Was ist Zeit? / What is time?
25.04.2015 Kasachstan / Aktau / N43°46’12.6“ E051°05’26.2“
Zeit. „Oh schade, da habe ich keine Zeit.“, „Meine Zeit reicht heute nicht“, „Wieviel Zeit haben wir jetzt?“, „Wie gehst Du mit meiner Zeit um?“, „Wie können wir die Zeit besser nutzen?“ Das sind Fragen und Aussagen, die mir vertraut und vollkommen normal erscheinen. Wir leben so. Alle leben so. Wir merken keinen Unterschied. Die Zeit ist unser Puls, der immer auf Hochtouren schlägt. Je länger wir gen Osten unterwegs sind, um so stärker wird mir bewusst, wie zeitgetrieben wir zu Hause leben. Zeit scheint eines der kostbarsten Güter für uns überhaupt zu sein. Sie ist immer knapp. Meist haben wir gar keine. Wir erwarten, dass alles sofort erledigt wird, von uns und auch von allen, um uns herum. Die Tage sind durch getaktet, die Abende auch und unsere Wochenenden sind oft schon auf Monate im Voraus verplant. Wir haben uns daran gewöhnt von Aktivität zu Aktivität zu laufen. Wir sind im „Tun“ und sprechen vom „Sein“. Doch während wir davon reden, „tun“ wir schon wieder. Unser Leben in dieser Schlagdichte macht uns erfolgreich. Es heißt, die Deutschen sind effektiv, die machen viel und leisten ne Menge. Dem stimme ich zu. Wir sind fleißig und immer am Machen. Ich komme aus dieser Welt. Ich kenne diese Welt. Ich habe jahrein und jahraus in ihr gelebt. Die Reise bis hierher hat uns mit jedem Meter Abstand von zu Hause gezeigt, dass die Uhren an anderen Orten anders ticken. Nicht langsamer. Nein, komplett verschieden zu dem, wie wir es kennen und gewohnt sind. Von Situation zu Situation haben wir eine Tüte davon als Lernaufgabe bekommen. Es war wie ein allmähliches Abtrainieren. Am Anfang wirklich mit Schmerz verbunden, merke ich nach und nach, wie wir uns einklinken in das Empfinden der Zeit wie es hier das Leben bestimmt. Jetzt sind wir auf diesem Hof. Seit genau 15 Tagen machen wir das. Unser Vorankommen hat Sendepause. Wir stehen. Das Getriebe ist inzwischen eingebaut, doch es gibt noch Schwierigkeiten an den scheinbar kleinen Details. Und so kommt ein Tag und er geht auch wieder. Das gleiche geschieht am Folgetag. Und dann an noch einem. Und so fort. Was zu Hause Minuten und Stunden sind, scheinen hier Tage und Wochen zu sein. Vielleicht hat hier die Uhr nicht zwölf Stunden sondern Tage? Es ist der Fluss der Dinge. Es geschieht immer etwas, doch die Unwegbarkeiten machen ein schnelles Vorankommen unmöglich. Und so beginnen wir anders zu ticken. Wir werden ruhiger, entspannter, gelassener. Wir wichten anders und bereuen nicht. Was geschah, sollte so sein. Und das was ist, ist gut. Ich glaube, dass unsere Tage hier auf dem Hof etwas in uns verändern. Wir kommen zu uns, ohne abgelenkt zu werden von Aktivität, Bespaßung und Tun im Außen. Wir sind mit uns selbst und kommen zu uns. Es sind bedeutende Tage. Vielleicht ohne die großen Bilder. Dafür mit Viel von dem unaussprechlichen Glück, welches im Innen wohnt.