6.Step – Kirgistan
Description
Kirgistan – hier beginnt für mich das Dach der Welt! umgeben von 7.000 m hohen Bergen, fahren wir an den zweit höchtsten See der Welt – dem „Issyk Kul Lake“. Quer durch den Tien Shan erleben wir grandiose Landschaften und kochen mit den Einheimischen Ihre kirgisischen Lieblingsgerichte.
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Sommer Quartier / Summer accommodation
03.06.2015 Bishkek / Kirgistan / N42°51’34.8“ E074°36’42.3“
Ich springe auf. Das Leben ist zu spannend, als dass ich es länger schlafend ertrage. Ich höre Schüsseln klappern, Türen schlagen, Schritte schlurfen. Da ist was los. Und ich will hin. Mein Atem zeichnet sich deutlich ab im Sonnenlicht des frühen Morgens. Es ist kalt, doch mich friert nicht. Was ich sehe, macht mich warm. Die Bäuerin sitzt in ihrem Unterstand im Freien und gießt unentwegt heiße Milch in eine Apparatur. In der einen Hand den Schöpfbecher, mit der anderen Hand eine Kurbel bedienend. Aus zwei Öffnungen läuft Flüssigkeit heraus. Die eine ist fest und sämig. Es ist die wunderköstliche Sahne. Aus dem anderen Ablauf fließt die fettarme Milch. Ich habe diesen Vorgang noch nie gesehen. Stehe gebannt und versuche zu verstehen, wie die Zentrifuge funktioniert. Die fettarme Milch wiederum wird später, mit Hilfe eines Kefirpilzes, zu Sauermilch. Zu Kugeln geformt und in der Sonne getrocknet ist es die haltbare Nahrung über das ganze Jahr hinweg. Der Bauer sticht den getrockneten Mist in schmale aufrechte Scheiben. Es dampft, als die Wärme und Feuchtigkeit entweicht. Die getrockneten Mist-Briketts sind das Heizmaterial all der Menschen in den Bergen. Hier, weit oberhalb der Baumgrenze. Gern würden wir bleiben, um eine Weile mitzutun. Doch heißt es für uns weiter zu gehen. Ein Flash-Stick lässt sich auftreiben um der Familie ihre Fotos zu schenken. Sie fallen fast um vor Lachen, bei jedem einzelnen Bild. Der Sohn wird sie ausdrucken, wenn er in drei Monaten zurück zum Studium in Bishkek ist. Eine Weile fahren wir noch durch das Tal mit seinen saftigen Wiesen. Uns entgegen kommen pausenlos Männer hoch zu Pferd, um ihre Herden aus Pferden, Schafen und Ziegen auf die Bergalmen zu führen. Sie überwintern im Tal und erklimmen in diesen Tagen gemeinsam mit uns den Tjuz-Asuu Pass von 3.586 Metern Höhe. Die Sommermonate verbringen die Hirten in ihren Jurten in den Bergen, bevor sie im Oktober wieder talwärts ziehen. Uns wollen die Berge noch nicht gehen lassen und bescheren uns einen Platten am rechten Hinterreifen. Der Wagenheber spottet jeder Beschreibung. Doch mit Hilfe von Steinen, Stöcken und einem „ausgeliehenen“ Messer aus dem Hotel schaffen es Günther und Sten, das Auto anzuheben. Zum Glück hat das Ersatzrad genügend Luft, so dass wir es bis in die zivilisierte Gegend damit schaffen. Wieder ein Abschied. Warum nur immer? Diesmal von Günther. Es war eine fröhliche gemeinsame Zeit. Wir haben uns köstlich miteinander amüsiert und konnten die schönen Dinge durch unser Teilen noch vermehren. Er fliegt nun zurück nach Deutschland. Wir beide bleiben noch ein Weilchen.
Vom Tanz der Berge / From the dance of the mountains
Vom Tanz der Berge / From the dance of the mountains
02.06.2015 Suusamir / Kirgistan / N42°10’38.2“ E073°58’19.8“
Ein Wolf im Käfig. Gefangen, um im September einen warmen Winterpelz für die Frau des Hauses zu liefern. Das Paket ist quasi schon angekommen. Ausgepackt wird erst, wenn das Winterfell gewachsen ist. Ein wenig wie die Geschichte von Hänsel mit dem Stöckchen. Was wird wohl der Wolf aus dem Käfig halten? Ein Bündel Heu vielleicht? Die Schafe und Ziegen laufen unbeschwert um ihn herum. Eine Idee drängt sich mir auf. Sollen sie lernen, keine Angst zu haben? Angst engt ein. Enge. Ein Gefühl welches so ganz und gar nicht in dieses Land passen will. Atem, der bis zum Bauchnabel reicht. Luft, die das Reinheitsgebot auf ihre Art interpretiert. Wir sitzen im Hof der Bauern. Eierkuchen mit himbeerroter Himbeermarmelade und aprikosengelber Aprikosenkonfitüre genüsslich verspeisend. Wir fragen uns. Sind wir inzwischen so einfach zu beeindrucken oder tatsächlich in Nachbarschaft des Paradieses zu Besuch? Weiß wie der Schnee der nahen Gipfel. Blau wie das Zelt, vom Himmel gespannt. Der Anstrich aller Wände. Das Haus strahlt Fröhlichkeit aus. Die junge Familie ist mutig. Sie hat eine kleine Pension eröffnet und hofft auf Gäste, auf ihrem Weg zum Song-Kul Lake. Für unsere kleine Dreiergruppe geht es weiter. Neunhundert Gebirgserhebungen kann Kirgistan in seinem Inneren zählen. Das Land ist zerklüftet und geprägt von vier- bis sieben-tausend Meter hohen Bergen. EINE Straße führt von Bishkek zum Issyk-Kul Lake. Eine Weitere von Osh nach Bishkek. Alles andere, was an Wegen durchs Land führt, sind mehr oder weniger ausgebaute Pisten. Der Weg den wir ursprünglich vor hatten zu fahren ist durch abgestürzter Lawinen des letzten Winters noch immer unpassierbar. Die Menschen leben in ihren Tälern. Der Weg über einen Pass ins nächste Tal ist gefühlt unendlich weit. Warum sollen sie ihn auch gehen? Haben sie doch alles was sie zum Leben brauchen um sich herum. Die Tiere, das Land, ihre Jurte, das Haus. Sechs Monate lang hat hier der Winter das Sagen. Sprechen die Menschen das Wort „Winter“ aus, schwingt im selben Moment der Fakt von bis zu Minus Vierzig Grad Kälte mit. Ich finde es unglaublich. Wie versorgen sie bei diesen Temperaturen ihre Tiere? Schnee fällt meist nicht so viel, oft nur bis zu einem Meter. Ab Mai zeigt sich das Grün.
