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Wechselbad / Hot and cold baths

03.09.2015 Ying Xian / China / N39°33’37.9“ E113°11’00.3“

 

Zwei Stunden für nichts durch die Stadt gefahren, Läden abgeklappert, Wartenummern gezogen, Abweisungen eingehandelt, Straßengeschäft, mit lauten Worten endend. Nein, es scheint unmöglich zu sein in China als Ausländer eine Telefonkarte mit ein paar kleinen Gigabits fürs Internet zu erwerben. „Datong ist NUR eine zwei Millionen Stadt, da findet ihr so etwas nicht. Ausländer sind hier nur ganz selten. Da müsst ihr in eine größere Stadt fahren.“ Sagt uns Andis Bekannte, nachdem sie uns vergeblich versucht hat zu helfen. Andi ist unser Guide. Es ist nicht sein wirklicher Name. Den hat er sich vor ein paar Jahren selbst gegeben um, zum Beispiel von uns, einfacher angesprochen zu werden. Sein eigentlicher Name hat drei Bestandteile und Bedeutungen. Sie stehen für das Königliche, das Wissen und Erfolgreiche. Nur mit dem Aussprechen und Merken ist es echt so ne Sache. Also bleiben wir bei „Andi“. Er müht sich, uns zu erklären, dass Facebook, Google, Skype und Co in seinem Land nicht zugänglich sind, dass jeder Chinese mit seiner persönlichen ID genau EINEN Telefonvertrag abschließen kann und EINEN Internetzugang erhält. „4G“ Werbungen in allen Schillerfarben flackern um uns herum. Doch wir sind Ausländer. Das ist ganz was anderes. Wir sollen offensichtlich gar nicht erst ins Internet gehen. Wer weiß was wir damit auch machen würden? Na, ich wäre ja einfach schon mal froh, meine Geburtstagspost lesen zu können. Es macht mich traurig, da nicht ran zu kommen. Wie dem auch sei. Wir brechen das Unterfangen ab und verlassen die Stadt. Sie macht uns müde, sie strengt uns an. Alles ist hier dicht. Mensch an Mensch, Laden an Laden, Hütte an Hütte, Riesenhochhaus an Riesenhochhaus. Verkehr, der auch „verkehrt“ heißen könnte. So oft wie uns auf unserer Spur Autos und Motorräder entgegen kommen. Das ist nicht EIN Falschfahrer, das sind Massen. Uns bleibt beim Verlassen das Gefühl einer Mega-City im Nacken hängen gepaart mit der ernst gemeinten Formulierung „kleine Stadt“. Ich bin am Staunen die ganze Zeit. Am Schauen und Zuschauen. Es ist immerzu, als stünde ich mit einem Bein in kochend heißem Wasser und mit dem anderen stoße ich an Eisbröckchen. Heiß-kalt, laut-leise, neu- alt, schnell-langsam, sauber-dreckig, freundlich-schroff, duftend-stinkend, weit-eng. Kein Gegensatzpaar welches es hier nicht geben würde. Es fasziniert mich. Zieht meine Blicke an. Wie ein Kind fühle ich mich, welches versucht die Welt zu verstehen. Diese hier ist speziell. Das Entwicklungstempo, die Schnelligkeit der Modernität stößt scheinbar an allen Ecken und Enden mit den Menschen zusammen, die sich bei diesem Tempo irgendwo ne Stange suchen zum Festhalten. „Was, vor 17 Jahren ward ihr das letzte Mal hier?“ fragt Andi stirnrunzelnd. „Dann kennt ihr China nicht mehr. Seit dem ist ALLES anders.“ Damit hat er wohl Recht. Zur Erholung, um uns bei uns selbst wieder einzufangen, besuchen wir die Yungang Grotten. Es ist ein großer Berg voll mit Höhlen aus dem 5. Jahrhundert. 51.000 Statuen stehen in den 252 Grotten, sind aus den Steinen herausgearbeitet, sind aufmalt, geschabt, aus dem Ganzen gehauen. Wir durchwandeln, denn anders kann ich es nicht nennen, diesen Ort des frühen Buddhistischen Glaubens. Die Sanftmut der Blicke und Gesten auf den Gesichtern der Buddha Statuen tun uns gut. Wir sind ergriffen von der Fülle, der Größe und vor allem der Ausstrahlung des Ortes. Wir sitzen und stehen und gehen, fühlen uns ob der Größe der Statuen beeindruckt doch nicht gedemütigt. Irgendetwas ist, obwohl wir von Mengen an Menschen umgeben sind, anders geht es in China auch gar nicht, was uns versöhnlich stimmt. Wir verlassen nach Stunden den Ort in einer vollkommenen inneren Ruhe. Die Gesten der Hände der Statuen haben sich tief in mir eingebrannt. Der zuversichtliche Zug um die Münder ebenso. Diese Bilder vor mir her tragend wagen wir uns erneut in das wirre Treiben der chinesischen Realität des Jetzt. Es ist nicht leicht, vier Motorräder, einen VW Bus und einen Truck durch die Enge, die Gedrängtheit, die Schnelligkeit des chinesischen Verkehrs zu manövrieren. Wir geben alle miteinander unser Bestes und meistern die kniffligen Momente, die quasi Meter für Meter vor uns angerollt kommen. Kleine Dörfer passieren wir, in ihrer Verschlafenheit Orte des Rückzugs. Landschaften durchfahren wir, mal bergig schroff, mal wiesengrün und sanft. Ein Genuss für alles in uns, was sich nach dem Gegenpol zu dem sehnt, was die Städte uns bieten. Mit der späten Sonne des Nachmittags erreichen wir das „Hängende Kloster“. An einer großen Steilwand ist es erbaut. Durch lange Holzstangen, die als Stützpfeiler dienen, im Stein verankert. Ich stehe davor und kann nicht glauben was ich sehe. Wie ist es möglich, dass die Gebäude am Berg haften? Was sagt die simple Statik dazu? Denn allein der Glaube kann es nicht sein, der ein Halten möglich macht. In diesem Augenblick des Sehens wird mir bewusst, wie alt, wie erfahren, wie weitreichend die chinesische Kultur, ihre Tradition und ihr technisches Vermögen reicht. Auch die Phantasie erzählt ihre lange eigene Geschichte. Denn ohne sie würden wir heute nicht vor diesem Wunderwerk der Architektur stehen. Hätte es nicht damals Menschen gegeben, die Träumer genug gewesen wären, ihr Kloster an dieser Steilwand zu erbauen. China, Du bist ein wechselwarmer Aufguss für mich. Ich bin ergriffen von dir, du beginnst einen Eindruck in mir zu hinterlassen. Mit jedem Erleben wird er ein klein wenig tiefer. Und dann wieder strengst du mich an mit deinem Tempo, mit deiner Unerbittlichkeit und mit deinem Hang zur Kontrolle. Doch lass dir eines gesagt sein. Vollkommene Kontrolle gibt es nicht. Also lass ein wenig locker. Du weißt es besser. Bist du in deinem Land doch vom Buddhismus durchwoben.

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