf schmecken. Seinen Geschmack scheinen wir, wie es scheint, getroffen zu haben. Gestenreich, mit wenigen Worten, unterhalten wir uns eine Weile, bevor die drei zu Pferd und Motorrad wieder verschwinden, um ihre Herde nun tatsächlich nach Hause zu treiben. Die Landschaft macht uns drei froh, heiter und entspannt. Gut, mit der Entspannung, da fehlt derzeit noch ein Meter. Doch wir sind unglaublich glücklich, auf diesem Flecken Erde zu sein. Wäre da nicht pausenlos dieses Hämmerchen in unseren Köpfen, welches unaufhörlich klopft. Sten hat heute keine Schmerzen. Das Antibiotikum scheint gute Dienste zu leisten. Doch eine Entscheidung muss her. Umringt von vielen Fragen. Ist es tatsächlich der Blinddarm, der entzündet in ihm herum hüpft? Wie finden wir einen Arzt, dem wir unser Vertrauen schenken? Auf welche Weise stellt er seine Diagnose? Und wenn er bestätigt, was nach allen Symptomen dafür spricht, wo würden wir eine Operation für vertrauensvoll halten? Wie sind die hygienischen Bedingungen die wir vorfinden? Wir können momentan immer nur das Eine tun. Uns auf dem schnellsten Weg Richtung Hauptstadt bewegen. Denn medizinische Versorgung ist nur dort zu finden. Parallel sprechen wir mit unseren Freunden in Deutschland. Sie sind Ärzte und geben uns hilfreiche Tipps und ihre mentale Unterstützung. Sie kümmern sich rührend um Stens Gesundheit. Wir danken es ihnen von Herzen. Zu Hause würde man vielleicht sagen: „Schön, wenn er sich erst einmal wieder beruhigt hat, dann warte ich einfach mal ab.“. Doch vor uns liegen China, Laos, Kambodscha... Und in keinem dieser Länder möchten wir erneut von einer Blinddarm Attacke heimgesucht werden. Keine leichte Entscheidung, die ansteht. Doch es muss eine her. Weg reden oder still schweigen hilft nicht. Wir haben den Asphalt erreicht. Das macht uns um Weiten schneller. Ulaan Bataar rückt in greifbare Nähe und in uns steigt die Zuversicht. Noch vierhundertfünfzig Kilometer bis zur entscheidenden Entscheidung.
Wie weit noch? / How far is it?
08.08.2015 Bumbugur / Mongolia / N46°06’15.6“ E099°56’37.2“
Die Mongolei ist unser Traum. Seit vielen Jahren. Nun sind wir hier. Traumhaft. Tagtraum. Traumreise. Traumziel. Kein weißer Strand mit Palmen und türkisblau schimmerndem Wasser. Keine Cocktailbar in der Nähe, in der die Eiswürfel in den Gläsern ihr hohl dumpfes Klirren verkünden. Nirgendwo sehen wir Mädchen, die in Baströckchen vor uns tanzen. Nein. Das alles ist es nicht. Wir träumten von Tälern, die nicht enden, wir träumten von Raum, der nur für uns geschaffen sei, wir träumten von Fremdheit, dem ganz anderen, dem Unbekannten, was von uns entdeckt werden will. In seinem eigenen Traum zu erwachen ist himmlisch. Das Land ist mein Traum gewesen. Das Land ist noch immer mein Traum. Ich sitze auf einer Wiese und schaue geradeaus. So weit. So weit. Ist die Erde vielleicht doch eine Scheibe? Wir möchten bleiben und müssen doch weiter. Träume haben mitunter ihr Eigenleben. Erzählen IHRE Geschichten. Denen ist egal, was wir uns einmal dachten. Zwei Seelen schwingen in uns. Bleiben und gehen, langsam und schnell, kurvenreich und vorwärts strebend. Es gibt ein Thema, welches uns nicht ruhig sein lässt. Wir müssen momentan akzeptieren, dass Stens Blinddarm ein aktives Wörtchen mitreden will. Den hatten wir bisher nicht auf dem Schirm. Sorry, für die wenige Beachtung! War nicht so gemeint. Nun gib doch wieder Ruhe. Ist doch blöd auf einer Reise... Doch WAS unsere Reise ist, werden wir erst am Ende erfahren. Noch sind wir allen Überraschungen ausgeliefert. Noch wissen wir nicht, welche weiteren Schatzkästchen auf uns warten. Wir können nur annehmen und akzeptieren, welches wir gerade geöffnet haben. Im Schatzkästchen der letzten Tage lag ein Zettel mit der Aufschrift: „Stens Blinddarm schmerzt“. Also heißt auch heute unsere Aufgabe: „Vorankommen“. Da, wo es nicht voran geht. Mal mit schnittigen fünf Kilometern pro Stunde, oder gar mit spritzigen zwanzig Stundenkilometern. Mehr geht nicht. Wunderschön, um zu bleiben. Schwierig, wenn das Damoklesschwert über uns schwebt und wir Klärung brauchen. Die gibt es nicht auf der herrlichen Wiese und auch nicht auf der staubigen Piste. Schade. Ist aber so. Wir müssen nach Ulaan Bataar. Auf dem schnellsten Weg. Immer wieder die Frage: „Wie weit noch?“. Kein Wunder bei dem Gewackel und Geschüttel. Uns kommt es vor als legten wir unglaubliche Längen an Strecke zurück. Neun Stunden fahren wir auf und ab und rechts und links. Und was meint der Kilometerzähler? Die gewaltige Zahl von Einhundertfünfzig zeigt er an... Ernüchternd. Das Land will uns halten und wir wollen auch. Es ist wie mit einer Liebe die nicht sein darf. Bleiben wollen und gehen müssen. Ein eigenwilliges Paar.
Mongolischer Landschaftseintopf / Mongolian landscape soup
07.08.2015 Buutsagaan / Mongolia / N46°05’19.5“ E097°59’31.1“
„Man nehme ein beliebiges Stück Land. Dem Geschmack dienlich ist, wenn mehrere Landschaftsformationen zusammen kommen. Weite Ebenen, Steinfelder, Gebirgszüge, gern auch mit Schneekuppen besetzt. Von kleinen Flussläufen durchzogen, gibt es dem Gericht die gewisse Frische. Sollten sich Häuser, gar Städte auf der Oberfläche befinden, so entferne man diese feinsäuberlich, bis der vollkommene Urzustand zum Vorschein kommt. Ist dies geschehen, ist man so gut wie fertig, mit seinem Landschaftsgericht ‚Mongolei’. Zur Abrundung ein paar Bonbons hinzugefügt. Dabei ist auf die breite der Farbpalette zu achten. Das Ganze serviert man am Besten an einem späten Sommernachmittag bei tiefstehender Sonne. Sie und ihre Gäste, werden von der Köstlichkeit des ‚Mongolischen Landschaftseintopf’ begeistert sein.“ Ja, genau so ist es. Wenn wir hier stehen und über die Lande schauen könnte das mitunter auch der Thüringer Wald, natürlich ohne Bäume, oder Mecklenburg Vorpommern sein. Das absolut Besondere ist eben, dass jedweder Landstrich unbebaut ist. Manchmal kommt es mit vor, als führe ich über die Landschaften Deutschlands, zu einer Zeit, in der es noch keine Besiedlung gab. Alles, einfach alles an Zivilbebauung ist weggelassen. Die Mongolei ist das naturbelassenste Land, welches ich je in meinem Leben kennen gelernt habe. Es fühlt sich immer wieder an, als wären wir Menschen erst vor kurzer Zeit hier angekommen, und haben es noch nicht geschafft, durch unser Tun das ursprüngliche Landschaftsbild zu verändern. Zu bebauen, umzugraben, Flüsse zu verlegen, Häuser zu errichten, diese dann wieder dem Verfall zu überlassen, Teerstraßen durch das Land zu ziehen, das Grundwasser abzusenken und so fort. Wie haben die Mongolen es nur geschafft, ihr Land über so lange Zeit in einem „Neuzustand“ zu belassen? Ich glaube, es sind mehrere Dinge, die zusammen spielen. Zum Einen sind sie Nomaden und ziehen umher, ohne je sesshaft gewesen zu sein. Ab und an mal die Jurte aufgebaut. Das war es dann aber auch schon an Bebauung über die Jahrhunderte hinweg. Darüber hinaus besagt das Verständnis der Mongolen ihrem Boden gegenüber, dass dieser nicht verletzt werden darf.
Jedes Einstechen in die Erde ist eine Beschädigung. Also bleibt Ackerbau aus, der weite Flächen in Felder verwandeln würde, die dann wiederum zu bewässern wären, was Kanalsysteme nach sich zöge und Wassermangel an den Ursprungsorten. Das fällt hier alles weg. Und zu guter Letzt sind es eben auch nur knappe drei Millionen Menschen, die auf der Fläche von Einermillionfünfhundertsechsundsechzigtausendfünfhundert Quadratkilometern leben. Viel Land, um es einfach zu lassen, wie es ist.
Vielleicht ist das ein Teil des Geheimnisses der Mongolei?
Viel Platz um zu rennen, einfach so. Viel Raum um zu sehen, in alle Himmelsrichtungen und noch viel weiter. Viel Fläche um sich selbst darin loszulassen, sich zu verlieren und neu daraus hervor zu gehen. Ich liebe mein Hier-Sein.
Ewiger Himmel / Everlasting sky
06.08.2015 Taishir / Mongolia / N46°45’25.8“ E096°27’51.7“
Eine Weggabelung, ein kleiner Bergpass und wieder finden wir einen aufgehäufelten Steinhaufen. Verziert ist er mit blauen Bändern. Angereichert mit Autoreifen, Wodkaflaschen, Tierschädeln und Geldscheinen. Es sind die „Ovoo“ die wir passieren, bestückt mit Opfergaben der Vorbeiziehenden. Ich lege einen Stein hinzu und umrunde den „Wohnort der Schutzgötter“ der Erd- und Bergwelt dreimal im Uhrzeigersinn. Dabei danke ich für den guten Weg den wir hatten und hoffe auf Fortsetzung in dem was vor uns liegt. Ob das Danken und Wünschen auch hilft, damit es Sten bald besser geht, weiß ich nicht. Einen Versuch ist es in jedem Fall wert. Er bleibt während meiner Umrundungen der „Ovoo“ Pantheons im Leo sitzen. Sein Bauch schmerzt noch immer. Ich sorge mich. Blaue Bänder an einen Grabstein gebunden mitten auf der Wiese liegend, blaue Bänder an einem Pfahl auf der Spitze der Steinhaufen der Schutzgottheiten, blaue Bänder wehen stürmisch im Wind an jeder kleinen Tempelanlage auf unserem Weg. Der „ewig blaue Himmel“ oder auch „Vater Himmel“ genannt, ist im Glauben der Mongolen die wichtigste Schöpfer- und Schicksalsgottheit. Die blauen Seidenschals sind das Symbol dafür. „Khadag“ werden sie genannt. In Wellen hielt der Buddhismus Einzug in der Mongolei. Seit dem 16. Jahrhundert folgen die Menschen den Lehren und Erkenntnissen Buddhas. Doch schon dreihundert Jahre zuvor gab es erste Annäherungen zwischen Tibetern und Mongolen und damit dem Buddhismus. Selbst am Hof Chingghis Khaans soll es Buddhisten gegeben haben. Ich berühre die blauen Tücher und verbinde mich auf diese Weise ein klein wenig mit dem Himmel, der wie ein leuchtender Schutzraum über mir schwebt. Zu Sowjetzeiten war es den Mongolen verboten, öffentlich bekennende Buddhisten zu sein. Viele Klöster wurden zerstört, als Zeichen des religiösen Endes. Mit dem gewaltsamen Entreißen der Religion verfolgten Stalins Leute das kulturelle Brechen der Menschen. Denen gelang es jedoch vieler Orten, Schätze der Klöster zu verstecken und somit die Symbole ihres Glaubens auf diese Weise zu schützen und die Religion in sich wach zu halten. Neun Mal besuchte der Dalai Lama bisher die Mongolei. Von der politischen Seite Chinas wird das nicht gern gesehen.
Als „rein privat“ muss die Reise diplomatisch von der mongolischen Führung jeweils deklariert werden, um schwerwiegendere Probleme mit der chinesischen Regierung zu umgehen. Auch wir werden eingeladen. Nicht auf Staatsebene, sondern von drei Männern, denen wir auf der Piste begegnen. Ein Vater mit seinen zwei Söhnen möchte uns unbedingt zum Essen in seine Jurte bitten. Beim Thema „Essen“ verzieht Sten reflexartig das Gesicht. Nichts von dem Angebotenen zu nehmen gilt als unhöflich und funktioniert nicht, wenn wir einmal da sind. Ich überlege krampfhaft was ich tun kann, um Sten die Tortur zu ersparen, da es ihm wirklich nicht gut geht. Mir kommt der Gedanke des spontanen Anhaltens, als wir uns bereits auf dem nicht unerheblich weiten Weg zur Jurte der Männer befinden. Ich lade zum Tee auf freier Strecke ein. Damit sind alle einverstanden. Hocker raus, Kekse serviert, Tee mit Milch gebrüht und gut. Als wir zusammen packen und deutlich machen, dass wir nicht weiter mitfahren werden, schauen wir in traurig unverständliche Gesichter. Doch eine Lösung für Stens Schmerzen zu finden ist mir heute wichtiger, als der herzlichen Gastfreundschaft der Mongolen zu folgen.