Mir leuchtet mit einem Mal ein, warum wir die Landschaft als so unglaublich schön empfinden. Es steckt das Besondere, nicht Alltägliche mit darin. Die warmen Tage sind gezählt. Die Lebenslust schwillt proportional mit der wärmenden Sonneneinstrahlung an. Ich spüre diesen frischen Lebensquell mit jedem Augenaufschlag. Landschaftsbilder tauchen vor uns auf, die uns die Münder offen stehen lassen. Wenn von den schönsten Wegen der Welt gesprochen wird und Kirgistan in diesem Atemzug keine Erwähnung findet, so kann derjenige unmöglich jemals hier gewesen sein. Wir verfahren uns. Doch Umwege vergrößern hier eindeutig die Ortskenntnis und führen uns zu Stellen, deren Schönheit mit bloßen Worten kaum zu beschreiben ist. Ich kann das Sehen nur mit meinem Empfinden beschreiben. Die steil abfallenden Felswände machen meinen Atem stockend. Die Flussläufe lassen mich innerlich entspannen. Das Zusammenspiel von Bergen aus Stein und Geröll, den seichten Wiesen und dem kraftvoll durchs Tal rauschenden Wasser gleicht einer Komposition der freiesten Geister. Dann wieder liegen die Hänge vor uns ausgebreitet als beginnen sie in der nächsten Sekunde zu tanzen. Als zuckten die Gliedmaßen der Berge bereits unter den grünen Seidentüchern, die ihre Kontur abzeichnen, doch ihr eigentliches Wesen noch spannungsreich verbergen. Es klingt kitschig, übertrieben und schwärmerisch. Doch ich kann nicht anders als es so zu sagen. Diese, unsere Welt ist von einer Wunder-vollen Einzigartigkeit, sie löst in uns Drein eine Faszination aus, die wir mit uns tragen werden auf jedem Schritt, den wir in unseren weiteren Leben gehen werden. Eindrücke die prägen. Vom Siegel der Natur berührt. Kurz bevor die Sonne hinter die Berge taucht erreichen wir das Dorf Suusamir. Auf unsere Frage hin, ob man hier irgendwo schlafen könne, springt ein junger Mann zu uns ins Auto und führt uns zu einem Eisentor. Dahinter soll es Betten für Gäste geben. Doch es ist niemand da um uns zu öffnen. Ein kurzes Lächeln huscht über das Gesicht des Mannes. Er weißt uns einen anderen Weg, der vor dem Haus seiner Eltern endet. Ein Abend folgt, der dem Tag eine blütenweiße „Smetana“ (Sahne) Haube aufsetzt. Wir trinken gemeinsam Tee, tunken unsere abgerissenen Brotstücke in frische Sahne. Die Mutter kocht für uns, und findet mit ihrem Gericht aus luftgetrocknetem Fleisch Eingang in unser Kochprojekt. Sie erlaubt mir, mit ihr zu melken. Ich gebe mein Bestes und lasse den Kälbchen noch ein wenig Milch übrig. Wir zeigen Filme von unserer Tour, aus Iran und Kasachstan, und tragen auf diese Art ein Stück einer fremden Welt in die Stunden der Nacht. Die Familie ist vollkommen gebannt. Wir sind es auch. Wechselseitig gestatten wir uns Zutritt und Einblick in unsere Leben. Auf die unterschiedlichste Weise. Ja, Sprache hilft, doch sie ist nicht alles. Es schwingt eine Atmosphäre des Miteinanders im Raum, die wie ein Leuchten ist. Erst als wir unsere Augen schließen, wird es dunkel. Im Bett der Eltern, extra für uns geräumt, fallen wir in einen beglückenden Schlaf.
