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Von den Dingen / About the things

15.11.2015 Sihanoukville / Kambodscha / N10°34’03.1“ E103°33’15.8“

Wir putzen unsere Zähne. Sten putzt den Leo, dann sich selbst. Zwei Monteure fanden sich, mit ihm gemeinsam den Stoßdämpfer des Fahrerhauses zu reparierten. Nun wippt er wieder sanft, ohne sich durchschlagend auf meinen Rücken zu übertragen. Der Stoßdämpfer. Gutes Gefühl. Frühstück hier, vor den Augen aller, oder an einem unbesehenem Ort? Wir ziehen die Variante der abgewendeten Augenpaare vor. Manchmal setzen wir uns einfach hin, fangen an zu essen und versuchen auszublenden, dass so Viele um uns herum stehen. Wir teilen, geben ab, lassen probieren. Doch es gibt Tage, an denen wünschen wir uns ein wenig Abgeschiedenheit. Einer von denen ist heute. Also starten wir den Motor, legen den Vorwärtsgang ein, nicht ohne eine Taschenlampe, ein Messerchen und praktische Kleinigkeiten verschenkt zu haben und fahren winkend ab. Weiter, weiter, der Meerlinie entlang. Noch immer auf der Suche nach UNSEREM Stück Strand.
Sechzig Kilometer um zu Frühstücken. Eine Distanz die meinen Blutzuckerspiegel in rauschende Abgründe fallen lässt. Das stört die Bedienung wenig. Wir haben es gefunden. Das Meer. Das Ufer. Das kleine Strandrestaurant. „Trink!“, ruft die Neigung der Liegestühle. Doch wir warten geduldig auf die georderte Großportion an gegrillten Garnelen. „Geduld, Geduld“, versuche ich meinem Magen meditativ zu verklickern.
Um uns herum die Jugend aus Phnom Penh, auf Wochenendtour, oder Sihanoukville. In jedem Fall schlägt international üblicher, städtischer Stil die ärmliche Bedürftigkeit der umliegenden Dörfer. Casinos soll es hier geben. Mit allem was dazu gehört. Für ein Essen okay, doch zum Bleiben nicht unser Ort. Ein Geheimtipp spült uns aus der Stadt, um zu sehen, wie geheim der Tipp ist. Im ganzen Land wird von diesem einen ruhigen Strand gesprochen. Dann werden wir bestimmt die Einzigen dort sein…
Überrascht bin ich, als ich so gut wie nur Einheimische sehe. Die Frauen gehen alle mit Kleidern ins Wasser. Die Männer in knapper Badehose. Was heißt das für mich? Den wenigen Europäerinnen anschließen und im Bikini ins Meer oder der hiesigen Kleiderordnung folgend mit Kleid ins Wasser gehen? Ich mag es, mich den Gepflogenheiten der Länder anzuschließen und weniger meinen eigenen Gewohnheiten zu folgen. Ich entscheide mich für Kleid am Nachmittag und Bikini am Morgen. Dann wenn sich noch keine überraschten Männer-und Frauen-Blicke der Einheimischen an mich heften.
Bikiniwetter begleitet uns seit Monaten. Die Winterklamotten halten Sommerschlaf. Brauchen werden wir sie erst in Deutschland wieder. Unser Plan ist es, Leo nach Hause zu verschiffen. Offen ist, wann genau und von wo aus. Klar wiederum ist, dass die uns wichtigen Sachen draußen sein sollten. Wollen wir sie wirklich wieder sehen. Zu viele Berichte erzählen von ausgeräumten Fahrzeugen. Zeitvertreib der Hafenarbeiter beim Umladen. Ich weiß es nicht besser. So wählen wir den unaufgeregten Weg und räumen selbst aus, was Wichtig erscheint. Götz ist unsere Brieftaube. Er wird, unseren vollen Koffer im Schnabel, zurück fliegen. Eine eigenwillige Vorstellung. Die uns begleitenden Dinge sind dann zu Hause und wir noch immer unterwegs. Ob sie es genießen, oder traurig sind? Nun, sie können sich ausruhen. Über das Erlebte im Stillen sinnieren, nach hallen, sacken lassen. Darüber sprechen, während dem wir noch immer reisen.
Ich erschrecke. Im Augenwinkel der Dunkelheit nehme ich direkt hinter Sten einen Menschen wahr. Vollkommen unbewegt steht er da. Der Mann mit dem starren Blick. Er fixiert uns, sieht, was auch immer. Es bleibt uns ein Rätsel. Als stecke ein wirrer Geist in ihm, so zucken seine dürren Glieder. Wir geben ihm zu Essen, zu Trinken. Er greift gierig nach Allem. Verschwindet tonlos, erscheint wieder klanglos. Mir ist er unheimlich. Ich fühle mich unwohl im Nichtahnen, was in ihm vorgeht. Mal lacht er laut, als empfänge er von irgendwo die Worte urkomischer Geschichten. Seinen Geschichten. Ein Leben von dem wir nichts wissen, im Irgendwo. Nach Behausung sieht er nicht aus. In seiner ausgeleierten schmutzigen Unterhose, der gegerbten Haut, den knochigen Gliedmaßen, die ihm nicht immer gehorchen. Ich frage mich, was mich ängstigt. Sein starrer Blick, sein plötzliches Auftauchen aus dem Schwarz der Nacht. Sein unkalkulierbares Handeln. Es ist wie im Straßenverkehr. Wir rechnen damit, dass die Fahrer der anderen Autos in einer bestimmten Art am Verkehr teilnehmen. Auf einer, von der wir glauben, dass wir sie vorher sehen können. Ist dem nicht so, fühlen wir uns irritiert, in unserer Gewohnheit gestört. Verlieren auf gewisse Weise unseren eigenen Halt des sozialen Miteinanders. Keine Ahnung, welchem Plan sein Geist folgt. Meiner ist über mich selbst überrascht, als er wahrnimmt, wie verkrampft ich in seiner verwirrten und verwirrenden Gegenwart werde.
Wir bleiben sitzen. Genießen den Strand, den weiten Himmel, die nächtlichen fünfundzwanzig Grad, das Rauschen der Wellen im Schutz der Dunkelheit.
Wir bleiben hier, unsere Dinge machen sich auf den Weg. Ein vorsichtiges Herantasten, eine Art Vorhut. Um uns zu berichten, wie es sich anfühlt, nach langem fernen Gehen auf heimischen Dielen zu stehen.
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