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Zeitströme / Time streams

12.09.2015 Chengdu / China / N30°44’08.7“ E104°08’31.5“

Viel Gegenwart um uns herum. Viel Zerstreuung und Aktion. Da tut ein Blick zurück, ein Innehalten gut. Wir gönnen uns diese Rückschau in der Nähe von Chengdu, im Sanxingdui-Museum. Um 1940 herum fanden Bauern auf ihren Feldern immer wieder Scherben und Überreste aus Metall. Beachtung schenkten sie den Funden damals wenig, da Kriege, Geldmangel, Hungersnöte und politische Unwegbarkeiten ihnen keine Gelegenheit boten, sich um Derartiges, wie ein paar alte Scherben zu kümmern. Erst im Jahr 1986 begannen Archäologen aktiv und systematisch zu graben. Was sie zu Tage förderten ist einer der bedeutendsten Kulturschätze Chinas. Kunstvoll gefertigte Masken, Geldbäume, mannshohe Figuren aus Bronze, sowie Keramik-Scherben aus den Anfängen der Töpferkunst zeugen davon, welche Hochkultur vor viertausend Jahren in China existierte und lebendig war. Bei den Schätzen handelt es sich um bedeutende Funde aus dem Königreich „Shu“, das als die Wiege der chinesischen Kultur am Oberlauf des Jangtse Flusses gilt.
Als seien wir als Besucher selbst Schatzgräber, ist das Museum unter einen Erdhügel gebaut. In der Dunkelheit der spärlich beleuchteten Räume kommen die einzelnen Stücke brillant zu ihrer Geltung. Ich genieße die Ruhe und die Möglichkeit, mich in die Zeit des Erschaffens fallen zu lassen. Welche Ästhetik, welches Gespür für Formen und Proportionen. Die Masken fesseln mich durch die Stärke ihres Ausdrucks. Die fein gesetzten Fissuren in den Schmuckstücken, Kannen und Behältern zeigen mir eine spielerische Phantasie, die mich anzieht. Das Ausgestellte strahlt Intelligenz, und Sinn für das Schöne zu gleichen Teilen aus. Das befriedet mich. Es ist, als betrete ich auf eigentümliche Weise den Boden, auf dem die Chinesen laufen. Ihr Fundament, ihr Selbstbewusstsein, welches sie heute mitunter so unerschrocken und kühn erscheinen lässt.
Und wir? Wir stehen am sogenannten „Nullpunkt“ der südlichen Seidenstraße. Brokat wurde in der heute zehn Millionen Stadt Chengdu gefertigt, durch die der Brokat-Fluss seine Bahnen zieht. Von hier aus trugen die Karawanen die edlen Stoffe in die Welt. Selbst das erste Papiergeld wurde in der Song Dynastie, um das Jahr 1.200 herum, hier erfunden.
Die Stadt scheint das Besondere zu mögen.
Unser Tag beginnt auf einem kleinen schmuddeligen Platz mit einem gemütlichen Frühstück im Jetzt, nimmt seinen Lauf mit einem tiefen Blick in die Vergangenheit, bevor er uns in der Zuchtstation der Pandabären in die Zukunft befördert. Fünfzig Pandas werden hier dazu angehalten sexuell aktiv zu sein, was ihrem trägen Wesen irgendwie abzugehen scheint. Faul, in der Schwülwärme nach Luft hecheln, liegen sie träge in den Astgabeln und kauen genüsslich an ihrem Lieblingsbambus herum. Wahnsinnig paarungsfreudig wirkt es nicht, wie sie da herum lümmeln und ab und an mal eine Tatze lässig von einer zur anderen Seite schwingen. Und doch scheinen sie ihre mobilen Stunden gehabt zu haben. Denn in der sogenannten Babystation sehe ich zwanzig Zentimeter kleine, plüschtierartige Knuddel-Pandas auf rosa Handtüchern liegen. Gestern, heute, morgen. Der Zeitstrom in unserem Leben und wir stehen mittendrin.
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