Höhenluft / Height air
01.06.2015 Son-Kul Lake / Kirgistan / N41°59’48.5“ E074°57’43.9“
3.400 Meter hoch! Heute unser Gipfelpass! Noch einen Schritt weiter. Und da, da sehen wir ihn. Der Son-Kul Lake liegt wohlig in dieser luftigen Höhe vor uns ausgebreitet. Er hat es sich nett gemacht. Ist von saftigen Schwemmwiesen umgeben. Ihn zu sehen ist nicht leicht. Zu ihm zu gelangen nicht einfach. Heute Morgen Nieselregen. Ist der Himmel traurig dass wir weiter ziehen? Ist es das Zeichen Abschied zu nehmen? Tamara Glück für ihre Pension hier am Issyk-Kul wünschend packen wir unsere Sachen. Lange geht es noch einmal am See entlang. Er ist groß. Er ist mächtig und maiästhetisch. Er macht hier das Rennen. Dem tun dann auch all die Symbole aus Sowjettagen keinen Abbruch. Dann biegen wir ab. Auf in die Berge. Der Issyk-Kul liegt auf 1.600 Metern Höhe. Heute soll es mehr sein. Günther ist mit uns. Spontan wie so oft hier, haben wir uns kurzer Hand entschlossen, dass er im letzten Ort am See nicht aussteigt, um ein Taxi nach Bishkek zu nehmen, sondern dass es doch schön wäre, die Strecke durch die Berge gemeinsam zurück zu legen. Kurz gedacht. Schnell getan. Wir haben Spaß. Wir erzählen ohne Unterlass. Die Geschichten sind abwechslungsreich. Genau wie die Landschaft um uns herum. Wir sind mitten unter den Kirgisen. Ich bekomme mehr und mehr ein Gefühl davon, was das Wesen der Menschen hier ausmacht. Es ist ein Bergvolk welches jetzt Anfang Juni die Saison im Freien beginnt. Überwintern scheinen sie in den Dörfern, die es ab und an gibt. Doch heute klopft und raucht es überall. Die Jurten werden aufgebaut. Die Schornsteine qualmen schon. Im Inneren sorgt ein Ofen bereits für Wärme, wird gekocht. Pausbackige Kinder springen umher. Pferde aasen in Jurten Nähe. Einen Hausbach frischen Bergwassers gibt es meist als Sahnehäubchen obendrauf. Ein Paradies. Ein Idyll. Vollkommen natürlich. Vielleicht seit Jahrhunderten in genau dieser Form gelebt. Es ist wie gesunden. Hier draußen und oben. Wir dürfen zusehen und haben unsere helle Freude daran. Grün, wie es satter kaum geht. Regenschauer und Sonnenschein abwechselnd im Rhythmus der atmenden Berge. Licht und Schatten, die ihre Spielchen miteinander treiben. Seichte Hänge von einer Ästhetik die uns alles bisher Gesehene neu überdenken lässt. Hier waren echte Designer am Werk. Intuition, Gespür für Proportionen und Farben. Natur. Erde. Gravitation. Menschenhände sind hier überflüssig.
Ich entdecke ganz für mich die Schönheit der Bergwelt. Ich nähere mich ihr an und finde Gefallen. Der Respekt bleibt. Wir, als winzig kleine Wesen in diesem riesig großen Gemälde der Natürlichkeit. Zum Son-Kul Lake möchten wir. Ein See ganz oben. Von zwei Bergketten umschlungen. Wir fragen uns durch, um den Einstieg zu finden. Von 2.700 Meter Höhe steigt der Weg steil an. Aufwärts. Mal schlammig und glatt, mal steinig und holperig arbeiten wir uns voran. Die Luft wird dünner. Das spüren wir. Und dann. Noch einen Schritt weiter. Und da, da sehen wir ihn. Graupel setzt ein. Der Wind weht steil. Kälte zieht auf. Schönheit hat ihren Preis. Schlaf finden wir unten im Dorf. Seelig beglückt, oben gewesen zu sein.