Wüstenstadt / Wild town
05.08.2015 Bayan Uul / Mongolia / N47°09’20.4“ E095°00’43.7“
Genussvoll gleitet uns der selbstgemachte sämige Kartoffelbrei mit den Senfeiern dazu die Kehlen entlang. Noch immer ist uns nicht nach Fleisch zu Mute. Wir brauchen Abstand und suchen alle unsere Schränke durch, auf der Suche nach fleischloser Kost. Ich sitze mit Götz am Rand einer langen steinigen Bergkette. Die Blicke sind ins Tal gerichtet. Unsere Nachbarn, die mongolischen Jurtenbewohner, sehen wir in einigen Kilometern Entfernung. Man braucht Platz um sich herum. Die Enge der Stadt ist nichts für die Menschen hier draußen. Uns geht es genau so. Wir genießen die Abgeschiedenheit. Langsam, sehr langsam kommen wir auf den Huckelpuckel-Pisten voran. Gut für unsere sich nicht satt sehen wollenden Augen. Am Tag zweihundert Kilometer an Strecke zu schaffen, ist gerade eine Längenrekord. Doch die Landschaft ist das Abwechslungsreichste, was ich je gesehen habe. In einem Augenblick zeigt uns die Gobi ihr Sandwüstengesicht, im nächsten glauben wir uns in isländische Gefilde versetzt, während wir durch die steinigen Hügellandstriche zuckeln. Wieder ein paar Kurven weiter sieht es nach den grünen Hängen Schottlands aus. Dazu die unglaublichen Dimensionen. Offensichtlich hatte der Erschaffer bei der Mongolei seine großzügigen Tage. Nicht klein und beschaulich, nein weit, mitunter unüberschaubar war wohl hier sein Motto. Ich finde es einfach nur wundervoll. Kann mich an den Schattenspielen nicht satt sehen, welche die Sonne und ihre Kumpels, die Wolken, pausenlos aufführen. Ne Menge Spaß haben sie dabei. Das ist leicht zu spüren. Die Projektionsflächen sind groß. Wo haben sie sonst schon so viel Platz zum austoben? Ihr ausgeprägtes grafisch-ästhetisches Talent kommt voll zur Geltung. Ich liebe sie dafür und sitze als Zuschauer in der allerersten Reihe. Sten hingegen liegt schlafend im Bett. Heute hat es ihn erwischt. Er hält sich den Bauch vor Schmerzen. Wir können erst einmal nur abwarten was daraus wird. Ich hoffe, der Schlaf tut ihm gut. So war ich mit Götz allein unterwegs, auf unserer „City-Tour“ durch Chuchmorit. Ich weiß nicht, ob einhundert oder gar zweihundert Leute dort wohnen. Auf jeden Fall ist es eine Wüstenstadt, wie sie sich Lucky Luke wohl gewünscht hätte. Breite Sandflächen, gesäumt von lustig schrägen Hütten. Das ist alles. Ach nein, wir entdecken ein Schild. Vergilbt zwar, doch wir können das breite Obstsortiment darauf noch gut erkennen.
Nichts wie rein in den „Frischetempel“. Okay, Coca-Cola und ne Tüte Chips sind ja so etwas Ähnliches wie eine Vitaminbombe. Aus Verlegenheit haben wir zugegriffen. Wir wollten der Frau hinter dem Tresen irgendetwas abkaufen, um ihr einen kleinen Gefallen zu tun. So wirklich angesprochen hat uns weder das abgehangene Toilettenpapier, noch die vergilbte Kekspackung im Regal. Ob die Leute hier ab und an in einen größeren Ort fahren, um sich mit dem Lebenswichtigen einzudecken? So recht weiß ich es nicht. Auf jeden Fall stehen Kekse und Bonbons zu jeder Mahlzeit auf den Tischen. Dazu einen Kochfleischknochen und fertig ist die phantasievolle Kombination. Ich mag den Ort voll Sand. Seine Einfachheit gefällt mir. So wenig und eben doch auch viel. Ich kann mir diesen verklärt romantischen Blick leisten, halte ich mir selbst vor. Ich lebe ja nicht hier, wenn der Sturm den Herbst durch die Häuser jagt und der Winter seine frostige Decke über den Sand wirft. Dann, wenn alle froh sind, genügend getrocknete Kuh- und Schaffladen zum Heizen zu haben. Weg von hier kommt dann wahrscheinlich niemand so leicht. Die Pisten, jetzt ein Abenteuer, dann über weite Strecken schlichtweg unbefahrbar. Ich habe Respekt vor den Leuten und ihrem Leben da draußen. Alles, wirklich alles ist hier eine Moment-Aufnahme. Schon im Nächsten kann sich der strahlendblaue Himmel verdunkeln und aus der wohlig umhüllenden Wärme eisig abweisende Kälte werden. Schneeeinbrüche auf zweitausend Metern Höhe sind hier in der Gobi auch im August nichts Fremdes.
Sternschnuppen mit Heidelbeeren / Shooting stars with blueberrys
04.08.2015 Bayantal / Mongolia / N47°00’32.0“ E093°56’12.3“
Heute mal ohne Fleisch. Das steht für mich fest. Der Fleischkonsum in der Mongolei kann eine echte Herausforderung sein. Fleisch kommt immer auf den Tisch. Zu jeder Mahlzeit. Beilagen braucht es nicht unbedingt. Als Zehrung für unterwegs bekamen wir zwei Beutel voll eingepackt. Den Einen gestern geöffnet, waren wir überrascht, als wir ungewöhnlicher Weise große Stücke ohne Knochen fanden. „Hey, Filet!“ schoss es uns durch die Köpfe. „Da machen wir saftiges Gulasch daraus.“ war unser kurzer Entschluss. Gulasch wurde es, doch nicht aus Filet, sondern aus Innereien. Leber, Niere und andere Leckereien waren es, die wir versehentlich für Filet gehalten hatten. Der Geschmack war gut und doch liegen die zwei Mal zwei Zentimeter großen Würfel noch immer schwer in unseren Mägen, kullern dort unverdaut umher und jeder von uns drein versucht den Gedanken daran ein Stück weit nach hinten im Kopf zu rollen. „Heute Abend machen wir etwas ohne Fleisch!“ ist meine hoffnungsvolle Bitte an Götz, als wir über die Speisefolge unseres Dinners philosophieren. Und tatsächlich. Genussvoll gleiten kleine Happen der in Wasserdampf gegarten selbstgemachten Hefeklößchen, mit fruchtig frischer Heidelbeersoße, an meinem Gaumen entlang und breiten sich in meinem Magen aus. Heidelbeere trifft dort auf Leberwürfel. Ein Festessen, eine Wohltat, fast eine Mini-Diät ist es, die wir uns gönnen, während wir unser Lager auf einer kleinen Kuppe in einem weiten Tal aufgeschlagen haben. Als ich nach dem Ankommen ein wenig durch die Gegend laufe, fühle ich mich, als sei ich der erste Mensch nach meiner Landung auf einem unbewohnten Planeten. Das Land um mich herum scheint mir als wäre es eine riesengroße Kraterlandschaft. Am Horizont eine schneebedeckte Gipfelkuppe. Auf unseren erreichten eintausend fünfhundert Metern Höhe weht ein erfrischender Wind und hält mir die Mücken fern. Steinig der Boden, spärlich bewachsen mit kleinen dickfleischigen Pflänzchen. Würzig duftend machen wilde, mir fremde, Kräuter auf sich aufmerksam, als ich über sie hinweg laufe. Meine Schritte hallen nach auf dem von mir neu entdeckten Planeten. Gerüttelt, geschüttelt, hin und her geworfen, um Stabilität ringend, das war heute unsere „Aktiv-Passivgymnastik“ während der Fahrt.
Dombra unterwegs / Dombra on the road
03.08.2015 Khar Us Nuur / Mongolia / N47°51’37.2“ E092°00’48.7“
Max ist traurig. Max kullern die Tränen über das Gesicht. Unsere gemeinsame Zeit setzt heute ihren Schlusspunkt. Fortsetzung folgt. Das ist klar. Zwei Wochen haben wir mit Tileks Familie zusammen gelebt. Vierzehn Tage lang haben wir ihre Freude geteilt, von ihren Sorgen erfahren. Wenn es ging, haben wir geholfen. Leicht ist es nicht, eine Familie zu versorgen, wenn man wie Tilek in den Bergen wohnt und nicht von den Tieren lebt. Tilek hat studiert und ist Manager. Eine Woche pro Monat führt er das Regime in der französischen „Prezewalski“ Pferdezucht Range zweihundertfünfzig Kilometer entfernt von Dund Us. Blöd ist nur, dass das Getriebe seines Autos kaputt ist und er weder weiß wie er es repariert bekommt, noch, wie er anderweitig zu den Pferden gelangt. Doch seinen Job hängen lassen bedeutet, kein Geld für ihn und seine Familie. Der Morgen ist still. Zusammenpacken lenkt ab. Heute sind wir es, die am Wasserhaus stehen und warten. Ganz zum Schluss kommen wir an der Reihe. Als alle anderen ihre Kannen randvoll haben, fließen zweihundertfünfzig Liter sauberstes Gebirgsgrundwasser in unseren Tank. Gut für die nächsten Wochen. Irgendwann ist nichts mehr zu tun. Das Motorrad ist verstaut, das russische Holz verzurrt, alle Schränke verriegelt. Max kommt die Treppe vom Leo herauf und steht mit seinen großen dunklen Augen vor mir. In den Händen hält er seine „Dombra“. Das gitarrenähnliche Instrument mit zwei Saiten. Jeden Tag spielt er darauf. Es ist das Wertvollste was er besitzt. „Vielleicht will er zum Abschied noch ein Stück darauf spielen“ denke ich. Da halte ich die „Dombra“ schon in meinen Händen. Ich kann es nicht glauben, dass er auf diese Weise zum Ausdruck bringen möchte, wie sehr Sten und ich ihm am Herzen liegen. Max kann seine Tränen nicht halten, ich will die meinigen ebenso wenig verbergen. Wir stehen voreinander und weinen. Ein zartes Band des inneren Verstehens hat sich in den vergangenen Tagen zwischen uns geflochten. Der zehnjährige lustige, aufgeweckte, scharfsinnige, aber auch sehr aufmerksame und sensible Junge hat in mir etwas zum klingen gebracht was es für mich genau so schwer macht ihn verabschieden zu müssen. Sten ist sein „Brother“ und ich vielleicht seine große Schwester.
Wir möchten sehen, wie es für Max und seiner Familie weiter geht. Keiner hält es so wirklich gut aus den anderen zu verabschieden. Alle Fünf stehen sie still am Tor, als wir den Hof verlassen. Das Bild vor meinen Augen ist wässrig verschwommen. Die Landschaften sind einmalig schön, die Länder interessant und spannend, doch unsere ganz persönlichen Begegnungen mit den einzelnen Menschen auf unserer Reise empfinde ich als einen unglaublich großen Schatz. Das ist es, was unser Unterwegssein für mich zu dem ganz Besonderen macht. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass ich derart tiefgehende Verbindungen zu Menschen entwickeln würde, die mir auf unserer Reise begegnen. Es ist, als würde mein Herz immer größer. Max, Elka, Monkey, Esen und Tilek ihr seid ein Teil unseres Lebens. Ab jetzt. Seit unserer Tage von Dund Us. Weit treibt es uns heute nicht mehr. Schön ist es in der Mongolei fast auf jedem Meter. Am Khar Us Nuur, einem See in der Nähe von Khovd, finden wir einen Platz für die Nacht. Allein sind wir nicht. Wir teilen den Ort mit einem Heer von Mücken. Eine halbe Stunde kämpfen wir vor dem schlafen zu Dritt, um dem wehrhaften Aufgebot Herr zu werden. Mein letzter Blick schweift die „Dombra“ von Max. Ihm eine gute Nacht.
Katerstimmung / The day afterwards
02.08.2015 Dund Us / Mongolia / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“
Gehen wir es mal ganz in Ruhe an. Nichts überstürzen. Langsam und mit Bedacht. Das Frühstück will wohl überlegt sein. Erst eine Aspirin und dann den Tee oder lieber anders herum? So ein Morgen nach dem Feiern kann es in sich haben. Mir geht es gut. Ich fühle mich frisch und fit. Kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Doch ich genieße die Gemächlichkeit und nehme sie dankbar hin. Heute ist „noch einmal“ Tag. Noch einmal zum See fahren, um mit den Jungs zu schwimmen. Noch einmal durch Dund Us laufen, unserer Heimat für eine Woche. Noch einmal für alle kochen. Ein kleines Abschiedsfest. Zur Abwechslung das Fleisch mal nicht in Wasser gegart sondern auf unseren Grill gelegt. Zur Abwechslung mal gebratenes Gemüse, Backkartoffeln mit Sahne Dip und Gewürzen. Ein Schmaus für Esen, Tilek, Elka, Max und den kleinen Monkey. Ein Genuss für Götz, Sten und mich. Die Stimmen sind von ihrer eigenen Stimmung verschluckt. Die Ausgelassenheit hockt in der Ecke. Wehmut sitzt auf den Stühlen. Blicke, als wären wir schon gegangen. Doch wir sind da und werden es gern wieder tun. Die Kinder haben sich eingerichtet in unseren Herzen. Wie es mit ihnen weiter geht ist uns nicht einerlei. Heute gibt es erst mal eine Medaille für Elka und Max. Dafür dass sie nun Schwimmer sind, und alle ihre Freunde gleich mit. Die Tage ziehen im Zeitraffer durch mich hindurch. Spuren die bleiben. Katerstimmung.
Hochzeit ist Hoch-Zeit / Wedding is the highest time
01.08.2015 Dund Us / Mongolia / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“
Wie macht man das, Hochzeit feiern und den neunzigsten Geburtstag der Urgroßmutter gleich dazu? Und das alles in der Mongolei?
Man nimmt einen wunderschönen sonnigen Sommertag. Am besten den 1. August. Sucht sich ein weitläufiges Tal mit seicht bewachsenen Hängen an den Seiten aus. Nimmt die schönste Wiese, die man sich nur denken kann. Baut fünf schneeweise Jurten auf, einen Laster mit einer wunderbar übersteuerten Musikanlage noch dazu. Legt bunte Teppiche aufs Gras, lädt vierhundert Gäste ein, die sich tröpfelnd einfinden und das Fest kann beginnen. Erst einmal eine Grundlage schaffen. Sagt man sich wohl. Denn es geht los mit nem deftigen Essen. Und das geht so: Dreißig Leute werden in eine Jurte gebeten, auf deren runden Tischen Obst und Süßigkeiten stehen. Ergänzt wird die heitere Farbigkeit durch große Platten voller Fleisch. Ein Mann übernimmt die Führung, greift sich ein Messer und teilt die Stücke in freundliche Happen. Das Beste wird uns gereicht. Fett pur. Oh Gott, was mache ich nur damit? Herunter geschluckt bekomme ich es einfach nicht. Beim nächsten Mal bin ich schlauer und nehme mir selbst ein mageres Stück. So kann ich mit vollem Mund freundlich ablehnen, als mir erneut ein Fettbrocken angeboten wird. Gespült mit Salztee, erfrischt durch saure Stutenmilch und gestärkt vom Fleisch verlassen wir die Jurte. So ist Platz für den nächsten Schwung an Leuten, die schon am Einströmen sind während wir gehen. Zum Verdauen erst einmal ins Gras gelegt. Dann ist Schluss mit Ruhe. Der Lautsprecher zeigt was er kann oder wovon er meint, dass es das Beste sei. Blechern vernehmen wir die Stimme des Manns in Lila. Er führt durchs Programm und ist sonst der Sportlehrer im Ort. Singen kann er auch. Er macht es gut. Menschen sitzen auf den Teppichen und warten was geschieht. Erster Auftritt: die neunzig jährige Urgroßmutter. Über die gesamte Wiese muss sie laufen. Schwerstarbeit für sie. Im Schlepptau Blumen schwenkende Kinder. Beschenkt und umgeben von vielen Teppichen nimmt sie Platz darauf. Zweiter Auftritt: das Hochzeitspaar. Gesenkter Blick, ernste Gesichter. Für uns nun keine Frage mehr. Wir wissen, dass es dazu gehört, demütig zum Boden zu schauen. In Usbekistan hochgradig verunsichert, ob der traurigen Mienen, nehmen wir es heute als Normalität in Augenschein. Für die Großmutter!
