8.Step – Siberia
Description
Weiter geht es von Kasachstan in Zentralasien in die Mongolei. Vorher aber noch ein kleines Stück durch Sibirien durch den Altai, bevor wir zur mongolischen Grenze kommen. Und das alles mit neuem Verteilergetriebe. Die Mongolei kann kommen!
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Zur Geburt in die Natur / To birth in nature
16.07.2015 Kurday / Russland / N50°14’40.0“ E087°51’43.9“
Die Mongolen feiern. Seit fünf Tagen nun schon. Okay, wir lassen ihnen ihren Spaß und haben den unsrigen. Keine Lust uns der wartenden Kolonne an der Grenze anzuschließen, genießen wir lieber was wir haben, wo wir sind und wie es ist. Später stellt sich heraus, dass es das Beste war, was wir tun konnten. Schlecht gelaunt, ungehalten, bis hin zur Revolte haben Mengen an Fahrzeugen samt Insassen tagelang an der Grenze zugebracht, wird uns erzählt als wir die Grenze später selbst erreichen. Doch das ist vorgegriffen. So weit sind wir heute nicht. Wenn man da in der Schlange steht, umringt von all den Wartenden, die immer unruhiger und aufgebrachter werden, dann schlaucht dieses pure Warten und kostet in meinen Augen sinnlose Energie. Da verbringen wir den Tag lieber mit Uwe und Horst und freuen uns unserer Leben, auf einem Flecken Erde, das wie für uns gemacht zu sein scheint. Ein Geländewagen hält plötzlich in unmittelbarer Nähe. Ein Mann zwei Frauen und ein Junge steigen aus und kommen mit einer riesengroßen Melone auf uns zu. Es sind Daniel, der Fünfjährige, Luna, die Hebamme, Nekita und Arkadij im Schlepptau. Sie erwarten ihr zweites Kind. Ruhig und entspannt setzen sie sich zu uns. Wir kommen ins Reden. Wann denn das Baby kommen wird, fragen wir. Und bekommen zur Antwort: „In den nächsten zwei, drei Tagen vielleicht.“ „Und da macht ihr noch so weite Fahrten ins Gelände?“ wundern wir uns. Was wir darauf hören verblüfft uns. Die kleine Familie ist gemeinsam mit ihrer Hebamme auf Geburtsreise. Sie suchen einen Platz am Fluss und dort soll das Baby zur Welt kommen. Mit Daniel hatten sie es schon genau so getan. Er wurde in eiskaltem Wasser nach der Geburt gewaschen und liebt seitdem kaltes Wasser, wenn er nicht gerade nackig, mit einem leeren Rucksack auf dem Rücken, auf dem Autodach steht und „Fallschirmspringer“ spielt. Wir bewundern die Vier und sehen in ihnen wieder eine unerwartet neue Seite Russlands. Nicht laut, rau und unnahbar, wie die Klischees sprechen. Feinsinnig, mit ihren Herzen der Natur verbunden sind Nekita, Luna, Arkadij und Daniel die Transporteure eines einmaligen Sibiriens für uns. Ob sie reden oder schweigen ist einerlei. Ihre Verbundenheit zur Natur und ihrem selbstverständlichen Gefühl, dass die Geburt im Freien das Natürlichste auf der Welt ist, verkörpern sie durch ihre Art zu Sein. Und doch sind sie eine Ausnahmen. In Russland geht man normalerweise in eine Klinik, um sein Kind zu gebären, erzählt Luna, und den Beruf der Hebamme gibt es offiziell nicht. Die Vier haben sich für einen eigenen Weg entschieden. Wir wünschen ihnen Glück dabei und schauen ihnen lange nach als sie davon fahren, auf der Suche nach dem idealen Platz für die Geburt ihres Kindes.