Viehmarktsonntag / Sunday cattle market
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Viehmarktsonntag / Sunday cattle market
31.05.2015 Issyk-Kul Lake Tamga / Kirgistan / N42°08’45.9“ E077°32’46.7“
Tiere sind hier alles. Tiere sind hier das Leben. Angereichert mit Bergen, Gipfeln und großen Wiesen. Dazwischen Jurten als Blickpunkte sorgfältig verteilt. Reiter hoch zu Pferd preschen an uns vorbei. Fast zu stark das Klischee bedienend ist es das, was unsere Augen sehen. Davon sind wir umgeben. Das ist mein Bild Kirgistans. Sonntagmorgen. Viehmarktzeit. Schon weit vor unserem Ziel ahnen wir, dass wir richtig sind. Gefährte voller Tiere kommen uns entgegen. Sind das die neu Erworbenen? Sind das die Tiere, die kommenden Sonntag erneut zum Kauf angeboten werden? Woher? Wohin? Die Antwort bleibt unserer Phantasie überlassen. Großer staubiger Platz. Wir halten an. Es wiehert, es schnaubt, es blökt. Manches Pferd tänzelt aufgeregt. Andere Schafe und Kühe stehen stoisch und harren der Dinge die da kommen. Die Menschen und Tiere pflegen einen selbstverständlich wirkenden Umgang miteinander. Die Handgriffe geübt, die Bewegungen routiniert. Wenig Aufregung. Auch dann nicht, wenn ein ausgewachsener Bulle meint, quer über den Platz rennen zu müssen oder ein Schaf geschickt schafft, den Strick aus der Hand seines neuen Besitzers zu reißen, um gleich darauf ein Wettrennen zu starten. Die Pferde werden beschlagen. Es ist ihr erstes Mal. Bisher trugen ihre Hufe keine Eisen. Werden nun Reitpferde aus ihnen? Die Körper hochgehoben, wie zum Reifenwechsel, stehen sie in den Eisenverschlägen. Die Beine festgebunden. Manchmal kurze Energieausbrüche, als wollten sie davon galoppieren. Dann wieder Ruhe. Was geht vor in dem Pferd, welches gerade beschlagen wird? Was in denen die da warten? Für die Männer hier nichts Besonderes. Ihre Gesichter. Vollkommen gelassen. Sie finden es einzig überraschend, dass wir da sind. Die Deutschen. Wie wir Kirgistan finden, wollen sie wissen. Günther, den wir am Vorabend kennen gelernt haben, und heute mit uns ist, Sten und ich werfen einen letzten erstaunt stummen Blick in den Kofferraum eines PKWs. Fünf Tiere liegen darin. An den Beinen zusammen gebunden. Ein Kalb, ein Bock, eine Ziege und zwei Schafe. Zusammen gedrängt liegen sie dicht an dicht, Körper an Körper. Die Kofferklappe fällt krachend ins Schloss. Auf geht es zum Dorf in die Berge. Viehmarkt in Kirgistan. Bin ich wirklich hier? Ich kneife mich kurz, um mich zu vergewissern. Nach den Tieren die Natur. Die „sieben Ochsen“ wollen wir sehen.
Der Sage nach brachten sie Verwüstung über das Land und wurden zur Strafe versteinert. Nun stehen sie als große rote Kolosse in einem seichten Gebirgstal. Wasser rauscht an ihnen vorbei, Adler ziehen ihre Kreise und lassen sich auf den Schultern der Männer nieder. So schlecht scheint es den steinernen Riesen doch nicht zu gehen. Nach der Natur folgt die Kultur. Hölzern erzählt eine russisch orthodoxe Kirche aus dem Jahr 1896 dass sie zu Sowjetzeiten eine Turnhalle war. Jetzt lächelt sie sanft, da wieder Gläubige in ihr ein- und aus-gehen. Ihr Boden ist voll Heu gestreut. Es hilft zu heilen, wenn man ein Bündel davon mit nach Hause nimmt. Die eine Kirche war eine Turnhalle, die andere Moschee sieht aus wie ein buddhistischer Tempel. 1883 ließen sich chinesische Moslems in Karakol nieder und errichtetet ihr Haus des Glaubens. Was für eine Verbindung. Mir kommt es vor wie ein Meilenstein aus Holz. Als gehe ich einen weiteren Schritt auf meinem Weg zwischen Moslems, Christen und Buddhisten. Zurück in Tamga, wo Tamara bereits auf uns wartet. Warum? Na, wir wollen zusammen kochen! Doch nicht bevor wir Juri Gagarin unseren Tribut gezollt haben. War er hier doch unmittelbarer Nachbar, um sich am Issyk-Kul von seinem Flug ins All zu erholen. Ob Valentina Tereschkowa auch mal kommen durfte wissen wir nicht. Zumindest steht auch sie heldenhaft in Silberfarbe am Eingangstor.
Gigantomanie / Megalomania
30.05.2015 Issyk-Kul Lake Tamga / Kirgistan / N42°08’45.9“ E077°32’46.7“
In den Bergen geschlafen. So fühlen sich unsere Rücken am Morgen an. Zurück geklappte Autositze ergeben eine Liegefläche die ok ist. Wirklich bequem ist was anderes. Wir fahren los und halten auch gleich wieder an. Ein junger Kirgise freut sich uns zu sehen. Er mag Ausländer und versucht mit Händen und Füßen irgendetwas zu erzählen. Einiges lesen wir seiner Körpersprache ab. Er ist fröhlich, voller Energie und Enthusiasmus. Und da wir den Zufall über alles lieben, lassen wir uns auf seine Einladung, ihm zu folgen, ein. Was er uns zeigt ist an verbaler Gigantomanie wohl kaum zu überbieten. Er führt uns zum „Mittelpunkt des Universums“. Einer riesengroßen verlassenen und verriegelten Anlage aus Beton, die bis vor wenigen Jahren der pure Ort der Erholung gewesen sein soll. Die Farbanstriche, Ornamente und Eisenkonstruktionen haben etwas bizarr Anziehendes, wirken auf mich wie die zurückgelassenen Reste eines Filmsets. Vielleicht liegt auch noch in irgendeiner Ecke ein Ufo herum, welches den Start verpasst hat. Doch ein klein wenig zu hoch haben die Mächtigen mit ihrer Namengebung: „Mittelpunkt des Universums“ vielleicht doch gegriffen? Ich denke einmal darüber nach... Der Issyk-Kul ist im Ganzen seit vielen Jahren ein Naturschutzgebiet. Wenn wir uns in Anbetracht dessen all die verkorksten und verfallenen Bauruinen anschauen, die das Ufer teilweise säumen, tränen uns die Augen. Eine solch grandiose Landschaft derart mit leider wirklich hässlichen Größenwahnbauten zu verschandeln, denen dann mittendrin auch noch das Geld ausgegangen zu sein scheint, hat etwas Tragisches, wie ich meine. So stehen mitten in der Landschaft Betontreppen ohne Ziel, staken Armierungsstähle aus Betonbrocken in die Luft, bröckeln Fließen von ungenutzten Fassanden, säumen Mauern das an sonstem wunderschöne Ufer. Vielleicht sind die Gebäude als Nistplätze gedacht? Wer kann das so genau schon sagen... Tynystan, unser Begleiter, bringt uns zu seiner Familie. Sie lebt hier am See. Er selbst ist Student und wohnt in Bishkek. Übers Wochenende ist er nach Hause gekommen um sich zu erholen. Ganz still sitzen seine kleinen Geschwister am Tisch. Keinen Mucks geben sie von sich. Doch ihre Augen sind wach, die Blicke flink. Sie haben gesunde schöne Gesichter. Sie beobachten uns, ich beobachte sie. Ein leises Spiel. Eine ganz eigene Ebene. Wir kosten von einem gegorenen Weizengetränk.
