Vier Gesichter / Four faces
12.11.2015 Kampot / Kambodscha / N10°33’07.3“ E104°02’45.1“
Mit verbunden Augen sitzt Sten da. Auf seinem Stuhl. Am Straßenrand. Unseren „Frühstückstisch“ haben wir aufgebaut. Eigentlich mit Blick aufs Meer. Doch das Tuch im Gesicht trübt definitiv seine Sicht. Riechen kann er, und schmecken. Schlecht wird erst einmal nur Götz und mir, als wir sehen, was wir Sten in den Mund schieben wollen. Ein Ei, dick mit schwarzer, feuchter Erde umhüllt. Es hat wer weiß wie lange im Boden gelegen. Als wir es aufschlagen, und das wappelige Dotter sehen, noch roh, trotz des Alters, geht der Kelch noch einmal an Sten vorbei. Gesund sein und ohne Magenverstimmung ziehen wir dem kurzen Spaß doch vor. Das zweite Ei kommt in den Topf. Neuer Versuch. Vom langen Liegen ist das Dotter nach dem Kochen rabenschwarz. Götz opfert sich und lässt Worte wie: „Etwas salzig. Wie Sandkuchen. Eigentlich nicht schlecht. Hm, der Kopf halt. Eigelb in schwarz…“ fallen.
Stens verzerrtes Gesicht entkrampft sich allmählich. Er übt inzwischen die Parade der Krebse. Auf dem Reifen müssen sie tanzen.
Das erste Gesicht. Eines von Vier. Wie im Bayon von Angkor. Jeder Himmelsrichtung ein Gesicht geschenkt. Das hier, leicht verzerrt.
Beim Einsteigen hören wir ein Quietschen und Knarzen. Das fällt auf. Inzwischen. Da uns jedes Geräusch am Leo vertraut ist. Nach kurzer Suche ist klar, die Fahrerhausaufhängung hat es erwischt. Sie ist gebrochen. Also nicht auf Strandsuche, sondern erst mal Ausschau nach einer Werkstatt halten. Der erste Versuch, ein Rumpelhäuschen, indem ein Mann aus einem Schrotthaufen einen Laster formen will. Er ist nicht da. Wir sollen warten. Und nutzen die Zeit sinnvoll, indem wir den Leo in einem Wassergrabenloch versenken. Die Mauern der Umhausung geben nach, der Reifen gräbt sich tiefer und tiefer, als wolle er das Graben des Brunnens übernehmen. Wir finden seine Hilfsbereitschaft übertrieben und bekommen ihn gerade noch heraus aus dem Loch. „Glück gehabt“, denken meine Knie und schlottern trotzdem. Das Sortiment der zweiten Werkstatt sieht keinesfalls geordneter aus, doch tatsächlich kommt einer der Gesellen mit einem passenden Bolzen angelaufen. Originalverpackt. Fünf Jungs geben alles, um das Fahrerhaus leicht anzuheben. Und schwupp diwupp, hat Leo eine neue Aufhängung. Ohne viel Gerede, ohne viel Tam Tam. Die Werkstatt versprach nicht viel, doch ihre Leute gaben alles. Keine halbe Stunde später strahlt Sten über sein ganzes Gesicht. Das Zweite von Vier.
Einen Platz ganz für uns wollen wir finden. Weißer Sandstrand. Ein Weg soll dahin führen. Groß genug, um ihn mit Leo befahren zu können. Eine Palme wäre schön, oder drei. Schatten für uns alle. So weit unser Traumbild. Per Satellitenkarte haben wir uns ein paar Stellen herausgepickt. Nicht einfach hier. Wo Strand, wenn überhaupt, sehr schmal ist und aus Stein besteht. Wege gibt es kaum. Dichter Dschungel ist die Dünung. Von Wassergräben durchzogen. Ein Weg. Ich sehe ihn als Fügung, führt uns tatsächlich ans Meer. Meer und Palmen und fast allein. Nur leider nicht das Robinson Stückchen, sondern ein Resort. Mit der Schere sind die Frauen dabei den Rasen zu schneiden. Ihr Lächeln haben sie mit dabei. Es riecht nach Meer, es klingt nach Meer. Es ist das Meer. Ein klimatisiertes Zimmer lässt unsere heißen Köpfe ein klein wenig abkühlen. Ordnet die Gedanken, gibt den Muskeln neuen Schwung. Doch Sten will heute Robinson sein und kann das Schöne nur mit Mühe sehen. Da hilft auch kein Starkregen. Er hat extra eingesetzt, um getrübte Blicke zu klären. Doch manchmal hilft guter Wille nicht. Manchmal will ein Gesicht ernst bleiben und verschlossen. Das Dritte heute.
Auf den Regen folgt die Stille. Absolut, in jeden Winkel kriechend. Friedlich liegt das Wasser vor uns. Der Himmel, der eitle spiegelt sich in ihm. Etwas gelbgoldenes Licht mischt er bei, um sich selbst noch mehr zu gefallen. Uns geht es kaum anders. Weich gezeichnet, lichtwarm umschmeichelt sitzen wir weit, weit im Meer. Ein Steg hält uns. Wir halten die Gläser. Viel gibt es nicht zu sprechen. Das Meer sagt alles. Drei entspannte Gesichter. Drei vereint im Vierten. Es lacht.
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