Yin und Yang / Yin and Yang
09.09.2015 Yang Xian / China / N33°15’37.2“ E107°32’49.3“
Ich nehme meine Stöpsel aus den Ohren und bin hellwach. Hellwach nicht im Sinne von munter. Doch hellwach im Sinne von „mittendrin“. Es zirpt, es zwitschert, es summt, es tropft. Bild und Ton scheinen im Wiederspruch zueinander zu stehen. Als habe der Tonmeister ein anderes Band eingelegt. Die wolkenverhangene Stimmung der Grauton geschwängerten Landschaft hat etwas unglaublich beruhigendes an sich. Dazu der Chor der Tausend Stimmen. Yin und Yang scheinen hier zu Hause zu sein. Das Dunkle nicht ohne das Helle. Und auch das Feuchte nicht ohne das Trockene. Bindfäden gleich zieht der Regen seine Bahnen vom Himmel bis zu uns auf die Erde. Wie ein hauchdünner Vorhang hängt der Regen zwischen allem. Wir gehen hindurch. Doch Vorhang reiht sich an Vorhang. Den Ort des Trockenen kann ich nicht finden. Im Moment. Ich sollte wohl größer denken. Also passen Bild und Ton doch zusammen, ergeben ein Ganzes. Im Gedanken daran, dass das Laute nicht ohne das Leise existiert. Ich kann es im Kleinen finden, das Yin und Yang, wenn ich den Augenblick betrachte, ich kann den Fokus größer stellen und empfinde es nicht mehr als Zerrissenheit, was da in mir wirbelt, sondern kann es als „sowohl als auch“ wahrnehmen, was mich da seit Tagen rührt. Anziehung und Abstoßung in absoluter Form. Pendeln zwischen den Polen, bewegen im Symbol der beiden Kräfte. Auf diese Weise reise ich durch meinen Tag. Im Gebiet der Pandabären, die leider einer Krankheit erlagen, finden wir jedoch eine wunderschöne Affenfamilie. „The Golden Munkies“ werden sie genannt. Blaue Köpfe, warmgolden schimmerndes Fell, dem auch der Regen keinen Abbruch tut. Manchmal schaut mir einer der Affen direkt in die Augen. Das überrascht mich und freut mich zugleich. Spüre ich doch in der Sekunde dieses klaren Anschauens dass es etwas ist, was die Menschen in China scheinbar zu vermeiden suchen. Ein blöder Vergleich, dass ich gerade beim Blick des kleinen Affen darauf komme, doch ich lasse meinem Denken freien Lauf. Mit Andi haben wir seit Tagen unseren Spaß, wenn wir ihm versuchen beizubringen, beim Anstoßen mit einem Bier in die Augen seines Gegenübers zu schauen. Immer wieder huscht sein Blick davon. Und landet beim Glas. Denn hier passen die Chinesen ungeheuer auf. Wer oben und wer unten am Glas seines Nachbars landet ist oberwichtig im Verhältnis zueinander. Alternativ halten beide ihr Glas leicht schräg und vermitteln somit „gleiche Augenhöhe“.
Kurven haben uns zum Wald der Pandabären ohne Pandas geführt. Kurven bringen uns auch wieder von dort weg, auf dem Weg zu den seltenen „Ibis“ Vögeln. Zwischendurch haben wir unsere „Freude“ mit übervoll beladenen LKWs, die sich über die Straßen quälen. Ihr sicheres Ankommen scheint auf jeder Fahrt einem Wunder gleich. Unser Leo müht sich, mit seinen zwanzig Jahren, bei den „alten Hasen“ tapfer mitzuhalten, die mit ihren Bassstimmen atemberaubende Geschichten zu erzählen scheinen. Doch da muss sich Leo nicht verstecken. Er hat auch ne Menge beizutragen. Und doch wirkt er etwas schüchtern im Kreis der mächtigen chinesischen Fabrikate.
Tatsächlich gelingt es uns Ibis Vögel zu sehen. Ihre Stimmen klingen wie die von einem Entenschwarm. Doch spreizen sie ihre Flügel, um zum Flug anzusetzen, habe ich selten so viel Erhabenheit erlebt. Yin und Yang. China, ich glaube du möchtest es mich lehren und danke dir!