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Zwischen Erdbeben und Blätterteig / Between earthquake and puff pastry

08.05.2015 Usbekistan / Chimgan / N41°19’31.2“ E069°15’38.6“

 

Mannat, die Oma wartet schon. Wir steigen in dem abweisenden, dunklen Treppenhaus nach oben und wissen inzwischen, an welche der grauen Eisentüren wir klopfen müssen. Hinter der Tür finden wir eine ganz andere Welt. Gemütlich. Liebevoll. Ein richtiges zu Hause. Es duftet nach frischem Tee. Der Tisch ist für uns gedeckt. Im Frühstücksfernsehen läuft eine Gesundheitssendung. „Wasch das Gemüse ab“, „Iss weniger Zucker“, „Putz Dir regelmäßig die Zähne“, sind die hilfreichen Hinweise, die wir dem Programm heute Morgen entnehmen. Aufgeklärt und frisch gestärkt ziehen wir los. Vor dem „Hotel Usbekistan“ stehen ein paar Studenten der hiesigen Universität mit ihrer Deutschlehrerin. Sie steigen gemeinsam mit uns in den Bus zur Stadtrundfahrt. Unser Plan ist es, auf diese Weise einen Überblick über Taschkent zu bekommen. Denn die Stadt ist in ihrer Weite schwer für uns zu fassen. Ihr Plan ist es, im Deutschunterricht einen Vortrag über die eigene Stadt zu halten. Also ist Aufmerksamkeit gefragt. Das geht schließlich alles in die Note ein… Ich freue mich, dass ich ganz einfach um mich schauen kann, ohne Druck, mir ja die richtigen Jahreszahlen zu merken. Vorbei geht es an einer Anlage für die Opfer der Stalinzeit, einer niegelnagelneuen weißen Moschee, den zahlreichen Regierungsgebäuden, dem Fernsehturm, verschiedenen Basaren und endlich auch einem kleinen Zipfel der ehemaligen Altstadt. Nach ihr hatten wir gesucht und sie nun auf diese Weise gefunden. Leider hat das Erdbeben im Jahr 1966 unheimlich viel an Bausubstanz zum Einsturz gebracht und so ist einzig eine Fläche von vielleicht fünfhundert mal fünfhundert Metern übrig geblieben, auf der noch heute die Bauten der vergangenen Zeiten ihre Standfestigkeit feiern.

Wir sind in der Stadt und das bedeutet für uns oft, dass wir eine Verabredung haben. Gerade rechtzeitig hält der Bus an seinem Ausgangspunkt und wir wechseln in das nächste Auto zu Sergey. Freunde von ihm erwarten uns zum Kochen. Und heute mit der großen Besonderheit, das Essen mit einem passenden Wein abzurunden. Wir sind gespannt auf den usbekischen Wein von Sergey und tatsächlich hoch erfreut, als wir die ersten Schlucke probieren. Die Gläser leeren sich schnell. Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Wein lecker ist. Sergey freut es. Ist es doch nicht leicht, in einem Land, in dem der Wein kaum eine Lobby besitzt, diese Kultur zu etablieren. Sonne und frische Trauben gibt es genug. Geht es Sergey nun darum, den Wein so populär zu machen, dass über die Gäste des Landes auch die eigene Bevölkerung ein Gefühl dafür entwickelt, dass es zu Plov und Schaschlik nicht immer Wodka sein muss, sondern ein leckerer Tafelwein eine geniale Bereicherung sein kann. Über das Essen und Trinken philosophierend bereiten wir gemeinsam mit Zukhra und Julduz eine für uns neue Variante des Plovs zu. Jede Region hat ihr ganz eigenes Rezept und jeder schwört darauf. An der Art der Plov Zubereitung kann man quasi erkennen, aus welcher Gegend derjenige stammt. Reis und Teig, das sind die Dinge, die hier unentwegt zubereitet werden. Und so ist jede Frau, der wir bisher begegne sind, eine begnadete „Teigausrollerin“. Eine solche Fertigkeit und so viele zu berücksichtigende Details beim Ausrollen, habe ich noch nie zuvor erlebt. Ich stelle mich dabei wohl etwas holprig an. Werde aber für meine Fortschritte gelobtJ Sten probiert sich am Blätterteig und ist voller Eifer dabei. Seine Teigtaschen sind die besten… Ist uns heiß von der Wärme des Tages, vom leckeren Wein, den angeregten Gesprächen, dem Rollen des Teiges oder vom gemeinsamen Essen? Wahrscheinlich ist es ein dankbarer Mix aus allem. Doch das war es bei weitem noch nicht für heute. Beglückt und beschwingt von den letzten Stunden machen wir uns auf zu unserem nächsten Treffpunkt. Ein Freund Saules hat versprochen, mit uns gemeinsam in die Berge zu fahren. Fix ein paar Sachen zusammen suchen und los. Schnell, schnell, damit wir pünktlich sind. Um 17 Uhr ist Abfahrt. Und Eingekauft haben wir auch noch nicht… Wieder so ein Wollfaden, den wir uns da selbst über den Weg gespannt haben. Wann verstehen wir endlich, dass verabredete Zeiten hier mehr ein annähernder Vorschlag als ein fester Termin sind? Wir können offensichtlich nicht aus unserer Haut heraus und steigen um 19 Uhr in aller Ruhe alle zusammen ins Auto, um nach Chimgan zu fahren, zur Datscha der Familie in den achtzig Kilometer entfernt liegenden Bergen. Für mich vergehen die zwei Stunden Fahrt wie ein Finger Schnipsen. Ich schlafe und verschone mich dabei von all den Schlaglöchern und chaotischen Manövern der Fahrer um uns herum. Erst die Frische und Klarheit der Berge lässt mich wieder erwachen. Nach der stickigen und staubigen Luft der Stadt ist es hier oben das wahre Paradies.

 

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