Windkind / Wind child
15.07.2015 Kurday / Russland / N50°14’40.0“ E087°51’43.9“
Die Haare fliegen nur so davon. Abgeschnitten suchen sie schnell das Weite. Genießen die neue Perspektive. Sten bekommt nen Kurzhaarschnitt. Horst gleich hinterher. Uwe wagt das gleiche Experiment wie ich. Die Haare während des Unterwegsseins einfach wachsen zu lassen. Nichts beschränken, allem seinen freien Lauf lassen. Und sehen was dabei entsteht. Ich finde es genial eine Zeit erleben zu dürfen, in der das einfach so möglich ist. Und vielleicht, vielleicht lässt sich ja das Eine oder andere hinüber tragen in unser Leben zu Hause?! Wir werden es erleben. Heute stehen wir auf jeden Fall erst einmal einen weiteren Tag lang 100 Kilometer von der Grenze entfernt, die noch immer geschlossen ist, und stören uns nicht daran. Unser Frühstück zu Viert zieht sich über Stunden hin. So gut schmeckt der Kaffee, so groß ist unsere Freude am miteinander Reden. Ab und an den Stuhl verrutscht, damit wir wieder einen Schattenplatz finden, und weiter geht’s in aller Ruhe. Bin das ich, die hier in vollkommener Gelassenheit den Tag durch sich hindurch ziehen lassen kann? Ganz offensichtlich. Mich freut es. Andere Seiten in uns treten den Weg in die Sichtbarkeit an. In jedem von uns. Wir bemerken es und finden Spaß daran. Als die Hitze des Tages zu sehr anzuschwellen beginnt meint der Wind, dass es Zeit ist zu zeigen, was er drauf hat. Wir fliegen davon. Fast. Zumindest versuchen es die Zelte, Stühle, Schuhe und was es sonst noch geben kann um es zweihundert Meter weiter in den Büschen wiederzufinden. Ich lege mich auf den Wind, stelle mich gegen ihn und lasse mich von ihm treiben, fühle mich frei, frei, frei. Ich, die Angst hatte im März im Buran-Sturm am Kaspischen Meer, als der Leo schwankte wie ein Schiff und wir in Sorge waren, ob er stehen bleiben würde, kann es heute als wilde Laune der Natur erleben und bin ein Grashalm auf der großen weiten Wiese. Ein Windkind. Um das Schauspiel perfekt abzurunden, tritt nach dem Wind der Regen auf. Gewitter hat er mit dabei, damit es in den Bergen auch ordentlich kracht. Macht uns aber wenig aus. Um so enger dürfen wir im Leo zusammenrücken und uns die Nudeln in Steinpilz-Sahnesoße, nachgespült mit ein, zwei, drei Baileys, munden lassen.
Putz- und Flickstunde / Cleaning hour
14.07.2015 Kurday / Russland / N50°14’40.0“ E087°51’43.9“
„Die Grenze ist zu! Die Grenze ist zu? Ja, die Grenze ist zu, schon seit vier Tagen. Und wann wird sie wieder geöffnet? Weiß keiner so genau. Man denkt, am 17. Juli.“ Von Ort zu Ort bekommen wir neue Informationen, die täglich davon berichten, dass die Grenze noch immer geschlossen ist. In der Mongolei feiern sie gerade das Naadamfest. Und wenn gefeiert wird, dann feiern alle. Auch die Grenzer. Wir hätten gern mit den Mongolen gefeiert und das Naadamfest miterlebt. Doch alles ist wie es ist. So feiern sie nun ohne uns. Das Naadamfest ist DAS Nationalfest der Mongolen. Der Name bedeutet „Die drei männlichen Spiele“ und steht für Ringkämpfe, Bogenschießen und Pferderennen. Das Fest sollte inzwischen vorbei sein. Warum die Grenze trotzdem geschlossen ist, wissen wir nicht. Vielleicht werden hier wie in anderen Ländern die Feiertage als freie Tage in der Woche nachgeholt, wenn das Feiern auf ein Wochenende fällt. So haben wir es inzwischen in vielen Ländern erlebt. Nur Deutschland hält sich die Ohren zu, wenn es um einen solchen Vorschlag geht. Die Deutschen sind eben die Fleißigen. Egal wo wir hinkommen, ernten wir dafür anerkennende Blicke. Ein wenig Mitleid ist mitunter auch eingewebt in diese Blicke. Denn im eigenen Land liebt man dann doch die entspannte Gelassenheit und lässt den anderen ihr Tun. Irgendwie geht es ja auch so immer weiter. Wir sehen die geschlossene Grenze wieder einmal als Entschleunigungsmoment und beschließen zu bleiben. Sten macht sich am Leo zu schaffen und klappt das Fahrerhaus nach vorn. Wie eine Verbeugung sieht es jedes Mal aus, wenn der Leo sich neigt. Die Dieselfilter wechselt er aus, damit der Leo gut zieht und Kraft hat, wenn wir durch das mongolische Gelände fahren. Denn Straßen sind ja dort komplette Fehlanzeige. Wir sind gespannt... Uwe repariert ein wenig an seiner Motorradelektrik. Putz- und Flickstunde eben. Als Horst und ich von unserer Wanderung zurückkommen, fühlen wir uns ganz in Werkstatt Atmosphäre versetzt. Da verziehe ich mich doch hinter den nächsten Hügel für eine Yoga Stunde zurück. Hier draußen, in einer Landschaft, die meine Augen schauen lässt. Einfach nur schauen und staunen. Welt, so schön! Abends sitzen wir zusammen am Feuer und können unser Glück des Tages kaum greifen. Gibt es so etwas, so wunderschöne Tage? Ich kann nur die Arm weit ausstrecken und rufen „JA!“.