Für das Hochzeitspaar! Ringkämpfer zeigen ihre Kunst. Kleine Jungs stellen unter Beweis, wer der Schnellste auf seinem Pferd ist. Den Lohn erntet der Vater. Oder freut sich der Neunjährige über ein Schaf und einen Teppich? Singend, klatschend, jubelnd, von der Sonne beschienen nimmt der Tag seinen Lauf. Zur Stärkung immer mal wieder ne Hand voll Fleisch und weiter geht es. Wir sind nicht die Hauptpersonen und doch merken wir, wie jeder unserer Schritte und Blicke genauestens beobachtet wird. Sten ist als Kameramann engagiert, ich als Fotografin. Fulltime Jobs. In unseren traditionellen Kleidern aus Usbekistan. Das freut die Leute. Noch mehr freut das Hochzeitspaar, als Sten Glückwunsch Worte zu ihnen ins Mikrofon spricht. Von drei Kindern ist bei ihm die Rede, die er in wenigen Jahren sehen möchte... Gelächter unter den Massen. Unser Geschenk, ein kleines gefülltes Kästchen kommt gut an. Wodka hat seinen Auftritt. Harte Leistung. Jeder Tost ein volles Glas, welches nur geleert zur Erfüllung der Wünsche führen kann. Als die Mücken zur Dämmerstunde ihren Einzug halten, wissen wir uns mit wildesten Bewegungen zu helfen und tanzen ausgelassen bis der Vollmond am Himmel steht. Hochzeit ist Hoch-Zeit. Und Schluss.
Hochzeit ist Hoch-Zeit / Wedding is the highest time
01.08.2015 Dund Us / Mongolia / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“
Wie macht man das, Hochzeit feiern und den neunzigsten Geburtstag der Urgroßmutter gleich dazu? Und das alles in der Mongolei?
Man nimmt einen wunderschönen sonnigen Sommertag. Am besten den 1. August. Sucht sich ein weitläufiges Tal mit seicht bewachsenen Hängen an den Seiten aus. Nimmt die schönste Wiese, die man sich nur denken kann. Baut fünf schneeweise Jurten auf, einen Laster mit einer wunderbar übersteuerten Musikanlage noch dazu. Legt bunte Teppiche aufs Gras, lädt vierhundert Gäste ein, die sich tröpfelnd einfinden und das Fest kann beginnen. Erst einmal eine Grundlage schaffen. Sagt man sich wohl. Denn es geht los mit nem deftigen Essen. Und das geht so: Dreißig Leute werden in eine Jurte gebeten, auf deren runden Tischen Obst und Süßigkeiten stehen. Ergänzt wird die heitere Farbigkeit durch große Platten voller Fleisch. Ein Mann übernimmt die Führung, greift sich ein Messer und teilt die Stücke in freundliche Happen. Das Beste wird uns gereicht. Fett pur. Oh Gott, was mache ich nur damit? Herunter geschluckt bekomme ich es einfach nicht. Beim nächsten Mal bin ich schlauer und nehme mir selbst ein mageres Stück. So kann ich mit vollem Mund freundlich ablehnen, als mir erneut ein Fettbrocken angeboten wird. Gespült mit Salztee, erfrischt durch saure Stutenmilch und gestärkt vom Fleisch verlassen wir die Jurte. So ist Platz für den nächsten Schwung an Leuten, die schon am Einströmen sind während wir gehen. Zum Verdauen erst einmal ins Gras gelegt. Dann ist Schluss mit Ruhe. Der Lautsprecher zeigt was er kann oder wovon er meint, dass es das Beste sei. Blechern vernehmen wir die Stimme des Manns in Lila. Er führt durchs Programm und ist sonst der Sportlehrer im Ort. Singen kann er auch. Er macht es gut. Menschen sitzen auf den Teppichen und warten was geschieht. Erster Auftritt: die neunzig jährige Urgroßmutter. Über die gesamte Wiese muss sie laufen. Schwerstarbeit für sie. Im Schlepptau Blumen schwenkende Kinder. Beschenkt und umgeben von vielen Teppichen nimmt sie Platz darauf. Zweiter Auftritt: das Hochzeitspaar. Gesenkter Blick, ernste Gesichter. Für uns nun keine Frage mehr. Wir wissen, dass es dazu gehört, demütig zum Boden zu schauen. In Usbekistan hochgradig verunsichert, ob der traurigen Mienen, nehmen wir es heute als Normalität in Augenschein. Für die Großmutter!
Für das Hochzeitspaar! Ringkämpfer zeigen ihre Kunst. Kleine Jungs stellen unter Beweis, wer der Schnellste auf seinem Pferd ist. Den Lohn erntet der Vater. Oder freut sich der Neunjährige über ein Schaf und einen Teppich? Singend, klatschend, jubelnd, von der Sonne beschienen nimmt der Tag seinen Lauf. Zur Stärkung immer mal wieder ne Hand voll Fleisch und weiter geht es. Wir sind nicht die Hauptpersonen und doch merken wir, wie jeder unserer Schritte und Blicke genauestens beobachtet wird. Sten ist als Kameramann engagiert, ich als Fotografin. Fulltime Jobs. In unseren traditionellen Kleidern aus Usbekistan. Das freut die Leute. Noch mehr freut das Hochzeitspaar, als Sten Glückwunsch Worte zu ihnen ins Mikrofon spricht. Von drei Kindern ist bei ihm die Rede, die er in wenigen Jahren sehen möchte... Gelächter unter den Massen. Unser Geschenk, ein kleines gefülltes Kästchen kommt gut an. Wodka hat seinen Auftritt. Harte Leistung. Jeder Tost ein volles Glas, welches nur geleert zur Erfüllung der Wünsche führen kann. Als die Mücken zur Dämmerstunde ihren Einzug halten, wissen wir uns mit wildesten Bewegungen zu helfen und tanzen ausgelassen bis der Vollmond am Himmel steht. Hochzeit ist Hoch-Zeit. Und Schluss.
Am Tag davor / One day before
31.07.2015 Dund Us / Mongolia / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“ Er ist angekommen. Er ist gelandet. Götz aus Jena ist da. Der letzte ist er, der ganz gemächlich aus dem Flugzeug steigt. Winken. Freuen. Uns fragen: „Wie ist das jetzt, wenn nach so vielen Tagen ein Freund zu uns kommt, aus einer, wie uns inzwischen scheint, ganz anderen Welt? Haben wir uns verändert? Was ist die beständige Verbindung?“. Schön, dass er da ist. Freude und Freund haben denselben Wortstamm, wird mir bewusst. Zufall kann das nicht sein. Vorfreuen auf in die gemeinsamen Tage und sehen was geschieht. Geschehen ist heute viel. Daran denken fällt mir nicht leicht. Es zu erinnern noch viel weniger. Doch wir wollen das Leben mitbekommen wie es hier gelebt wird. Nicht verzerrt und beschönigt, tauglich für die Außenwelt. Sondern so wie sie ist. An jedem einzelnen Tag. Fleisch ist in der Mongolei das Gemüse. Und morgen ist Hochzeit. Dreihundert bis Vierhundert Gäste werden erwartet. Auf der großen Wiese im Tal sind fünf Jurten aufgebaut. Zum Essen und Trinken und Sitzen und so. Sitzen, das ist einfach. Aus allen Häusern und Jurten des Ortes werden die Teppiche, Stühle, Hocker und Bänke zusammen getragen. Wie ausgeräumt sieht es in Tileks Haus aus. Trinken, leicht zu beantworten. „Kumis“, die angegorene Stutenmilch, wird in einem riesengroßen Behälter von allen Pferden der Umgebung gesammelt, Tee mit Milch wird immerzu gekocht. Aus Wodka scheint der Fluss im Tal zu bestehen. So viel ist davon da. Und das Essen? Bonbons und Kekse, Zuckerwaffeln und getrockneter Käse stehen bereit. Doch Gäste verköstigen heißt hier Fleisch auf die Tische zu stellen. Das Fleisch einer ganzen Menge an Tieren. Frisch. Von heute. Ich weiß nicht wohin ich zuerst sehen soll. Rund um mich herum werden Tiere geschlachtet. Ziegen, Schafe und ein Pferd. Die Bilder, eingebrannt in meinem Kopf, sind sehr speziell. Kann ich verstehen was da vor sich geht? Wie ordne ich es für mich ein? Und wo packe ich es in mir selbst hin, so dass ich ein Stück weit begreifen kann was ist. Um eine neutrale Sicht bin ich bemüht. Doch es fällt mir nicht leicht, das Pferd fallen zu sehen und die Schafe und Ziegen auch. Die Würde die gebeugt wird, wenn ein Tier zu Boden geht... Die Häufigkeit des Stürzens macht es nicht einfacher. Kurz vorher hatte ich meine Hand noch am Hals des Pferdes und habe leicht darüber gestrichen.
Ich sehe große Wannen voll tiefroter Flüssigkeit und jede Menge Hände, die das Fleisch in handliche Stücke teilen. Massenhaft Töpfe stehen bereit, angefüllt mit allem, was ein Tier an Masse ausmacht. Därme sind zu spülen, Eisenwerkzeuge kommen zum Einsatz. Zehn Öfen werden aufgebaut und angeheizt. Qualm zieht durch das Tal, als es in den Töpfen zu kochen beginnt. Ich sitze und stehe daneben. Untätig. Nur meine Augen sind schnell. Das Gefühl kommt nicht hinterher. Irgendwann habe ich genug gesehen. Wir gehen. Während die anderen weiter tun. Denn morgen ist Hochzeit. Da gehört Fleisch auf den Tisch. Einen erlösenden Freudenschrei höre ich aus mir selbst über den See hallen. Max kann schwimmen. Zum ersten Mal. Kraulend bewegt er sich durch das Wasser. Die Angst der ersten Tage in seinem Blick ist purem Stolz gewichen. Die ganze Gruppe an Kindern hat es geschafft innerhalb von fünf Tagen schwimmen zu lernen. Wie wild wollen sie es immer wieder sich selbst und uns beweisen, wie gut sie es nun können. Leicht gleiten die Jungs durchs Wasser. Wir stehen dabei und staunen. Erst die Tiere, dann das Schwimmen und nun der Pfarrer. Wir sind in Khovd in der Jurte der christlichen Gemeinde. Bibeln liegen unter einem Tischchen, weiche Teppiche laden zum Ankommen ein, gelbe Stoffe an den Wänden strahlen voll Behaglichkeit. Ich bin froh hier zu sein. Es ist, als wäre der Tag eine Waage. Der Vormittag brachte viel Gewicht in die eine Schale. Nun füllen wir die andere Seite. Gleichgewicht. Balance. Ich komme zur Ruhe, finde mich wieder vor dem Rohbau einer kleinen Kirche, die gerade dabei ist zu entstehen und drehe wenig später an den Gebetsmühlen eines buddhistischen Tempels. Den gibt es in direkter Nachbarschaft. Ich mag das Mit- und Neben-Einander. Darum geht es doch im Glauben, meine ich. Das Flugzeug ist gelandet. Vielleicht vierzig Menschen sind ausgestiegen. Götz war auch dabei. Um den Spannungsbogen zu halten, bleibt das Gebäck auf der dreißig Meter entfernten Rollbahn stehen. Jeder könnte hingehen, seine Tasche schnappen und gut wäre es. Aber nein. Das muss professionell in Angriff genommen werden. Mit einem Wagen oder so und dann die letzten Meter auf nem Förderband. Ist ja schließlich ein internationaler Flughafen hier. Uns kann es nur erheitern, wie wir mit Götz durch einen kleinen Schlitz, in der nicht ganz so exakt gebauten Zwischenwand, reden. Ein Auge, ein Mund, eine winkenden Hand. Und dann ist er da. Bereit zur Umarmung. Am Abend davor. Wenige Stunden vor der Hochzeit.
Stundenwasser / Wather for one hour
30.07.2015 Dund Us / Mongolia / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“
Die Milchkannen klappern, während sie auf den Wagen über die Wege gezogen werden. Doch nicht alle. Manche quietschen auch im Rhythmus der Schritte, denn nicht jeder hat einen eigenen Wagen. Zehn Uhr. Nun aber mal los. Das Wasser kommt! Ein kleines viereckiges Häuschen. Davor Kinder über Kinder. Es ist ihr Job. Der mit dem Wasser. Morgens von zehn bis elf Uhr, nachmittags von siebzehn bis achtzehn Uhr. Der Fluss des Wassers ist rationiert. „Der Wassermann“ ist ein Staatsbeamter und am Ort eingesetzt, um den Hahn auf- und wieder zu- zu drehen. Doch es ist kein Kinderspiel. Es ist echter Kampf. Ich stehe mit den Kindern in der Wolke der Wartenden und bin ob der Härte schweigsam, mit der es hier zur Sache geht. Rücksicht geht anders. Hier geht es ums Ganze. Und da scheint es egal, wie viele schmerzende Schienenbeine der eine oder andere mit seinem Eisenkarren verursacht. Die kleinen Mädchen haben die schlechtesten Karten. Sie müssen zusehen wo sie bleiben. Zwei Mal pro Tag diesen Kampf zu bestehen ist mit Sicherheit eine harte Lebensschule. Elka hat es endlich geschafft, sich nach vorn zu arbeiten und die abzuschütteln, die sich dazwischen drängen wollen. Seine Kanne ist voll. Schon steht die nächste Frage in seinem Gesicht. Wo ist der Wasserkarren? Mehrere Familien teilen sich einen. Das heißt, auf die Suche gehen. Und bitte nicht zu lange, sonst ist die Kanne auch noch weg. Diese Stunde am Wasserhaus hat alles, was das Leben selbst ist. In Reinform. In aller Klarheit. Elka erzählt, dass es oft zu Streit und Kämpfen kommt. Mit welchem Gefühl er sich wohl jeden Morgen aufs neue zum Wasser holen auf den Weg macht? Heute brauchen wir besonders viel. Es ist Waschtag. Das heißt, die Prozedur zwei Mal in einer Stunde zu bestehen. Und wenn man zu spät kommt, wie wir vor ein paar Tagen, dann gibt es bis zum nächsten Morgen einfach keinen einzigen Schluck. Ich bin bewegt, ergriffen, berührt. Wie kuschelig ist doch das, was wir oft als Alltag leben? Auch wenn die Gesetzmäßigkeiten des oben und unten, des stark und schwach, des vorn und hinten überall die gleichen sind. Nach dem Spektakel am Wasserhaus scheint mir jeder Tropfen kostbar. Die Waschmaschine räumen wir vor das Haus. Auf dem Herd das Wasser erhitzen. Dann ab damit in die Maschine. Wäsche dazu, Waschmittel auch. Fünfzehn Minuten Rühren ist eingestellt.