Es ist laut Anpreisung wahnsinnig gesund, doch wir schaffen es trotzdem nur ein paar Probeschlucke zu nehmen, halten uns lieber an das selbstgebackene Brot und die eigene Gartenmarmelade. Der Vater war Tierarzt. Jetzt ist er berentet. Doch er mag es nicht. Denn mit umgerechnet fünfzig Dollar pro Monat ist das Leben hart und die jüngsten Kinder noch immer klein. Mir wird mulmig zu Mute, wenn ich daran denke, dass unser Mietauto, mit dem wir hier in Kirgistan unterwegs sind, pro Tag unwesentlich weniger kostet. Die Eltern sind glücklich über unseren Besuch und winken uns lange nach. Tynystan sitzt mit uns im Auto. Er möchte uns seine Heimat zeigen. Der Tag vergeht wie im Fluge am Salzsee, dessen Wasser Sten und Tynystan schweben lässt, beim Picknick am Issyk-Kul, im Fairy tale Canyon und beim Fahren durch eine geniale Lehmstein Schlucht, die von den alljährlichen Massen des Schmelzwassers geformt wird. Acht Flüsse ergießen sich in den Issyk-Kul. Einen Abfluss gibt es nicht. Das Verdunstungs- und Niederschlags- System ist hier in den Bergen ein komplett eigener Kreislauf. Abends treffen wir auf Günther. Er kommt aus Franken und ist im Auftrag der SES unterwegs, dem „Senior Experten Service“. Die Vereinigung entsendet Fachleute zu jedwedem Thema an jeden Ort der Welt. Günther hat in Astana geholfen, den nachhaltigen Tourismus im Zuge der 2017 anstehenden Expo zu forcieren. Einem ereignisreichen Tag folgt ein langer Abend mit vielen Geschichten aus allen Ecken der Erde. Dem kann nur eine traumlose Nacht folgen. Sonst nichts.
Am Ufer / On the shore
29.05.2015 Issyk-Kul Lake Bökönbaev / Kirgistan / N42°09’16.4“ E077°05’17.7“
Was haben wir doch allzeit für vorgefertigte Bilder im Kopf. Denken wir daran, ein T-Shirt mit dem Symbol des Landes zu erwerben, und es heißt: „Ja, das finden wir in der Innenstadt.“, sehen wir augenblicklich einen frisch eingerichtete Laden in Rot / Gelb gehalten vor uns, in dem wir eine Kollektion all der Dinge finden, die mit dem markanten Zeichen versehen sind. Mützen, T-Shirts, Kapuzenshirts, Unterhosen, Stifte.... Wir haben die Qual der Wahl. Die Flagge Kirgistans ist Rot und trägt in ihrer Mitte die Sonne als Zeichen. Es ist nicht nur die Sonne. Nein, in deren Zentrum kreuzen sich Linien, die wiederum das Belüftungs- und Licht-Loch in der Decke einer Jurte symbolisieren. Die Kirgisen, ein Volk der Jurten Bewohner. Auch heute finden wir aller Orten die hellen runden Jurten. Sie gehören zum Leben hier ganz selbstverständlich dazu. Ob als Stätte zum Feiern, als Behausung für Straßenbauarbeiter oder eben als Ort zum Leben. Zurück zu unserem Laden. Wir begeben uns mit Victor auf die Suche und werden fündig. Nicht die ganz große Auswahl. Nicht ganz der selbstbewusste Laden. In einer Ecke, am Ende des Kaufhauses sitzt eine Frau und plottet Logos und Bilder auf mitgebrachte T-Shirts. Auch nicht schlecht. Doch müssen wir lachen, als wir beide merken, wie anders unsere Vorstellungen waren. Heute nun „Autovermietung“. Igor, der Enkel Victors war uns bei der telefonischen Bestellung eines Autos für fünf Tage behilflich. Er fragte ob er mitkommen solle. Der Ort sei nicht ganz so leicht zu finden. Wir freuen uns über sein Angebot, glauben aber allein zurecht zu kommen. Dem Taxifahrer drücken wir Igors Skizze in die Hand und los geht es. Straßen zu finden ist hier jedes Mal eine Herausforderung, aufgrund der häufigen Namenwechsel, die in Bishkek vorgenommen werden. So können sich alle nur an dem Straßenmuster orientieren, nicht jedoch an den Namen selbst. Gekurve durch die Stadt, Leute fragen, Anhalten, neu überlegen, Telefonate wie beim Quiz. Irgendwann biegen wir in einen kleinen holprig staubigen Weg ein, rechst fließt ein Bächlein, links stehen Gartenhütten. Vor einer der Hütten hält unser Taxifahrer und meint wir seien am Ziel. Wie, Autovermietung? Hier? Wir klingeln am Gartentor, ein Mann mit Shorts und freiem Oberkörper kommt schlurfend zum Eingang und öffnet uns die Tür. Wir fragen nach „Russisch Trojka“. Er nickt. Ganz offensichtlich sind wir angekommen, ohne den Hauch einer Ahnung davon zu haben. Wieder solch ein Trugbild unserer Vorstellung.