Sorry Russland / Sorry Russia
13.07.2015 Kurday / Russland / N50°14’40.0“ E087°51’43.9“
Es scheint mir, als habe der Altai meine Worte von gestern gelesen. „Mittelgebirge“ und „viele Menschen“. Das wollte er offensichtlich nicht so stehen lassen und hat uns heute eine ganz andere Seite von sich gezeigt. Mit den Dörfern und Menschengewimmel hörte es schlagartig auf, nachdem wir über einen 2.500 Meter hohen Pass gefahren waren. Nicht nur das Wasser floss dann in die andere Richtung. Das Land räkelte sich. Breitete seine Arme, streckte den ganzen Körper weit. Die Täler öffneten sich zu großen genüsslichen Ebenen. Mit jedem Augenaufschlag ein neuer Platz zum Verweilen. Hier war wieder einmal jemand am Werk, der wusste wie es geht. Frischer Wasserlauf an seichter Flussbiegung mit Kiesfläche bestreut. Dazu eine saftig grüne Wiese, vom Wind kurz gehalten, neben Schatten spendenden flachen Gewächsen. Ganz ehrlich, so schön hatte ich mir Russland nicht vorgestellt. In meinem Kopf sitzt das Bild der kahl geschorenen, blassen und abgekämpften Soldaten, die einem nie in die Augen sahen und in Kasernen hausten, deren Fenster zu gespritzt wurden, wenn es einen „neuen Farbanstrich“ gab, so dass kein Tageslicht mehr eindringen konnte, offensichtlich hammerfest. Mit Schönheit hatte das ganz und gar nichts zu tun. Und mit Gefühl für geglückte Details gleich überhaupt nicht. Stärke und Kraft kam nicht zum Ausdruck durch gesund aussehende offene Gesichter und gut gebaute Körper. Einzig die dunkle Präsenz zeigte mir, dass es sich hier um ne ernste Sache handelte. Als Kind konnte ich wenig mit den russischen Kasernen anfangen. Sie waren für mich nur der Ort zu dem mich mein Vater ab und an schickte, um „Smetana“, die fetthaltige saure Sahne, zu kaufen. Da stand ich dann in diesem kleinen dunklen Laden, der mir so fremd erschien, als hätte ich eine andere Welt betreten. Diese russischen bunten Bonbons gab es da, die gewünschte Smetana auch. Beim Bezahlen schob die Kassiererin an einem Gestell mit Holzkugeln herum. Offensichtlich addierte sie damit meinen Einkauf. Gezahlt habe ich mit dem Geld der DDR. Das hat funktioniert, Rubel brauchte ich nicht. Ich erinnere noch, dass ich immer etwas schneller ging, wenn ich den Laden verlassen hatte, um die Gegend zügig hinter mich zu bringen. In Weimar, wo ich aufwuchs, lagen die Kasernen in einer schönen Gegend. Große alte Bäume gab es dort. Und trotzdem war es kein Ort zum Wohlfühlen. Irgendwie wurden wir Kinder auch fern gehalten von den russischen Soldaten. Es gab da keine gewollt hergestellte Verbindung. Kein aufeinander Zugehen, so dass man sich hätte kennen lernen können. Es waren Fremde in unserer Stadt. So habe ich es als Kind wahr genommen. Das ist meine Erinnerung, welche ich leider als Gefühl auf das ganze Land übertragen habe. Doch es ist nie zu spät für neue Erfahrungen. Ich schaue heute um mich und bin stiller Freude, über die Herrlichkeit dessen, was als kopfstehende Bilder in meine Augen gelangt. Von meinem Gehirn gedreht sehe ich aufrechte Landschaften voller Stolz und natürlicher Würde. Den Abend verbringen wir mit Uwe und Horst. Unseren beiden Motorradfahrern, die wir vor einigen Tagen schon einmal trafen. Gelacht haben wir miteinander, bis uns die Bäuche wehtaten. Das hallte gewaltig über das von mir einst so verkannte Land. Sorry Russland. Du bist wunderschön!