Das Wasser ist schwarz, doch das ist egal. Weiter geht es mit der nächsten Fuhre. Eine Schüssel zum Spülen, und ab in die Schleuder. Ich erinnere meiner Kindertage. Der gleiche Vorgang. Lange her und doch so nah. Wie viel hat sich in unserm Alltag in den vergangenen vierzig Jahren verändert? Fast kommt es mir vor als sei es in einem anderen Leben gewesen. Nun bin ich hier und wasche mit. Esen ist begeistert, was „Vanish“ kann. Da werden Hemdkragen sauber wie von Zauberhand, verabschieden sich Flecken, die für die Ewigkeit bestimmt schienen. Das Waschen zieht sich. Der Tag nimmt sich seine Stunden. Zur Freude aller wieder Schwimmen üben. Täglich werden es mehr Kids, die sich lachend kraulend über Wasser halten. Glücksgefühle pur. Ganz nah am Leben dran. Und schon ist es siebzehn Uhr und Elka zieht wieder los. Auf in das Gerangel ums Wasser.
Heute und morgen wieder.
Melancholie / Melancholy
29.07.2015 Dund Us / Mongolia / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“
Stille. Absolute Stille. So still, dass ich die Nebelwassertropfen in den Wolken zu hören meine. Nichts regt sich. Keine Kuh blökt, kein Motor heult, keine Kinder rennen umher. Ich bekomme eine Ahnung davon wie es ist, wenn hier der Winter das Sagen übernimmt. Tilek meint, dann geht es nur ums Heizen. Die Eindimensionalitäten nehmen zu, wenn die Kälte kommt. In diesen Tagen, Wochen, Monaten ist allein der Weg zur Toilette eine lang reifende Überlegung. Heute leuchtet mir ein, weshalb Geselligkeit in diesen Breiten so groß geschrieben wird. Das Zusammensitzen wärmt nicht nur Arme und Beine, nein, auch die Seelen tauen dabei ab. Doch heute ist der 29. Juli. Heute ist Sommer. Und er will uns lediglich einen kleinen Eindruck davon vermitteln, wie es sich hier lebt, wenn er, der Sommer, geht. Wir laufen durch den Ort und meinen, kaum jemanden zu sehen. Alle sind drinnen, alle sitzen beim Tee. Die Landschaft, die das Bild bestimmt, hat eine grau-braune Jacke übergezogen. Frisch sieht das nicht aus. Eher traurig. Heute bin ich dankbar für die pinken und hellgrünen Dächer. Heute verstehe ich sie und erkenne einen Sinn darin. Götz, unser Freund aus Jena, hat sich angekündigt. Wir wollen ihn am Flugplatz in unsere Arme schließen. Doch wie es zu einem solchem Tag passender kaum geht, hat sich die Fluggesellschaft etwas ganz Besonderes einfallen lassen und hält ihn in Moskau für zweiundzwanzig Stunden in einem Transithotel fest. Da die Fluggäste ohne Visum im Land sind, wollten sie ja eigentlich nur Umsteigen in Moskau, werden sie hinter verschlossenen Türen, ohne Klinken, am Herausgehen gehindert. Wir fahren trotzdem nach Khovd. Nun nicht um Götz zu empfangen, sondern um auf irgendeine Weise eine neue Flugverbindung für ihn auf den Weg zu bringen. Da ist es nicht damit getan, bei der Airline in Ulaan Bataar anzurufen, die Sachlage zu erklären und um Umbuchung zu bitten. Nein, Tilek telefoniert sich die Finger halb wund, bevor er an annähernd hilfreiche Informationen gelangt. Dann haben wir es eilig, um eine Banküberweisung ins Rollen zu bringen, woraufhin angeblich irgendwo, irgendjemand etwas tut. Doch das geht nicht einfach online. Nein. Wir gehen eiligen Schrittes zu Bank, da sie in acht Minuten schließen wird.
Dort erfahren wir, dass ich nur bar bezahlen kann. Geld wechseln geht nicht in der Bank, einen Automaten haben sie nicht in der Bank. Also wieder raus, um einen zu finden. Es klappt und ich komme mit Geld zurück. Nun schnell Formulare ausfüllen und das Geld durch den Schlitz reichen. Dafür erhalte ich ein dünnes Blättchen Papier. Mein Beleg zur Zahlung. Fotografiert mailen wir den Beleg zur Fluggesellschaft. Uff, geschafft. Nun dort anrufen, um alles Weitere klar zu machen. Doch da werden wir auch schon wieder ausgebremst. Denn nicht nur die Bank schließt pünktlich um fünf Uhr. Nein, auch die Telefonhotline des Ticketbüros. So richtig „hot“ will sie mir nicht erscheinen. Uns bleibt nur auf morgen zu hoffen. Doch juchuu, es gibt ein Erfolgserlebnis an ganz anderer Stelle! Tilek ist überglücklich. Wir haben ihm zu zwei neuen Frontzähnen verholfen. Beim Ringen hat er vor Jahren seine Eigenen verloren und die Kunststoffalternative liegt irgendwo am Grund des Sees. Das Schwimmtraining fordert seine ganz eigenen Opfer. Nun kann er wieder lachen. Mit ganz viel Weiß im Gesicht. Mit so viel Strahlkraft versehen, schlendern wir zum Basar, um Fett für Leo und nen neuen Fahrradschlauch zu kaufen. Das China nicht weit ist, ihr hier so was von zu spüren. Fast fühlen wir uns als wären wir schon dort. Die chinesischen Absatzmärkte sind klar. Rund um ihr eigenes Land herum findet sich fast ausschließlich Ware „Made in China“. Aus dem Container heraus wird verkauft. Praktisch und einfach. Ein Tag, matschbraun wie das Wasser eines ausgespülten Kinderpinsels, weiß, wie die neuen Zähne, bunt, wie der Kunststoff aus China. Da will der Himmel am Abend doch noch zeigen, dass auch er mehr kann als Grau. Fast übertreibt er es in seiner Farbwahl. Doch ein zu viel des Guten kann wunderbar sein.
Ausritt / Horse riding
28.07.2015 Dund Us / Mongolia / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“
Da hat Sten ja mal ganz schön zugelangt. Zu Beginn unseres Ausritts sah das Pferd noch recht munter aus. Am Ende dann leicht verknöchert, weiß im Gesicht und nicht mehr ganz so lebendig. Sten macht eben keine halben Sachen. Nun, hier im Osten geht es halt in allem hart zur Sache... Unser Leo rumpelt mit der ganzen Fuhre durchs Gelände. Die Anzahl der eingebauten Sitze ist in der Mongolei generell kein Maß dafür, wie viele Leute mitfahren können. Sitze sind eher unnötig verschwendeter Platz, da ohne sie noch mehr Leute transportiert werden könnten. Durchgeschüttelt machen wir an einer Jurte Halt, um hier von den Sitzen auf Sattel umzusteigen. Natürlich nicht, bevor wir nicht einen Salztee in der Jurte getrunken haben. Mir ist etwas mulmig zu Mute, ob des Temperamentes der mongolischen Pferde. Doch einen ersten Versuch möchte ich unbedingt wagen. Mit konzentriertem Blick steige ich in die Bügel und merke schon nach wenigen Schritten im Sattel, dass mir das Gefühl absolut zusagt. Mein mongolischer Begleiter nutzt die Gelegenheit und wir treiben mit unseren Pferden seine Ziegenherde zusammen und voran. Während wir so ganz nah neben den Ziegen reiten höre ich, wie die Hufe ein Geräusch erzeugen, als ob Leder aneinander reibt. Auf dem Pferderücken durch das Tal. Ein für mich wirklich erfrischend wunderschönes Gefühl. Ich fühle mich pudelwohl und weiß doch, dass die Schmerzen wohl kommen würden, wenn wir uns für einen tagelangen Ritt entscheiden würden. Nun, das lassen wir uns momentan offen und genießen einfach, ein erstes Mal auf Tuchfühlung mit dem mongolischen Pferdetemperament zu gehen. Als das Gefühl auf „Nachmittag“ steht, wird Max unruhig. Sein Ehrgeiz, Schwimmen zu lernen, geht mit ihm wie ein junges Fohlen durch. Als unser Leo, vollgepackt mit noch mehr Kindern am See stoppt, geht es dort gleich wieder rund. Zum Glück gibt es mehr als genug zwei Liter große Plastik Bierflaschen. Was würden wir ohne sie tun? In den Nacken gelegt, mit gestreckten Armen nach vorn gehalten. Wie auch immer, dienen sie als Schwimmhilfen. Elka hat heute sein großes Erfolgserlebnis. Nicht mehr nur ein paar Schwimmzüge, nein, richtig in den See hinein schwimmt er gemeinsam mit Sten und kommt überglücklich strahlend aus dem Wasser. Nun kann er es wirklich. Er ist ein Schwimmer! Heute geht es gut vorwärts. Die Kinder haben Erfolgserlebnisse und sind super froh darüber. Kann einer etwas, zeigt er es gleich seinem Freund. Und so setzen sich die Erfolge wie im Ping Pong fort.
Ich übe heute mit Esen, der Mutter von unseren drei kleinen Freunden. Für sie ist es ein völlig neues Gefühl im Wasser zu sein und dabei mit der Zeit immer mehr zu entspannen. Am Ende fasst sie Vertrauen, genießt das Liegen auf dem Rücken und beginnt sich treiben zu lassen, während ich bei ihr bin. Länger als zwei Stunden halten wir es alle nicht am See aus. Mit der Zeit wird es einfach zu kalt. Also morgen weiter. Vom Leositz in den Sattel der Pferde, wechseln wir zwei am Abend auf unser Motorrad über, um noch ein wenig die Gegend zu erkunden. Es ist einfach zu schön, bei Sonnenuntergang auf einem kleinen Gipfel zu sitzen und in die Gegend zu schauen. Wir können die Augenblicke nicht festhalten, doch wir können sie bewusst erleben und ihnen eine sonnige Nische in uns selbst einrichten. Den Pferden von heute Morgen geht es gut. Und das verknöcherte Weiße hat am Leo Platz genommen. Bald werden wir wohl zu einer besonderen Form der Arche Noah...
Eierkuchen für alle / Pancakes for everybody
27.07.2015 Dund Us / Mongolia / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“
Wir drehen unser Kochprojekt einfach mal rum. Monatelang haben in den unterschiedlichsten Ländern die Menschen für uns und mit uns gekocht, so dass wir ihre Arten zu kochen erleben konnten. Heute ist es an der Zeit, dass wir den Spieß einmal anders herum halten. Gleich beim Frühstück geht es los. Max, Elka und der „kleine Monkey“ haben noch nie zuvor Nutella gegessen und machen es sich in dem Glas gemütlich. Auch mal Dänisches Frühstücksfleisch zu probieren ist etwas Neues. An sonstem besteht ihr Frühstück meist aus gesalzenem Milchtee. Und das war es dann auch schon. Es ist genug für alle zum Essen da. Hungern muss niemand. Doch besonders viel ist es nicht. Was auf dem Tisch steht muss für alle reichen, die drum herum sitzen. Und das ist bekanntlich immer eine ganze Menge an Leuten. Da fällt mal mehr und mal weniger für den Einzelnen ab. Sten hat Freude daran, über den Hof zu laufen und zu schauen, wo er sich nützlich machen kann. Da kommt auch schon Max mit nem Platten an seinem Fahrrad angelaufen. Sten macht sich gleich ans Werk und bringt alle nur erdenklichen Kleber zum Einsatz. Doch der Schlauch ist morsch und spröde. Da hält wohl der Kleber mehr an sich selbst als dass er die Löcher im Schlauch abdichten kann. Für uns stellt sich die Frage, wie viel an unserem Handeln hier gut tut. Wenn wir mit unserem deutschen Blick ran gehen, gäbe es an jeder Ecke und an jedem Ende etwas zu reparieren und auszubessern. Doch ist es das, was die Menschen hier wollen? Wann greifen wir zu sehr in das Ihrige ein? Es erscheint uns als eine Gradwanderung, bei der wir glauben, dass es hilfreich ist, den Kindern einiges beizubringen, so dass sie es selbst tun können und nicht gemacht bekommen. Wie zum Beispiel die Messer ihrer Mutter zu schärfen. Esen ist im Haus ihrer Schwiegereltern beschäftigt und die Kinder haben Hunger. Das regelt sich normalerweise ganz einfach, indem sie zu den Nachbarn gehen und dort eine Kleinigkeit mitessen. Heute übernehme ich den Part und brate einen großen Topf voll mit Eierkuchen. Wie an einem Marktstand geht es anschließend zu, als die Kinder aus der Umgebung kommen und alle einen Eierkuchen, mit Apfelmus bestrichen, abbekommen wollen. Drei Uhr. Max und Elka sind aufgeregt und fragen ungeduldig, wann es losgeht.
Sie wollen zum See, um schwimmen mit uns zu üben. Als wir mit dem Motorrad dort ankommen sind wir überrascht, wie viele Kinder wir sehen. Tilek erzählt uns, dass sie alle schon sehnsüchtig auf uns warten. Da hat sich offensichtlich mal wieder etwas schnell herum gesprochen. Na dann mal los. Wir lassen sie in Reihen aufstellen, um die Schwimmbewegungen im Trocknen zu üben. Ins Wasser dürfen dann immer nur ein paar Kinder gleichzeitig, damit wir den Überblick nicht verlieren und wir sehen können, wenn ein Kind Schwierigkeiten im Wasser bekommt. Denn eins steht fest, die Kids sind dermaßen motiviert und wollen es unbedingt lernen. Da scheint es ihnen egal zu sein, ob sie keine Kraft mehr haben und mal ne Pause brauchen oder das Bergseewasser sie inzwischen vollkommen ausgekühlt hat. Als sie einmal wissen, wie es mit den Bewegungen und der Atmung funktioniert, üben sie ganz für sich in Zweiergruppen. Wir sind echt baff, als wir sehen, wie konzentriert sie dabei sind. Jubelschreie hallen über den See als Elka es zum ersten Mal schafft, allein zu schwimmen. Er hat den Dreh raus und ist super glücklich. Seinem Vater geht es genau so. Er hat gestern und heute bei den Trockenübungen zugesehen und kann nun umsetzen, was er gehört hat. Seine ersten Schwimmzüge mit Mitte Dreißig. Er ist stolz und zufrieden. Nach zwei Stunden lösen wir das Knäuel am See auf und machen uns auf den Heimweg. Nicht ohne uns für morgen um drei Uhr wieder hier verabredet zu haben. Das ist allen wichtig. Vom Schwimmen sind wir hungrig und Esen noch immer anderswo beschäftigt. Also mache ich mich daran, Zwiebeln zu schneiden, Wurst anzubraten, Kartoffeln zu schälen, Eier und saure Gurken aus dem Kühlschank zu holen, um daraus ein „Bauernfrühstück“ zu braten. Diesmal sind es nicht die Kinder der Nachbarschaft, sondern ihre Väter, die mit in der Panne herumstochern, bis der letzte Krümel verschwunden ist. Unser Leo ist inzwischen zu einer kleinen Wagenburg geworden. Den ganzen Abend lang tummeln sich die Männer des Dorfes um ihn herum, bis die letzte Flasche Bier aus dem kleinen Dorfladen ausgetrunken ist. Dann heißt es für uns, noch den einen oder anderen abzuwimmeln, als sie immer noch an unserer Tür stehen und mit schwerer Zunge nach Wodka fragen.