Klar sahen wir keine Autovermietung im schillernden Edeldesign vor uns, doch eine abgelegene Gartensiedlung mit schiefen Hütten war es in unseren Köpfen auch nicht. Wirklich grandios, was unsere Gedanken veranstalten. Wir stellen uns die Frage, wie hilfreich Erfahrungen tatsächlich sind. Sie haben natürlich ihre Berechtigung, doch führen sie mitunter auch ziemlich in die Irre. Ein Padjero steht wartend auf einer Wiese. Wir laden unser Gepäck aus dem Taxi um, unterschreiben den Vertrag in einer Ecke des Gartens und los geht’s. Auf zum Issyk-Kul Lake. Der einhundertachtzig Kilometer lange und sechzig Kilometer bereite See mit einer Tiefe von 702 Metern liegt in einer Höhe von eintausend sechshundert Metern. Er ist elfeinhalb Mal so groß wie der Bodensee und der vierttiefste See der Erde überhaupt. Nach dem Titicaca See auch der zweitgrößte Hochgebirgssee der Erde. Er liegt einhundertfünfzig Kilometer weit östlich von Bishkek in einer Senke des Tien Shan Gebirges. Entstanden ist der See durch das Zusammenschieben zweier Bergketten, in deren Mitte das Schmelzwasser in einer Spalte zusammen floss. Die Anfahrt ist herrlich. Von Kilometer zu Kilometer wird die Luft klarer. Ein leicht kühler Wind weht uns entgegen. Wir spüren, dass wir im kirgisischen Hochgebirge sind, von dem in Bishkek selbst wenig zu spüren war. Ja, wir sahen in der Ferne verschneite Gipfel. Doch sie wirkten eher wie eine vorgeschobene Kulisse, als greifbare Realität. Mädchen am Straßenrand mit roten Schärpen. Es ist Freitag und es ist ihr letzter Schultag. Die Schärpe kündet davon. Sie rennen nach Hause, sie gehen gemächlich in Grüppchen, sie stehen, um zu erzählen. Das Schuljahr ist geschafft. Nun liegen mit Juni, Juli und August drei Monate Ferien erwartungsvoll vor ihnen. Viele fliegen zu Verwandten quer durch die ehemaligen GUS Länder. Verwandtschaft haben die meisten seit der Auflösung der GUS überall auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR. Jeden hat es dahin verschlagen wo er damals gerade lebte. Dort blieben die meisten und nutzen die Sommermonate, um den Rest ihrer Familien zu treffen. Uns zieht es in ruhigere Gegenden. Wir machen einen Wettbewerb daraus, wer den Issyk-Kul als ersten erblickt und freuen uns, als er plötzlich auftaucht. Ein riesiger blauer Fleck, von schneebedeckten Bergkuppen umgeben. Der See gefällt mir. Er liegt in einem breiten Tal. An seinen Ufern weiden Pferde, Schafe, Kühe. Kleine Bächlein fließen dahin. Der See erfreut mich. Die Berge wirken hingegen bedrohlich auf mich. Ich weiß, dass die Gebirgskulisse schön ist, ich kann sie sehen. Doch ich SPÜRE ihre Schönheit nicht. Ich wende meinen Blick dem Wasser zu und höre dessen Plätschern am Ufer. Die Berge hinter mir sind mir Aufgabe und Herausforderung.