Im grünen Kleid / In green dress
12.07.2015 Shebalino / Russland / N51°15’41.5“ E085°39’11.1“
Nach purer Einsamkeit sah unsere Strecke aus, als wir sie mit dem Finger auf der Landkarte abgefahren sind. Weit und breit keine Menschenseele. Nichts als Berge um uns herum. Kurvig schlängelt sich die Strecke durch die Täler, passiert Pässe, begleitet reißende Flüsse in ihrem Lauf. Das mit den Tälern, Pässen und Flüssen finden wir auch genau so vor. Doch von Menschen wimmelt es hier nur so. Kleine Dörfer reihen sich, wie aufgefädelte Perlen, aneinander. Es qualmt, es hämmert, es tuckert. Ich fühle mich in eines dieser Computerspiele versetzt, in denen man Holzstapel umsortieren muss, sein Gemüse anbaut, Wasserdämme abdichtet und zur Ernte Leute anheuert. Diese Dörfer hier waren vielleicht die Vorlage für die Game-Entwickler. Anders herum kann es nicht sein. Denn die Menschen hier scheinen bereits seit Ewigkeiten zu machen, was sie auch heute tun. In Holzhäusern wohnend, mal windschief und eingefallen, mal aufrecht und neueren Datums. Das Leben wirkt satt, reichhaltig und gesund. Wasser gibt es, saftige Böden auch und wenn das Wetter mitspielt, ist alles prima. Das Leben ist sich hier selbst genug. Tatendrang springt uns aus jedem Bergfluss und noch so kleinem Bach entgegen. Die Sommer sind kurz. Die Energie darauf konzentriert. Leben im Augenblick. Das, was wir uns in unserer heimischen Welt oft mühsam bewusst machen, nämlich im Jetzt zu sein, ist hier selbstverständlichster Alltag. Doch nicht, weil sich die Menschen großartig Gedanken darüber machen, sondern weil es das Leben genau so von ihnen verlangt. Etwas anderes als bewusst im Moment zu sein kommt hier gar nicht in die Tüte. Diese pure Natürlichkeit atme ich heute auf jedem Meter und merke, dass es mir beim Reisen ganz genau so geht. Ich bin damit beschäftigt, Beeren zu sammeln, wir hacken Holz, machen Feuer. Wir wissen nicht, was im nächsten Moment passiert, also genießen wir, wie es gerade ist. Es ist ein einfaches Leben welches wir gerade leben. Vielleicht ist es das, was es uns möglich macht, ganz selbstverständlich im Augenblick, in dem zu sein, was uns gerade umgibt. Fernab aller Theorie und Denkkonstruktionen. Die Natürlichkeit hat bei uns angeklopft. Ein Schamane am Wegesrand versetzt uns mit seinen Trommelschlägen in Schwingungen. Ich schaue ihm ins Gesicht.
Eine ganz gerade Nase, schwarze, nach hinten gekämmte lange Haare und kleine dunkel blitzende Augen sind seine Merkzeichen. Er erinnert mich an einen Indianer. Dabei fällt mir ein, dass sowohl die Inuits, die Japaner, die Chinesen, die Sibirier als auch die Indianer von der mongoliden Menschengruppe abstammen. Während der letzten Eiszeit gab es eine Landbrücke der Beringstraße zwischen Sibirien und Amerika, über welche die ersten Menschen auf den amerikanischen Kontinent gelangten. Ich schaue den Mann an und bin baff über die weltumspannende Verbindung, die sich in meinem Kopf herstellt, während ich ihn sehe. Der Altai ist ein Hochgebirge mit seinem 4.506 Meter hohen Berg, dem „Belucha“. Wir ahnen die Höhe und erleben heute erst einmal mittelgebirgsähnliche Landschaften. Ich bin selig über die seichten, saftig grünen Hügel, die mir milde zuzulächeln scheinen. Ich mag ihre Formen, ich liebe ihre weiten einladenden Wiesen. Ich bin angetan von dem leuchtend grünen Kleid des Altai.
