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Wir schlachteten das Schaf / We slaughtered the sheep

23.07.2015 Dund Us / Mongolei / N48°07’39.0“ E091°22’44.9“

„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Den Satz kenne ich seit meiner frühesten Kindheit. Nun höre ich ihn sinngemäß hier in der Mongolei wieder. Die Deutschen mit ihren vermeintlichen Tugenden des Fleißes und der Pünktlichkeit sind in einem solchen Maß durch die Welt geweht wurden, wie ich es nicht für möglich gehalten hatte. Wenn es hier um Termine geht, heißt es: „Das machen wir wie die Deutschen.“ Und so fahren wir gleich am Vormittag mit Tilek nach Khovd um uns, wie in jedem der letzten durchreisten Länder, registrieren zu lassen. Wir sind pünktlich, doch die Dame im Amt versteht etwas anderes darunter. Für sie bedeutet es offensichtlich, eine Stunde vorfristig in die Mittagspause zu gehen und dafür auch eine Stunde länger dort zu verweilen. Als sie endlich erscheint, erklärt sie uns, dass wir uns nur registrieren lassen müssten, wenn wir länger als zwei Monate in der Mongolei bleiben wollten. Gut, das haben wir nicht vor. Doch bin ich mir nicht sicher, ob das die Beamten in Ulan Bataar auch so sehen, wenn wir in drei Wochen dort um Aufenthaltsverlängerung bitten. Vier Wochen können wir ohne Visum im Land bleiben. Danach brauchen wir eine Verlängerungsbestätigung bis Ende August. Aber ich habe den Eindruck, dass man die offiziellen Dinge in der Mongolei generell etwas lockerer sieht, als das anderswo der Fall war. Lassen wir es auf uns zukommen, wie immer. Im Rallye Stil ins Dorf zurück gefahren ist es nun Zeit fürs Kochen. Mir ist mulmig im Bauch zu Mute dass dafür wieder ein Schaf sein Leben lassen muss. Doch hier ist nun einmal Fleisch die fast ausschließliche Ernährungsbasis. Gut sechshundert Jahre alt ist die Methode, nach der heute das Schaf zubereitet wird. Ich fühle mich in die Zeiten der Seidenstraße zurück versetzt und erlebe was ich sehe, als geschehe es in einem Time-Tunnel. Etwas entrückt Surreales stellt sich in meinem Inneren ein, als die Männer beginnen, dem Schaf die Kehle durchzuschneiden und es anschließend ausbluten zu lassen. Die Innereien kommen in eine große Wanne. Soweit kenne ich den Schlachtvorgang. Doch nun wird das Schaf nicht gehäutet, sondern wie im Märchen „Rotkäppchen“ nach dem Entnehmen der Innereien wieder zugenäht und auf ein Metallgestell gelegt. Sozusagen als „hohler Vogel“ liegt es ganz still da. Fliegen kann es nicht mehr, doch die Seele zieht dahin. Den nächsten Schritt nennen die Männer „Barbecue“. Mit Feuer aus einer Lötlampe wird das Fell am gesamten Körper abgebrannt, bis die pure schwarze Haut sichtbar ist. Dann geht es an die Hausarbeit. Mit Wasser und einem Topfkratzer schrubbt Tilek das Schaf, bis es seine gelbliche Hautfarbe zurück erhält. Dann ist wieder der Metzger an der Reihe. Er zerteilt den Körper in Stücke. Dabei ist Knochen, Fleisch, Haut, Knorpel, alles zusammen. Das hat nicht unbedingt den feinsäuberlichen Teilungseindruck, wie ich ihn aus einer deutschen Fleischerei kenne. Eher geht es darum, das Schaf irgendwie zu zerteilen, um es später in den Topf stecken zu können. In dem brodelt das kochende Salzwasser auf dem Feuer schon, als die Teile hineingelegt werden. Zwei Stunden lang geht es nun nur darum, immer wieder Holz nachzulegen und den Schaum vom Wasser abzuschöpfen. Nach zwei Stunden legt Tileks Frau eine gelöcherte Zellophan Tüte mit geschälten Kartoffeln in den Topf zum Fleisch. Eine geniale Methode, wie ich finde. Denn so nehmen die Kartoffeln den aromatischen Geschmack der Fleischbrühe an. Während das Fleisch die dritte Stunde langsam munter vor sich hin kocht, rollen wir einen Teig aus, um ihn mit geschabten Möhren und Zwiebelstückchen zu belegen, zusammen zu rollen und die fertige Teigrolle in einen Dampfgarer zu legen. Reges Treiben, ein Kommen und Gehen herrscht während des ganzen Nachmittags. Gefühlt war jeder der fünfhundert Bewohner des Ortes inzwischen einmal da um zuzusehen, was mit dem Schaf geschieht, um uns anzugucken und dem Leo einen Besuch abzustatten. Selbst die Bussarde kreisen über uns, um einen Leckerbissen abzubekommen. Es ist ein Kinderspaß, kleine Innereienteile in die Luft zu werfen, so dass die Vögel sie fangen können. Eljas, Tilek und die Jungs können sich vor Lachen kaum die Bäuche halten, wenn sie die deutschen Sätze hören, die wir zueinander sagen. Sie versuchen die Worte zu verstehen und nachzusprechen. Ein Satz schafft es auf der Fröhlichkeitsskala heute bis ganz nach oben. „Wir schlach-te-ten das Schaf!“, ausgesprochen wie in der einstudierten Propagandarede eines früheren deutschsprachigen Anführers, ist der Hit des Tages! Ich bin hier fremd, wir sind Gäste aus einem für die Mongolen so fernen Land, wie es die Mongolei bisher für uns war. Die Menschen staunen über die Fotos, die sie von unserem Leben zu Hause sehen und stellen viele lustige Fragen, auf die wir gern versuchen eine Antwort zu geben. Eine davon ist heute, ob es in Deutschland auch normal ist, dass man ohne anzuklopfen in jede Wohnung und in jedes Haus gehen kann, ohne die Leute dort überhaupt zu kennen. Bei den Mongolen ist das üblich und keinen wundert es, wenn man so viel getrunken hat, dass man den Weg nach Hause nicht mehr schafft und sich deshalb in irgendeinem fremden Haus in die Ecke zum Schlafen legt. Nur anklopfen darf man NICHT. Das ist eine Ungehörigkeit. So verstehen wir nun auch, warum immer wieder überraschend Betrieb auf der Leo-Treppe herrscht und die Leute einfach vor uns stehen, egal zu welcher Tageszeit. Vieles ist anders, das ist spannend. Doch schon nach einem Tag machen wir Witze miteinander, als würden wir uns seit Ewigkeiten kennen. Wenn der Humor zusammen passt, dann ist die ganze Welt in Ordnung!
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