Zwischen „Kizilkum“ und „Karakum“ / Between „Kizilkum“ and „Karakum“
03.05.2015 Usbekistan / Gazli / N40°23’26.9“ E063°07’59.7“
Kinderlachen. Kindergeschrei. Es klingt, als erwachten wir im Freibad. Um unseren Leo herum tummeln sich an diesem Sonntagmorgen Mädchen und Jungen allen Alters mit ihren Schulklassen. Von weit her scheinen sie angereist. Aus Unmassen von Bussen quellen die bunten Mengen an Kindergesichtern heraus. Alle haben sie sich chic gemacht, um sich Chiwa anzusehen. Sonntag ist der Tag der Klassenausflüge, wird uns erzählt. Wir versuchen uns einen Weg mit dem Leo durch all die quer stehenden Busse, den Überblick wahrenden Polizisten, vergnügten Kinder und ernst blickenden Lehrerinnen zu bahnen. Es macht Spaß dieses Wimmelbild anzusehen und doch sind wir froh, als wir ihm entkommen können. Wir nutzen die Gelegenheit, um noch ein paar Dinge zu organisieren. Wir brauchen eine Hotelregistrierung, Geld, Diesel und unsere Telefonkarte ruft auch nach einer Aufladung mit „Sum“, der hiesigen Währung. Hannelore und Helmut sind uns bei all dem eine große Hilfe und so findet sich für jedes der Themen eine Lösung. Ja, lückenlos müssen wir bei der Ausreise an der Grenze nachweisen, wo wir die Nächte verbracht haben. Keine so leichte Aufgabe, für Leute wie uns, die im eigenen Auto entlang der Strecke schlafen. Wir sind auf hilfsbereite Hotelbesitzer angewiesen, die unsere Situation verstehen und eine Möglichkeit finden. Alles scheint hier seine Regel und Vorschrift zu haben. Unser Job ist es nun, in kurzer Zeit heraus zu finden, was zu tun ist und wo die größten „Fettnäpfe“ stehen, wollen wir nicht sofort in jedes dieser treten. Es fühlt sich ein wenig wie ein Hindernislauf mit verbundenen Augen an. So nehmen wir die Unterstützung hier in Chiwa gern an, um Geld zu tauschen und ein wenig Diesel nachzufüllen, den es hier offiziell überhaupt nicht gibt. Es scheint für alles Wege zu geben, verschlungen zwar, doch immerhin vorhanden. In einem minikleinen „Tante Emma Laden“ können wir zwischen Brot, Nudeln und Zwiebeln unsere Telefonkarte aufladen. Das System ist einfach. Man tippt die eigene Nummer ein, wählt die Höhe des Betrages und schon erhält man nach dem Bezahlen eine Nachricht aufs Telefon, dass der Transfer geglückt sei. Ein lustiger Kontrast. Diese Ruck-Zuck-Technik auf der einen Seite und der jungen Frau im Laden, mit ihrem schreiendem Baby auf dem Arm, umgeben von all den Körnersäcken, Flaschen und Tüten, auf der anderen. Ich kann mich nicht satt erleben, an diesen vielen kleinen Details, die unentwegt um uns herum geschehen. Stehen wir auf der Straße, kommt einfach ein junger Mann aus einem Haus gelaufen, um uns ein Brot für den Weg zu schenken. Eine Frau betet für uns, die Kinder auf dem Fahrrad probieren schüchtern ihre ersten gelernten englischen Worte aus und freuen sich, als sie merken dass wir sie tatsächlich verstehen. Alle freuen sich, wenn ich ein Foto von ihnen mache. Es scheint für sie immer wieder das Gefühl darin zu stecken, auf diese Weise mit uns auf Reise zu gehen.
Wir setzen unseren Weg zwischen der Karakum- und der Kizilkum-Wüste fort. „Karakum“ bedeutet schwarzer oder bedrohlicher Sand. Sie liegt auf 350.000 Quadratkilometern im Süden des Landes. Nördlich des Amudarja nimmt die „Kizilkum“, die „rote Wüste“, eine Fläche von 300.000 Quadratkilometern ein. Was für Zahlen! Wie oft ist ein Fuß vor den anderen zu setzen, um eine solche Fläche zu durchqueren? Hier entlang verlief vom sechsten Jahrhundert vor Chr. bis in die Zeit um 750 nach Chr. ein Strang der Seidenstraße. Danach führten die Einflüsse des Islams und der Fall Konstantinopels zum Ende des Handelsweges auf den Routen der Seidenstraße. Karawanen mit mehr als einhundert Mann und mehreren hundert Lasttieren waren oft sechs bis acht Jahre unterwegs, um von China nach Europa und wieder zurück zu gelangen. Beschwerlichkeiten jeder Art hatten sie zu bestehen. Gebirge mussten überquert werden, Winter waren zu überstehen und befestigte Wege durch die Wüste gab es nicht. Einzig in China und den römischen Gebieten gab es Straßen, die das Gehen erleichterten. Während wir im Leo sitzen und uns langsam durch die Wüste bewegen sehe ich die geschundenen Karawanen vor meinen Augen, wie sie sich Meter für Meter vorwärts bewegten. Wie unglaublich muss für jeden Einzelnen von ihnen damals das Glücksgefühl gewesen sein, wenn erst als Fata Morgana und dann langsam als reale Kontur eine Stadt wie Buchara am Horizont erschienen ist. Wie berauschend das Lebensgefühl, sich dann dort für einige Tage oder Wochen niederzulassen, sich zu erholen und neue Kräfte zu sammeln. Um sich danach abermals in die Gewalten des freien, weiten und unendlichen Landes zu begeben. Was hat den Menschen damals die Energie und Zähigkeit gegeben, derartig mühsame Strapazen auf sich zu nehmen und sie zu überstehen? Die Distanzen sind und waren groß. Wir kommen heute dreihundert Kilometer voran. Damals waren es zwanzig bis fünfundzwanzig Kilometer pro Tag. Und auch ich freue mich auf den Moment, wenn ich vielleicht morgen die ersten Türme der Stadt Buchara am Horizont entdecken kann.