Sibirien / Siberia
11.07.2015 Srostki / Russland / N52°25’34.5“ E085°31’14.0“
Frische Landeier gibt es zum Frühstück. Das Gelb der Eier gleicht einem Orange. Und das ganz ohne Farbstofffütterung. Die Eier kommen vom Land aus der Nähe Barnauls. Alexejs Familie hat eine Datscha außerhalb der Stadt. „Viel gibt es dort nicht...“, sagt er, „...aber Hühner, die leben da“. Der Begriff „Landeier“, der stammt von Alexej. Wieder so ein Wort, bei dem wir uns sprachlich um die Ecke wunderten, als er gestern Abend sagte: „Und morgen früh, da bereite ich euch frische Landeier zu!“. Wir genossen die Eier, wir genossen die Dusche und die selbstgemachte Erdbeermarmelade auf deutschen Brötchen aus dem „Metro“ Supermarkt, den es auch in Barnaul gibt. Alex und Alex lieben es, deutsche Produkte einzukaufen. Ihr Stück Verbundenheit zu Deutschland. Aus dem gleichen Grund sprechen sie auch Deutsch miteinander. So geben sie sich das Gefühl, nicht weit weg zu sein und halten die Sprache in sich wach. Dass es hier selbst „Deutsche Brötchen“ zu kaufen gibt, kann ich auf der Packung lesen. Sonst hätte ich es nicht geglaubt.
Wir wollen nicht los und doch sollten wir weiter, tönen unsere inneren Stimmen. Wenige Tage bleiben uns noch, um unangemeldet unsere Fahrt durch Sibirien fortzusetzen. Auch hier muss man sich nach drei Tagen anmelden. Doch ist es in Russland noch etwas komplizierter. Hier muss der Einladende mit zur Migrationsbehörde und bezeugen, dass man sein Gast ist. Eine Erleichterung gibt es dabei. Die Person die mit aufs Amt kommt muss nicht die Gleiche sein von der die Einladung stammt die fürs Visa nötig war. Das ginge ja auch gar nicht. Da diese Einladungen in den meisten Fällen Reiseagenturen ausstellen. Wir entschieden uns für die sieben Tage Variante. In denen kann man ohne Anmeldung durch Russland reisen.
Sibirien. Das Wort spricht eindeutig von Größe, von Dimensionen, die nicht greifbar sind, von Permafrostböden, von Mücken, von Verbannung, von unglaublich harten Wintern.
Und nun sind wir hier. Die Mücken halten sich freundlicherweise in Grenzen. Dafür sorgen in diesen Wochen die Libellen, wird uns erzählt. Wir Durchstreifen das Land der Birken, die hier tatsächlich überall stehen. Kreuzen mehrmals den Ob. Den 3.650 Kilometer langen Fluss, den ich bisher nur aus meinem Geografie Unterricht kannte. Von „Ob“ und „Irtysch“ war da immer die Rede, als Merkmal-Flüsse Sibiriens.
Mit 10 Millionen Quadratkilometern ist Sibirien größer als die USA. Mit 7.000 Kilometern Länge und 3.500 Kilometern Breite reicht Sibirien vom Ural bis zum Pazifik und vom Nordpolarmeer bis zu den Grenzen Chinas und der Mongolei. 24,3 Millionen Menschen leben in Sibirien und damit 2,7 Personen pro Quadratkilometer. Es gibt mächtige unbewohnte Gebiete, da neunzig Prozent der Menschen auf nur zehn Prozent der Gesamtfläche leben. Für den Staat ist es einfacher, seine Bevölkerung in den Städten zu versorgen. Aus diesem Grund zieht man das Volk immer stärker in die Städte entlang der Transsibirischen Eisenbahn sowie ihrer Zweigstellen und überlässt das Land sich selbst. Die Eisenbahn als Lebensader in jeder Hinsicht. Gebiete, in denen es im Sommer an die 40 Grad warm wird und im Winter bis zu Minus 70 Grad kalt. Diese Zahlen sind weitere Dimension dieses landschaftlichen Giganten. Und da mittendrin sind wir zwei kleinen Menschenwesen und bewegen uns Richtung mongolischer Grenze? Wie kann das gehen? Wie funktionieren? Indem wir uns Meter für Meter durch das Land tasten und auf diese Weise den Halt nicht verlieren. Alles sieht aus als ob wir ein Vergrößerungsglas vor den Augen hätten. Die Wälder massiv. Die Felder, nicht überschaubar in ihren Ausmaßen. Die Wege, scheinbar ohne Ende. Abends machen wir Halt an einem See neben dem „Ob“. Wir sind froh, das Vergrößerungsglas abgenommen zu bekommen und einfach auf den See schauen zu können, dessen Ränder wir sogar sehen. Das lässt uns wieder wachsen und gibt uns das Gefühl des Aufgehoben Seins zurück.