Eigentlich / Actually
26.08.2015 Dund Us / Mongolia N48°07’39.0“E091°22’44.9“
Hektik im Ort. Aufregung bei Esen und Tilek. Heute Abend ist Hochzeit und bis dahin gibt es noch ne Menge zu tun. Achthundert Leute werden erwartet. Und die begnügen sich alle nicht nur mit einem Bonbon zum Abendessen. Daneben die Frage, wie der Transport funktionieren kann. Tileks Auto ist kaputt, eine Reparatur nicht in Aussicht. In Khovd soll gefeiert werden. Das ist fünfunddreißig Kilometer Piste entfernt von hier. So richtig ist keinem klar, wie das funktionieren soll. Denn in der Nacht müssen alle auch wieder zurück. Die Kinder warten darauf, dass wir am Nachmittag um drei Uhr wieder mit ihnen im Bergsee Schwimmen üben. Sie wollen es unbedingt lernen. Das Murmeltier will zubereitet werden, und obendrein ist heute der 15. Hochzeitstag von Tilek und Esen. Der soll auch nicht unter den Tisch fallen. Zu viel steht an. Da trinken wir doch erst einmal ganz in Ruhe gemeinsam einen Salztee zum Frühstück. Esen schnappt sich ein paar Messer, um irgendwo im Ort beim Kochen zu helfen, als Stens Blick auf die Schneiden der Messer fällt. Es sind weniger Schnitthilfen als Pressinstrumente. Wie Esen damit überhaupt etwas schneiden kann, ist Sten rätselhaft. Also holt er seinen kleinen Dremel raus und bearbeitet damit die Messer. Das erste Ergebnis ist offensichtlich so überzeugend, dass immer mehr Leute kommen, um ihre Messer von Sten schleifen zu lassen. Wie sich hier immer alles rumspricht, ist uns schleierhaft. Doch irgendwie funktioniert der Buschfunk prächtig. Den ganzen Vormittag ist Sten mit dem Schleifen beschäftigt. Da Esen mit den Vorbereitungen zu tun hat, entschließe ich mich, für alle zu Mittag zu kochen. Ich weiß nicht für wie viele Leute ich koche. Ich weiß nur, dass es in jedem Fall Viele sind. Unter zwei Packungen Spagetti brauche ich gar nicht erst anzufangen, da es üblich ist, dass jeder dort isst wo er gerade vorbei kommt. Kinder aus der Nachbarschaft, die Verwandten, die immerzu auftauchen, die eigene Familie und wer noch so vorbei schneien könnte. Unser Motorrad ist im Dauereinsatz unterwegs. Ist es ja momentan das einzige Fahrgestell welches auch fährt. Neben Leo natürlich. Doch der macht hier im Ort mehr Staub als alles andere. Plötzlich fährt Tileks Vater mit unserem Motorrad auf dem Hof vor. Er kommt mit einer traurig, erleichternden Nachricht. Die Hochzeit wird verschoben. In der Nacht ist ein Verwandter der Braut verstorben und somit fällt das Feiern heute aus. Ich kann förmlich sehen, wie sich mit einem Mal die Bewegungen aller verlangsamen und die Gesichtszüge gleichzeitig lösen. Die Anspannung fällt ab, Ruhe zieht ein.
Das Problem mit dem Transport ist für heute vom Tisch. Die Speisenzubereitung wird vertagt. Für die fünf geschlachteten Schafe müssen nun nur genügend Kühlschränke gefunden werden. Der 15. Hochzeitstag kann aufleben. Meinen großen Topf voller Spagetti, gebratener Würstchen und Soße verziere ich mit einem großen Herz für Esen und Tilek und nehme Wunderkerzen mit. Die sorgen für glücklich blitzende Augen bei allen, den Kindern, wie den Erwachsenen. So wird unser Nudelessen zum Festtagsschmaus. Und wie es nicht anders zu erwarten war, kommen auch heute immer mehr Leute zum Essen. Ich sage ja, zwei Packungen Spagetti sind hier gar nichts. Sten bugsiert die erste Fuhre Kinder für das Schwimmtraining zum See, bevor er den nächsten Schwung abholen will. Als er zurückkommt, sitzen die Kinder immer noch hinter ihm. Sie sind zurückgekommen, da der Sturm heute zu stark ist. Wir wollten es den Kindern zu Liebe versuchen. Doch es ist zu gefährlich und macht keinen Sinn. Um die enttäuschten Gesichter etwas aufzuhellen, schwenken wir um auf Trockentraining. Ein paar Hocker hingestellt, mit dem Bauch darauf gelegt und los geht es. Beinbewegung, Armbewegung, Atmung. Einzeln und dann miteinander koordiniert. Gar nicht so einfach, doch es wird. Auch die Eltern üben mit. Weiter geht es zur Verwandtschaft. Warum, erschließt sich uns nicht. Vielleicht, weil die Hochzeitsgäste nun einmal da sind, kommen wie aus heiterem Himmel dreißig, vierzig Leute zusammen. Die vertagte Braut ist auch dabei. „Beschparmak“ für alle. Ein paar Happen genommen und schon geht es weiter. Ich soll ein Gruppenfoto machen. Tileks Bruder aus Kasachstan ist zu Besuch und Eljas reist in wenigen Minuten ab, um morgen seinen Job in Ulaan Bataar anzutreten. Sein Flieger geht erst in der Nacht, doch gerade ergab sich eine Mitfahrgelegenheit in die Stadt für ihn. Eile ist geboten. Das Sturmbild entsteht. Die Haare stehen zu Berge, die Augen sind vom Wind zugekniffen. Doch es ist eine einmalige Momentaufnahme. Nur heute sehen alle genau sooo aus. Nur heute finden sie sich alle zusammen. Unser Fotodrucker arbeitet auf Hochtouren. Für genau solche Augenblicke hatten wir ihn eingepackt. Eigentlich sollte heute Hochzeit sein. Ein gelungener Hochzeitstag für Esen und Tilek wurde daraus. Eigentlich wollten wir Schwimmen gehen. Ein Trockentraining ist es geworden. Eigentlich sollte gekocht werden. Dafür sind nun die Messer geschärft. Eigentlich sollte heute Hektik sein. Gesellige Entspannung hat sich eingestellt.
Das Schaf auf Reisen / The sheep on the road
25.08.2015 Dund Us / Mongolia N48°07’39.0“E091°22’44.9“
Nun fährt es mit uns. Das Schaf. Max und Elka haben den Schädel vorn am Leo mit Sten befestigt, nachdem sie ihre Namen darauf geschrieben haben. Leo wird jetzt nicht zum Schaf und ist auch kein Löwe im Schafspelz. Doch einen neuen Reisebegleiter zu haben finden wir gut. So kommt das Schaf gefühlt noch etwas rum, erlebt ne Menge und kann seinen Kumpels davon erzählen. In die Berge soll es heute gehen. Die Frage ist nur, womit? Tileks Auto hat nach etlichen Fahrten als Zitterparty seinen Geist endgültig aufgegeben. Nun fährt er mit unserem Motorrad durchs Dorf und fragt an jedem Haus nach ob jemand Lust hat unsere ganze Truppe in die Berge zu fahren. Zum Laufen sei es zu weit, meint Tilek. Und so warten wir einfach ab. Mit einem alten russischen „Uas“ kommt er zurück. Das Gefährt erinnert mich irgendwie an eine Bergziege. Das musste schon ne Menge mitmachen. Sehe ich ihm glatt an. „Okay, Platz nehmen!“, ruft Tilek seiner Familie zu. Und schon sitzen wir zu Siebent drin. Fünf Leute auf der Rücksitzbank, die gerade einmal für zwei Leute gedacht ist. Aber hier geht das irgendwie. Da rutschen eben alle ein Stück näher zusammen. Wir sitzen mehr auf- als neben-einander. Sten hat sich für die Luxusvariante entschieden und fährt mit unserem Motorrad. Nach nicht einmal einhundert gefahrenen Metern fällt das Glas einer Seitenscheibe vom „Uas“ ab. Macht nichts. So kommt wenigstens frische Luft herein. Huckel-buckel, rumps, Schlag, Krach. Die Fahrt hat etwas von einer Geisterbahn Aktion. Unangeschnallt, denn Gurte gibt es hier sowieso nicht, hüpfen wir permanent durch das Auto, als dieses versucht, über die steinige Piste irgendwie vorwärts zu kommen. Alle paar hundert Meter ist es so heiß, dass wir anhalten müssen, Wasser nachfüllen und den Motor abkühlen lassen. Sten springt während dessen im Motocross-Stil munter bergauf. Es ist ein riesen Spaß für ihn. Jurten stehen rechts und links unseres Weges. So dass wir immer wieder anhalten und uns Tee und Kumis trinkend durch die Jurten kämpfen. An einer ist großer Betrieb. Die Männer stehen und sitzen in der Gegend herum, während die Frauen jeweils zu dritt feuchte Rollen aus Schafwolle auf Bastmatten hin- und her-rollen, indem sie sich mit ihrem ganzen Körpergewicht darauf legen. Sie Filzen große Stücke, in der Höhe ihrer Jurten, um sie anschließend als wärmende Isolation um die Jurten zu binden. Zur Verköstigung aller stehen große Platten mit „Beschparmak“ bereit.
Made in Mongolia / Made in Mongolia
24.08.2015 Dund Us / Mongolia N48°07’39.0“E091°22’44.9“
Erst mal eine Grundlage im Magen schaffen. Das ist mein Vorhaben am heutigen Morgen. Auch wenn ich nach dem deftigen Gelage des gestrigen Abends noch nicht wirklich wieder hungrig bin. Doch dass wir jetzt gleich zu einer Jurte fahren, in der Wodka hergestellt wird, verlangt mir allen Respekt ab. Ich ahne, was auf mich zukommt und beiße noch einmal kräftig in meine Schnitte! Vier Mal im Jahr ziehen die Mongolen mit ihren Jurten um. Für jede Jahreszeit haben sie einen eigenen Platz an dem sie leben. Verlassen sie nach dem Sommer ihr Lager können alle sicher sein, dass sie im darauf folgenden Sommer an die gleiche Stelle zurückkehren. Das ist der Grund, warum Tilek genau weiß, wo er die Familie finden kann, deren Tagwerk es ist, Wodka zu destillieren. An jedem Tag aufs Neue werden morgens um sechs Uhr die fünfzehn milchgebenden der fünfundvierzig Kühe gemolken. Eigentlich macht das die Mutter, doch jetzt sind Sommerferien und die drei Töchter sind vom Studium aus Ulan Bataar und Khovd nach Hause gekommen. Also übernehmen sie den Job. Der Vater ist vor Jahren an einer halbseitigen Lähmung erkrankt und so bleibt der größte Teil der Last im Alltag an der Mutter hängen. Da ist sie froh, dass ihre mittlere Tochter das dreistündige Stampfen der Milch übernimmt, um sie zu fermentieren. Sie schmeckt danach leicht sauer und hat einen gewissen Alkoholanteil. Die zwei anderen Töchter liegen noch an den Rand der Jurte gekuschelt und schlafen. Sie hatten die ganze Nacht die Kühe zu beaufsichtigen, die am Abend zuvor halb verrückt geworden waren und wegrennen wollten da ein riesiger Schwarm Mücken sie plagte. Das gleichmäßige Stampfen in den sechzig Litern Milch mit dem Holzschlägel trägt einen beruhigenden Takt in die lichtdurchflutete bunte Jurte. Als wir eintreten umfängt uns diese Ruhe und lässt uns selbst erst einmal ankommen. Salztee gibt es, Würmchen aus getrockneten Milchresten stehen bereit und natürlich eine erste Schale randvoll mit Wodka. Ich bin froh, gut gefrühstückt zu haben, denn ablehnen was uns angeboten wird geht nicht. Ich versuche mich wieder in der „kleinen Schluck Methode“ und falle natürlich gleich auf damit. Zwanzig Liter der gestampften Milch gießt die Mutter nun in eine Schüssel, die auf dem Feuer steht. Obenauf setzt sie eine Metallröhre, welche die Schüssel mit der Milch abdichtet.