„Lachman“ ohne Lachen / „Lachman“ without laughter
28.05.2015 Bishkek / Kirgistan / N42°51’34.8“ E074°36’42.3“
Es dampft in allen Kesseln. Und das schon am frühen Morgen. Gerade vom Frühstückstisch aufgestanden finden wir uns wieder in der asiatischen Küche eines Restaurants. Victor hat uns den Kontakt vermittelt. Es zischt und hackt und wirbelt nur so um uns herum. Wir stören sicherlich die Abläufe, wie wir hier so stehen, mit unseren Schutzkitteln, Fotos machen, filmen, den Frauen zusehen beim Schneiden, den Männern beim Hantieren am Feuer. Arbeit in einer Restaurantküche ist ein harter Job, das wissen wir. Doch kaum einer lässt sich anmerken, dass wir fehl am Platz sind. Die Freude über unseren Besuch und das Interesse an ihrem Tun überwiegt. Jede Küche hat hier ihr ganz eigenes Gericht. „Lachman“ wird zubereitet. Für uns eine Art Übergang von der zentralasiatischen zur chinesischen Küche. Dass Kirgistan an China angrenzt, ist bei diesem Gericht mehr als zu schmecken. Es verbindet die Deftigkeit der Nomadenküche mit der Leichtigkeit des Essens der sesshaften Chinesen. Beides steckt darin. Die Nomaden, die für ihr Unterwegssein gehaltvolle, einfach Nahrung brauchten, mit Zutaten, die sich lange hielten. Ich glaube, dass Mehl in ihrer Küche deshalb eine so große Rolle spielt. Als Konterpart dazu das zu jeder Zeit frisch angebaute Gemüse der Chinesen. Die Geschichte zweier Kulturen. Vereint in einer Speise. Ich sitze vor dem fertigen Gericht und schmecke beides bildhaft heraus. Ein kleiner Teller und doch tanzen Gemüse erntende zierliche Chinesinnen mit den kraftvollen Reitern der Steppe. Die Pferde und Kamele, in ihren Seitentaschen, beladen mit Säcken voll Mehl. André der Küchenchef sitzt mit uns am Tisch und erklärt Schritt für Schritt, abseits des Küchentrubels, den „Lachman“ Entstehungsprozess. Ein lustiger Name, wie ich finde, der aber weniger mit „Lachen“ zu tun. Er bedeutet vielmehr „Nudeln mit Soße“. Zwölf Stunden arbeitet er montags bis freitags hier. Ab Mittag setzt die Hektik ein. Wir schaffen es, uns kurz zuvor von ihm zu verabschieden. Er wird gebraucht, als Dirigent der vielen dampfenden Töpfe. Die Wärme der Mittagssonne trifft auf unsere gut gefüllten Mägen. Bewegung scheint hilfreich. Wir finden sie auf dem Weg zum Kunst Museum. Victor ist bekannt. Es ist ein Heimspiel für ihn. Das Gebäude, fast eine Art seines zu Hauses.
Mir tut es gut die Bilder zu betrachten. Ich komme zur Ruhe, kann mich fallen lassen in den Farben und Phantasien der Maler. Die lärmende Stadt hat hier keinen Zutritt. Hier atmet die Luft der Ideen. Die Zeit der Sowjets und ihrer beauftragten Kunst sparen wir uns und gehen gleich zu denen, die ihre eigenen Themen und Formen des Ausdrucks gefunden haben. Immer wieder eine Vervollkommnung meines inneren Bildes. Ich bin dankbar dafür, mein Gehirn mit einem Update versehen zu können. Zu lange war für mich zentralasiatische (meint sowjetische) Malerei einzig die der arbeitenden Frau auf dem Feld und dem Helden im Stahlwerk. Heute nun verbildlichte Momente, die mich berühren. Aufgetankt und vollgesogen fällt es mir mit den Gemälden im Kopf leichter, mich erneut auf das Durcheinander der Stadt einzulassen. Doch ich frage mich. Wenn es allen so gut tut, im Grünen, in der Ruhe der Natur zu sein, warum umgeben wir uns nur in den Städten mit so viel Beton und Lärm und Staub und Hässlichkeit? Ist das alles von Menschen tatsächlich FÜR Menschen gemacht? Gibt es keine Alternative? Ich leiste mir diesen versponnenen Gedanken. Ziehe mich ein wenig in mir selbst zurück und stoße mit einem Wein darauf am Abend mit Sten an.
Parolenparade / Slogans parade
27.05.2015 Bishkek / Kirgistan / N42°51’34.8“ E074°36’42.3“
Das Mikrofon, ihr liebstes Kind. Der Lautsprecher ganz selbstverständlich auf Anschlag gedreht. Wir verfallen beim Laufen in Marschschritt. Willentlich keineswegs. Doch wir können nicht anders. Die Kinder proben, lauthals Parolen schmetternd, für ihr Abschlussfest. Die großen Ferien klopfen an. Drei Monate lang keine weißen Strumpfhosen tragen, seltener eine Tüllblüte im Haar. Die beaufsichtigende Lehrerin nimmt ihren Job mehr als ernst. Die Kleinen kann ihr strenger Blick noch beeindrucken. Glauben sie noch, was sie da angehalten sind zu rufen? Die Älteren flüchten einfach vom Hof. Wir. Gebannt und angewurzelt. Glaubten fast, es war ein ersponnenes Bild unserer Phantasie. Real werden wir eingeholt. Das gab es tatsächlich. Das gibt es noch heute. Die schrillen, Mark erschütternden Aufrufe und Ansagen lassen uns Abstand nehmen. Kurz schüttelnd werden wir gleich darauf vom nächsten Lautsprecher angeschrien. Diesmal sind es nicht die grandiosen Leistungen verheißenden Trommelrufe, vielmehr sollen wir kaufen, kaufen. Was auch immer. Der Basar riesengroß. Ein Ort der Millionen an Bildern, Szenen, Momentaufnahmen, Winzigkeiten, die Beachtung verdienen. Die Luft wird knapp, in dieser eigentlich grünen Stadt. Zehn Quadratmeter Grünfläche hält Bishkek pro Einwohner vor. Irgendwo anders scheint sich das Grün zu stapeln. Denn hier, nein hier ist es nicht. Eingestaubt, Angeschrien, die Füße matt vom Marsch landen wir in Victors Atelier. Ein Ort der Behaglichkeit, an dem die Träume das Fliegen lernen. Gold und Edelsteine sind sein Material. Er ist Künstler. Sein Leben lang. Wir blättern, betrachten und erzählen uns da hindurch. Ausgezeichnet weltweit sitzt er neben uns in all seiner Ruhe und Versonnenheit. Als käme ihm gerade eine neue Idee. Das nächste Objekt. Es wartet darauf, als Schmuck an der Brust einer Frau zu verweilen, als Ring deren Hand zu zieren oder einen Raum mit phantastischen Kräften zu vollfüllen. Ich genieße das Hier Sein. Es sind Stunden die geben. Die Parolen verhallen. Ihr Einfluss hat sich in Luft aufgelöst.