Alex und Alex / Alex and Alex
10.07.2015 Barnaul / Russland / N53°20’59.6“ E083°46’51.6“
„Barnaul“ hieß heute unser Ziel. Eine Vorstellung hatten wir nicht von dieser Stadt und wenn, dann war es eine sehr Verschwommene. Der Name klingt in meinen Ohren so gar nicht russisch. Wäre ich anderswo und würde mich jemand nach diesem Ortsnamen fragen, ich würde ihn glatt in Mecklenburg-Vorpommern verorten. Einen kleinen Ort, mit Sandboden und lichten Kiefernwäldern. Nun gut. Vielleicht ist das auch meine unterbewusste Heimat-Sehnsucht, die mir da im Kopf ein Schnippchen schlägt? Okay, wir fahren nach Barnaul, um dort nach den ersten1.500 Kilometern mit dem neuen Getriebe einen Ölwechsel vornehmen zu lassen. Neben unserem Kochprojekt ist das Erkunden aller MAN Werkstätten auf unserer Route inzwischen zu einem sich selbst gefundenen Zweitprojekt geworden. Also greifen wir die Gelegenheit beim Schopfe und sehen nach, wie die MAN Werkstatt in Barnaul ihr Dasein bestreitet.
Einfahrt in Barnaul. Wir sind platt. Eine neu errichtete Stadt sagt uns: „Hallo“. Nichts von grauen abgewohnten Wohngebieten und Plätzen. Riesige Neubauviertel, bombastische Einkaufszentren, breite, neue Straßen. Bald möchten wir die Stadt in „Neu-Barnaul“ umbenennen. Nach einer 750.000 Einwohner Stadt sieht es hier aus. Doch nicht nach einer 1730 von Katharina der Großen gegründeten Stadt, die vom Gold,- Silber- und Kupfer-Bergbau gelebt hat. Heute baut man hier Natriumsulfat ab, was unter anderem ein Bestandteil des Waschmittels ist, lebt von der Landwirtschaft, dem Eisenbahnbau und ein wenig vom Gold- und Braunkohle-Bergbau. Die Region nennt sich selbst eine Glückliche. Da es zu Stalins Zeiten zwar auch hier Arbeitslager gab, doch keine Zwangs-Umsiedelungen in diese Gegend statt gefunden haben. Man meint in Barnaul, dass es wohl dazu nicht abgelegen und kalt genug war, um Menschen hierher zu verbannen. Welche Ironie des Schicksals. Uns empfängt die Stadt freundlich und auch die MAN Werkstatt finden wir schnell. Die Gebäude, noch aus alten Zeiten. Doch umso mehr sprechen sie ihre eigene Sprache, haben sie Charisma und sind sich nicht zu fein, zu zeigen dass Arbeit schmutzig macht. Der Leo rollt lässig über den Hof und staunt nicht schlecht, als er in einer großen, von außen verschlossenen Halle in der jedoch in allen Ecken an MANs geschraubt wird, über einem Arbeitsgraben zum Halten kommt und sich gleich darauf sieben Mann an ihm zu schaffen machen.