In die Röhre hängt sie einen kleinen leeren Topf hinein und setzt auf die Röhre wiederum eine Schüssel auf, die sie mit kaltem Wasser füllt. Das ist die ganze Apparatur, die sie mehrmals am Tag auf- und wieder abbaut. Als das Feuer knackend brennt heißt es einfach Warten was passiert. Das ist im Winter bestimmt schön, wenn die Familie drinnen am warmen Feuer ist. Heute ist es nicht ganz so genussvoll, in der aufgeheizten Jurte zu sitzen, wo doch draußen schon 35 Grad herrschen. Doch wir sind so fasziniert von den vielen kleinen Details, die wir sehen, so dass die Hitze nur schmückendes Beiwerk ist. Fleischknochen hängen zum Trocknen über den schlafenden Mädchen an der Jurtenwand. Ein Bettgestell, das Einzige im ganzen Raum, ist mit einem Strick abgesperrt. Dort hat bis vor einigen Jahren die Großmutter gelegen. Seit sie tot ist steht das Bett da ohne dass sich jemand darauf setzen oder legen darf. Damit zollt die Familie der verstorbenen Großmutter ihren Respekt. Alle anderen, auch der kranke Vater, schlafen auf dem Boden. Nach einer Weile beginnt die Milch zu brodeln. Der Prozess des Wodka Herstellens ist in Gang gekommen. Der Wasserdampf, mit dem Alkohol aus der Milch, steigt nun nach oben und kondensiert am Boden der mit kaltem Wasser gefüllten Schüssel. Dadurch tropft der fertige Wodka von der Unterseite der Schüssel in den eingehängten Topf und wird dort aufgefangen. Nach einer guten Stunde ist der Spuk vorbei und die Apparatur wird langsam entpellt. Etwa ein Liter Wodka findet sind im Topf. Warm darf er nur IN der Jurte getrunken werden. Also wird er uns gleich eingeschenkt und schmeckt tatsächlich gut! Ich finde ihn warm leckerer als ihn kalt zu trinken. Doch das betone ich lieber nicht zu stark, sonst wird mir zu oft nachgegossen... Die restliche Milch wird in einen dichten Sack gegossen, so dass das Wasser ablaufen kann. Alles was übrig bleibt stopfen die Mädchen in eine Presse, die ein wenig wie eine Sahne Presse zum Verzieren eines Kuchens aussieht, und quetschen die kleinen Joghurt Würmer heraus. Sind sie später in der Sonne getrocknet, schmecken sie als Snack wunderbar und sind gesünder als aller Zuckerkram. Mit einer abgefüllten Flasche voll Wodka im Arm verabschieden wir uns von den vier Frauen, die uns eine ganz neue Art des „Silk Route Cookings“ beschert haben und machen uns leicht angeheitert auf den Weg zum Bergsee. Unterwegs sammeln wir noch eine ganze Fuhre voller Kinder auf, die alle mit zum See fahren. Dort angekommen geht es gleich ab ins Wasser. Dabei fällt mir auf, dass niemand von all den Kindern und Erwachsenen schwimmen kann, die hier im Wasser sind. Eins gibt das andere und schwupp diwupp finden wir uns als Schwimmlernschule wieder. Wir machen Trockenübungen der Arm- und Beinbewegungen an Land, üben das Atmen und probieren es mit den Kids gleich im Wasser aus. Sie sind voller Eifer dabei, schauen aufmerksam zu und wollen gar nicht mehr aufhören zu üben, obwohl sie schon vor Kälte schlottern. Die Mädchen sind etwas schüchtern, machen aber genau so gern mit, als einmal das Eis gebrochen ist. Auf das Bitten aller schwimmt Sten einmal bis zur Mitte des Sees und kommt unter großem Gejohle der ganzen Truppe wieder an Land. Völlig geschafft kommen wir ins Dorf zurück und brauchen erst einmal eine Verschnaufpause nach dem spaßigen wilden Treiben. Die Kinder sind so dankbar wenn sie etwas beigebracht bekommen. Das ist stark zu spüren und geht mir sehr nah. Auch wenn wir ihnen beim Fahren sagen, dass sie die leeren Flaschen, die sie im Wasser als Schwimmhilfen genutzt haben, nicht aus dem Auto werfen sollen, akzeptieren sie es und bringen sie tatsächlich zu Hause zum Müll. Nicht ohne noch einmal zu zeigen, dass sie es auch tatsächlich getan haben. Wir freuen uns dann miteinander. Abends wird doch tatsächlich wieder gekocht. Das achtundzwanzigste Mal auf unserer Reise. Der Onkel Tileks mit seiner Familie möchte es sich nicht nehmen lassen „Huushuur“, flache, mit Gehacktem gefüllte Teigtaschen für uns zu bereiten. Ich finde, es ist eine richtige Kunst, wie sie aus den runden Teigplatten gefüllte Bälle und dann wieder flache Fladen zaubern. Sten stellt sich total gut an beim Ausprobieren und ist schnell Profi darin. Ich weiß nicht wie viel Bier am Abend in uns hinein läuft. Wenig ist es nicht. Doch die Runde ist so lustig, dass wir kaum ein Ende finden bei den Witzen und deutsch-russisch-kasachisch-mongolischen Gesängen. Ein Tag, so vollkommen „Made in Mongolia“ im vielfachen Sinne. Für schallendes Gelächter sorgte der Satz, als Tileks junge Cousine auf die Frage: „Where dou you live?“ antwortete: „Made in Mongolia“.
Wir schlachteten das Schaf / We slaughtered the sheep
23.07.2015 Dund Us / Mongolia N48°07’39.0“E091°22’44.9“
„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Den Satz kenne ich seit meiner frühesten Kindheit. Nun höre ich ihn sinngemäß hier in der Mongolei wieder. Die Deutschen mit ihren vermeintlichen Tugenden des Fleißes und der Pünktlichkeit sind in einem solchen Maß durch die Welt geweht wurden, wie ich es nicht für möglich gehalten hatte. Wenn es hier um Termine geht, heißt es: „Das machen wir wie die Deutschen.“ Und so fahren wir gleich am Vormittag mit Tilek nach Khovd um uns, wie in jedem der letzten durchreisten Länder, registrieren zu lassen. Wir sind pünktlich, doch die Dame im Amt versteht etwas anderes darunter. Für sie bedeutet es offensichtlich, eine Stunde vorfristig in die Mittagspause zu gehen und dafür auch eine Stunde länger dort zu verweilen. Als sie endlich erscheint, erklärt sie uns, dass wir uns nur registrieren lassen müssten, wenn wir länger als zwei Monate in der Mongolei bleiben wollten. Gut, das haben wir nicht vor. Doch bin ich mir nicht sicher, ob das die Beamten in Ulan Bataar auch so sehen, wenn wir in drei Wochen dort um Aufenthaltsverlängerung bitten. Vier Wochen können wir ohne Visum im Land bleiben. Danach brauchen wir eine Verlängerungsbestätigung bis Ende August. Aber ich habe den Eindruck, dass man die offiziellen Dinge in der Mongolei generell etwas lockerer sieht, als das anderswo der Fall war. Lassen wir es auf uns zukommen, wie immer. Im Rallye Stil ins Dorf zurück gefahren ist es nun Zeit fürs Kochen. Mir ist mulmig im Bauch zu Mute dass dafür wieder ein Schaf sein Leben lassen muss. Doch hier ist nun einmal Fleisch die fast ausschließliche Ernährungsbasis. Gut sechshundert Jahre alt ist die Methode, nach der heute das Schaf zubereitet wird. Ich fühle mich in die Zeiten der Seidenstraße zurück versetzt und erlebe was ich sehe, als geschehe es in einem Time-Tunnel. Etwas entrückt Surreales stellt sich in meinem Inneren ein, als die Männer beginnen, dem Schaf die Kehle durchzuschneiden und es anschließend ausbluten zu lassen. Die Innereien kommen in eine große Wanne. Soweit kenne ich den Schlachtvorgang. Doch nun wird das Schaf nicht gehäutet, sondern wie im Märchen „Rotkäppchen“ nach dem Entnehmen der Innereien wieder zugenäht und auf ein Metallgestell gelegt. Sozusagen als „hohler Vogel“ liegt es ganz still da. Fliegen kann es nicht mehr, doch die Seele zieht dahin.
Den nächsten Schritt nennen die Männer „Barbecue“. Mit Feuer aus einer Lötlampe wird das Fell am gesamten Körper abgebrannt, bis die pure schwarze Haut sichtbar ist. Dann geht es an die Hausarbeit. Mit Wasser und einem Topfkratzer schrubbt Tilek das Schaf, bis es seine gelbliche Hautfarbe zurück erhält. Dann ist wieder der Metzger an der Reihe. Er zerteilt den Körper in Stücke. Dabei ist Knochen, Fleisch, Haut, Knorpel, alles zusammen. Das hat nicht unbedingt den feinsäuberlichen Teilungseindruck, wie ich ihn aus einer deutschen Fleischerei kenne. Eher geht es darum, das Schaf irgendwie zu zerteilen, um es später in den Topf stecken zu können. In dem brodelt das kochende Salzwasser auf dem Feuer schon, als die Teile hineingelegt werden. Zwei Stunden lang geht es nun nur darum, immer wieder Holz nachzulegen und den Schaum vom Wasser abzuschöpfen. Nach zwei Stunden legt Tileks Frau eine gelöcherte Zellophan Tüte mit geschälten Kartoffeln in den Topf zum Fleisch. Eine geniale Methode, wie ich finde. Denn so nehmen die Kartoffeln den aromatischen Geschmack der Fleischbrühe an. Während das Fleisch die dritte Stunde langsam munter vor sich hin kocht, rollen wir einen Teig aus, um ihn mit geschabten Möhren und Zwiebelstückchen zu belegen, zusammen zu rollen und die fertige Teigrolle in einen Dampfgarer zu legen. Reges Treiben, ein Kommen und Gehen herrscht während des ganzen Nachmittags. Gefühlt war jeder der fünfhundert Bewohner des Ortes inzwischen einmal da um zuzusehen, was mit dem Schaf geschieht, um uns anzugucken und dem Leo einen Besuch abzustatten. Selbst die Bussarde kreisen über uns, um einen Leckerbissen abzubekommen. Es ist ein Kinderspaß, kleine Innereienteile in die Luft zu werfen, so dass die Vögel sie fangen können. Eljas, Tilek und die Jungs können sich vor Lachen kaum die Bäuche halten, wenn sie die deutschen Sätze hören, die wir zueinander sagen. Sie versuchen die Worte zu verstehen und nachzusprechen. Ein Satz schafft es auf der Fröhlichkeitsskala heute bis ganz nach oben. „Wir schlach-te-ten das Schaf!“, ausgesprochen wie in der einstudierten Propagandarede eines früheren deutschsprachigen Anführers, ist der Hit des Tages! Ich bin hier fremd, wir sind Gäste aus einem für die Mongolen so fernen Land, wie es die Mongolei bisher für uns war. Die Menschen staunen über die Fotos, die sie von unserem Leben zu Hause sehen und stellen viele lustige Fragen, auf die wir gern versuchen eine Antwort zu geben. Eine davon ist heute, ob es in Deutschland auch normal ist, dass man ohne anzuklopfen in jede Wohnung und in jedes Haus gehen kann, ohne die Leute dort überhaupt zu kennen. Bei den Mongolen ist das üblich und keinen wundert es, wenn man so viel getrunken hat, dass man den Weg nach Hause nicht mehr schafft und sich deshalb in irgendeinem fremden Haus in die Ecke zum Schlafen legt. Nur anklopfen darf man NICHT. Das ist eine Ungehörigkeit. So verstehen wir nun auch, warum immer wieder überraschend Betrieb auf der Leo-Treppe herrscht und die Leute einfach vor uns stehen, egal zu welcher Tageszeit. Vieles ist anders, das ist spannend. Doch schon nach einem Tag machen wir Witze miteinander, als würden wir uns seit Ewigkeiten kennen. Wenn der Humor zusammen passt, dann ist die ganze Welt in Ordnung!
In der Familie / In the family
22.07.2015 Dund Us / Mongolia N48°07’39.0“E091°22’44.9“
Wie geht das nur immer? Kaum sind wir in einer Gegend angekommen, finden wir uns schon inmitten eines großen Familienfestes, sind Gäste und Teil einer Feier. Gestern hielten wir auf der Piste an um ein paar Fotos zu machen. Als kurze Zeit später ein Auto an uns vorbei fuhr, winkte ich den Insassen zu. Einfach so. Sie hielten an und kamen zu uns. Mongolen die englisch sprechen. Das ist selten. So freuten wir uns über die Begegnung mit Eljas und seinem Bruder Tilek und gingen auseinander, mit einer Verabredung für heute Mittag in ihrem Dorf. „Wie wollen wir dieses Dorf finden?“, fragte ich mich innerlich. Klar, wir kennen den Ortsnamen. Doch wissen wir inzwischen auch, dass es sich immer um große Gebiete handelt, die mit ein und demselben Namen versehen werden. Nun, wir versuchen es einfach. Die Richtung ist klar. Und dreißig Kilometer weit soll es sein. Na dann mal los. Die Hauptpiste entlang. Das macht Sinn. Doch wo biegen wir ab? Ein Steinhaufen soll uns als Orientierung dienen. Doch Steinhaufen liegen hier ständig. Das hilft nicht wirklich weiter. Plötzlich entdecken wir eine Stromleitung und sind uns sicher, dass sie zu einer Ortschaft führt. „Follow the line“ ist unser Motto. Und tatsächlich lugen nach einigen Kilometern über Stock und Stein ein paar vorwitzige bunte Dächer in Pink und Hellblau hinter dem Hügel hervor. Wahnsinn. Wir scheinen richtig zu sein. An der letzten Flussdurchfahrt sitzen ein paar Männer, die sich wie Kinder freuen, uns von ihrem Bier kosten zu lassen. Sie kennen Eljas und zeigen wild in alle Richtungen. Alles klar! Dann wissen wir ja wo er wohnt... Wir wollen doch lieber in einem Hof noch einmal nach dem Weg fragen und entdecken Eljas plötzlich unter denen, die dort im Schatten der Jurte sitzen. Hey, wir sind da! Und WO wir sind! Eljas hat gerade sein Studium in den USA abgeschlossen. Zu diesem Anlass ist die ganze Familie angereist. Selbst aus Kasachstan sind Brüder gekommen. Eljas, Tilek und ihre Familien sind Kasachen, die in der Mongolei leben. Das ist seit ewigen Zeiten so, als es noch keine Grenzen gab und die Nomaden einfach durch die Lande zogen. Der westliche Teil der Mongolei grenzt an Kasachstan. Also ist es wenig verwunderlich, dass in dieser Gegend viele Kasachen leben.
Eingetaucht / Dipped
21.07.2015 Khovd / Mongolei / N48°00’39.9“ E091°38’03.3“
Ich sitze am Feuer, schaue in die züngelnden Flammen und kann es nicht glauben, dass wir erst seit vier Tagen in diesem Land sein sollten. Die Mongolei. Mit einer solchen Wucht hat sie bei uns eingeschlagen. Nicht mit Krach und Tamtam. Eher mit ihrer unglaublich stillen Selbstverständlichkeit. Ich habe das Gefühl mich neu sortieren zu müssen, mich einzurichten in dem mir unbekannten unendlichen Raum. Das Land wirkt auf mich wie eine viel zu große Wohnung, die ich bezogen habe. Außer einem Tisch steht nichts darin. Ein Möbelstück, welches in der alten Wohnung gewaltig wirkte, geht hier unter, verliert sich in der Unscheinbarkeit. Die Dimensionen sind aus den Fugen geraten. Unendlichkeit hat heute eine andere Bedeutung für mich. Einhundertfünfzig Kilometer weit liegt die Siedlung Altanzugz vom nächsten Ort Khovd entfernt. Das ist heute unsere Strecke. Khovd, unser Ziel. Die Einheimischen zeigen in eine Richtung als wir losfahren und nach dem Weg fragen. Straßen gibt es hier nicht. Ob wir uns einem Ort nähern oder nicht zeigen allein die Anzahl der Pisten, die mehr oder weniger parallel, mitunter im Abstand von ein paar hundert Metern verlaufen. Navigation ist ratsam. Ohne, muss man hier geboren sein. Über Hügel, durch Ebenen, Flüsse und die verschiedensten Arten an Bodenbeschaffenheit führt unser Weg. Die ersten Wasser-Durchfahrten fordern unsere volle Aufmerksamkeit. Im Laufe des Tages werden sie Routine. Die Pisten fügen sich ein in dieses gewachsene Landschaftsbild, in dem ich mir nicht vorstellen kann, dass eine asphaltierte Straße eine Alternative sein könnte. Um von A nach B zu kommen geht es hier darum, einen günstigen Weg in den sich immer ändernden Bedingungen zu finden. Das Wetter verändert die Routen. Der Regen, wo auch immer, lässt die Flüsse an- oder ab-schwellen. Es geht um das Suchen und Finden der jeweils günstigsten Strecke. Es kommt mir vor, als schwingen wir hier auf eine Weise mit der Natur und ihren Gegebenheiten, wie es sich an anderen Orten niemals einstellen könnte. Dort gibt es eine Straße und die fährt man entlang. Dann kommt eine Kreuzung mit wegweisenden Schildern, aus denen man sich die Abbiegung aussucht, die passend ist.