Mal von oben / Times from above
26.05.2015 Bishkek / Kirgistan / N42°51’34.8“ E074°36’42.3“
Langeweile, Eintönigkeit und Routine sind wohl gerade nicht die Worte, die unser Unterwegssein beschreiben. Doch heute will das Leben trotz allem noch ein wenig mehr Farbe ins Spiel bringen. Auf Weiß und Blau und Grün ist die Wahl gefallen. Und auf „Perspektivwechsel“. Wie so oft, lassen wir uns darauf ein, warten geduldig ab und erfreuen uns an dem, was an Überraschendem um die nächste Ecke gebogen kommt. Der Morgen in unserer geliebten Steppenlandschaft nennt sich schnell „Mittag“. Zeit, die Treppe einzuklappen, alle Fächer zu verschließen, den Motor warm laufen zu lassen und aufzubrechen. Das Tor der „MAN Werkstatt“ öffnet sich heute schon fast von allein für uns. Der Leo ist kein Unbekannter mehr. Wir parken ihn in einer geschützten Ecke, schließen ab und winken ihm. Es ist der beste Platz an dem wir ihn beruhigt für zehn Tage zurück lassen können. Und trotzdem fühlen wir uns wie Eltern, die ihr Kind zum ersten Mal einen Tag lang allein im Kindergarten lassen. Wir bleiben nicht da und wir holen ihn auch nicht vor dem Mittagsschlaf ab. Nein, er ist jetzt schon groß und schafft es, mit den anderen MANs hier auf dem Hof klar zu kommen. Nur wir müssen uns abwenden und gehen, bevor er unsere Trauer bemerkt. Echt verrückt, wie sehr Leo zu unserer Reise dazu gehört. Wir sind für ihn da, er für uns. Unser Visum für Kasachstan läuft heute aus. Verlängern ist nicht drin. So bleibt uns nur, das Land für einige Tage zu verlassen, um danach mit neuem Visum einzureisen. Yuliya, unsere nette Betreuerin bei MAN hier in Almaty kommt, uns zu verabschieden. Sie will sehen, ob sie während unserer Abwesenheit etwas bezüglich unserer Getriebelieferung in Erfahrung bringen kann. Sergey, unser technischer Ansprechpartner, lässt den Motor an, um uns zum Flughafen zu bringen. Wieder so freundliche und verlässliche Menschen, von denen wir hier aufgenommen wurden! Flughafengebäude, modern und strahlend, Eingangshalle licht und weit. Passkontrolle? Passkontrolle! Keine zwei Minuten dauert es und wir hören das Knallen der Ausreisestempel, wie sie metallisch klickend in unsere Pässe gedrückt werden. Weiter. Wie, das war es jetzt? Keine Fragen? Keine argwöhnischen und zweifelnden Blicke? Kein Gepäck durchwühlen? Ein freundliches Lächeln trifft unsere Blicke und schon ist der nächste an der Reihe. Na das ging ja mal unkompliziert. Größer kann der Unterschied zwischen einer Landgrenze und der Abfertigung am Flughafen kaum sein.
Wir schweben förmlich dahin und genießen die Einfachheit. Jetzt geht’s um die Farben. Erst Weiß, dann Blau und Grün. Die bis zu siebentausend Meter hohen Gipfel des Tien Shan Gebirges kitzeln fast den Boden unserer Air Astana Maschine. Stelldichein in luftiger Höhe. Der Himmel Stahlblau. Er kann mir die Berge kaum schmackhafter machen. Alles Ehrfurcht einflößende schmilzt in der Lieblichkeit der Abendsonne dahin. Die schroffen Gipfel treten bereitwillig den Rückzug an. Sie hatten ihre Bühne und all die „Ahs“ und „Ohs“. Grüne Alm Hänge zeigen mir, wie schön Gebirge ist. Der Blick von oben. Fast, als läge das Gebirge mit seinem Falten werfenden Rock in der abendlichen Maisonne. Wir gleiten dahin. Sind kaum gestartet und schon wieder im Sinkflug begriffen. Almaty und Bishkek trennen nur gut dreihundert Kilometer voneinander. Das saftig weiche Grün ist unser Boden zum Landen. In Mitten dieses Tals liegt die Hauptstadt Kirgistans, mit seinen 1,2 Millionen Einwohnern. Victor und Igor erlösen uns aus den Fängen der „Taxi“, „Taxi“ rufenden Horde. Victor, der Freund unseres Freundes Götz aus Jena holt uns mit seinem Enkel Igor vom Flughafen ab. Gerade erst war Victor für einige Tage in Deutschland. Umso größer seine Freude, uns heute in SEINER Heimat begrüßen zu können.