Wir fühlen uns richtig gut versorgt als wir sehen, dass die Handgriffe gekonnt sind, die da am Leo vollführt werden. In den letzten Tagen tropfte Öl aus „Oli“ und wir waren wieder ziemlich in Sorge. Doch nun keimt Hoffnung in uns auf als wir hören, dass wahrscheinlich einfach zu viel Öl in das Getriebe gefüllt wurde. Statt maximal 3,5 Liter laufen hier schlappe 4 Liter heraus. „Das könnte echt der Grund für das Tropfen gewesen sein“, reden wir uns mutig zu. Noch ein Check an allen Ecken, Kanten, Bremsen, Plattfedern und so weiter. Heute sieht alles gut aus. So weit wir uns für die Mongolei vorbereiten können, haben wir es getan. Alles andere steht wie immer in den Sternen. Um dem super Service noch einen Stern auf das „S“ zu setzen, kommt Alexander vorbei. Er ist Einkaufsleiter und hat eigentlich in der Werkstatt nicht wirklich etwas zu tun. Er kam wegen uns, um zu erklären, dass nun alles fertig sei und das Getane ein Geschenk des Hauses an uns Deutsche. Er meinte: „Wahrscheinlich werden wir euch hier nicht wieder sehen. Doch ihr erzählt anderen Reisenden von uns. Und das ist uns wichtig.“ Eine schöne Geste wie wir finden, eine feinstoffliche Philosophie. Auf dem Hof sprechen wir noch ein paar private Sätze mit Alexander. Finden ihn so sympathisch, dass wir ihn fragen, was er von einem gemeinsamen Koch-Abend hält? Er ist im „Arbeitsmodus“ und muss kurz umschalten. Doch als ihm das wenige Augenblicke später gelingt, hellt sich sein Gesicht auf, findet er die Idee toll und lädt uns zu sich ein. Ich halte noch kurz gegen, dass wir ihn nicht überfallen wollen und ob es wirklich okay sei für ihn. Worauf er erwidert: „Ihr seid das Überfallkommando und das ist gut so!“. Keine zwei Stunden später stehen wir in der lichtdurchfluteten Küche einer Hochhaus-Wohnung und prosten mit dem ersten Bier des Abends Alexander und Alexej zu. Die beiden sind Zwillinge und haben zehn Jahre lang in Deutschland gelebt. Was nach dem ersten Zuprosten geschieht, ist neben dem Zubereiten von phantastisch marinierten Hühnchen und einem Zuchini-Knoblauch-Thymian-Trochentomaten-Balsamico-Parmesan-Nudel-Salat, ein Ping-Pong der Gedanken, Erlebnisse, Empfindungen, Wünsche, Erfahrungen rund um die Welt und wieder an unseren so kontrastreich beleuchteten Tisch zurück. Wir sind verblüfft, über die Detailtiefe, in der sich Alexander und Alexej hinsichtlich Deutschland auskennen, mit welcher Präzision beide ihre Ideenstränge in Worte zu packen vermögen, dass es uns allen ein Spaß ist, der klassischen deutschen Sprache und ihrer Schönheit zu frönen. Wir reden miteinander als würden wir das schon seit Jahren in genau dieser Form miteinander tun. Die beiden Brüder sind nun wieder in ihrer Heimat zurück. Ihre Herzen fliegen um die Welt. Das spüre ich, das liegt in der Luft. Und so ist unser Abschied ein „Auf Wiedersehen“. Denn irgendwo treffen sich unsere fliegenden Herzen wieder. Nun, Alex und Alex, bis dahin, lasst es euch gut ergehen, ihr zwei wunderbaren Menschen, ihr zwei einmaligen Brüder!
Geschwindigkeitsrekord / Speed record
09.07.2015 Barnaul / Russland / N52°38’39.7“ E083°00’49.6“
Landwirtschaft, beackerte Felder, angelegte Gärten, so weit unsere Augen reichen. Es ist grün, es ist üppig, saftig und voll in der Kraft des Wachsens begriffen. Sonnenblumenfelder, noch grün. Doch wir erahnen mit welcher Fülle das Gelb der Blüten in wenigen Tagen das gesamte Revier bestimmen wird. Wie kann es sein, dass nach einer Grenze von Land zu Land schlagartig das Bild der Umgebung wechselt? Ist da ein Kulissenschieber vor uns am Werk, der uns deutlich machen will, dass wir in Russland sind? Sind die Landesgrenzen von alters her mit den Landschaften entstanden? Waren die kasachischen Nomaden schon immer Eins mit ihrem Steppenland? Und bauen die Russen schon seit Jahrgedenken Gemüse und Getreide in ihrer sesshaften Manier an? Die Umgebung zumindest möchte uns diese Geschichte erzählen. Wir hören offenen Ohres zu und glauben was wir sehen.