Ganz anders hier. Auf der Karte sehen wir die Bergzüge und Täler. Diese vergleichen wir mit dem was wir vor uns sehen und entscheiden dann, welchen der vor uns liegenden Wege wir einschlagen. Merken wir nach einer Weile, dass wir zu weit abdriften und unser GPS Gerät nicht mehr mit uns reden will, fahren wir zurück, um einen anderen Weg auszuprobieren. Nehmen dann die Kilometer laut unserer GPS Peilung langsam ab, nehmen wir an, den richtigen Weg gefunden zu haben. Sieben Stunden sind wir heute unterwegs um einhundertfünfzig Kilometer zurück zu legen. Das ist hier so. Das ist normal. „Mal schnell“ geht hier nicht. Dieses Land fordert unsere ganze Aufmerksamkeit. „Vielleicht ist es genau das, was uns so augenblicklich tief hat eintauchen lassen?“, sind meine Gedanken abends am Feuer, an dem wir heute bunt gewürfelt sitzen. Drei Italiener, ein Portugiese, zwei Amerikaner, ein Inder, ein Mädchen aus dem Altai, ein Russe und wir zwei. Alle haben wir uns hier versammelt, um dem Geheimnis „Mongolei“ ein Stückchen näher zu kommen.
Menschenleer / Without people
20.07.2015 Altanzugz / Mongolei / N48°46’47.1“ E090°33’41.9“
Das müssen wir erst einmal verdauen. Die Unmengen an ausgelassen feiernden Menschen. Das Stimmengewirr, welches sich zu einem Dauerton zusammenbraute. Die Farben der Kleider, die unsere Rezeptoren in den Augen pausenlos befeuerten. Gestern. Heute ist Zeit zum Augen schließen, zum Hören der Ruhe, zum Ausholen unserer weiten Schritte, die uns quer durch die Ebene führen. Wo in der Welt habe ich schon so viel freien Raum gespürt? Noch nie, nie, nie. Nicht nur wir brauchen eine Verschnaufpause. Den Mongolen geht es wohl genau so. Ganz still ist es am Morgen. Nur das Zupfen der Pferdemäuler am spärlichen Gras kann ich hören. Ab und an eine meckernde Ziege. Dann wieder Stille. Was für ein unglaublicher Kontrast zu den permanent übersteuert plärrenden Lautsprechertönen des Festivals. Sie klingen noch in meinen Ohren. Heute galoppieren die Männer um die Wette. Irgendwo weit draußen, erfahren wir. Uns genügt das Wissen darum. Dabei sein müssen wir nicht. Die Frage kommt in mir auf. Wie weit ist „weit draußen“ wenn wir schon „weit draußen“ sind? Der Welt entrückt, ohne jeden Telefonempfang. „Kein Netz“, wo gibt es das noch? Und wieder die Antwort: hier, hier, hier. Kein Netz und doch nicht ohne Halt. Wir fühlen uns wohl unter den Einheimischen, die einfach ihrem Tagwerk nachgehen. Jeder für sich. In großem Abstand zueinander. Mit einem Eimerchen zum Wasser laufen um irgendetwas zu reinigen. Vergnüglich in kleinen Gruppen auf dem bloßen Boden zusammen sitzen. Mit dem Pferd locker dahin traben. Vielleicht ein wenig Plastikmüll aufsammeln, bevor ihn die Kühe komplett verspeist haben. Oder die leeren Flaschen doch lieber sich selbst überlassen. Mal sehen. Es gibt ja Zeit genug. Hier im westlichen Teil der Mongolei sind die meisten Mongolen kasachischer Abstammung. Sie seien die Fleißigsten im Land, eilt ihnen als Ruf voraus. Dann bin ich gespannt auf die anderen. Wie viel ist es, wenig zu tun? Kurz blitzt in meinem Hirn der Gedanke an zu Hause auf. Immerzu sind wir alle beschäftigt mit Unmengen an Wichtigem, was zu tun und zu erledigen ist. Termine, Termine. Und hier? Hier genügt es, geradeaus zu schauen. Das ist die Übung. Das ist der Tag nach dem Fest.
90 Jahre Altanzugz / 90 years Altanzugz
90 Jahre Altanzugz / 90 years Altanzugz
19.07.2015 Altanzugz / Mongolei / N48°46’47.1“ E090°33’41.9“
Wo sind wir hingeraten? Pferdegetrappel und Wiehern sind die Geräusche die uns aufwecken. Die Nase vorsichtig aus der Tür gesteckt sehen wir uns umringt von weißen Jurten mit Bannern, die das 90-jährige Jubiläum der Ortschaft „Altanzugz“ propagieren. Bunt gekleidete Frauen übersteigen die Schwellen der Jurten aufgeregt ein- und austretend. Ich versuche zu erkennen, mit welchem Bein sie zuerst die Schwelle überqueren, da ich weiß, dass es dazu Regeln gibt. Doch ganz ehrlich. Ich kann kein System darin finden. Rechtes Bein, linkes Bein, vorwärts, rückwärts, mit Schuhen, ohne Schuhe. Alles sehe ich, nur keine Regelmäßigkeit in den Bewegungsabläufen. Ich schiebe es auf die Aufregung des Festtages und vertage mein Beobachten auf später. Wir scheinen mit dem Leo intuitiv neben der Jurte des Dorfältesten angehalten zu haben und werden auch gleich von ihm auf eine Schale Stutenmilch eingeladen. Der Älteste sitzt dabei dem Jurten Eingang gegenüber. Im Uhrzeigersinn haben wir am linken Rand des Inneren entlang zu laufen. Dabei müssen wir darauf achten, dass wir hinter allen Sitzenden vorbei gehen und nicht davor. Sten wird links neben dem Chef platziert. Ich umrunde die Jurte weiter, bis ich an der rechten Seite, wieder nah des Ausgangs, angekommen bin und bei den Frauen Platz nehme. Vor mir liegen bunt verstreut Bonbons, Kekse und Obst. Die Frauen sind freundlich und suchen meine Nähe. Anfassen scheint hier wichtig zu sein. Die Stutenmilch, die mir in einer Schale gereicht wird, hat einen säuerlichen Geschmack, den ich ziemlich schmackhaft finde. Zumindest finde ich ihn wesentlich besser als ich ihn mir nach Berichten aus dem Fernsehen vorgestellt hatte. Wir machen Fotos von der ganzen Familie und schenken dem Chef kurze Zeit später einen Abzug davon. Er freut sich riesig und wir uns auch. Hatten wir doch genau für solche Gelegenheiten unseren Fotodrucker mitgenommen. Um Bilder schenken zu können, wo diese selten sind. Dann herrscht Aufbruchstimmung. Das Fest beginnt. In dem lang gestreckten Tal, stehen die Jurten über weit mehr als zehn Kilometer verteilt. Platz gibt es genug. Also sorgt jeder für ausreichend Raum um sich herum. Als Dorf oder Siedlung, in dem uns bekannten Sinne, würde ich nicht beschreiben, wie die Jurten hier stehen. Es ist mehr eine Gegend mit einem weitläufigen Lager.
Von oben betrachtet kommt es mir vor, als wäre Chingghis Khaan mit seinem Gefolge angelandet und hat sich kurzer Hand ausgebreitet. Qualm steigt aus den Schornsteinen der Jurten auf, Sand stiebt weit, vom Ritt der Pferde, über die Ebene. Mein Gott. Was für eine Zeitreise haben wir hier unternommen? Fortbewegt wird sich per Pferd oder klapprigem Auto. Wobei die Pferde in der deutlichen Überzahl sind. Fasziniert sehe ich den Männern zu, wie sie auf ihren Tieren dahin fliegen. Ihre Körper bleiben vollkommen ruhig, als stünden sie in der Luft, während sich die Pferde unter ihnen im schnellsten Galopp vorwärts bewegen. In Ermangelung eines Pferdes laufen wir zu Fuß zum Festplatz, an dem sich nach und nach Unmengen an Menschen versammeln. Ein buntes Treiben, welches mich permanent an Filmszenen erinnert. Männer in Lederstiefeln und bunten, in der Hüfte gebundenen, Mänteln. Frauen in farbigen Kleidern und Umhängen, wie ich sie mir bisher nur in China vorgestellt hatte. Ringer zeigen ihre massigen nackten Körper. Andere sind eher drahtigen Körperbaus und tragen einen Adler auf dem Arm. Mir gehen die Augen über. Ich weiß nicht, wohin ich zuerst sehen soll. Auf das Kind, welches da still im seitlichen Holz-Korb des Kamels sitzt? Auf die Frau mit dem Zopf, der ihr bis zum Boden reicht, die ihrer Meisterschaft im Bogenschießen frönt? Auf die Männer im Anzug, die Abzeichen als Auszeichnungen an die Reverse der bunten Kleider stecken? Auf die kleinen Jungs, die sich zum Start für das Pferderennen bereit machen? Auf die Sänger, denen die Jury ein Thema vorgibt, zu welchem sie dann einen Sprechgesang improvisieren, gleich den Minnesängern, die Neuigkeiten durch die Lande trugen? Oder doch auf die Ringer, die Adlertänze vollführen, wenn sie einen Gegner besiegt haben? Jede Disziplin wird bewertet. Alles hat seine eigene Jury, die eigenwillige Linien in Kästchen zeichnet, Zahlen notiert, von denen ich nicht weiß, was sie aussagen sollen oder Notizen per Wort aufschreibt, deren Bedeutung mir verborgen bleibt. Manchmal gehen wir in unseren Leo zurück, um durchzuatmen, bevor wir uns erneut in das Spektakel werfen. Tradition ist hier lebendig. Sie wird gelebt und von Generation zu Generation getragen. Alle sind dabei. Alle machen mit. Voll Enthusiasmus und Begeisterung. Was ich erlebe ich pure Identifikation der Mongolen mit ihrer eigenen Kultur. Das fesselt mich. Weil es seltener wird in unserer Welt. Hier scheint noch nichts der Gleichförmigkeit unterworfen. Auch wenn ich das eine oder andere Handy sehe, mit dem die Leute filmen und Fotos machen. Es sind die Ausnahmen. Telefonempfang gibt es hier draußen sowieso nicht. Also ist ein Handy noch überflüssig. Da macht man lieber Büchsen- und Ringe-Werfen, auf ein Glas Gurken oder eingewecktes Obst. Eine Reckstange ist aufgebaut, um daran Hüftschwünge zu üben. Jahrmarkt der Einfachheit, doch der nicht minder großen Gefühle.
Mongolei, wir sind da! / Mongolia, we are here!
18.07.2015 Altanzugz / Mongolei / N48°46’47.1“ E090°33’41.9“
Ernsthaftigkeit am Morgen. Party war des Nachts. Oder wir hatten es doch geträumt? Wie dem auch sei. Die Grenzbeamten lassen ihre ernsten Blicke über das Camp schweifen, für welches sie selbst verantwortlich sind. Hätten sie gestern ihren Job gemacht, würde es jetzt hier nicht aussehen wie nach dem Wood Stock Festival. Ich behaupte, einem Beamten gegenüber, in der Grenze keine Bilder gemacht zu haben, obwohl meine SD Card der Kamera anderes sagen würde. Die Dame am Computer ist zurück. Heute will sie, doch ihr Computer nicht. Eine geschlagene Stunde geht es nur darum, wie sie die ausgefüllten Formblätter unserer Versicherung ausdrucken könnte. Unmengen weißen Papiers laufen aus dem Drucker. Doch für weiße Blätter allein zahlen wir nicht. Irgendwann ein Jubelschrei unter uns Wartenden. Sie hat es geschafft ihren Computer und Drucker milde zu stimmen. Einwandfrei bedruckte Seiten liegen wie selbstverständlich in der Auffangschale. 65.000 Tugrik, umgerechnet rund 30 Euro, zahlen für unsere Fahrzeugversicherung. Noch ein paar aufmerksam neugierige Blicke der Zollbeamten und die Spürnase des Drogenhundes in, am und unter dem Leo und wir können fahren. Das Grenz-Tor öffnet sich. Und plötzlich liegt sie vor uns, die Mongolei! Wir sind da! Wir sind tatsächlich da! Wir haben es geschafft bis hierher zu kommen! Die Mongolei zu bereisen ist seit Langem ein Traum von uns. Nun soll er Wirklichkeit werden? Unfassbar, unbegreiflich, doch irgendwie wahr. Um die Wirklichkeit zu unterstreichen fahren wir in den ersten größeren Ort „Ulgii“, einhundert Kilometer hinter der Grenze, und besorgen uns Geld und eine Telefonkarte. Wir finden Geldautomaten, von denen zwar nicht jeder funktioniert, doch am Ende kommen wir zu etwas Geld. Mit der Telefonkarte sieht es schon schwieriger aus. Schließlich ist Samstag und so landen wir vor etlichen verschlossenen Türen, obwohl die Schilder daran meinen, dass noch Öffnungszeit sei. Von Mund zu Mund gehen hier die Informationen, wie zu Urzeiten schon. Uns kommt auf diese Weise zu Ohren, dass irgendwo in der Nähe in diesen Tagen das Naadam-Fest stattfinden soll. Gemeinden, die ein Jubiläum zu begehen haben, feiern dieses nicht mit allen anderen zusammen, sondern ein paar Tage oder Wochen später. Das ist unsere Chance. Haben wir vielleicht doch noch die Möglichkeit eines dieser Nationalfeste zu erleben?
