Trommelwirbel / Drum whirl
15.10.2015 Thakhek / Laos / N17°23’51.7“ E104°48’07.3“
Ob es hier ne Schulglocke gibt, die sagt, wann der Unterricht beginnt und wann er wieder aufhört? Ich kann keine sehen und hören. Und irgendetwas sagt mir, dass es das hier auch nicht braucht. Das regelt sich alles von ganz allein. Ich stehe auf dem Schulhof, einem großen Stück Hügelwiese. Nur die gehisste Fahne sagt mir, wo hier vorn ist, wohin ich meine Füße auszurichten habe. Montags ist Appell. Mit Singen und Reden und dem ganzen Drumherum. Mit Trommelwirbel vielleicht. Heute ist Donnerstag. Der ist sich selbst genug, so mittendrin, zwischen Mittwoch und Freitag, braucht kein Appellgewitter am Morgen. „Schule“ in meiner Wahrnehmung noch immer Gebäude, die mir Ehrfurcht einflößen. So mit „Tests schreiben“, „Prüfungen bestehen“, welcher Größe und Dimension auch immer. „Leistungskontrolle“, wie ich dieses Wort verabscheut habe. Die Kontrolle meiner Leistungen, die ich im Stande bin zu erbringen. Schon bei dem Begriff erstarren alle nur denkbaren Gedankenströme in mir. Noch heute.
„Schule“ erlebte ich in den letzten Jahren, durch meinen Sohn, als einen Ort der Möglichkeiten und Inspiration. Sich ausprobieren können und Spaß daran haben. Wie Menschen lernen, was sie brauchen, um das Vermittelte auch wirklich aufnehmen zu können, zu ihrem Eigenen werden zu lassen damit Neues daraus entstehen kann. Viele Menschen machen sich viele gute Gedanken darum in Deutschland, in Europa, wo auch immer. Nun stehe ich hier, in einem Dorf in Laos und denke mir, dass wir vielleicht alle nicht wissen, wie weit wir mit unseren Ideen der Verbesserung der Lernbedingungen schon gekommen sind. Dass wir uns des Levels nicht bewusst sind, auf dem wir balancieren, wenn es um Wissensvermittlung geht. Hier ist für mich alles wie „auf Anfang“. Es geht um die Basis, um das ganz Grundsätzliche. Dass alle Kinder im ganzen Land überhaupt zur Schule gehen können. Die Lehrer besser ausgebildet werden und von ihrem Beruf leben können.
Es gibt einen großen freien Platz. Umbaut ist der an drei seiner vier Seiten. Flache, eingeschossige Räume fädeln sich in Reihe aneinander. Vier Klassen gibt es, für vier Altersstufen. Die Vierzehnjährigen, die Ältesten, treffen wir als Erstes. Ihr Klassenzimmer gleicht dem Ambiente einer „Sommerakademie“. Kaum Wände behindern ihr Sitzen im Drinnen und Draußen zugleich. Der lümmelnde Hund nimmt genau so mit am Unterricht teil wie die kleinen Kinder der Lehrer. Sie laufen zwischen den Beinen der erklärenden Mutter hindurch, rennen von Zimmer zu Zimmer, verstecken die Stifte im Gras, mit deren Hilfe der Vater gerade etwas an der Tafel erklären wollte. Ich mag diese lockere offene Atmosphäre. Sie hat etwas Normales, Ehrliches. Sie wirkt nicht so streng auf mich.
Luftig, frisch sitzen Mädchen und Jungen zusammen in ihren weißen Hemden, manchmal mit roten Halstüchern dekoriert. Einige Kinder haben Schuhe an, andere nicht. Wie der kleine Junge, der an die Tafel gerufen wurde, um einen Satz anzuschreiben. Da steht er nun, mit seinem blütenweißen Hemd, der dunklen sauberen Schulhose. Barfuß. Das Gefühl da allein an der großen leeren Tafel zu stehen, ist wohl doch wieder überall gleich. Ich leide mit ihm. Und freue mich, als alle Kinder klatschen, weil es offensichtlich richtig ist, was er da angeschrieben hat. Uff. Die Kinder lernen Lesen und zu schreiben, singen Lieder die erklären, dass 1+1=2 und 2+2=4 sind. Auch Englisch wird unterrichtet. „How are you?“ schallt es zu uns. Auf meine Gegenfrage hin bleiben aber alle schüchtern stumm. Schule scheint hier auf ihre Weise sehr lebensnah. Ihre Aufgaben sind vielfältig. Vermittelt wird auch auf großen Plakaten und Bildern, dass es nicht gut ist, die eigenen Kinder zu Hause zu schlagen oder einzusperren, während man weg geht. Dass Diebstahl was Schlechtes ist, weil man dann ins Gefängnis kommt und die Kinder zu Hause allein zurück bleiben.
Wir sind Besucher in dieser Schule. Eine Stunde erlaubt uns Einblick zu nehmen, Details zu erfahren, Geschichten hörend, die uns „Ge“ erzählt. Sie kommt aus dem Dorf, ist hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Englisch hat sie nicht in der Schule sondern für sich selbst gelernt, wie sie sagt.
Sten versucht sich für ein paar Minuten als Englischlehrer und fühlt sich dann doch wohler als Klassenkasper. Die Kinder mögen ihn so auch viel mehr und rennen mit ihm im Kreis, einen Affen imitierend. Die Schulglocke oder gar Trommel erschallt nicht. Und doch scheinen alle Kinder zu wissen, wann sie auf ihre Fahrräder und Motorroller zu springen haben, um nach Hause zu laufen oder zu fahren.
Die große Trommel finden wir erst an der Straße. Dort wo zwei Männer aus riesenhaften Bäumen Trommeln für die Klöster bauen. Aus einem ganzen Stück stellen sie die her, indem sie die Stämme von Innen aushöhlen und mit metergroßen Fellen bespannen. Wie alt die Bäume sind, die dafür fallen, will ich mir nicht vorstellen müssen. Respekt habe ich vor dem alten Handwerk der Männer. Den Trommelwirbel im Ohr, den wir in den Klöstern allerorten an unserem ganzen Körper spüren, so markant, tiefsinnig und durchdringend ist er, wie von Weisheit kündend.
Ein Tag voll gepackt mit Wissen und Lernen und Wahrnehmen und Erleben. Lebensschule pur.
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