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Rüttelplatte / Shaking plate

19.10.2015 Saravane / Laos / N15°42’58.7“ E106°22’54.0“

„Go, go, go!“ ruft er uns immer wieder entgegen, und zeichnet wegfahrende Handbewegungen in die Luft. Wie „go, go, go“? Es ist jetzt dunkel. Wir sehen unsere eigenen Hände nicht mehr, zwanzig Zentimeter vor dem Gesicht, und sollen gehen? Warum und wohin? Bei Einbruch der Dunkelheit sind wir an einen Flusslauf abgebogen. Haben es geschafft mit Hilfe von Baumstämmen, in dem schrägen Gelände, einigermaßen gerade zu stehen. Sten hat ein Feuer gezaubert und ich mich im Fluss gewaschen. Der Fischer vom anderen Ufer watete zu uns, auf ein Bier und ein paar Pistazien aus Iran. Ein wunderschöner Abend versprach es zu werden. Dann kam er auf seinem Motorroller angefahren. Der Mann im hellen T-Shirt, mehr konnte ich von ihm nicht sehen, mit seinem schweigsamen, peinlich berührten Begleiter. Sten gab alles, was die Kunst seiner Körpersprache vermag zu sagen. „Nur für eine Nacht.“ Und „Es ist doch jetzt dunkel.“ Und „Wo sollen wir denn jetzt hin.“ Und „Wir kommen aus Deutschland bis hierher in das freundliche Land der Laoten.“ Und „Noch ein paar Pistazien?“ Und Körpersprachen-Schweigen, um die anderen reagieren zu lassen. Doch es kam als Antwort immer nur ein: „Go, go, go!“. Weiter reichte der Wortschatz des Mannes im Englischen nicht und mehr wollte er wohl auch nicht zum Ausdruck bringen. Nach den Monaten Dezember, Januar, Februar, März, April, Mai, Juni, Juli, August und September ist es das allererste Mal, dass wir an einem Ort für die Nacht nicht bleiben können, sondern weg geschickt werden. Ein guter Schnitt auf der einen Seite, dass es uns gerade in Laos passiert wundert uns hingegen auf der anderen. Nun, die Gründe kennen wir nicht. Wir wissen nur, dass hier offensichtlich immer irgendwelche Vorgesetzte gefragt werden müssen. Und der eine fragt dann den nächsten. Das scheint das System zu sein. Wir hatten den freundlichen Fischer gefragt. Der war einverstanden. Also dachten wir, das sei genug. Hier hatte jemand Schiss vor der Obrigkeit, dass haben wir gespürt. Warum, das wissen wir nicht. Also packen wir tastend zusammen und fahren ab. Die gute Energie des Ortes ist inzwischen sowieso verflogen.
Durch die Nacht zu fahren ist in Laos ein wenig wie Tappen im Dunkeln. Außerhalb des Scheinwerferkegels ist tatsächlich alles Schwarz. Licht gibt es hier einfach so gut wie keins. Und wenn, dann sind es kleine Birnen, die vor nem Laden hängen. Das ist unser Anker. Ein matt leuchtendes Schild mit einem abgebildeten Bier darauf. Sten steigt aus um zu fragen, ob es auf dem Acker vor der Hütte möglich sei zu halten. Vier Frauen schauen ratlos umher. Doch dann erscheint der Mann des Ladens. Ich sehe nur sein Nicken und bin erleichtert. Einen Platz für die Nacht haben wir. Eine scharfe Nudelsuppe wird uns serviert. Ein kühles Bier gibt’s zum Nachtisch. Die Dinge finden sich. „Wer weiß wofür es gut war.“ ist unser Resümee und legen uns schlafen.
Der Tag, einer der aufrüttelnden Sorte. Nicht nur am Abend. Unser Weg entlang des Mekongs mauserte sich heute mehr und mehr zu einer Kraterlandschaft. Die Wochen des Regens haben hier Landschaftsbau betrieben, die teilweise einen Weg nicht mehr als solchen erkennen lassen. Stundenlang bewegen wir uns vorwärts als säßen wir auf einem Elefanten. Ein Rad sachte in ein Loch geführt, das nächste kommt nach, wobei das erste schon wieder aufwärts strebt und mit der zweiten Achse das gleiche Spiel. Der Leo ächzt. Verwindungen und Achsverschränkungen der Superklasse. Ich höre auf jedes Geräusch am Leo. Was da klappert und quietscht und scheppert, während ich selbst wie auf ner Rüttelplatte sitze und mich querverkeile. Dabei hoffe ich nur, dass wir heil hier hindurch kommen. Reparaturen in Laos… Das erscheint mir als nicht wirklich angebracht. Hier kennt man sich nur mit Motorrollern aus, wie ich glaube.
Erschöpft erreichen wir nach Stunden die einzige durchs Land führende Straße weiter gen Süden. Doch das Rütteln in meinem Kopf hört nicht auf. Die schütteren doch aufwühlenden Nachrichten die uns aus Deutschland und Europa erreichen, sind es, die uns bewegen. Alles andere als vollständig und ein klares Bild ergebend, reichen sie aus, um uns seit Tagen gedanklich zu verfolgen. Einen Kommentar möchte ich dazu nicht abgeben. Derer gibt es eh genug. Außerdem ist mein Bild zu fragmentarisch, als dass ich mir anmaßen würde, darüber so etwas wie eine Meinung kund zu tun. Doch Fakt ist, da ist Schwerwiegendes am Laufen und ich kann allen, nach positiven Lösungen strebenden Kräften, nur wünschen zusammen zu stehen, Besonnenheit walten zu lassen auf der Suche nach gangbaren Wegen. Unser Job ist es nicht, eine von Halbwissen genährte Aussage zu treffen. Unsere Aufgabe ist es vielleicht vielmehr, von dem Guten und Wunderschönen in der Welt zu erzählen, von dem Beschützens-Werten und Einmaligen. Auf dass es Licht und Zuversicht spendet. Ich kann nur denken: „Rüttelplattentag“.
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