Es ist mehr eine Gegend mit einem weitläufigen Lager. Von oben betrachtet kommt es mir vor, als wäre Chingghis Khaan mit seinem Gefolge angelandet und hat sich kurzer Hand ausgebreitet. Qualm steigt aus den Schornsteinen der Jurten auf, Sand stiebt weit, vom Ritt der Pferde, über die Ebene. Mein Gott. Was für eine Zeitreise haben wir hier unternommen? Fortbewegt wird sich per Pferd oder klapprigem Auto. Wobei die Pferde in der deutlichen Überzahl sind. Fasziniert sehe ich den Männern zu, wie sie auf ihren Tieren dahin fliegen. Ihre Körper bleiben vollkommen ruhig, als stünden sie in der Luft, während sich die Pferde unter ihnen im schnellsten Galopp vorwärts bewegen. In Ermangelung eines Pferdes laufen wir zu Fuß zum Festplatz, an dem sich nach und nach Unmengen an Menschen versammeln. Ein buntes Treiben, welches mich permanent an Filmszenen erinnert. Männer in Lederstiefeln und bunten, in der Hüfte gebundenen, Mänteln. Frauen in farbigen Kleidern und Umhängen, wie ich sie mir bisher nur in China vorgestellt hatte. Ringer zeigen ihre massigen nackten Körper. Andere sind eher drahtigen Körperbaus und tragen einen Adler auf dem Arm. Mir gehen die Augen über. Ich weiß nicht, wohin ich zuerst sehen soll. Auf das Kind, welches da still im seitlichen Holz-Korb des Kamels sitzt? Auf die Frau mit dem Zopf, der ihr bis zum Boden reicht, die ihrer Meisterschaft im Bogenschießen frönt? Auf die Männer im Anzug, die Abzeichen als Auszeichnungen an die Reverse der bunten Kleider stecken? Auf die kleinen Jungs, die sich zum Start für das Pferderennen bereit machen? Auf die Sänger, denen die Jury ein Thema vorgibt, zu welchem sie dann einen Sprechgesang improvisieren, gleich den Minnesängern, die Neuigkeiten durch die Lande trugen? Oder doch auf die Ringer, die Adlertänze vollführen, wenn sie einen Gegner besiegt haben? Jede Disziplin wird bewertet. Alles hat seine eigene Jury, die eigenwillige Linien in Kästchen zeichnet, Zahlen notiert, von denen ich nicht weiß, was sie aussagen sollen oder Notizen per Wort aufschreibt, deren Bedeutung mir verborgen bleibt. Manchmal gehen wir in unseren Leo zurück, um durchzuatmen, bevor wir uns erneut in das Spektakel werfen. Tradition ist hier lebendig. Sie wird gelebt und von Generation zu Generation getragen. Alle sind dabei. Alle machen mit. Voll Enthusiasmus und Begeisterung. Was ich erlebe ich pure Identifikation der Mongolen mit ihrer eigenen Kultur. Das fesselt mich. Weil es seltener wird in unserer Welt. Hier scheint noch nichts der Gleichförmigkeit unterworfen. Auch wenn ich das eine oder andere Handy sehe, mit dem die Leute filmen und Fotos machen. Es sind die Ausnahmen. Telefonempfang gibt es hier draußen sowieso nicht. Also ist ein Handy noch überflüssig. Da macht man lieber Büchsen- und Ringe-Werfen, auf ein Glas Gurken oder eingewecktes Obst. Eine Reckstange ist aufgebaut, um daran Hüftschwünge zu üben. Jahrmarkt der Einfachheit, doch der nicht minder großen Gefühle.
Grenz-Filmfestival / Border-Film Festival
17.07.2015 Tashanta / Russland-Mongolei / N49°36’29.6“ E089°28’03.5“
Zusammenpacken. Beeilung. Die Grenze, die in den letzten fünf Tagen geschlossen hatte, ist dabei schon wieder auf ihre verdiente Mittagspause zuzusteuern. Einhundert Kilometer haben wir bis dahin zurück zu legen. Noch einmal den Bergen winken, noch einmal Horst und Uwe umarmen. Noch einmal zurück schauen, um dann vorwärts zu fahren. An der Grenze lange Schlangen, großes Gedränge, aufgeheizte Stimmung. Nicht nur von der Wärme des Tages. Die Russen und Mongolen spielen miteinander. Die Regeln sind einfach. Beide lassen die Landsleute des anderen Landes nicht durch. Um sich für die lange Zeit der Grenzschließung zu rächen. Komisches Spiel, wie ich finde. Auf Kosten der Leute die einfach über die Grenze möchten, um das jeweils andere Land zu besuchen. Langsam, sehr langsam rutscht für uns die Schlange nach vorn. Horst und Uwe haben es da deutlich leichter. Sie fahren mit ihren Motorrädern nach vorn und sind mit dem nächsten Schwung einfach drin, in der Grenzabfertigung. Nun, wir lieben ja die Verlangsamung, wie uns unsere ganze Reise lehrt, stehen dreizehn Uhr, übrigens kurz nach dem Ende der Mittagspause, an der Grenze und kommen nach zwei Stunden Wartezeit SCHON in das Innere der russischen Heiligkeit. Die Abfertigung geht einigermaßen zügig. Natürlich wollen die Grenzer wieder andere Papiere sehen als wir haben. Doch daran sind wir inzwischen gewöhnt und schauen einfach still gerade aus, bis sie die Geduld verlieren und uns weiter winken. Einen Zettel, den wir an der kirgisischen Grenze in die Hand gedrückt bekamen, und den an der kasachisch-russischen Grenze niemand interessierte, bekommt an der russischen Grenze wieder Wichtigkeit, da wir den kasachisch-russischen Verbund nun verlassen wollen. Wir fühlen uns schon richtig toll, dass wir haben wonach sie suchen. Doch diesmal trifft es unser Motorrad. Das hat seit mehreren Grenzen niemanden mehr interessiert. Fährt es doch zur Sicherheit einfach mit und dient uns nicht wirklich als Fortbewegungsmittel. Doch jetzt wollen sie Einfuhrpapiere, von welchem Land auch immer, sehen. Die haben wir nicht. Dafür einen Fahrzeugschein, der belegt, dass wir die Besitzer des guten Stücks sind und das schon seit Deutschland. Oh, großes Problem. Oh, Warten vor etlichen Türen mit Leuten dahinter, die auch nicht wissen, was sie mit uns anfangen sollen.
Kurz vor siebzehn Uhr die erlösenden Worte: „Go, go, go!“. Das lassen wir uns nicht vier Mal sagen und begeben uns auf die Fahrt durchs russisch-mongolische Niemandsland. Zwanzig Kilometer fahren wir, bis wir, bei inzwischen strömendem Regen, an einem rot gestrichenen Metalltor ankommen. Keine Menschenseele ist zu sehen. Warum auch, es regnet ja wie verrückt. Irgendwann öffnet sich eine beschlagene Autotür und ein russischer Grenzer kommt angerannt. Er öffnet uns das Tor zu einer einhundert Prozent anderen Welt. Schlagartig fahren wir auf aufgeweichter Piste. Der Asphalt ist in Russland zurück geblieben. Grashügel weisen uns den Weg zu den mongolischen Grenzhäuschen. Wir beeilen uns, da schon auf der russischen Seite Feierabendstimmung herrschte und es immer weniger Leute wurden, die noch arbeiteten. Wir waren das letzte Fahrzeug, welches heute dort abgefertigt wurde. Die vor dem Tor müssen bis morgen früh warten, wenn die Grenze um neun Uhr wieder öffnet... Wir schaffen den Sprung durch die Pfützen und kommen im Trockenen der mongolischen Grenzabfertigung an. Gedränge, Geschupse. Körperkontakt scheinen die Mongolen zu mögen, ist unser erster spontaner Eindruck. Wir reichen unsere Pässe über einen Tisch hinweg und bekommen die grünen Einreise Stempel auf eine leere Seite in unseren Pass gedrückt. Vier Wochen berechtigt er uns nun in der Mongolei zu sein. Die Fahrzeugpapiere reichen wir einer groß-brüstigen voluminösen Dame durch ein kleines Schiebefenster. Sie beginnt sofort mit dem Tippen in ihren Computer. Auch wenn ihr Gesicht verrät, dass irgendetwas nicht so ist wie sie will. Wir hoffen, dass der Computer jetzt nicht abstürzt und alle Vordruckmasken auffindbar sind, um uns abzufertigen. Bis sie plötzlich, Mitten im Tun, ihren Computer abschaltet und uns die Papiere zurück gibt, mit dem einfachen Wort: „Saftra.“ Wie, saftra, morgen? Sie macht jetzt Feierabend und ist morgen ab neun Uhr wieder da, erklärt uns ein Mädchen in der Warteschlange. Mit Vielem haben wir heute gerechnet, doch nicht damit, dass wir kurz vor dem Ende unserer Grenzabfertigung einfach stehen gelassen werden. Wir sind beide vollkommen sprachlos, als wir vor dem Gebäude stehen und den Regen auf das Metalldach trommeln hören. Grenzromantik. Und was ist mit Uwe und Horst, die hinter der Grenze auf uns warten? Gerade gedacht, kommen sie uns im nächsten Moment entgegen gelaufen. Nachdem sie mitbekamen, dass keiner mehr an der Schranke stand, sind sie einfach durchgegangen, um Ausschau nach uns zu halten. Inzwischen ist Partystimmung ausgebrochen. Drei russische Dieseltruck-Fahrer, ein italienischer Kinder-Bespaßungs-Truck mit Filmvorführapparat und großer aufblasbarer Rutsche und ein Kleinbus mit russisch-amerikanischer Besatzung, die auf der Mongolian–Rallye von London nach Ulan Bataar unterwegs sind, stehen mit uns in der Grenze. Musik läuft, Zelte werden aufgebaut. Das Lachen schallt unter dem hallenden Dach. Wir stehen im Trocknen und alles ist gut. Ein Regenbogen der besonders schönen Art hebt sich vor einem tief blau-schwarzen Himmel ab. Was für ein Schauspiel. Uwe und Horst finden die Atmosphäre so schön, dass sie bleiben, obwohl sie die Grenze bereits hinter sich haben. Nudeln in roter Soße koche ich, dazu zur Abrundung Wodka-Cola. Ein Traum an Köstlichkeit nach diesem langen Tag. Der Regen lässt nach. Außer den Vögeln, die unter dem Dach wohnen, sind nur noch vereinzelte schwere Tropfen zu hören. Alles wird ruhiger, entspannter. Da keimt die Idee auf, doch auf großer Leinwand einen Film gemeinsam zu sehen. Wenn wir schon mal einen Truck mit dem ganzen Equipment da haben. Und so wird es ins Leben gerufen, das „First Mongolian Border Film Festival“. Zwanzig Leute sitzen in eisiger Kälte, auf 2.500 Metern Höhe, auf dem Boden und schauen „Mad Max“. Eine Szenerie die an der Unglaublichkeit kratzt. Ein Moment der mich dazu bringt, mich selbst zu kneifen. Was für ein Tag, was für ein Trip. Mit Vielem hätte ich heute gerechnet. Doch das was eingetreten ist, übersteigt alles, was ich mir hätte vorstellen können. Party in der Grenze. Ich fasse es nicht und falle irgendwann in einen Schlaf, der tiefer kaum geht. In einer Grenze, die ungewöhnlicher nicht sein kann
Hallo Ihr zwei so Weitgereisten – ich habe mal wieder nachgelesen und bin tief beeindruckt von dem, was Ihr so alles erlebt, aufsaugt und ver-
arbeitet… Eine unglaubliche Vorstellung für mich. Ich drücke Euch weiterhin ganz fest die Daumen für viele neue Eindrücke, harmonisches Zusammensein und beste Gesundheit! Es klingt wie Hohn, wenn ich in 2 Wochen nach Marokko fliege, aber ich freu mich trotzdem! Inge-Lore
1. Mongolian Border Filmfestival!
Wer hätte gedacht, daß ich mich hier mitten in der Nacht und schon schön müde noch mal so richtig honigkuchenbreit grinsen würde 😀 ! Ach Mensch! Ich freu mich so mit Euch. Das liest sich so herrlich!
Alles Liebe,
Tina
Alles Gute euch beiden, vor allem Sten, sind Cola und Chips bzw. Salzstangen nicht ein altes Hausmittel bei Durchfall und Bauchschmerzen?
Hallo Nina, Vielen Dank für die Tipps. Es geht mir nun viel besser 😉 Ich glaube es gibt kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt für eine Krankheit oder eine Verletzung als in der Mongolei, wo man 1000km entfernt ist von medizinischer Versorgung! Und wenn man dan endlich in Ulaan Baatar angekommen ist möchte man auch nicht wirklich hier operiert werden. Da ist die „Selbstheilung“ oft das einzige Mittel ! Viele Grüße in die Heimat!
Ganz lieben Dank daß Ihr Eure Leser nicht nur an Euren Erlebnissen sondern auch an Euren Gefühlen teilhaben lasst.
Es ist auch beeindruckend daß Ihr nie den Faden abreissen lasst und uns alle täglich ein Stück auf der Reise mitnehmt.
Das ist fast besser als selbst nur mal kurz drei Wochen durch’s Land zu hasten.
Ich habe schon einige Reiseberichte (Motorrad- bzw. Offroadtouren) über die Mongolei gelesen und habe bis jetzt nie wirklich
Lust verspürt selber dorthin zu fahren. Aber eigentlich hat von von denen auch niemand das Land bereist sondern ist
einfach nur durchgefahren. Wahrscheinlich muss man es wirklich mal so angehen wie Ihr sonst bleibt man nur ein „Touri“.
Ich werde mich weiterhin an jedem einzelnen Eurer Berichte erfreuen.
Liebe Grüsse aus Jena
Lutz
PS: Schöne Grüße an Götz. ( Ihn hätte ich allerdingäs eher als Reiseleiter im Iran erwartet )
PPS: Wie ladet Ihr immer so schnell die Berichte und Bilder hoch wenn kein Netz vorhanden ist?
Bin gedanbklich mit euch in derWeite der westlichen Mongolei!! Freue mich mit euch, dass ihr euren (nächsten) Lebenstraum verwirklicht habt!
Hier musst du schon tief in den Wald vordringen oder dich weit in die Bergwelt verzeihen, dass du Natur spürst Natur ohne Menschen, die nicht das Gespür für sie haben!
Bin gespannt auf euere weiteren Impressionen.
Günther
oh, wie schön! Ich glaub jetzt wäre ich wirklich gern mal bei euch! Die Bilder sind absolut faszinierend! Genießt die Mongolei, die unendlichen Landschaften und den spärlichen Handyempfang! Seid lieb gegrüßt aus der inzwischen sehr fernen Heimat! <3