Noch etwas ist vollkommen verändert. Seitdem wir Anfang des Jahres in die Türkei einreisten, bewegten wir uns den Monaten Januar, Februar, März, April, Mai, Juni und den halben Juli in der Welt des islamischen Glaubens. Mit der ersten Kirche, die uns unser Kulissenschieber zeigt, merken wir, dass es sich auch hierbei um einen Abschied handelt. Wir haben nun neuen Boden des Glaubens betreten. Den der russisch orthodoxen Kirche. Selbst in einem Land des christlichen Glaubens aufgewachsen, spüre ich, wie ein Heimatgefühl in mir aufsteigt, welches ich mir kaum erklären kann. Ich fand es höchst interessant, in den vergangenen Monaten Details über den mir bis dahin sehr entfernten Islam zu erfahren. Und das von Menschen, die mir nah stehen, denen ich mein Vertrauen schenke und sie mir das ihrige. Ich bin den Grundpfeilern ein Stück näher gerückt, ohne behaupten zu wollen, diese Religion durchdrungen zu haben. Doch ich merke, dass es mir gut tut, nun ein eigen geschaffenes, selbst erlebtes Bild in mir vom Islam zu tragen. Weit ab von allem, was das Fernsehbild mir weiß machen will.
Ja, je weiter ich mich von meinem „zu Hause“, entferne, umso deutlicher spüre ich es. Manchmal muss man wohl weg gehen, den Abstand vergrößern, um schärfer, um überhaupt sehen zu können. Der Begriff „Heimat“ füllt sich in mir mit Leben, Empfindungen, Verbindungen und Verbundenheit. Ich finde es schön, um meine Heimat zu wissen. Der Gedanke daran erdet mich.
So stehen wir heute mit unserem Leo auf einer großen, hoch gewachsenen Sommerwiese. Die Kühe grasen nicht weit von uns, die Vögel singen was das Liederbuch so hergibt und wir sitzen mittendrin und können es kaum greifen. Wir haben es geschafft in das nächste Land unserer Reise zu gelangen, nach Russland. Und die Grenze? Und die lange Prozedur? Und das Warten und von Hütte zu Hütte laufen? Heute gab es von alledem gar nichts. Wir fuhren an die kasachische Grenze heran, standen etwas, schwatzten ein wenig mit den anderen Wartenden. Danach ging es in die Grenze hinein. Ein Beamter stempelte unsere Pässe ab. Und das war es auch schon auf der kasachischen Seite. Keine Fahrzeugkontrolle. Keine langwierigen Papierschiebereien. Nichts wollte er sehen, was sonst für Aufsehen sorgte. Die angeblich so wichtigen Papiere, die bezeugen, dass der Leo rechtmäßig mit uns fährt und ähnliches, interessierten nicht im Geringsten. Uns sollte es recht sein.
Auf der russischen Seite genau das Gleiche. Einfaches Abstempeln unserer Visa, kurzer freundlicher Blick in den Leo und fertig waren wir. Etwas mehr als einer Stunde war zwischen Ankunft und Abfahrt an der Grenze vergangen. Wir waren selig und verleihen dieser Grenze unseren Orden des „Geschwindigkeitsrekords“.
Wir freuen uns so, daß Ihr nun endlich weiterziehen könnt – toi,toi,toi!!! Erst haben wir Eure Iran-Berichte aufgesaugt, da wir im Mai selbst hingefahren sind. Eure Berichte haben uns bestärkt, einfach loszufahren und das Land zu erkunden, na ja, was so in 11 Tagen geht;-) Dabei haben wir Teheran und die großen Touri-Orte gemieden, um so besser kamen wir mit den Menschen in Kontakt und die Wüste hat’s auch uns angetan!
Dann haben wir wegen LEO nur noch mit Euch gebangt. Und wir waren beeindruckt, was Ihr aus der Wartezeit gemacht habt, wenn auch sicher nicht immer freiwillig. Wenn ich an unsere Aufregung denke, als im letzten Jahr unser Treckinggepäck nicht in Barnaul ankam – das war eine Lappalie dagegen und das Problem war nach 2 Tagen „russisch“ gelöst…
Grüßt die M52 und den Katun von uns und Euch herzliche Grüße aus Jena,
wir wünschen, daß LEO sich einkriegt, wo er nun so ein herrliches VG bekommenhat!
Christiane unf Kersten